Die Hochzeit

Vor Wochen bekamen wir die Einladung. Mein morgendliche Mitfahrerin und Schwester im Glauben lud uns ein zur Hochzeit ihres Ältesten von 7 Kindern, und so machten wir uns gestern Abend auf den Weg, nach einer ziemlich dramatischen Vorgeschichte in Sachen Planung der Lokalitäten. Kurzfristige Absagen und nicht erteilte behördliche Genehmigungen für die abendliche Feier brachten alle Beteiligten an den Rand von ausgewachsenen Nervenkrisen. Die kirchliche Trauung fand bei Düsseldorf statt, die abendliche Feier dann nach einigen Hin und Her hier im Tal der Wupper.

Wir sehen uns jeden Morgen 6 Minuten im Auto, danach nur kurz auf Arbeit. Ich höre immer gut zu, wenn Mama Y. erzählt. Sie ist wie ihre ganze Familie sehr gläubig und wenn auch die Verständigung manchmal fordert, so berührt mich vieles von dem, was sie erzählt, sei es von ihren Kindern, von den Zuständen in ihrer Herkunftsheimat, von ihren Streben nach finanzieller Autonomie als Basis für die deutsche Staatsbürgerschaft. Dank mehrerer Jobs funktioniert das, wird aber durch überbordende Bürokratie nicht nur hier, sondern auch in Afrika, was fehlende Papiere angeht, verzögert. Eigentlich wusste ich gestern auf dem Weg zum Saal nur, dass ich so gut wie nichts wusste, mal von dem öffentlich Nachlesbaren und den kleinen Alltagseinblicken während der kurzen allmorgendlichen Fahrten abgesehen. Gute Sache, mit einigermaßen leeren und wertfreien Kopf zu einer solchen Feier zu fahren.

Ein unglaublicher Trubel und Parkplatzchaos rund um die Halle empfängt uns. Laut Mama Y. werden an die 600 Gäste erwartet, die im übrigen auch mit vereinten Kräften selbst bekocht werden sollen. Und so stehen wir draußen und kommen uns zunächst schon sehr deplatziert vor. Uniformierte junge Männer und Frauen in Grün-Weiß mit Käppi wuseln umher, kümmern sich um alles mögliche, sie gehören zur Kirchengemeinde, wie ich erfahre. Irgendjemand von den Uniformierten spricht uns an, wir zeigen unsere Einladung und werden ins Innere begleitet, man weist uns zwei Stühle an. Wir werden Zeuge einer unglaublich lauten Zeremonie, dominiert von einer extrem phonstarken Blaskapelle. In scheinbar endlos langen Zügen bewegen sich Menschen zur Musik wiegend durch den Saal. Ansprachen und Andachten in werden während der Musikpausen in französisch gehalten. Natürlich verstehen wir kein Wort, haben aber Respekt vor der natürlichen Autorität, die die Redner, zum Teil wohl auch Geistliche, in ihren in leisen und ruhigen Ton verfassten Ansprachen ausstrahlen. Alles scheint nach einem genau geregeltem Protokoll zu verlaufen. Nach eine Weile werden wir gebeten, uns kurz draußen die Füße zu vertreten, was wir gerne tun, die Tische sollen zum essen gerichtet werden.

Es ist angerichtet und wieder bekommen wir unseren Platz zugewiesen. Der einzige Tisch für Weiße, auch der einzige mit Alkoholika (alle anderen trinken zumindest offiziell nicht), aber an exponierter Stelle ganz vorn neben der Loge für das Brautpaar, dem die würdevolle Anstrengung schon deutlich anzumerken ist. Neben uns sitzt dort noch die Arbeitgeberfamilie des jungen Mannes. Der Chef, ein waschechter Bayer samt Frau, den beiden Kindern und ein Nordafrikaner, der auch irgendwie zur Familie gehört.

Schneidend dicke Luft und die Kapelle dreht sowas von voll auf. Ich bin in Sachen Konzerten einiges gewöhnt, aber die hier können mit ihrer Lautstärke mehr als gut mithalten. Sie spielen eine gewaltige Mischung aus Samba und Marschmusik, die viel Fröhlichkeit ausstrahlt, aber auch militärischen Charakter hat, so wie die vielen uniformierten Gemeindemitglieder um uns herum. Den optischen Kontrast dazu bieten die anderen geladenen Gäste – ich staune über zahllose bunte wie phantasiereich gestaltete Outfits, bei den Männern übrigens genauso wie den Frauen. Hin und wieder ebbt die Musik etwas ab, ein Fototermin jagt den nächsten. Das Buffet wird eröffnet, wir dürfen in relativer Ruhe essen, am Ende wird eine riesige Torte zeremoniell auf einem Wägelchen angefahren und will angeschnitten werden. Wenn die Musik es zulässt, entstehen unter Stühlerücken und regelmäßigen Nachfragen, der Dialekte wegen, angeregte Gespräche mit unseren bajuwarischen Tischnachbarn.

Es ist ein faszinierender Abend mit unglaublich vielen Menschen, von Babys bis alten Greisen. Viel Disziplin ist zu spüren, Contenance ist allen hier sehr wichtig, aber auch Freundlichkeit, und abseits vom Protokoll wird auch gelacht. Irgendwann nach Mitternacht verabschieden wir uns mit pfeifenden Schädeln (das tut zumindest meiner jetzt gerade immer noch 😉 ) und fühlen uns dankbar sehr geehrt, an einer solchen Familienfeier teilgenommen haben zu dürfen. Bilder und andere Aufzeichnungen gibt es, aber aus Respekt vor der Privatsphäre beschränke ich mich hier aufs (be-)schreiben.

🙏

5 Gedanken zu „Die Hochzeit

  1. Pingback: Sonntag, 230820 | wupperpostille

  2. Melina

    Die bunte Schilderung hat bei mir auch bunte Bilder in meinem Geist entstehen lassen – vielen Dank! So kam ich auch mal wieder in den Genuß bei einer Hochzeitsfeier teilzunehmen.

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  3. gerlintpetrazamonesh

    Bisher konnte ich, mit zum Glück weit weniger Personen, einmal einen (meinen) Geburtstag in Afrika feiern. Und, was soll ich sagen, die kleine Tourmannschaft brachte echt Stimmung zuwege (der – improvisierte – Kuchen war zu süß, aber das tat dem Ganzen keinen Abbruch).
    Mehr aber hätte ich auch gar nicht gebraucht und glaube, dass mein Kopf bei einer solchen Hochzeit einfach auseinander gefallen wäre. Mag ich doch so schon keine laute Musik und halte es da ganz mit dem Gärtner Wilhem Buschs (Musik wird störend oft empfunden/da sie mit Geräusch verbunden), und gefragt, welche Musik mir jetzt lieber wäre antworte ich meist: „Stille.“
    Andererseits habe ich freilich auch meinen Goethe – Kanon und hier sein berühmtes: man soll die Feste feiern, wie sie fallen! Ja doch. Wenn jemand etwas zu feiern hat, und das sollte eine Hochzeit idealerweise schon hergeben, sonst ist es traurig, dann muß auch…!

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