Archiv für den Monat: April 2015

Uno verschärft

Früher schon, so mit 18,20, hatte ich eine Schwäche für dunkle Kaschemmen, wo an wackeligen alten Tischen im trüben Licht einer Funzel gezockt wurde, Harmlose Sachen, keine großen Beträge, zur zum Spaß an der Freude saßen wir gefühlte Ewigkeiten in einer verräucherten Mansardenbude, gar nicht weit von hier im Quartier und fühlten uns sehr erwachsen, mit dem mehr oder weniger guten Blatt auf der Hand, dem Stumpen im Gesicht und den Kaltgetränken aus der Truhe.

Heute ist das ein wenig anders, kein Rauch und keine Gersten-Kaltschalen. Selten kommt es vor, auch ist es kein Poker mehr, sondern das gute alte Uno-Spiel aus den Kindertagen meines Sohnes. So geschehen letzten Samstag im erweiterten Familienkreis hier zuhause – mit ganz speziellen Regeln, derweil Uno an sich ja doch ein eher überschaubares Spiel ist.

So dürfen also so genannte Zwillings-Karten, also gleiche Farbe, gleiche Zahl, auch außer der Reihe abgeworfen werden, sofern der reguläre Spieler noch nicht geschaltet hat. Sehr schön ist auch die Regel mit der Sechs. Kommt diese auf den Stock, muss eine Hand darauf, von allen rundum, und der letzte kassiert eine Strafkarte. Das macht recht munter und regt Ringträger zum nachdenken an, wenn der Nachbar böse guckt und sich anschließend die Pfote reibt. Außer böse gucken ist in dieser familiären Sonder-Edition nämlich nicht viel möglich, derweil jedes Schimpfwort sofort eine weitere Strafkarte nach sich zieht. Es ist einfach unbeschreiblich, welche Wortkonstellationen diese hübsche Regel zustande bringt, um den Unmut, den die kleinen Gemeinheiten dieses Spieles produzieren, irgendwie zu kanalisieren.

Um das Ganze noch ein wenig abzurunden, um der passenden Stimmung willen lief dabei noch nette Tischmusik. Immer noch staune ich, wie stabil unser großer Holztisch ist, nach all den handgreiflichen Attacken hier am Wochenende. Spaß gemacht hat es auf jeden Fall!

Ein Sonntag

Irgend etwas ist zerrissen in ihm, an diesen letzten Sonntag. Eigentlich ist alles so, wie es immer schon war. Ein Besuch bei den beiden, das übliche, Kaffee, Kuchen. Er ist es gewohnt, nicht gehört und nicht verstanden zu werden, das allein ist es nicht. Es ist einmal mehr die Rede des Alten, wahrscheinlich einmal zuviel die gleichen Worte, die gleichen Töne. Diese Wut-geladenen,gering schätzenden Worte in Richtung des Menschen an seiner Seite, der sich einst entschieden hat, bei ihm zu bleiben. Vergessen die Tränen nach schwerer Krankheit, Tränen der Angst vor Verlust, keine Tränen des Mitgefühls. Dafür wieder diese Worte.

Es ist nicht nur die Fassungslosigkeit, das so etwas möglich ist, nach über acht Jahrzehnten getaner Atemzüge. Nicht nur das Mitgefühl mit dem anderen Menschen, der die Folgen einer Entscheidung aushalten will. Es ist einmal mehr, einmal zuviel auch die Erkenntnis, das er selbst auch wie der Alte gesprochen hat, damals. Es ist die endgültige Erkenntnis, das es in diesem Leben keine Harmonie und keine offene Rede zwischen ihm und dem Alten geben wird. Ihm ist bewusst, was er dem Alten zu verdanken hat, an abgeschauter Überlebensstrategie und so manchen handwerklichen Geschick. Dankbarkeit dafür mischt sich mit Zorn, Bitterkeit und Trauer. Dann sind da noch andere Worte, die ihn in Zwiespalt stürzen. Worte aus dem dicken alten Buch, an die er glaubt. Das vierte Gebot von Zehn. Er möge sie ehren, die beiden, die ihm ungefragt das Leben gaben. Das klingt gut und richtig, doch es ist ihm unglaublich schwer, danach zu leben.

Der Riss ist da, allen Geboten zum Trotz. Er weiß, das er nicht flüchten kann. Da ist weiter niemand, der ihm die Verantwortung abnehmen könnte. Die Verantwortung, dem vierten Gebot wenigstens auf niedrigstem Niveau gerecht zu werden. Nicht einmal die Flucht vor sich selbst ist ihm möglich, das hat schon damals nicht funktioniert. Es gibt keine Wahl, er steht mitten in diesem Ring aus Feuer und muss es aushalten, das sich abzeichnende Finale der beiden Hauptdarsteller dieses Dramas, dessen Ende schon lange vorhersehbar ist, einzig noch ungewiss, wer zuletzt die Bühne verlässt.

Ich weiß, das mein Erlöser lebt (Hiob 19,25)

Worte auf dem Kalender dort an der Wand, die ihm mehr als Worte sind, gerade jetzt.