Archiv für den Monat: August 2016

Beschränktes Sortiment

Wie kommt das eigentlich
Das im Bio-Supermarkt
so viele
verhärmte Gesichter
zu sehen sind

Kann wohl kaum
an der Ernährung liegen

Vielleicht sollten sie das Angebot erweitern

Glückseligkeit
Zufriedenheit
im Sonderangebot

Da sagen sie doch glatt
Wir sind keine Drogerie
Stoffwechsel-Fetischisten, diese

Auf dem Heimweg
vorbei an der dicken alten Kirche
da fällt es mir wieder ein
Preiswert sogar
Muss mich nur einlassen

*

Findelkind

Gestern Abend, als ich das Haus verließ, da stand sie schon da. Klein und schon ziemlich lädiert in ihrem engen Verkaufskleid aus Plastik, das sie zwar handlich machte, ihr aber auch die Luft abschnürte. Irgend jemand hatte sie auf dem Strom-Verteilerkasten gleich neben dem Hauseingang abgestellt.

Spät am Abend kam ich heim und sie stand immer noch dort, wie bestellt und nicht abgeholt. Spätestens jetzt war mir klar, dass sich niemand wirklich für sie interessierte und ihr ein elendes Schicksal drohen würde, wenn ich mich nun nicht ihrer erbarmen würde. Also nahm ich sie mit nach oben in unsere Wohnung.

Bei der Liebsten renne ich mit meinem Straßenkind offene Türen ein. Geht überhaupt mal gar nicht, so ein armes Ding seinem Schicksal zu überlassen. Also wird die Kleine erst einmal von ihrem furchtbaren Plastik-Kleid befreit und gründlich gewässert. Anschließend werden einige wenige bereits hängende Köpfchen sauber abgeschnitten, um in einem kleinen Glas mit Wasser Erholung zu finden. Es findet sich bald eine bis dahin Sinn-freie, Pink-farbene Blechkanne, die nur auf einen neuen Gast gewartet hat.

Seitdem steht sie hier bei uns und es geht ihr schon sichtbar besser.

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*

Was mag sich wohl zugetragen haben, das sie sich so verloren am Straßenrand wiederfand? Die einfachste Erklärung hieße, sie ist irgendwem schlicht beim Auto-ausladen unbemerkt heruntergefallen und anschließend von irgendwem anders zumindest schon mal aus der Gosse gerettet worden. Möglicherweise war sie aber auch das unschuldige Opfer eines Beziehung-Dramas. Von einem gerade abgewiesenen, frustrierten Kerl mit harter Hand ihrem Schicksal überlassen worden. Oder sie traf womöglich nicht den Geschmack der Beschenkten, die ihrerseits zu herzloser Maßnahme griff.

Wie auch immer, jetzt geht es ihr gut und auch die immer schon leicht schwuchtelige Blechkanne freut sich über wiedergewonnene Ehre.

*

Nachtrag:
Heute, eine Woche,
viel Sonne und Wasser
sowie zahlreiche liebevolle Worte und Berührungen später:

Es geht mir prächtig 🙂

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Stimmungslage

Hausarbeit muss sein, vorzugsweise Samstags. Ein Rundumschlag mit dem Staubsauger nimmt in etwa eine gute Stunde in Anspruch, manchmal mache ich das in tiefster Ruhe mit Gehörschutz, manchmal mit DER Segnung der schönen neuen Zeit, dem Smartphon samt Kopfhörer. Den kleinen externen Speicherchip habe ich mit einer bunten Mischung an Musik aus meinem Festplatten-Fundus gefüttert und wähle gerne, so wie heute, willkürlich ein Album aus.

Dann wird geweckt, was hinaus möchte, Musik ist für mich ein guter Katalysator, um manche Gefühlslagen an die Oberfläche zu bringen. Heute fiel meine Wahl auf die Band Thin White Rope, eine US-amerikanische Desert-Rock-Truppe, die von 1984 bis 1992 Bestand hatte.

Dann sehe ich mich, mit Anfang 20 vielleicht, rotzig-trotzig mit meinesgleichen die Straßen lang laufen, die selbstverständlich uns gehörten, das Kinn nach vorne gereckt und mit den Hacken auftretend. Das Alter eben, das zur Farbe ROT gut passt, rot wie mein Blut, das damals fein mit THC und Alkohol angereichert war. Ein Bild aus längst vergangenen Tagen, das mit meiner Lebens-Realität von heute nicht mehr viel zu tun hat.

Zwar trage ich immer noch das Zeug von damals, erst neulich konnte ich tatsächlich ein nur noch schwer aufzutreibendes Kleidungsstück erwerben, eine klassische Jeansweste, wie sie in den 80ern, 90ern noch häufig zu sehen war. Mein Blut dagegen ist befreit von den früheren Mitteln der Wahl , mein Gang ist ein anderer. Aufrecht und eher samtig, ohne die Schwere, die so viele aus meiner Zeit schon überfallen hat. Was nicht heißt, das ich frei davon bin. Die nervöse, flatterige und dennoch kräftige Stimme des Sängers von damals lässt diesen uralten Film noch einmal ablaufen. Heute laufe ich die Straßen entlang, die schon lange nicht mehr mir gehören, fühle mich als Gast auf Durchreise mit erhobenem Haupt und geradem Rücken, aber mit stillen Tränen, die mir über`s Gesicht laufen.

Es ist nicht der Zustand der Welt, der sie hervorbringt. Es ist der Zustand meiner selbst. Freude über das Glück, das ich erfahren habe, mit der Tigerin an meiner Seite und dem Sohn, an dem ich zumindest meistens Wohlgefallen habe. Es ist aber auch der Schmerz, den ich fühle, wenn ich mir meiner Charaktermängel bewusst werde, meiner Unvollkommenheit, meiner Machtlosigkeit meinem persönlichen Zuschnitt gegenüber. Weit gekommen, immer noch unterwegs, wenn auch mit dem Gefühl, zeitweise auf der Stelle zu treten und nicht wirklich voran zu kommen.

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