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Kiezflucht

Erstmalig seit einiger Zeit gab es wieder unser Kiezfest, das Ölbergfest. Gute Sache soweit, leider viel zu voll, hat sich erledigt, mit dem ehemals angedachten Nachbarschaftsfest, derweil der Rest der Stadt zum feiern einfällt. Verständlich, gerade nach gefühlt vergangenen Pandemie-Zeiten, mir aber viel zu voll, zumal nichts vergangen ist, wie mir die Berichte aus dem Umfeld sagen. Alle anderen hatten jedenfalls ein tolles Fest, wir waren nur mal am Rande gucken, das reicht.

Und so machten wir uns auf dem Weg in die Stadt und staunten über die bumsvollen Busse und Fußgängerströme in die Gegenrichtung. Lieber schön auffe Hardt, Bienchen & Blumen angucken und die Seele baumeln lassen (Klick auf ein Bild öffnet die Original-Datei in einem neuen Tab).

Zedernholz & Öl – Antibakteriell und entzündungshemmend, zudem hat es eine beruhigende Wirkung auf unsere Psyche, es vertreibt Angst und löst Spannungen, tröstet uns in schwierigen Lebenslagen, hilft auch gegen Angst und Ärger, gegen Aggression, es bringt uns wieder ins Gleichgewicht, verleiht uns wieder mehr Stärke und Würde. (Quelle WWW)

Abstieg in Richtung Unterbarmen, selbst die alte wilhelminische Feuersäule sieht im Sonnenlicht freundlich aus.

Und – Werbung, unbezahlt, aus purer Begeisterung. Lecker essen und trinken, dabei unfassbar viel für die Augen. Zeitreise pur.

Das hier hat einen Ehrenplatz verdient – Rarität, so eine Aufnahme.

Verborgene Schönheit, erinnert sich noch wer an den Film?

Und – Kiez-Fund auf dem Heimweg, kleine Erinnerung an meine Kindheit. Längst Vergangenheit, aber noch bewusst. „Alles“ ist relativ, wenn wenig alles ist, ist es für den Betreffenden viel. Eben alles. Friede sei mit „ihnen“, heute. Mich selbst eingeschlossen.

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Pari

Gleichstand. Heute vor 22 Jahren trank ich zum letzten Mal Alkohol. Das entspricht annähernd der Zeitspanne, in der ich konsumiert habe, wenn ich den Beginn auf dem 16ten Lebensjahr lege, von einigen vorherigen einzelnen Gelagen mal abgesehen.

Wir unterscheiden bei den anonymen Alkoholikern zwischen Trinkpausen, Trockenheit und Nüchternheit. Trinkpause ist selbsterklärend, Trockenheit bezeichnet dauerhafte Abstinenz, Nüchternheit meint Trockenheit plus tiefgreifenden inneren Wandel, Friede mit der Vergangenheit, Vertrauen auf Gott, Skepsis dem eigenen Ego, den eigenen Emotionen gegenüber, beides Bereiche, die laut Pfarrer Kappes krank sein können und bei süchtigen Menschen auch sind – im Gegensatz zu unserer unsterblichen Seele, unser Selbst, wie Kappes sagt.

Wo stehe ich? Ich bin auf dem Weg, der zu werden, der ich Gottes Willen nach gedacht bin. Was den eigenen Willen nicht ausschließt, wer möchte schon „willenlos“ sein? Für mich ist es existenziell wichtig, Gottes Willen als den eben größeren anzusehen. Immer wieder um tägliche Führung bitten, mich führen zu lassen. Das gleicht einer abenteuerlichen Reise, mal Angst-besetzt, da wo das Vertrauen (noch) nicht reicht, mal zuversichtlich, meist aber als spannend empfunden. Langweilig wurde mir in den vergangenen 22 Jahren jedenfalls noch nie 😉 Wie wichtig Vertrauen ist, zeigen gerade diese Zeiten immer wieder neu. Richtung und Weg stimmen, wofür ich dankbar bin.

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Säbelrasseln

8. Februar 2022

Die Nachrichten haben es derzeit in sich: Unser Bundeskanzler Olaf Scholz sitzt widerspruchslos neben dem amerikanischen Präsidenten, während dieser tönt, im Falle eines russischen Einmarsches in die Ukraine wäre Nord Stream 2 endgültig Geschichte.

Gut. Mal davon abgesehen, dass es sehr verschiedene Sichtweisen darüber gibt, wer hier der Aggressor ist – immerhin hat die Nato ihre Waffensysteme mittlerweile in Polen und im Baltikum stehen – was genau geschieht denn im Falle eines russischen Angriffs auf die Ukraine, von den zahllosen Menschenleben mal abgesehen? Als erstes dürften die bestehenden Gas-Piplines durch die Ukraine betriebsunfähig geschossen werden, das weiß im übrigen auch der Joe Biden. Nord Stream 2 wird nicht in Betrieb genommen, woher kommt dann eigentlich unser Gas? Richtig, Flüssiggas aus Amerika, ein Bruchteil dessen, was benötigt wird und der zum doppelten Preis. Es geht Amerika nicht um das Selbstbestimmungsrecht der Völker, es geht um handfeste Wirtschaftsinteressen.

Unser Bundeskanzler war mal Finanzminister, sollte also rechnen können, wenn es ihm schon eklatant an Selbstbewußtsein mangelt. Die Zeche bezahlen wir alle, mit explodierenden Energiepreisen und ggf. nächtlichen Gas-Sperren. Was nicht ankommt, kann nicht verfeuert werden. Zu diesem Irrsinn passt die grüne Außenministerin, die Vasallentreue über alles setzt, auch, wenn es der eigenen Wirtschaft weh tut (Originalton). Noch weiter denken? Unser innerer Friede hängt (auch) an bezahlbaren Lebensumständen. Da die Inflation derzeit schon durch die Decke geht, dürfte im Fall einer gewollten Energieverknappung noch einiges dazukommen, mit entsprechender Not für viele. Von grüner Seite wird darüber hinaus schon mal betont, die Umweltverträglichkeit der amerikanischen Fracking-Gases sei ja darüber hinaus auch wesentlich besser als die des russischen Gases, mit Blick auf die CO2-Bilanz. Sorry, aber das kann ich nicht wirklich glauben, fällt wohl unter Regierungspropaganda.

Wo ich gerade dabei bin – Gerhard Schröder. Ein Reizname, der sauer aufstößt. Auch ich habe ihm die immer noch gültige Sozialgesetzgebung nicht verziehen, die er uns beschert hat. Und auch sonst lässt sich vieles über ihn sagen: Genosse der Bosse, Absahner, seltsame Freunde (lupenreine Demokraten) und noch vieles mehr. Aber – wenn man mal davon absieht, dass der Altkanzler sich mit seinem Engagement für Gazprom ordentlich die Taschen voll stopft – er engagiert sich so auch für unser Land, für unsere Energieversorgung. Das ist de facto so.

Es gibt amerikanische und russische Einflussgebiete. Die Ukraine gehört definitiv nicht zum amerkanischen Einflussgebiet, in meinem Verständnis. Und – die Bündnistreue zur Nato sollte uns nicht davon abhalten, eigene Interessen selbstbewußt zu verfolgen. Dazu gehört auch die Tatsache, dass gute Geschäfte der beste Garant für den Frieden sind, auch wenn das derzeit nicht so wahrgenommen wird.

Gute und weniger gute Geschäfte – das amerikanische Gebaren erinnert mich an einen verwundeten Riesen, der heftig mit den Flügeln schlägt. Der Westen (uns mit eingeschlossen) hat in blinder Gier sein technisches Know-how im Zuge der „verlängerten Werkbank“ nach China ausverkauft, angefangen in den 90ern mit den alten Hochöfen bis hin zu modernster Verfahrenstechnik – und realisiert so langsam, welche Macht man China auf diese Weise übertragen hat. Zu spät – was bleibt, ist zu hoffen, dass am Ende auf allen Seiten wenigstens die Vernunft siegt, wenn schon nicht die Menschlichkeit.

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Update 27. Februar 2022

Der Horror ist losgetreten, in Europa herrscht Krieg, noch regional begrenzt. Es gibt keine Rechtfertigung für rohe Gewalt, für einen Angriffskrieg. Wenn ich zurück blicke, auf viele Gespräche mit Menschen slawischen Ursprunges, auf die Jahre mit einem jungen, russischen Kollegen, dann wird mir zweierlei klar, zwei Umstände, die für ein gutes Miteinander, die natürlich nicht nur, aber gerade im Verhältnis zu den Menschen aus Osteuropa enorm wichtig sind:

  • Eine klare, harte Haltung mit klar definierten Grenzen – bis hierhin und nicht weiter.
  • Fairness, Offenheit und Direktheit: Verarsch mich nicht und wir kommen klar. Gegenseitig!

Das gilt für den Umgang zweier Menschen miteinander ebenso wie in einer kleinen Gemeinschaft, aber auch im Umgang der Völker miteinander. Ich habe im kleinen Maßstab die Folgen hautnah erleben müssen, wenn sich an diese einfachen Regeln nicht gehalten wird. Im Großen ist es nicht anders, der Westen, die Nato hat sich immer ein Hintertürchen in Sachen Mitgliedschaft der Ukraine offen gehalten, vom Selbstbestimmungsrecht der Völker gesprochen und doch nur die eigene Erweiterung der Macht im Blick gehabt. Ein Blick auf die Landkarte zeigt – das konnte nicht gut gehen, gerade dann, wenn ein Autokrat altert und innenpolitisch Stärke zeigen muss.

Wenn ich so schreibe, versuche ich die Ursachen zu ergründen, ich will keine Rechtfertigung darlegen oder gar Verständnis und Gutheißen kundtun. Das gibt es nicht für Kriege, für Angriffskriege. Dies ist der letzte politische Eintrag dieser Art, mich bewegt derzeit vieles, gerade auch im familiären Bereich. Was bleibt, ist vertrauen und beten – nicht nur in solchen Zeiten.

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Update 2. März 2022

Sie mögen die Städte zerbomben, das Land besetzen, die Überlebenden unterwerfen. Eines werden sie nie besitzen: Ihre Herzen. Ohne ein Wort zu verstehen – die Gesichter sagen alles, berührt mich tief. Das Stück ist von 2016.



Die Blase

Folgende Zeilen geben, wie immer, meine ganz persönliche Haltung wieder. Sie wollen weder belehren noch haben sie einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, auch wenn es sich so lesen mag.

Was ist eigentlich eine Blase? Ein Hohlkörper, der im Allgemeinen gut dehnbar, reißfest sowie in der Lage ist, eine Menge mehr oder weniger Nützliches aufzunehmen. Es gibt aber auch das Synonym der Blase als etwas Buntschillerndes, Verlockendes, Fragiles, das nur wenig über den tatsächlichen Inhalt oder die meist nur kurze Lebensdauer des Gebildes aussagt und in der Regel mehr Schein als Sein darstellt.

Die erste große Blase der neueren Zeit platzte 1945, in Sachen Deutschland über alles, es folgte Ende der 60er Jahre die Zweite, als die so genannten 68er die Alt-Faschisten an den Schaltstellen der Macht satt hatten und dem allgemeinen Taschen-füllen als allein selig-machende Maxime nicht mehr folgen wollten, ebenso nicht mehr dem verhassten miefigen, moralinsauren Katholizismus, dem beinharten Bete-und -Arbeite der Evangelikalen folgen wollten. Es folgten weitere Blasen, erst der Glaube an eine Alleinstellung in dem Welthandel im Zuge der Globalisierung dessen, später die Blase des Glaubens an eine friedlichere Welt nach 1990, die so genannte Immobilien- oder auch IT-Blase, also das Platzen der völlig überhöhten Wertstellung eines Themenbereiches.

Und heute? An der Stelle stockt mein Gedankenfluss ein wenig, so komplex sind die Auswirkungen dieses winzigen Etwas, das unser bisheriges Leben völlig auf den Kopf gestellt hat. Mehr oder weniger. Wenn eine Blase geplatzt ist, dann ist es die Illusion, man könne sich es bequem machen, in einer spirituellen Kuschelecke, und den Rest der Welt schlicht ausblenden, wenn er denn schon nicht zu ändern sei. Eine Flucht vor dem Leben, wie es nun mal ist – mir als ein Mensch mit Suchterkrankung nur zu vertraut. So etwas hält nur solange, wie es hält – bis zur nächstbesten Nagelprobe, sei es eine private Krise oder eine gesellschaftliche, wie wir sie gerade Pandemie-bedingt erleben.

Mein persönliches Fazit: Meine Spiritualität, mein Glaube muss sich mit der Wirklichkeit vereinbaren lassen, soll mir helfen, die Menschen zu verstehen, ohne an ihnen zu verzweifeln. Oder an mir selbst, außen wie innen. Was nicht das Potential hat, mich auch in rauer See zu begleiten, taugt nichts.

Im Außen kann ich mehrere Richtungen erkennen: Die einen werden zornig, stellen teilweise den Staat als Ganzes in Frage, ohne zu merken, wie sie von interessierten Kreisen politisch instrumentalisiert werden, indem sie Seite an Seite mit Vertretern eben dieser Kreise demonstrieren gehen. Die Mehrheit arrangiert sich mit den Einschränkungen, weil sie die Sinnhaftigkeit erkennen kann, allen politischen Irrlichtereien zum Trotz. Dazu zähle ich mittlerweile auch die Kontaktbeschränkungen via Rasenmäher, die sämtliche Wertschöpfungsketten zerschlagen. Wer seine Existenz gefährdet oder ruiniert sieht, kauft nichts mehr abseits des absolut Notwendigen. zahlt auch keine Steuern und Sozialabgaben mehr, von denen jeder Lehrer, jede medizinische Fachkraft, jeder Therapeut, jeder Beamte schlussendlich lebt. Von unseren Politikern erwarte ich mehr Differenzierung in Sachen Kontaktbeschränkung und vor allem, dass sie aufhören, dumm um etwas Rares, Kostbares, weil nur eingeschränkt Verfügbares mit den Pharmakonzernen feilschen zu wollen: Impfstoff – der einzige Weg heraus aus dieser Lage. Andere öffneten ihre Börsen und sind uns weit im Voraus, was die Impfquote angeht.

Alles in der Natur strebt nach Ausgleich der Kräfte, nach Gleichgewicht, selbst gewaltige Naturkatastrophen machen nichts anders. So in etwa wird es sich auch in der Gegenwart verhalten, glaube ich, der Ausgang ist derzeit ungewiss. Aber – was mir Hoffnung macht – , Viele Menschen, und sie werden nach meinem Empfinden stetig mehr, definieren sich als Menschen neu, abseits vom seelenlosen Konsum der Nachkriegszeit, abseits der besagten Kuschelecken, abseits von wie auch immer gearteter Religion, wobei diese im Kern eigentlich dabei nur unterstützen: Es wird bewusst, wie wenig Mensch eigentlich zu leben braucht, immer öfter wird gefragt, was wirklich zählt – mitten im realen Alltag wird einander öfter mal zugehört, praktische Hilfe geleistet, Spiritualität nicht zelebriert, sondern gelebt, meist unspektakulär und vergleichsweise leise, laut können die anderen zur Genüge. Wir sind allesamt enger miteinander verbunden, als es uns der Individualisierungstrend der letzten Jahrzehnte weismachen wollte – wirtschaftlich und vor allem menschlich.

Verbunden in unserer Verletzlichkeit.

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Nikolaustag 2020

Der Wassertiger führt in letzter Zeit ein Schatten-Dasein, wird also Zeit, ihn wieder mal zu füttern. Die Wupperpostille, nebenan bei WordPress.com, nimmt viel Zeit in Anspruch, was einerseits viel Freude macht, aber diese eher private Nische hier ein wenig zu kurz kommen lässt. Sei`s drum. Heute bin ich wieder mal hier.

Was bewegt mich? Klar, das, was die meisten so umtreibt, in diesen Tagen. Ein kleiner Virus, der sich im doppelten Wortsinne atemberaubend schnell unter uns Menschen verbreitet. Selbst in meinem beruflichen Umfeld ist er mittlerweile angekommen, was mich ausgesprochen vorsichtig macht, im Umgang mit meinen Eltern. Um mich sorge ich mich dabei weniger, zähle zwar altersmäßig auch schon zur so genannten Risikogruppe, aber ich vertraue auf mein Immunsystem und den Willen meines Schöpfers, in Verbindung mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen.

Ich las es in der letzten Zeit schon öfter – auch anderen scheint es ähnlich wie mir zu gehen. Das Virus und seine Eigenschaften ist eines, der Umgang von uns Menschen damit gleicht nicht nur für mich einer spannenden Studie. So eine erdumspannende Seuche bringt aus den Einen das Beste hervor, während sich bei den Anderen nur dürftig verdeckte Abgründe auftun. Die Phase der ersten Erschütterung habe ich mittlerweile hinter mir gelassen, es trennt sich nun eben die Spreu vom Weizen. Die Einen sammeln sich, um dieser Herausforderung gemeinsam Herr zu werden und die anderen scharen sich um ihresgleichen, um möglichst alles wie immer schon so weiterlaufen zu lassen – keine Theorie und Demagogie ist ihnen zu kraus, die dabei helfen könnte. Alles nichts Neues, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

Und ich? Isolation ist für mich zunächst einmal nichts Neues. Als Kind war es freilich schlimm, eine ewige Außenseiter-Rolle zu haben. Später habe ich das zelebriert und gepflegt, mein vermeintliches anders-sein. Psycho nannten sie mich, mir war es recht. Hatte ich sie eben nicht alle, ab einem bestimmten Grad adelt selbst das, dachte ich. Das ging damals mit meiner Suchterkrankung einher, mit den dazu passenden Begleitumständen, Auftritten und „Nebenkosten“.

Lange her, das alles. Heute bin ich recht gerne allein, kann mich meistens selbst gut ausstehen. Seit einiger Zeit darf ich sogar allein arbeiten, nachdem mein berufliches Umfeld Anfang des Jahres arg reduziert wurde und ich das Glück hatte, bleiben zu dürfen. Jeder Tag ist heute gefüllt von Dankbarkeit, nunmehr befreit von Neid, Missgunst, Boshaftigkeit und Intrigen arbeiten zu dürfen. Keine Selbstverständlichkeit, wie sich gezeigt hat. Für mich wäre das so genannte Home-Office eine Auszeichnung, allein bin ich am kreativsten, muss ich dann doch auf keinerlei Befindlichkeiten meiner Mitmenschen Rücksicht nehmen. Das schließt Teamfähigkeit nicht aus, so nutze ich alle mir zur Verfügung stehenden Kanäle der neuen Zeit, um mit den anderen zusammenzuarbeiten. Leider ist das daheim-arbeiten in meinem Fall unrealistisch, da mein tägliches Werkzeug dank nicht unerheblicher Masse ein wenig immobil ist. Was den heute schon anachronistischen Luxus mit sich bringt, am Ende des Tages (hier mal ausnahmsweise nicht als Phrase gemeint) noch etwas in den Händen halten zu dürfen, was bis dahin nur als virtueller Datensatz sicht- und begreifbar war.

Geblieben ist weiter eine nur schwer zu beschreibende Sehnsucht nach Gemeinschaft, getragen von einem Gefühl der Zugehörigkeit. Im engeren Sinne bin ich reich beschenkt worden, was mein direktes familiäres Umfeld angeht. So bin ich heute tief dankbar für den Menschen an meiner Seite, mit dem ich meine tägliche Fristverlängerung teile, so gut ich kann. Dankbar auch für ein anderes Geschenk in Form meines großen Kindes, der seinen Weg als nunmehr junger Erwachsener recht zielstrebig geht. Dankbar auch für den mir möglichen Umgang mit meinen Eltern … alles keine Selbstverständlichkeiten, für mich.

Ziehe ich die Kreise weiter, sehe ich meine geistige Verwandtschaft. Menschen, die sich wie ich selbst auch als Erdenbürger, meinetwegen Kosmopoliten, begreifen. Menschen, deren Horizont über das Taschen-füllen um jeden Preis hinaus geht. Menschen, mit denen mich neben Humanität auch Glaube verbindet, dessen offizielle Titel mir übrigens sehr wurscht sind. Ich fühle mich mit jeden Menschen verbunden, der erkannt hat, dass es mehr gibt als sein eigenes Ego, in welcher Form auch immer. Solange es  dem gemeinsamen Auskommen und Wachstum dient. Was die Sehnsucht angeht, sie gehört offensichtlich zu mir. Und weil ich sie umarmen kann, hat sie ihren Schrecken verloren. Passend dazu habe ich das Liedchen weiter untern gefunden oder es mich, wie auch immer. Beschreibt es doch in seiner Übersetzung gut das alte „Fass ohne Boden“, das ich einst war, verbunden mit dem, was mich heute ausmacht. Viel Freude beim hören – und schön laut machen.

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Morgenstunde

Eine klebrige, schwüle Nacht liegt hinter mir, 26 Grad um 5 Uhr früh. Auf dem Weg zur Arbeit fällt mir eine kleine Episode von gestern Morgen ein. Der Weg führt durch einen alten, sehr engen kleinen Tunnel, der zu Zeiten von Pferdefuhrwerken gebaut wurde. Links und rechts der schmalen Passage gibt es „Fußwege“, die den Namen nicht wirklich verdienen, weil gerade 20 cm breit. Und als ob dies noch nicht reichen täte, hat die Stadt Wuppertal diese schmalen Wege noch mit hervor stehenden, so genannten Leuchtnägeln versehen, auf dass auch der dümmste Autofahrer weiß, wo die Straße seitlich begrenzt ist. Feine Stolperfallen für Fußgänger, die auf diesem schmalen Grat eh schon um Gleichgewicht ringen.

Gestern früh also bin ich kurz vor der Passage, sehe weit hinter dem Tunnel ein Auto auf der Straße stehen. Ok, der hat Zeit, denke ich und laufe los. Das Auto setzt sich in Bewegung und fährt in den Tunnel ein, gerade, als ich mitten drin bin. Ich bleibe auf der Fahrbahn und schaue mal, wie es weiter geht. Meinem Gegenüber ist das wurscht, er fährt zügig weiter.

Du dummes, rücksichtsloses Arschloch, denkt es in mir. Kannst nicht eine Sekunde draußen warten, bis ich heraus bin. Was glaubst du eigentlich, wer eher auf Erden war, Autos oder zu Fuß gehende Menschen… Und so flüchte ich mich mit meinem XXL-Rucksack, der die Tageszehrung sowie den gefühlten halben Hausrat beinhaltet, auf die schmale Steige, hart an die dreckschwarze Tunnelwand. Es ist warm, der Kerl hat das Fenster auf, wortlos schauen wir uns an, während er langsam weiter fährt. Wahrscheinlich hat es meinerseits auch keine Worte gebraucht, um verstanden zu werden, unmaskiert, wie ich um diese Zeit meiner Wege gehe.

Kleinigkeit? Ja, schon, auf dem ersten Blick. Beim näheren hinschauen eher nicht, spiegelt es doch einen Teil meiner so genannten Lebens-Herausforderungen wieder. Der alte Adam möchte, übellaunig, wie er ist, am frühen Morgen, ohne Frühstück im Bauch, mit gezieltem Tritt Spiegel abtreten und zornig aussteigen wollenden Fahrern die Ohren lang ziehen und die Beine brechen.. Der andere, eher friedfertige Teil in mir wundert sich, man hätte ja auch mit einem freundlichen Lächeln einen guten Morgen wünschen können. Hätte. Irgendwo dazwischen liegt das, was man Realität nennt, also dieser Mordblick, der potentielle Kommentare im Keim erstickt. Nächstenliebe geht irgendwie anders, denke ich. Gibt wohl noch so einiges zu tun.

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Wie geht es weiter mit der Selbsthilfe?

Wie geht es weiter mit der Gemeinschaft der anonymen Alkoholiker, denen ich mich seit über 20 Jahren trocken und dankbar verbunden fühle? Mittlerweile sind unsere Zusammenkünfte wieder gestattet, mit einer Menge Auflagen des Gesundheitsamtes NRW, die Selbsthilfe allgemein betreffend,  die unsere Prinzipien und Traditionen teils komplett auf den Kopf stellen. Die Gemeinschaft der anonymen Alkoholiker (in der RG01) selbst hat dazu ebenfalls ein Schreiben verfasst, welches sich auf die Vorgaben des Landes bezieht. Darin ist unter anderen die Rede von den auch anderswo üblichen Schutzmaßnahmen vor Ansteckung wie Mindestabstand und der daraus resultierenden Teilnehmerzahl-Begrenzung, Maskenpflicht, Aufhebung der Anonymität durch Teilnehmerlisten mit Vorname und Telefonnummer, Bewirtungsverbot, permanente Belüftung, abschließende Desinfektion und so weiter.

Zunächst einmal ist es mehr als fraglich, ob die Gemeinde, welche uns die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hat, überhaupt unter diesen Vorgaben weiter bereit dazu ist. Meine persönliche Haltung ist eher skeptisch ob der Durchführbarkeit des Ganzen. Für mich als einer der Sprecher unserer Gruppe hat das alles auch etwas mit Verantwortung zu tun, die ich nicht übernehmen will und kann. Eine Menge Fragen tauchen auf, zum Beispiel die Teilnehmerzahlbegrenzung betreffend. AA war und ist für mich offen für jeden, der den Wunsch hat, mit dem Trinken aufzuhören und ich werde niemals einem die Tür weisen oder Diskussionen führen wollen, wer anstelle dem Neuen jetzt den Raum verlässt. Auch das Hinterlassen persönlicher Daten, was der Anonymität komplett zuwider läuft,  lehne ich ab (Aus diesem Grund weigere ich mich auch, Gaststätten zu besuchen).

Denke deine Gedanken zu Ende – das waren einst die Worte eines alten, mittlerweile schon lange verstorbenen Freundes meiner ersten trockenen Wochen. Wenn ich das konsequent mache (ok, meine Phantasie ist lebhaft), kann ich mir z.B. folgendes Szenario vorstellen. Einer aus der Gruppe erkrankt, angesteckt wo und wie auch immer. Im Zuge der Nachverfolgung von Infektionsketten taucht meine Telefonnummer und somit meine kompletten persönlichen Daten beim örtlichen Gesundheitsamt auf. Da geht es laut den Schreiben auch um Haftung, um Bußgelder bei eventueller Nichteinhaltung der Vorgaben. In allen derzeit kursierenden offiziellen Schreiben ist diesbezüglich von „Kontrollen“, von Bußgeldern sowohl für den Vermieter (oft, wie auch bei uns die Gemeinde) als auch den Mieter der Räumlichkeiten, also die Gemeinschaft der AA die Rede. Diese „funktioniert“ anarchisch, alle Fragen innerhalb einer Gruppe werden per Abstimmung entschieden, das Gesundheitsamt dagegen braucht einen Verantwortlichen – was liegt näher als der Gruppensprecher. Und – es könnte Quarantäne folgen, am Ende Besuchsverbot bei meinen greisen Eltern, bis hin zu Schließung von unseren Arbeitsstätten im Infektionsfall. Natürlich kann ein solches Szenario auch anderweitig eintreten, anstecken kann man sich immer, sobald man das Haus verlässt. Dennoch – zumindest derzeit bin ich nicht bereit, unter diesen gegebenen Bedingungen bei einem persönlichen Meeting mitzumachen, so bitter mir das auch ankommt.

Da ich nicht damit rechne, dass sich die Voraussetzungen kurz- oder mittelfristig ändern werden, muss ich davon ausgehen, dass auf Monate (meiner Einschätzung nach bis weit in das nächste Jahr hinein) mehrere Jahre kein reguläres Meeting unter (für mich) annehmbaren Bedingungen mehr möglich sein wird. Es bleiben nur die virtuellen Meetings und die (private) Begegnung mit den Freunden, persönlich oder über die gängigen Kommunikationskanäle. Headset und Webcam sind jedenfalls geordert  mittlerweile vorhanden… mir tut es nur für all jene leid, die in der Gegenwart noch keinen Weg in die Trockenheit gefunden haben und unter diesen harten Bedingungen Wege finden müssen.

Update – 24 Juli 2020

Nach einem mir vorliegenden Schreiben gibt es neue Regeln für „offizielle“ Präsenz-Meetings (NRW): Teilnahme nur nach Anmeldung (?). Bekanntgabe des vollständigen Namens und der Adresse. In der Praxis reicht dem Vernehmen nach vielerorts (noch) die Angabe des Vornamens sowie einer Telefonnummer. Die neuen Vorgaben dienen vermutlich dazu, den Gesundheitsämtern die verwaltungstechnisch umständliche „Entschlüsselung“ der Metadaten jedes Teilnehmers über die Mobilnummer zu ersparen. Wer unter diesen Bedingungen ein Präsenz-Meeting aufsucht, muss wissen was er tut. Mich bestärkt das in meiner Entscheidung, den offiziellen Präsenz-Meetings bis auf weiteres fernzubleiben.

Update – 17.Oktober 2020

Mit der Zeit komme ich zu einigen für mich sehr interessanten Erkenntnissen:

  • Es geht mir auch ohne Gruppe gut, meinem Glauben sei Dank. Die üblichen Schwankungen, denen alle Menschen ausgesetzt sind, inbegriffen. Teilen und weitergeben ist mir immer noch wichtig, aber weniger aus einem persönlichen Bedürfnis, aus eigener Not heraus, mehr mit der Hoffnung verbunden, anderen Mut zu machen, ihren Weg weiter zu gehen.
  • Ich bin und bleibe ein süchtiger Mensch, der nur durch Gottes Gnade im Leben so etwas wie Halt gefunden hat.
  • Es fühlt sich so an, als ob nun das Gelernte der letzten 20 Jahre auf seine Ernsthaftigkeit, seine Tragfähigkeit hin geprüft wird.
  • Konspirative Freundschaftstreffen (inoffizielle Meetings) in ominösen Hinterhöfen, ohne Bekanntgabe meiner persönlichen Daten, haben auch ihren gelegentlichen Reiz. Natürlich immer unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen wie Abstand und Maske. Und – was in den oft sehr vertrauensvollen Runden echt schwer fällt – niemanden drücken oder herzen. Auch interessant – früher konnte ich das nicht, heute fehlt es mir.
  • AA ist in erster Linie eine Zweckgemeinschaft, wer sich abwendet, existiert für die meisten anderen nicht mehr wirklich. Oder aber mein persönlicher Zuschnitt, meine gelegentliche Impulsivität, Arroganz, Distanz, verhinderte tiefere Bindungen über die Jahre. Wahrscheinlich ein Mix aus beiden.
  • Die gewonnene „freie“ Zeit kommt mir sehr gelegen, mit Blick auf familiäre Verpflichtungen.

Update – 30. Juli 2021

Nach wie vor fühle ich mich derzeit keiner Gruppe zugehörig, suche auch nicht den regelmäßigen Kontakt zu Live-Meetings, obgleich mittlerweile vollständig geimpft. Dennoch bin ich getragen von meinem Glauben und von der Arbeit in den 12 Schritten. Der Rückzug führt zu mehr Ernsthaftigkeit, meine tägliche Inventur betreffend. Auch in Schriftform findet Austausch mit anderen Betroffenen statt, privat oder in geschlossenen Gruppen.

Und – seit Beginn der Pandemie bin ich sehr viel zu Fuß unterwegs. Erkunde hier im nächsten Umfeld Ecken und Lagen, die mit Auto oder Rad nicht zu erreichen sind. Gehen hat etwas meditatives, meine Runden reichen nicht selten an die 10, 12 Km heran. Dabei spüre ich mit jedem Schritt, wie mein Geist ruhiger wird, sich zunehmend leert. Fühlt sich sehr gut an.

Update – 9. Januar 2022

Im neuen Jahr werde ich der Gemeinschaft der AA wieder etwas näher kommen. So habe ich mich entschieden, an dem wieder aufgenommenen Literatur-Meeting meiner damaligen Stammgruppe gestalterisch und persönlich teilzunehmen, jeden ersten Samstag im Monat. Das passt auch zeitlich, ich freue mich drauf. Futter für die Seele, gemeinsam zu gelesen und anschließend darüber teilen.

Update – 5. Februar 2022

Heute ist Neustart unseres „spirituellen“ Meetings, ein Themen-gebundenes Literatur-Meeting. Themen Heute sind analog zum zweiten Monat des Jahres die Ausführungen von Pfarrer Heinz Kappes zum zweiten Schritt der AA: Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann. Wir lesen ca. 20 Minuten und teilen dann gemeinsam.

Update – 15 Januar 2023

Das Literatur-Meeting ist Geschichte, mangels Interesse. Dem Vernehmen nach gibt es eine Alternative, in der hiesigen Mittwochsgruppe (kommt aus Zeitgründen für mich leider nicht in Frage) Die AA-Literatur scheint aus der Zeit gefallen zu sein, dann ist das jetzt so. Persönlich hat mir die Arbeit mit den Reden von Heinz Kappes unglaublich viel gegeben und viele seiner Aussagen tragen mich bis heute.

Solange ich denken kann, verstand ich nie die Kleinteiligkeit und Widersprüchlichkeit des Glaubens unter uns Menschen und fand jeden Ansatz einer, wenn man so möchte, einfachen Universal-Religion höchst spannend. Heinz Kappes gilt als literarischer Vater der AA-Literatur hier in Deutschland, war er doch nicht nur evangelischer Jugendpfarrer (bis 1933), sondern nach 1945 auch ein überaus fleißiger Übersetzer der amerikanischen A-Gruppen-Literatur. Was er nie groß zum Thema gemacht hat, was ihm auch einige Diskussionen innerhalb der evangelischen „Amtskirche“ eingebracht haben dürfte – er stand auch den so genannten „Quäkern“ nahe, die, obgleich im Schwerpunkt christlich, sich spirituell aus allen Töpfen bedienen. Was sich auch in dem Leben von Heinz Kappes widerspiegelte, der als deutscher Emigrant 14 Jahre in Israel lebte, damals noch unter britischen Protektorat. Der Heinz Kappes, der als Christ Meditation und Yoga praktizierte, viele ferne Länder bereiste.

Halte es einfach, heißt es. Die alten Schriften sagen nicht anderes und ich bin dankbar, so vieles davon für mich persönlich verwenden zu können.

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Substanz

Der Anschub für den Titel gab vor etwas längerer Zeit ein Kollege, der in eine andere Fachabteilung wechselte, raus aus der Werkstatt, in einen Bereich der puren Theorie. Wir sprachen in dem Kontext kurz über die „Substanz“ der Arbeit, von daher ist das Thema irgendwie bei mir hängen geblieben.

Suche ich im Netz nach Begriffsklärung, finde ich erwartungsgemäß die unterschiedlichsten Bezüge. Selbst denke ich zunächst einmal an alles, was ich irgendwie mit meinen Sinnen erfassen kann. Beruflich kann ich Stähle an ihrem Funkenbild mit den Augen unterscheiden, höre und fühle, wie gut oder weniger gut eine Maschine läuft, kann mit den Fingerspitzen verschiedene Kunststoffe von einander unterscheiden. Grobstofflich, wie man sagt. Nicht weniger grobstofflich, wenn auch in einem etwas anderen Sinne, sind meine Assoziationen in Sachen Substanz(en), wenn ich an die zahlreichen bewusstseinsverändernden Mittelchen denke, die es so gibt.

Im zwischenmenschlichen Bereich wird es feiner, ausgehend von der körperlichen Ebene, auf der sichtbar ist, wie viel Substanz im Sinne von Masse ein Mensch angesammelt hat. Oder es ist spürbar, wie viel Substanz ein Mensch gesundheitlich aufweisen kann, wie gut sein Immunsystem ihn schützt.  Im metaphorischen Bereich liegen Schein und Sein dicht beieinander. Wie gehaltvoll, wie viel Inhalt, wie viel Substanz bietet so manche Rede, wie viel Substanz haben greise Worte (ein Thema, was mich gerade auch privat beschäftigt) Wie viel Substanz bietet ein Mensch, wenn man ihn vor dem geistigen Auge von seinem Habitus befreit, was genau bleibt dann noch übrig von ihm?

Wie viel Substanz hat das, was gerade die Welt in Angst und Schrecken versetzt, etwas längst aus dem Bewusstsein der meisten Menschen verdrängtes, etwas, was unsere Welt dauerhaft verändern wird?  Wie kann ein beinahe substanzloses Ding, Geschöpf, Wesen (?) von einer Größe im Nano-Bereich derart verheerende Folgen haben?

Auch ich verschicke und empfange immer noch manchen Galgenhumor in Bildwitz-Form, der die kalte Hand im Nacken etwas erträglicher macht, beim Verfolgen der täglichen Nachrichten. Fühle mit den Millionen, die existenziell vor ganz schweren Zeiten stehen, fühle mit denen, die einer so genannten Risikogruppe angehören. Fühle mit denen, die jetzt dicht gedrängt aufeinander hocken müssen, obgleich sie sich am liebsten aus dem Wege gehen würden. Mache mir eigentlich um mich selbst weniger Gedanken, fühle mich selbst recht gut getragen, was erstaunlich ist, nach dem letzten Jahr, in dem das absolut nicht der Fall war. Was erstaunlich ist, angesichts der Tatsache, dass auch ich allein von meinem Alter her zu den so genannten Risikogruppen gezählt werden kann, oder angesichts auch meiner beruflich ungewissen Zukunft.

Wie viel Substanz hat das, was mich trägt? Jedenfalls keine im klassischen grobstofflichen, geistigen oder philosophischen Sinne. Es ist die gleiche „substanzlose“ Macht, die mich durch die Zeiten bis hierhin getragen hat, durch Verzweiflung und jede Menge Angst hin zu dem, was manche mit Urvertrauen bezeichnen. Das lässt hoffen, diese Zeiten, wie sie nun mal sind, gemeinsam mit euch, die ihr vielleicht ähnlich fühlt und glaubt, zu bestehen.

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Vom neuen Jahr und vom Brauchtum

Familiäre Gründe lassen uns den Jahreswechsel daheim verbringen. Das hat den Vorteil, bei den Tieren sein zu können und niemanden bemühen zu müssen. Und so stehe ich nach einem guten Abendessen in der Küche und denke angesichts der ersten Feuerwerke da draußen über das so genannte Brauchtum nach. Allein die Wortwurzel suggeriert mir, etwas zu „brauchen“, was offensichtlich schon lange der Tradition entspricht und somit seine Existenzberechtigung per se in sich trägt. Ok, denke ich, wer`s braucht, ich nicht, nehme mir den vollen Müllsack und trage ihn durch`s Treppenhaus in Richtung Tonne, das braucht der jetzt, der Sack, und ich auch, weil`s stinkt und nichts mehr hinein geht. Brauchtum der anderen Art eben.

(Der Link führt übrigens zu weiteren interessanten Begriffen wie Gruppenkohäsion, strukturellen Egoismus und vielem anderen mehr).

Wie kommt das eigentlich, das manche uralte Rituale so derart in den Köppen kleben, obwohl sie sich selbst schon lange überholt haben, denkt es in mir, während draußen die ersten Feuerwehr- und/oder Notarztwagen zu hören sind. Irgendwie scheint das trotzig, angesichts der schnellen Wandels um uns herum. Ich-will-aber-Mentalität. Nicht nur Feuerwerk, auch vieles andere wird solcher Art beharrlich begehrt, Stichwort dicke Autos und so. Naja, besser nicht zu laut den Kopf schütteln, immerhin arbeite ich ja selbst in dieser Branche, noch. Widersprüche gehören offensichtlich zu mir.

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Am Abend geht das Festnetz-Telefon, eine Nummer aus der Nachbarstadt, in der ich selbst auch einige Jahre lebte, erscheint auf dem Schirm. Seltsam, denke ich, habe ich doch so gut wie keinen Kontakt mehr dorthin. Neugierig bin ich dennoch und nehme den Anruf entgegen. Es meldet sich eine ältere Frauenstimme, die ich nicht sofort erkenne und erst mal nachfragen muss. Ein Wiederhören nach fast 11 Jahren, weil sie sich verwählt hat – und weil wir durch Fügung heute Abend hier sind. So wird aus einer verwechselten Nummer, die aus einer alten Kladde entnommen wurde (auch hier wieder Fügung, das Teil wird sonst nie benutzt, aber das Handy ist gerade sonstwo) eine knappe Dreiviertel Stunde bewegtes Plaudern über das, was sich so alles seit neulich vor 11 Jahren getan hat, mit viel Rührung, einigen Erinnerungen und abschließend reichlich guten Wünschen.

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Mitternacht dann herzen wir die Katzen, denen der Lärm weniger als befürchtet an die Nerven geht und stoßen gegen jedes Brauchtum mit rattenscharfem Ingwertee auf das neue Jahr an, in Gedanken bei dem, der den Jahreswechsel im Krankenhaus verbringen muss. Ein sehr bewegtes Jahr geht zu Ende, gefüllt mit Krankheiten, eigene und die nahe stehender Menschen, auch Menschen, die uns vorangegangen sind. All dies hat mir persönlich meine höhere Macht näher gebracht, den Mensch-Gewordenen, an dem ich mich in letzter Zeit nicht nur in Not wende, sondern mich auch öfter mal bedanke. Zum Beispiel für unsere neue Mitbewohnerin, seit dem Frühjahr, die gerade Schlaf nachholt.

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Auch deren Essen war vorzüglich …

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Ich wünsche uns allen ein gutes, nach Möglichkeit friedvolles neues Jahr!

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Schreiben

Eine meiner Herausforderungen liegt darin, bewusst wahrzunehmen, wie es mir gerade geht. Klingt eigentlich simpel, oder? So simpel ist es nicht, wenn ich den ganzen Tag werke, analysiere, plane, strukturiere, programmiere, Maschinen mit Stahl und Daten füttere. Wenn in meinem Kopf Passwörter, PIN-Nummern und Termine um Aufmerksamkeit buhlen. Wenn Grabenkämpfe zusätzlich Kraft und Zeit kosten. Dann sitze ich am frühen Abend auf dem Sofa, beschmuse unser Katzenbaby und bin manchmal recht erschrocken über die Leere in meinem Kopf. Keiner zuhause oder etwas zurückgeblieben von den wüsten Zeiten? Ich weiß es nicht.

Denken und fühlen gehen für mich beim Schreiben am besten zusammen. Sie sind ja ansonsten nicht die besten Freunde, Ratio und Emotio. Beim Schreiben jedoch bilden sie ein gutes Team. Die Seele schickt ihre Impulse aus der Tiefe, der Geist analysiert den Hintergrund und findet Worte für das Gefühl, das sich breitmacht. So finden sich Sätze und ganze Geschichten, immer wieder schaut die Seele auf das Geschriebene, ob es sich auch stimmig liest oder ob der Verstand wieder einmal versucht, sich als Chef aufzuspielen, sich in Formulierungen und Wortgeklingel versteigen möchte. Ein gutes Team eben, wie ansonsten eher selten.

Sonst so?

Kirschbaum. Ich sitze im Kirschbaum und schaue die Welt von oben, wie gerade in der Morgenandacht gehört. Fühlt sich gut an, die Dinge aus einer gewissen Distanz zu sehen. Ein gutes Bild für zwischendurch, wenn der Kopf mal wieder leer sein möchte.

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