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Grundbedürfnisse & Mangel

Eigentlich – beschreibt, wie etwas sein sollte, aber nicht ist. Eigentlich ist es für die meisten Menschen selbstverständlich, auf sich zu achten, auf die psychische und physische Befindlichkeit. Für mich als suchtkranker Mensch ist es dies nicht. Wenn ich den Motor meiner Suchterkrankung beschreiben soll, fallen mir spontan zwei Begriffe ein: Flucht und Mangel. Flucht vor mir selbst, mich mir selbst nicht stellen wollen sowie Mangel an (Selbst-) Liebe, Eigenverantwortung, Fürsorge für mich selbst. Was keinen Widerspruch zu meinem maßlosen süchtigen Verhalten darstellt: Ein Fass ohne Boden wird niemals gefüllt.

Den inneren Mangel zu befrieden, meine Seele zu füllen mit Frieden, Vertrauen und Zuversicht, das ist ein Prozess, der lebenslang andauert. Heute glaube ich den Worten der AA-Freunde – die Dauer sei mindestens ebenso lang wie die aktive, süchtige Zeit. Sie wussten um elementare Zusammenhänge zwischen Körper und Seele, gut in Erinnerung geblieben ist mir dieser Halbsatz:

Nicht hungrig, nicht durstig, nicht müde.

Äußerer Mangel – in meiner aktiven Zeit achtete ich in keiner Weise auf mich. Ich aß zu wenig und meist wenig Nahrhaftes, trank – schon klar, was, und schlief zu wenig und zu schlecht. Hygiene und äußeren Erscheinung waren oft dem entsprechend. Trocken und clean fing ich genau hier an, auf mich zu achten. Neben geistiger Nahrung, in meinem Fall alle verfügbare AA-Literatur, aber auch weit darüber hinaus, fing ich an, auf meine Grundbedürfnisse zu achten. Lernte kochen, lernte Neugier zu leben, lernte, wieder Struktur in meine Tage zu bekommen. Für mich zu sorgen eben, was soziale Kontakte mit einschließt. Einsamkeit (nicht allein-sein) ist auch ein Mangel, den ich, wenn ich wirklich möchte, relativ leicht beheben kann.

Warum bewegt mich all das, sollte doch schon längst selbstverständlich sein, meint der innere Kritiker. Ist es aber nicht immer. Mal fällt es mir einfach nicht auf, wie müde ich wirklich bin, mache einfach weiter und wundere mich dann über meine Gereiztheit und meine Aggressionen. Dann kann ich mich wunderbar empören, Anlässe gibt es in dieser Zeit mehr als reichlich. Oder ich werde schlicht krank am Körper, siehe neulich. Mangel hat viele Gesichter. Bei der fälligen Innenschau, der nach Möglichkeit täglichen Inventur sowie im Austausch mit anderen Betroffenen werde ich wieder an die kurzen, knappen vermeintlichen Binsenweisheiten erinnert, siehe oben.

Eigentlich ist es so einfach – eigentlich eben.

Bild von Markus Grolik aus dem Buch „Therapeutische Cartoons“ (Holzbaum Verlag): www.komischekuenste.com/shop/therapeutische-cartoons
(Werbung, unbezahlt)

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Gedanken zur Zeit

Wasser – für mich hauptsächlich Lebenselixier und ein Metapher-taugliches Element, bis dahin. Als Gefahr habe ich es in der Vergangenheit eher am Rande wahrgenommen, lebe ich doch auf einem Berg und hatte nicht viel mit den Schattenseiten vom Wasser zu tun, von diversen Kleinigkeiten wie ein vollgelaufener Keller und eine verstopfte Dachrinne mit entsprechenden Folgen in unserer Wohnung mal abgesehen. Das, was ich derzeit in den von Hochwasser betroffenen Gebieten sehe, macht mich fassungslos, wie so viele andere Menschen auch. Es wird sich etwas ändern müssen, nur nicht in dem Tempo, wie es die derzeitige allgemeine Betroffenheit am liebsten hätte, was ich nur zu gut mitfühlen kann, geht mir das Schicksal der Menschen in den vom Hochwasser verwüsteten Gebieten ebenso nahe.

Wer seinen Blick weiter schweifen lässt, weiß, dass tiefe Betroffenheit kein guter Ratgeber sein muss, oft genug eben nicht ist. Dogmatisch angetriebene Entscheidungen in Sachen Verkehrs- und Energiepolitik um den Preis von schweren, letztendlich staatsgefährdenden sozialen Verwerfungen dürfen nicht der Weg sein. Lohn und Brot, ein Auskommen für alle haben oberste Priorität, für mich, des inneren Friedens Willen. Die politische Kunst der nächsten Jahrzehnte wird sein, dieses Grundbedürfnis mit den Herausforderungen des auch von uns Menschen gemachten Klimawandels zusammen gehen zu lassen. Wege und Ansätze gibt es viele, ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht. Zum Schluss noch ein Wort an den Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet: Einfühlsamkeit angesichts zahlreicher Menschenopfer geht anders, nicht mit solchen Worten, auch wenn Sie im Kern nicht so falsch liegen. Ich habe ihren Auftritt in West3 dito gesehen…

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Genug der Politik. Der Wasser-Tiger, dieser Blog hier, namentlich inspiriert von meinem Geburtsjahr, 1962 – in letzter Zeit ist es still geworden, schreibe ich doch mehr oder weniger regelmäßig eher auf der Wupperpostille. Weiter machen? Manchmal denke ich, es reicht mit einem Blog, es braucht ihn nicht mehr, den Wassertiger. Mal sehen, für`s Erste lass ich es so weiter laufen, auch wenn sich zumeist nur Bots für die Ecke hier zu interessieren scheinen. Zumindest die arithmetische Erfüllung des chinesischen 60-Jahre-Zyklus im nächsten Jahr, dito einem Jahr des Wassertigers, soll er mit erleben.

Immerhin bietet diese Nische hier Gelegenheit, mal die Gedanken zu sammeln und passende Worte, idealerweise in ganzen Sätzen für die momentane Gefühlslage zu finden, etwas abseits der schreibenden Community. Stichworte gibt es reichlich. Familie, Gesellschaft & Politik, Idealismus, Pragmatismus, Polarisierung, Leben mit Widersprüchen, mit Zwiespalt. Gesellschaft und Politik hatte ich schon, siehe oben, das soll reichen, für heute.

Familie – mein Verhältnis zu dieser kleinsten Form von Gemeinschaft ist zwiegespalten, wie so vieles in meinem Leben, das von Polaritäten und Widersprüchen geprägt wurde und wird. Einerseits bin ich erschüttert, wenn ich am Beispiel meiner Eltern sehe, was alt werden, sehr alt werden bedeuten kann, nicht nur gesundheitlich, auch mit Blick auf den Umgang miteinander, mit Wesensveränderungen im Alter oder besser die teils heftigen Verstärkungen und Kristallisationen schon immer vorhandener Charaktereigenschaften und Neigungen. Ein Buchzitat dazu fand neulich den Weg zu mir, das ich sehr passend finde:

„Wenn wir ein gewisses Alter überschritten haben, werfen die Seele des Kindes, das wir gewesen, und die Seelen der Toten, aus denen wir hervorgegangen sind, mit vollen Händen ihre Schätze und ihren bösen Zauber auf uns und verlangen, dass sie zu ihrem Teil an den neuen Gefühlen mitwirken können, die wir empfinden und in denen wir sie, nachdem wir ihr altes Bild ausgelöscht haben, in einer neuen Schöpfung wieder zusammenschmelzen.“

Marcel Proust – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit/ Die Gefangene 
Danke für den Buchtipp, liebe G. 😉

Auf der anderen Seite sehe ich mit Freude, wie mein großes Kind seinen Weg geht, wie meine Anverwandtschaft dabei ist, mit vielen Kindern liebevoll eigene Ableger der großen Sippe zu bilden. Ich habe keine Angst mehr, meinen Vater all zu ähnlich zu werden, was den Umgang mit dem anderen Geschlecht angeht, damit habe ich bereits abgeschlossen, zum Leidwesen meiner ersten Frau. Auch in Sachen Vertrauen bin ich zu lange schon auf einem guten Weg, dass ich noch Angst haben müsste, ihm ähnlicher zu sein, als mir lieb ist. Auch kann ich die ebenso vorhandenen positiven Seiten meiner „familiären Sozialisierung“ heute durchaus erkennen und annehmen, für all das bin ich meinem Schöpfer sehr dankbar.

Zwiespalt auch an anderen Stellen in meinem Leben: Idealismus vs. Pragmatismus, vs. realistischer Einschätzungen der Gegenwart, oder besser dem, was ich dafür halte. So halte ich mich einerseits für einem gefühlsbetonten, potentiell mitfühlenden Menschen, der allerdings ebenso mit ordentlichen Portionen Ego & Überlebenswillen ausgestattet worden ist, kombiniert mit einer manchmal selbst für mich schwer erträglichen inneren Kälte & Distanz mit Blick auf manche menschliche Interaktionen, auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Dazu gehört die stete Gefahr des Abgleitens in Sarkasmus, was ich gelegentlich auch zulasse und kultiviere, wovor ich mich hüte, ist blanker, menschenverachtender Zynismus, zu dem ich ebenso fähig bin. Das Bindeglied zwischen all diesen Facetten ist mein Glaube, der mich nicht nur in die Lage versetzt, all diese inneren Widersprüche zu erkennen, anzunehmen und zu (er-)tragen, sondern der mich auch verweilen lässt, in der Gegenwart, wie immer sie auch gerade geartet ist. Flucht bedeutet für mich immer Morpheus`sche Traumwelten, die ich mir nicht mehr leisten will. Bis heute und nur für heute funktioniert das seit vielen Jahren recht gut, das wahrscheinlich größte Geschenk des Universums für mich.

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Ein zerlegtes Gedicht

Das neue Jahr ist 10 Tage jung, Vorsätze hatte und habe ich keine. Was nicht daran hindert, so etwas wie eine Inventur zu machen. Macht man sonst bekanntlich eher am Jahresende, aber da war ich gerade zu sehr beschäftigt, um Worte dafür zu finden, wo ich gerade so stehe. Als Orientierung im Leben dienen mir immer noch und immer wieder die 10 Gebote obenan sowie die 12 Schritte der anonymen Alkoholiker – die unter anderen besagen, Inventur sei dann zu machen, wenn sie von Nöten ist, wenn es sein muss, auch täglich. Kann nebenbei bemerkt auch für Menschen ohne Suchterkrankung von Vorteil sein. Für eine Art geführte Innenschau gehen mir die Zeilen eines meiner Lieblings-Gedichte seit einiger Zeit durch den Kopf. Hat der selige Joseph vielleicht nicht so vorgesehen, aber gram wäre er mir sicher nicht, denke ich. Na dann.

Lass dich fallen.
In Gottes Hand gerne, im menschlichen Miteinander nur bei entsprechenden Vertrauensverhältnis, das eher selten ist, in meinem Leben.

Lerne Schnecken zu beobachten.
Mache ich gelegentlich, Schnecken sind faszinierende Tierchen. Klar werden die nicht von jedem gemocht, als Gärtner würde ich sie sicher anders sehen. Als gelegentlicher Beobachter dagegen staune ich, beim betrachten. Langsamkeit pur, aber ankommen tuen sie, wo auch immer. Diejenigen unter ihnen, welche ihr Heim mit sich umher tragen, sprechen zum einen die rein praktische Seite in mir an, als Kind eines ehemaligen, begeisterten Campers. Andererseits steht diese stets parate Heimstatt auch für Geborgenheit, allerorten.

Pflanze unmögliche Gärten.
Mangels grünem Daumen überlasse ich das gerne der Liebsten, die es Jahr für Jahr schafft, unsere graue, das Straße zugewandte Loggia mittels geschickt bepflanzter und positionierter Blumenpötte in einen heimeligen Ort zu verwandeln

Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein.
Das verstehe ich als Gleichnis, welches den Umgang mit Menschen in eher gehobenen Positionen betrifft, oder besser solchen Positionen, die gesellschaftlich als „gehoben“ angesehen werden. Menschen mit Macht und Einfluss also, keine potentiellen Betrüger oder Gewaltverbrecher. Wobei selbst solche Gott sei Dank selten im Leben aufmerksame Gegenwart erfordern können. Dem Kontakt mit erstgenannten dagegen weiche ich nicht aus, sofern der Umgang von gegenseitigen Respekt getragen ist. Da kann Mensch auch schon mal im übertragenen Sinne miteinander Tee trinken, was in der Praxis meist kurze Plauderei bedeuten kann. Achtsame Plauderei wohlgemerkt, getragen von Respekt und nicht von Opportunismus.

Mache kleine Zeichen, die “Ja” sagen
und verteile sie überall in deinem Haus.
Die gibt es, in Form von Bildern, Figuren und Dingen, denen man ihre Bedeutung nicht auf Anhieb ansieht.

Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.
Für mich ein eher ambivalentes Thema, widerspricht diese Freundschaft doch meinem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis. Andererseits ist das Leben eben genau so, dass so eine Freundschaft einen Sinn macht. Auch mit aller Umsicht kann Mensch sich schneller als geglaubt in privaten und/oder wirtschaftlichen Untiefen befinden. Da hat es mir stets gut getan, solche Turbulenzen auch als Reset zu betrachten, im Sinne von Freiheit, neu wählen zu dürfen.

Freue dich auf Träume.
Kommt sehr auf die Art der Träume an.

Weine bei Kinofilmen.
Oh ja, das kann ich, daheim beim streamen, aber auch im Kino, die hoffentlich überleben und irgendwann wieder öffnen werden.

Schaukel so hoch du kannst mit einer Schaukel bei Mondlicht.
Unbeschwertheit: Lasse ich eher selten zu. Noch.

Pflege verschiedene Stimmungen.
Das gelingt mir gut. Würde ich sie nicht pflegen, hätte ich es nicht nur mit meinen verschiedenen Stimmungen zu tun, sondern auch noch mit meiner Abneigung dagegen. Was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass ich jeden Wolf in mir füttere.

Verweigere “verantwortlich” zu sein. Tu es aus Liebe.
Da möchte ich hin, dass ist eines meiner klar definierten Ziele für die Zeit nach meiner Berufstätigkeit, die natürlich auch mit einer Menge Verantwortung zu tun hat. Verantwortung aber auch für Menschen, die sich nicht (mehr) selbst helfen können. Liebe? Gibt es in diesem Zusammenhang, ist (für mich) aber keine Grundvoraussetzung für verantwortliches Handeln. Verantwortung beschreibt auch den Umgang mit den mir leihweise überlassenen Dingen. Ein weites Feld also, für mich.

Mach viele Nickerchen.
Sehr gerne!

Gib Geld weiter. Tu es jetzt. Das Geld wird folgen.
Der Umgang mit Materie: Bedingt Klugheit und Verantwortung. Wer nichts halten kann, findet sich schnell in bitterer Armut wieder. Wer alles halten will, hat gute Chancen, einen frühen Herztod zu erleiden, getrieben von Gier und Geiz. Es gibt sie durchaus, die gesunde Mitte, welche das eigene Wohl ebenso wie das der Nächsten im Visier hat.

Glaube an Zauberei.
Ja! Nicht im esoterischen Sinne, eher im Sinne von glücklichen, göttlichen Fügungen.

Lache viel.
Geht so. Wenn, dann auch gerne unanständig laut.

Bade im Mondlicht.
Bei jeder Gelegenheit, die allerdings selten sind.

Träume wilde, phantasievolle Träume.
Davon gibt es reichlich.

Zeichne auf die Wände.
Eher nicht. Noch nicht.

Lies jeden Tag.
Ja!

Stell dir vor, du wärst verzaubert.
Das ist definitiv so 🙂

Kichere mit Kindern.
Sehr gerne, falls in meiner Nähe.

Höre alten Leuten zu.
Ebenfalls sehr gerne, sofern da mehr kommt als stetes kreisen um die eigenen Gebrechen.

Öffne dich, tauche ein, sei frei.
Kann ich, im Sinne von mitfühlen ohne mit zu leiden.

Segne dich selbst.
Als ich diese Aufforderung zum ersten Mal las, dachte ich, das ist doch anmaßend, darf ich das? Ich darf das, weiß ich heute. Mich selbst segnen hat nichts mit Anmaßung zu tun, sondern beschreibt einen liebevollen Umgang mit mir selbst.

Lass die Angst fallen.
Tägliche Übung.

Spiele mit allem.
Eher selten, aber ich arbeite daran. Katzen sind dabei ausgesprochen hilfreich.

Unterhalte das Kind in dir.
Wir haben Frieden miteinander. Meistens. Unterhaltung bekommt es auch, das Kind. Nicht zuletzt beim schreiben 🙂

Du bist unschuldig.
Worte, die ich kürzlich noch jemanden geschrieben habe. Schuld ist ein Konstrukt, welches Vorsatz voraussetzt, glaube ich. Jeder Mensch ist Teil von zahllosen Verwicklungen, und auch in meinem Leben gibt es Episoden, in denen mein Tun und Lassen weit reichende Folgen für andere hatte, aus Bedürftigkeit, aber auch aus Unreife. Bin ich schuldig? Es war nicht wieder besseren Wissens. Ich lerne, mir selbst zu vergeben, von außen gibt es keine Absolution.

Baue eine Burg aus Decken.
Vorzugsweise des Nachts. sollten sich hier mal Kinder finden, gerne auch am Tag. Obwohl die Katzen auch Deckenburgen lieben…

Werde nass.
Wenn es sein muss.

Umarme Bäume.
Selten, als Stadt-Mensch. Kommt aber vor.

Schreibe Liebesbriefe.
Nee … ich lebe sie, zeitweise.

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Am See

Ein Zeltplatz, sehr schön gelegen an einem Bergsee irgendwo in Österreich. Er liebt das zelten mit den Eltern, die hier einiges anders sind als daheim. Weniger nervös und angespannt im Umgang miteinander, sie lassen ihm auch viel mehr Freiheiten als daheim. Kinder sind reichlich dort, auch in seinem Alter, also um die 8 oder 9 Lebensjahre vielleicht. Mal gibt es Tagesausflüge mit den Eltern, aber die meiste Zeit sind sie am See.

Daheim hat er kaum Freunde, dem kleinen Jungen fällt es sehr schwer, auf andere zu zugehen. Beim Camping ist das irgendwie alles anders, schnell findet er Kontakt mit den anderen Kindern am Platz. Dieses Jahr ist es allerdings wieder anders als in den Jahren zuvor. Ein paar Wohnwagen weiter campiert eine Familie mit einem Mädchen in seinem Alter, ebenso augenscheinlich ohne Geschwister. Die beiden finden schnell zueinander und verbringen ihre gesamte „freie“, also elternlose Zeit gemeinsam. Sei es mit gemeinsamen kleinen Ausflügen auf der bergwärts gelegenen Alm, die man so fein herunter rollen kann oder sei es direkt am Wasser, wo man am Ufer zwischen den Bäumen so herrlich spielen kann. Sie sind unzertrennlich, jeden Morgen nach dem Frühstück treffen sie sich, und selbst des Abends sind sie bis zum Anbruch der Dunkelheit noch für sich, derweil die Alten ebenso zusammen hocken, bei Kartenspiel, Grill und vielen Geschichten.

Es kommt, wie es kommen muss. Das Ende der Urlaubszeit naht und die Heimreise steht an. Es fließen Ströme von Tränen auf beiden Seiten und dann kehrt ein jeder dorthin zurück, wo er sich zuhause nennt. Der kleine Junge trauert noch ein Weile und „vergisst“ dann dieses schöne Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Zuneigung und Freundschaft. Er schaut die beiden, die ihm sein späteres Bild von Mann und Frau vorleben, lernt von den beiden, lernt früh, sie zu fürchten, später dann zu verachten, manchmal auch zu hassen und sehr viel später dann, zu vergeben.

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Gefühle können nicht vergessen werden, weiß der damalige kleine Junge heute. Sie sinken herab und schlafen nur, dringen nicht mehr in dem Bereich des Lebens, den wir Bewusstsein nennen. Sie lassen Menschen suchen, mitunter süchtig werden und die abenteuerlichsten Irrwege gehen, die furchtbarsten Verwechselungen durchleben, um vielleicht irgendwann wieder überraschend an`s Licht kommen zu dürfen.

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Einsamkeit und Sex und Mitleid

Und – nein, das ist keine Status-Beschreibung des momentanen Befindens, sondern es ist der Titel eine Filmes, den wir gestern kurzentschlossen besucht haben. Ein Nischen-Film, ideal für Programm-Kino, derzeit läuft er hier bei uns im Rex-Kino Wuppertal / Elberfeld, eine altehrwürdige Spielstätte in neuem Glanz.

Interessanter Weise startete die Spätvorstellung noch etwas später als geplant, derweil der Regisseur eingeladen war, nach der Abendvorstellung ein paar ausgesuchte Fragen zu beantworten. Wir durften als Gäste der Spätvorstellung schon etwas früher herein und der kurzen Vorstellung beiwohnen, ohne den Film gesehen zu haben, wie die anderen anwesenden Gäste.

Ein typischer Low-Budget Film, der aus immer wiederkehrenden Finanznöten alles in allem von der Idee, den gleichnamigen Roman von Helmut Krausser zu verfilmen, bis zur Fertigstellung an die 6 Jahre brauchte. Die über 30 Figuren des Romans wurden im Film aus Gründen der Übersicht auf 12 reduziert, was völlig ausreichend war.

Menschliche Beziehungen und die unterschiedlichsten Versuche, diese in glückliche Bahnen zu lenken stehen im Vordergrund dieser Tragikomödie, Einzelschicksale, die klassisch überhöht dargestellt miteinander verwoben sind. Der ehemalige Lehrer, der aufgrund einer Intrige Zwangs-pensioniert wurde – Der vor kurzem von seiner Escort-Lover-favorisierenden Frau verlassene Supermarkt-Leiter, in Dating-Portalen nach Erfüllung suchend – Der scheinbar vor Selbstbewusstsein strotzende Polizist und die traumatisierte Carla, die ihn anhimmelt – Der desillusionierte Familienvater mit Frau, 2 Töchtern und seinen Bienen, der eigentlich eher auf Männer steht – Janine, die Künstlerin, ebenfalls in Dating-Portalen unterwegs, Mahmud, der Arab, welcher Svenja (eine Tochter des Familienvaters) gegen Geld gerne lecken möchte – Aaron, Kind freikirchlicher Eltern mit irdischen Gelüsten.

Die Darsteller sind toll, keinem ging es dem Vernehmen nach am Ende noch um`s Geld, sondern darum, dieses fesselnde Projekt zu einem guten Schluss zu führen. Super Kamera-Führung und völlig bizarre Verwicklungen, garniert mit reichlich Nackt-Szenen lassen mich mal kichern, mal lachen, mal tief berührt sein. Menschen, die bis dahin ein so genanntes geordnetes Leben leben durften, verlassen diesen Film vielleicht  mit dem Gefühl
Na gut, war ganz nett, aber total überzogen.

Andere, mich selbst eingeschlossen, verlassen die Vorstellung mit einem eher merkwürdig durchwachsenem Gefühl, wohl wissend, dass das so genannte reale Leben mancherlei Kino-Künste locker toppen kann und keine Überzeichnung manchen Charakteren das Wasser reichen kann. Alles in allem ein gelungener Film ganz nach meinem Geschmack !

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Betrug und Verrat

Im Geschäftsleben und in der Politik ist es beinahe alltäglich. Menschen sind so, erfüllt von Egoismus und Gier. Nicht alle, aber gerade unter den Mächtigen eben viele. Sonst wären sie nicht so mächtig geworden.

Anders ist es, wenn ich lese, bei befreundeten Bloggern. Von Verrat, von Ehebruch, von Untreue. Oder wenn ich es höre, im Freundes- und Bekanntenkreis. Es bewegt mich, versetzt mir eine Stich, weil ich mich erinnere, an meine Vergangenheit. Diese ist zwar vergangen, bestimmt aber, ob ich will oder nicht, meine Gegenwart.

Untreue ist ein Seil mit zwei Enden. Mal war ich an dem einen, mal an dem anderen Ende. Ich durfte beide Seiten schmecken, fühlen. Das klingt geläuterter, als es ist. Dahinter steckt aber eine einfache Erkenntnis, die es in sich hat: Ich komme schlicht nicht weg von mir. Mein ganzes Leben war bestimmt von der Suche nach Intensität, nach der Wucht. Nicht nur, um den Moment auszukosten. auch, um diese Leere nicht zu spüren, diese Verlassenheit. Es ist nicht nur der innige Wunsch, niemanden mehr solche Schmerzen zuzufügen. Es ist auch die tiefe Erkenntnis, dass es kein Entrinnen gibt, vor mir selbst. Dass jedes Manöver, das dem Teil in mir mit den losen Nervenenden, dem zeternden kleinen Jungen, kurzfristige Erfüllung vorgaukelt, früher oder später zu Ende geht und mich desolater zurück lässt als zuvor.

Es gibt auch eine andere Form der Intensität. Sie ist leiser, man muss gut hinhören. Zwar hat sie nicht das Potential für den Kick und sie steht auch nicht immer gleichermaßen zur Verfügung, im Alltag. Sie hat etwas mit Liebe zu allen, was lebt, zu tun. Täglich bekomme ich einen Eindruck davon, wenn wir uns daheim aus unseren Tag erzählen. Langsam fange ich an, zu verstehen …

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