Archiv für den Monat: August 2015

Netzwerk – die Diagnose

Gemerkt habe ich nicht viel davon. Ich bin ein Mann und deutlich über 50, da darf es schon mal hier und da ziehen und zwicken. Heraus kam es erst im Rahmen einer Vorsorge-Untersuchung, zu der mich der Doktor meines Vertrauens sozusagen genötigt hatte, erstmalig, nach einer derben Infekt-Folge im Winter. Das volle Programm, ein Stunden-Werk mit vielen tollen Bildern meiner Innereien, die er hocherfreut kommentierte.
(An der Stelle Respekt vor seinen Sachverstand und seiner Begeisterungsfähigkeit!)
Am Ende stand die typische Männer-Runde unten herum, mit sachkundigen Blick, viel Gefühl und wieder Beweis-fähige Bilder, auf denen ich nichts und er alles sah.

Leistenbruch, links, nicht sehr groß, aber eindeutig durch.
„Dat wird nich`von allein, im Gegenteil, wird eher größer mit der Zeit, sollten`se operieren lassen.“

Nach der Abtast-Prozedur tat es auch tatsächlich weh oder zumindest habe ich erstmals bewusst darauf geachtet. Nun bin ich eigentlich richtig gut im abwarten, bis die Dinge sich von allein regeln, was oft genug mit ein wenig Obacht auch gesundheitlich funktioniert. Die überzeugende Ansage des Dok`s und entsprechende Recherchen im Internet meinerseits haben mich aber schnell überzeugt, das es wohl dieses mal wohl nicht der Fall ist.

Der Eingriff selbst – mittlerweile ist wohl seit ein paar Jahren das so genannte minimal-invasive Verfahren mit einem zwischen Bauchdecke und Leisten-Wand platzierten Kunststoffnetz Standard, nur noch in Ausnahmefällen wird klassisch, also offen operiert und genäht. Geht sogar ambulant, aber der Dok meint, ich möge das ruhig stationär machen lassen, zwei Tage Krankenhaus mit einer Übernachtung dort.

Legen`se de Füße hoch, machen`se nix, lassen`se sich bedienen!“ 
(Ein Rat, für den ich ihm noch dankbar sein sollte)

Eine entsprechende Klinik hier in der Stadt war nach Recherche im Bekanntenkreis auch schnell gefunden und der Dok bestärkte mich im meinen Entschluss, mich den Fachärzten dort anzuvertrauen.

Also machen lassen, aber wann? Mir war nicht klar, wie gefährlich das nun real ist, im Netz stehen ja die schlimmsten Sachen, Darm-Schlingen, die sich einquetschen und absterben können bis hin zu akuter Lebensgefahr, Also noch einmal hin zum Doktor, nachgefragt und beruhigt wieder gegangen, nachdem er mir versicherte, das ich das gut und in aller Ruhe planen könne, der Bruch würde keine sofortigen Maßnahmen erfordern. allein diverse Waschmaschinen-Transporte möge ich doch bitte erst einmal anderen überlassen.

Das klang gut, derweil die Sommerferien vor der Tür standen mit den üblichen personellen Engpässen auf Arbeit, ebenso hatte ich keine Lust, die nötige Rekonvaleszenz-Zeit in dem seit langen geplanten, gemeinsamen Urlaub zu erleben bzw. auf die Reise mangels Fitness ganz  verzichten zu müssen. So konnte in Ruhe ein Zeitplan erstellt werden sowie eine Absprache auf Arbeit erfolgen.

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Netzwerk – Ursachenforschung und Veränderungen

Natürlich fielen mir zuerst die zahlreichen Umzüge all der Jahre ein, die eigenen und auch fremde. Diverse heftige Hustenanfälle im letzten Winter. Auch die Mengen Stahl, die ich im Berufsleben bewegt habe. Ebenso die zahllosen Einkaufstouren per Rad mit prall gefüllten Packtaschen hier in den Bergen. Fast alles ist meinem Hang geschuldet, die Dinge allein regeln zu wollen, soweit eben möglich und bis jetzt bin ich damit ganz gut zurecht gekommen.

Dann bin ich ein Anhänger des Glaubens daran, das jede Krankheit auch einen emotionalen Bezug hat. Die Liebste hat eine sehr umfangreiche Bibliothek, darin ein dickes Buch von Rüdiger Dahlke, Krankheit als Sprache der Seele. Egal, wie man zu den von ihm dort verbreiteten Thesen steht, Nachdenkens-wert sind sie auch jeden Fall. Da gibt es auch ein kleines Kapitel zum Thema Leistenbruch und zwei Worte springen mich an: Überheblichkeit und Selbstüberschätzung. Diese beiden Leiden sind mir recht vertraut, gerade aus jüngeren Jahren. Zuletzt war ich allerdings der Meinung, diese beiden Eigenschaften auf ein für mich (und natürlich auch für andere) erträgliches Maß reduziert zu haben. Allein mein Körper ist da offensichtlich anderer Meinung.

Also gut, ich will nichts riskieren bis zur OP. Fortan lasse ich also das Rad stehen und fahre mit dem Familien-Auto zur Arbeit, stehe täglich im Stau und brauche länger als mit dem Rad dank diverser Großbaustellen hier im Tal, aber eben ohne große körperliche Anstrengung. Mir fehlt die Bewegung und ich ärgere mich, nun wieder ein Teil der Masse sein zu müssen, die die Luft in unserer Stadt mit ihren Verbrennungsmotoren verpestet. Mit dem Rad fahre ich nur noch dann und wann Sonntags, ohne Gepäck, schön langsam auf humanen Strecken.

Die nächste große Herausforderung: Um Hilfe bitten zu müssen. Auf Arbeit geht das noch, wenn ich hier und da mal etwas schweres bewegen muss, packt mir gern mal einer mit an. Obwohl mir das schon lästig ist, mit kann`ste mal eben bitte und so.

Eine andere Qualität haben größere Aktionen, die leider keinen Aufschub dulden. Wie z.B. der Umbau unserer Küche. Das große Fenster lässt sich dank einer etwas unglücklich abgestellten Kühl-Gefrier-Kombi seit langen schon nur eingeschränkt öffnen, was weiter nicht gestört hat. Jetzt muss allerdings etwas am Fenster ausgebessert werden, das geht nur im Sommer, also dran. Nichts großes, aber immerhin. Regale und Hängeschrank runter, Unterschränke samt Arbeitsplatten und Gefrier-Kombi versetzen, zwischendurch mal die Wand verschönern mit Spachtel und Farbe, alles neu platzieren, miteinander und an der Wand verbohren.

Meine Lieben wollen helfen, was mich freut, das große Kind mit Freundin vorneweg, mir sind so Sachen wie Hängeschränke zuviel. Das ist schön, erst einmal. Es gibt nach längerer Diskussion mit der Liebsten einen recht genauen Plan, wo was sinnvollerweise seinen neuen Platz finden soll. Dann gibt es aus langer Erfahrung mit solchen Sachen einen Plan in meinen Kopf, in welcher Abfolge all das geschehen soll, mit welchen Werkzeugen und mit welcher Dringlichkeit, was Maße und rechte Winkel betrifft. Mein großes Kind ist ein sehr kluger Kopf, aber dank seiner jungen Jahre sagen wir mal ein wenig unerfahren, was so ganz praktische Überlegungen angeht und hat darüber hinaus einen unwiderstehlichen Drang zu diskutieren, was ja sehr fruchtbar sein kann, aber eben keinen Schrank an die Wand bringt.

Ich soll mich also erklären, das heißt im einzelnen, erst einmal Worte finden für manche Vorgänge, die ich in der Zeit, in der ich nach den Worten suche, schon selbst erledigt zu haben glaube. Das macht mich knapp und ungehalten, man tituliert mich unter anderen als Tyrann, was ich natürlich nicht nachvollziehen kann. Immerhin wird mir erklärt, ich wäre zwar so, wie ich bin, aber man würde mir dennoch weiter helfen, was ich ausgesprochen nett finde. Die Aktion findet letztendlich einen erfolgreichen und allseits befriedigenden Abschluss, alle Tassen & Co. finden ihren Weg ohne mich zurück in den Schrank und ich darf ruhen und darüber nachdenken, warum mir solche Dinge so schwer fallen.

In der verbleibenden Zeit bis zur OP schaue ich genauer hin, was ich so an alltäglichen Lasten bewege, im wörtlichen und im übertragbaren Sinn, beginne die Dinge etwas besser zu delegieren, lasse mir gegen inneren Widerstand da und dort mal helfen und übe mich nebenbei im Bitte- und Danke sagen, auch, wenn das nicht immer so klingt wie aus vollen Herzen. Solcher Art halten sich die körperlichen Beschwerden in Grenzen, der Urlaub wird ein erholsamer Erfolg und auch die verbleibende Arbeitszeit bis zu OP verläuft erträglich.

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Netzwerk – die OP

Nach der Ferienzeit ist es dann soweit. Ich suche meinen Dok auf, der mir freudestrahlend zu meinen Entschluss gratuliert. Eine weitere Untersuchung der rechten Seite bringt keine neuen Erkenntnisse, hier scheint anders als links alles in Ordnung.

Bürokratie. Ich lerne den Unterscheid zwischen einer Überweisung und einer Einweisung kennen. Telefonisch hatte ich schon herausgefunden, das eine Einweisung in eine Klinik nur 5 Tage Gültigkeit hat. Der Dok meint, zum vorstellig werden reicht erst einmal die Überweisung, schriebe er mir jetzt bereits die Einweisung, könne die in Abhängigkeit vom Termin ihre Gültigkeit verlieren. Na gut. Mit dem Papier begebe ich mich in das Krankenhaus meiner Wahl und werde mit meinem Anliegen an die so genannte Terminambulanz verwiesen, wo mir ein Termin für die Voruntersuchung gegeben werden soll.

Verwinkelte Räumlichkeiten, ein enger, voller Wartebereich und Nümmerchen ziehen, wie beim Job-Center. Nach einer Weile bin ich dran, eine der ersten Fragen lautet, ob ich Schmerzen hätte, also als Notfall-Patient aufgenommen werden solle. Das Szenario kenne ich aus der Erzählung eines Kollegen, der damit die Bürokratie ein wenig verkürzt hat, ordentlich gejammert hat und sofort zur Voruntersuchung in die Notfall-Aufnahme verwiesen wurde. Guter Trick, kann ich leider nicht so gut. Klar habe und hatte ich Beschwerden, das sage ich dann auch, mehr aber nicht. Ich bin ein paar mal als Notfall-Patient aufgenommen worden und kenne die Unterschiede, was Schmerzen angeht. Im Hinterkopf dreht sich dann noch die Vorstellung, im „Ernstfall“ nicht als solcher behandelt zu werden.

Also geht alles nach der Regel und ich bekomme einen Termin in zwei Tagen zur Voruntersuchung, dann soll mir auch der OP-Termin mitgeteilt werden. Mitzubringen hätte ich die Einweisung, aha. Also wieder zurück zum Dok, das Papier schnell geholt, zwei mal für Nüsse durch das Großbaustellen-verseuchte Wuppertal gefahren, aber alles erledigt, immerhin.

Zwei Tage später, zur genannten Zeit in der Terminambulanz. Das klingt gut, jedoch bezieht sich dieses schöne Wort eher auf das genannte Datum denn auf die angegebene Uhrzeit. Vorher geht es noch zur Anmeldung, auch dort heißt es Nummer ziehen. Ordnung muss sein. Dann warten, es herrscht reges Treiben und wenn ein Notfall-Patient kommt, lassen sie dafür verständlicherweise alles liegen. Darauf bin ich vorbereitet, habe genügend Zeit sowie Zerstreuung mitgebracht.

Eine Ärztin führt die Untersuchung und das Vorgespräch. Ich werde detailliert über die Vorgehensweise aufgeklärt, nachdem ich draußen schon endlose Fragebögen ausgefüllt habe, in Sachen Vorerkrankungen. Ernte unverständliche Blicke, als ich frage, ob ein kleiner, Familien-planerischer Eingriff von vor fast 20 Jahren von Belang wäre. „Hätten`se schreiben müssen, war schließlich `ne OP! “  Mein Einwand „Stand nich` auf`m Zettel...“ wird kopfschüttelnd registriert. Meine Frage nach dem/der Operateur/in wird mit einer Gegenfrage beantwortet: „Ha`m`se`ne Zusatzversicherung?“ Thema erledigt, keine freie Arztwahl, da muss ich nehmen, was kommt und darauf vertrauen, das jeder von der Truppe sein Handwerk versteht. Anschließend folgt noch ein Gespräch mit einem Narkose-Arzt, der mir noch einmal alles Wissenswerte dazu sagt.

Sie bekommen kurz vor der OP noch `ne Tablette, um den Stress ein wenig herauszunehmen. Wenn`se noch eine Frage haben, fragen`se vorher, es könnte sein, das Sie anschließend die Frage vergessen haben.“

Einweisung nächsten Donnerstag.

Zwei Tag davor ändere ich meine Ernährung. weil bedingt durch die Narkose anschließend Probleme mit der Verdauung zu erwarten sind. Brot und andere Kohlenhydrate bleiben fortan weg, ich esse überwiegend Obst und Gemüse und ignoriere das Knurren weiter unten. So komme ich am Donnerstag weitestgehend entleert und nüchtern um 7 Uhr morgens in die Klinik. Nüchtern heißt, 6 Stunden zuvor nichts mehr essen und trinken. Letzeres fällt mir besonders schwer. Nach dem schon vertrauten Procedere der Anmeldung begebe ich mich auf die genannte Station, ganz oben. Ich nehme lieber die Treppen, vorläufig das letzte mal gewohnt zügig. Oben heißt es erst einmal weiter warten, es ist noch kein Bett frei. Mir fällt die Story des Kollegen ein, der einmal von 7 Uhr morgens bis 16 Uhr nachmittags gewartet hat, nüchtern. Na dann.

Ich habe Glück, gegen halb 9 kommt ein Arzt, der Operateur zu einer letztmaligen Voruntersuchung, schließlich will er das auch noch ganz genau wissen, als ausführendes Organ. Er wirkt sympathisch, ruhig und kompetent, was mich ein wenig beruhigt. Witziger Weise findet seine Voruntersuchung mangels Stations-Zimmer für mich in einer nahe gelegenen Rumpelkammer zwischen Putzeimern und anderen Zeug statt. „Netter Untersuchungsraum“ sage ich und wir grinsen beide. Besser hier als draußen auf dem Gang, denke ich und bekomme mit einem dicken Edding einen großen Pfeil aufgemalt.

Nach einer weiteren halben Stunde bekomme ich ein Bett und habe so gerade noch Zeit, meine paar Habseligkeiten zu verstauen. Dann erscheint ein aufgeräumter, fröhlicher junger Mann und erklärt mir, das es gleich los ginge. „Hier Ihr OP-Hemd, dat Offene nach hinten. Sind`se rasiert, Nee? Hier sind Rasierer, alles muss weg, schön großzügig. Un`dann nehm`se noch die Tablette da, dat beruhigt.“ Kann ich gut gebrauchen, denke ich und tue, wie mir geheißen.

Während ich so da liege, spüre ich, wie die Tablette langsam wirkt. Könnte etwas mehr sein, denke ich angesichts meiner flatternden Nerven und in Erinnerung diverser Zustände in meiner aktiven Zeit als Konsument allerlei Bewusstseins-verändernder Mittel.

Ich werde mit dem Bett durch die Gänge in den Aufzug gefahren, es geht herunter. Schlachträume sind wohl immer unten, denke ich und stelle mir bildhaft vor, was gleich mit mir geschieht. Es geht in einem Umlagerungsraum, zwei liebeswerte, schräge Vögel wollen mich umbetten, auf die OP-Liege. Ich will selbst Hand anlegen und ernte Protest.
Och Neee, dat lassen`se mal, wir wollen ja auch unser Geld wert sein“
Maschinell wird mir eine beheizte dünne Stahlplatte unter dem Hintern geschoben und ich wechsele wie von Geisterhand die Position. Mir ist kalt, ich klappere und die beiden haben ihren Spaß:
Ham`se Angst? Das müssen`se aber gar nicht, wir sind doch bei Ihnen, die sind alle total nett hier!“ 
Schön langsam gesprochen, mit gedehnten Vokalen und ich fühle mich eher im Kellergeschoß einer Psychiatrie als im Vorraum eines OP-Zimmers. Unter anderen Umständen hätte ich das witzig gefunden…

Wieder geht eine Türe auf, es geht endlich in den OP-Raum. Alles wirkt sehr eng auf mich, ein fensterloses Loch. Eine etwas ungeschickte Ärztin müht sich ab, mir den Zugang für die Mittelchen zu setzen, trifft nicht, murkst herum und setzt nach einer Weile anderswo neu an. Wenn die hier alle so arbeiten, dann Mahlzeit, denke ich. Kurz darauf läuft die Mischung, ich schaffe noch ein kurzes, stilles Gebet für mich und mir geht gnädig das Licht aus.

Nach einer guten Stunde komme ich im Aufwach-Raum nebenan wieder zu mir. Das erste, was ich spüre, sind die Flammen da unten, wo jetzt ein dünnes Kunststoff-Netz zwischen Bauchdecke und Leistenwand liegt und darauf wartet, fest zu wachsen. Der Zugang liegt noch und ich bekomme Schmerzmittel. Es sollen die letzten sein, die ich nehme.

Wieder oben auf Station. Mein Bett ist in der Mitte von dreien, der Kollege rechts von mir wurde gerade entlassen, auch ein Leistenbruch. Links liegt einer, der länger bleiben muss. Ich bekomme Infusion, nur Flüssigkeit, wie ich höre. Wenn ich mich vorsichtig bewege, kommen mir Zweifel, wie ich wieder hoch kommen soll. Das soll schon nach vier Stunden gehen. Die Zeit bis dahin verdöse ich.  Abends muss ich pinkeln, bin schon vorgewarnt worden, das nicht allein zu versuchen. Ich starte den ersten Versuch, es tut weh und ich breche ab. Man eröffnet mir, wenn ich heute nicht hoch käme, würde ich morgen nicht entlassen, was auf mich sehr motivierend wirkt, das sofort noch einmal zu versuchen. Dieses mal klappt es und ich schleiche begleitet von einer Schwester wie ein Geist in die Toilette. Pinkeln geht, wenn auch total langsam, aber immerhin. Das finde ich sehr beruhigend, jedenfalls in dem Zusammenhang scheint nichts falsches zerschnitten worden zu sein.

Mir wird schmerzhaft bewusst, wie viel wir tagtäglich mit der Bauchpresse, also der ramponierten Region da unten, erledigen. Hinsetzen, wieder aufstehen, alles geht wie in Zeitlupe und nur unter Zuhilfenahme der Arme. Die Nacht ist gewitterig und schlaflos, mein Nachbar schnarcht und es ist sehr warm. Schmerzmittel nehme ich keine weiteren, nicht, weil ich ein Held sein will, sondern weil ich mitbekommen möchte, wo die Grenzen zum Schmerz liegen, um keinen Aufriss zu riskieren. Viel zu sehen ist jetzt noch nicht. Drei kleine Löcher, verpflastert, machen nicht glauben, das sich dazwischen eine relativ große Wunde verbirgt.

Am nächsten Morgen darf ich nach Visite, Blutabnahme, Frühstück und Warterei auf die Papiere (die Bürokratie!) endlich raus, mein Sohn kommt mich holen. Sandalen und weite Hosen tragen sich recht angenehm, immerhin. Was führ ein Werk, in`s Auto zu kommen und wieder heraus…Treppen steigen dito. Mein sehr betagter Vater hätte mich gut überholen können.

Jedenfalls dankbar zuhause, erst einmal.

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Netzwerk – Heilung

Eigentlich sollte hier jetzt so etwas wie ein Tagebuch stehen. Stichworte dafür gab es reichlich, aber dann hat mich die Lust verlassen, mein kleines bisschen Krankheit hier humoristisch auszuführen, obgleich es an schrägen Details nicht gemangelt hat. Um mich herum ist derzeit viel los und wenig davon ist erheiternd. Das nimmt mir die Lust am gewohnten Stil. Kurz gefasst kann ich jetzt sagen:

Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
(afrikanisch)

 Es geht mir heute gut, verglichen mit den letzten Wochen. Zeitweise war ich davon überzeugt, einer von den paar Prozent zu sein, die den Rest ihres Lebens chronische Schmerzen zurück behalten. Zerschnipselte Nerven, elende Verwachsungen. Mindestens. Der eine war nach 2 Wochen wieder fit, ein anderer nach dreien. Mitte nächster Woche werde ich wieder arbeiten gehen, so wie die Dinge jetzt liegen, nach 5 Wochen, die auch nötig waren. In`s Büro oder an den Schreibtisch hätte ich schon eher gehen können, das war jedoch nicht möglich, so blieb ich dann daheim. Eine Werkstatt ist halt kein Büro und manche Arbeitgeber sind flexibel, andere eben nicht.

Größte Prüfung war und ist, die Füße still zu halten. Geduld zu haben. Was erst einmal bleibt, ist neben dem Gebot, nichts schweres zu heben oder zu tragen, eine immer noch ungewohnte Langsamkeit, ein seltsam tauber Oberschenkel sowie allgemeine Empfindlichkeit talwärts mit Blick auf Anstrengungen aller Art. Sei`s drum. Wie schon oben angedeutet, gibt es genug mir mehr oder weniger gut bekannte Menschen, die ganz andere Schlachten zu schlagen haben.

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So Typen

Mit den rebloggen, also dem wieder aufwärmen eigener oder fremder Inhalte habe ich es nicht so, aber manche Geschichten gefallen mir persönlich zu gut, um sie sang- und klanglos verschwinden zu lassen. Hier also eine kleine Zusammenfassung, zum Teil gerettet aus dem untergehenden blog.de, der Ende des Jahres schließt und meinen alten Blog inmediasres.blog.de in`s große Nichts mitnimmt.

Schreib`doch mal über die Firma…so hörte ich öfter von gelegentlich hier mitlesenden Kollegen. Das ist erst einmal ein hübscher Gedanke und mit ein wenig Erinnerung kämen bestimmt etliche Geschichten zustande, bei gründlicher Durchleuchtung dieses Mikro-Kosmos würde es durchaus an Roman-Stärke heranreichen.  Allerdings sind solcher Art Geschichten nicht ohne und eh`ich mich versehe, ist meine Stelle womöglich vakant. Darum beschränke ich mich aus diesen verständlichen Grund bei solchen Stories auf Personen, die schon lange die Firma verlassen haben, und/oder nicht die geringsten administrativen Aufgaben haben/hatten.

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Benno

Für uns war er ein Held der Werkstatt, um den sich zahlreiche Legenden rankten, die alle ihren wahren Kern hatten. Er war eine stattliche Mischung aus Pflichtbewusstsein, Bohemien und verarmten niederländischen Provinzadel. Von weitem schon sah man ihn. Groß und hager gewachsen in seinem grauen Kittel, der einer Zeit entsprang, als es noch keinen Uniformzwang gab, als unsereins noch in traditioneller Berufsbekleidung umherlaufen durfte. Eine echte Erscheinung war der Benno, die dicke, rote, blau geäderte Trinkernase leuchtete schon von weitem.

Er konnte improvisieren wie kaum ein zweiter, nichts war für einen uneingeweihten nachvollziehbar, aber alles funktionierte zumindest eine Weile. Hoch angesehen war er beim Alten, der ihn auch schon mal mit einem Taxi Abends aus der Kneipe holen ließ, wenn die Luft mal wieder brannte, Anlagen standen, der Kunde tobte. Die Kehrseite der Medaille war sein Hang zu ausgedehnten Feierlichkeiten. Gründlich versumpfte Abende, die am nächsten Tag sein Zeitgefühl manipulierten.

„Wo war`n `se denn gestern, Herr Graaf“
„Da hat` ìch kein` Zeit“

So lautete dann die knappe, wenig informative Antwort. Was natürlich Maßnahmen provozierte. Abmahnungen flogen ihm nur so zu, er sammelte sie wie Schätze in einer Werkbankschublade und wenn ein Neuer anfing, präsentierte er den ganzen Stapel mit stolzgeschwellter Brust:

„Hier, alles meine, weiss `se Bescheid!“

Lange ist das alles her, das, was wir heute Globalisierung nennen, hatte gerade erst begonnen. Benno hatte sogar noch die Größe, selbst zu kündigen, was kaum einer gedacht hätte. Zuletzt habe ich ihn vor 14 Jahren gesehen, irgendwo an einer Bushaltestelle. Keine Ahnung, ob er noch lebt, aber die Geschichten um ihn herum, die leben in jedem Fall weiter.

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Klaus

Vor vielen Jahren ging ein Kollege in den verdienten Ruhestand. Namen sind ja Schall und Rauch, ich nenne ihn einfach mal Klaus. Selbst heute sorgt er gelegentlich noch für Gesprächsstoff, vielleicht liegt es daran, das er für uns eine gewaltige Mischung aus Original und tragischer Figur verkörperte. Facharbeiter war er, vom alten Schlage, sogar einen Meisterbrief hatte er. Das war auch Teil seines beruflichen Dilemmas, er kam erst mit Anfang 50 in die Firma und fand alle interessanten Positionen besetzt, so das er sich mit dem Job an der Werkbank begnügen musste. Ich sehe ihn noch vor mir, mit dicker Hornbrille, Kittel, Kippe im Mundwinkel. Höre noch sein heiseres Lachen, wenn er „von früher“ erzählte.

Die Stories bestanden in der Hauptsache aus wüsten Sauftouren, hatten aber ihren Unterhaltungswert. So wie der einzige Tag, an dem er zu spät kam. Was nicht an dem Abend zuvor lag, sondern an plötzlichen Stuhldrang genau auf halben Weg zwischen Zuhause und Arbeit, der ihn am Wupperufer in die Büsche trieb.

Zuhause – das muss für ihn der Horror gewesen sein, auch wenn das eine oder andere bei uns für Gelächter sorgte. Eines Morgens kam er noch zerfahrener und zerknitterter als sonst in die Werkstatt. Was war geschehen? Ein Riesenlärm, mitten in der Nacht, aus der Küche. Keiner stand auf, seine beiden Söhne nicht, und seine Olle, wie er sie nannte, erst recht nicht. Bis er sich selber ein Herz fasste und schlaftrunken in die Küche schlurfte. Ein Hängeschrank hatte sich empfohlen, um zwei Uhr früh, voll mit schwerem Zeug. „Hätt` sonst wer sein können, die hätten mich klauen können, Einbrecher oder wat.“ Ist ja noch einmal gut gegangen.

Seine Olle. Die bestimmte, wo es lang ging. Klarschiff machte Klaus höchsten, wenn er voll war. So an dem Freitag, in dessen Folge er Samstags die Küche renovieren musste. Einmal der Ollen gezeigt, wo der Hammer hängt und publikumswirksam einen vollen Mülleimer durch die Bude getreten. Die Malerei hätte sonst bestimmt noch Zeit gehabt, unter anderen Umständen.

Mit den Jahren wechselte bei ihm Aufregung und Empörung in einem Zustand bodenloser Gleichgültigkeit. Zuhause hatte ihn mürbe gemacht. Jedes mal, wenn er seinen beiden Söhnen die Vorzüge eines mehr oder weniger geregelten Gelderwerbes nahe bringen wollte, fuhr ihm seine Olle gluckenhaft in die Parade. Seine Gleichgültigkeit ging so weit, das er eines Tages hier hereinkam, obwohl er Urlaub hatte. Darauf hingewiesen, drehte er auf dem Hacken um und verschwand. „Geh`ich eben wieder.“ Richtung Garten wahrscheinlich, der einzige, ihm verbliebene Rückzugsort.

Irgendwann war dann sein letzter Tag hier. Unspektakulär und bezeichnend gratulierte unser aller Chef prompt dem Falschen zum Ruhestand, während unser Klaus schon längst weg war. Niemand hat ihn seither wiedergesehen, selbst für Kollegen aus seinem Viertel blieb er wie vom Erdboden verschluckt.

Bis eines Tages ein Gerücht seine Bahnen zog, in der Werkstatt. Der Klaus wäre nun in der Südsee, DomRep oder so. Einfach abgehauen, seine Olle samt Brut und einen Haufen Schulden verdienterweise zurückgelassen. Einfach alles stehen gelassen! Wir waren begeistert, toll! Der Klaus. Hat es endlich geschafft. Wir sahen ihn mit vollen, weißen Bart, einer langstieligen Meerschaumpfeife plus Longdrink relaxed im Liegestuhl, am Strand, drapiert von leichtbekleideten, einheimischen Mädchen, die ihm jeden Wunsch von den Lippen lesen.

Natürlich war die Story nur erstunken und erlogen, von einem humorigen Kollegen. Aber wir haben sie geglaubt, weil wir sie glauben wollten. Weil wir es ihm so sehr gewünscht haben, dem Klaus. Wer weiß, ob er noch lebt, und wenn wo….

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Jason

Er war ein ehemaliger Kollege vermutlich afro-amerikanischer Abstammung, der vor vielen Jahren mal für kurze Zeit in der Logistik gearbeitet hat. In Erinnerung geblieben ist er mir hauptsächlich durch seinen sehr speziellen Humor. Er bediente ganz bewusst so ziemlich jedes Klischee über Schwarze hierzulande, aus Spaß an der Freude.

Trat er morgens seine Schicht an, ging der kurze Weg von der Umkleide zu seinem Arbeitsplatz mitten durch unsere heiligen Hallen. Eine echte Erscheinung. Eher untersetzt und mit einem stattlichen Bauch versehen schritt er daher, den blauen Arbeitskittel offen, schwarzes Shirt darunter und auf der Brust baumelte ein riesiges goldenes Kreuz. Ein Bild, das alle Jahre überdauert hat, bei mir. Grinsend zog er manchmal eine Banane aus der Kitteltasche, warf sie spielerisch hoch in die Luft, um sie geschickt  aufzufangen und würdevoll wieder im Kittel zu versenken.

Jason gehörte zu den Menschen, die uns ein geflügeltes Wort hinterließen, was nicht so oft vorkommt. Unvergessen ist eine überlieferte Episode von seinen direkten Kollegen, so geschehen an einem eher stressigen Arbeitstag. Draußen stehen die Lastwagen Schlange und Jason sieht sich der zunehmenden Ungeduld seines Abteilungs-Meisters ausgeliefert, dem das alles nicht schnell genug geht. Ob er dieses oder jenes denn nicht sehe und er möge doch jetzt endlich mal Gummi geben, heißt es laut im schönsten Kutscher-Slang. Worauf Jason ein sehr erstauntes Gesicht macht und scheinbar ehrlich interessiert nachfragt: Welches Gummi, Meister?Seitdem steht die Frage nach dem Gummi stellvertretend für die totale Ahnungslosigkeit.

Irgendwann im Umkleide-Raum. Jason und ich begegnen uns und über ein paar Umwege entwickelt sich so ein typischer, kurzer Erfahrungsaustausch unter geschiedenen Männern. Ein Satz von ihm klingt mir noch im Ohr: Oh, ja, meine Frau zieht aus und ich muss zwei Wochen weinen. Dann, endlich geht es besser, kommt Post von ihrem Anwalt, was zu zahlen, weißt Du, und sofort noch einmal zwei Wochen weinen..

Schließlich kam dann, was kommen sollte. Jasons Bedächtigkeit wurde fälschlicher Weise zur Arbeits-Unlust missgedeutet und seine Kündigung stand an. Des Chefs übereifrige, rechte Hand beeilt sich, dem Guten die vermeintlich traurige Nachricht schriftlich in einem neutralen Umschlag verpackt zu überreichen. Jason jedoch gönnt der Hofschranze weder ein trauriges, enttäuschtes Gesicht noch einen billigen Triumph und nimmt den Umschlag an sich. Ohne sein Gegenüber zu Wort kommen zu lassen, entfernt er sich stilecht leicht gebeugt rückwärts gehend unter überschwänglichen Dankes-Worten über die vermeintliche Gratulation zu seinem erst kürzlich begangenen Geburtstag.

Wie ich hörte, fährt Jason nun bei der Stadt Bus. Kann ich mir für ihn gut vorstellen, dafür braucht man ebenso Humor hier in der Stadt.

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