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Un – Geduld

Zeitweise ist es für mich eine große Herausforderung, hinzunehmen, dass sich Materie und/oder Menschen nicht so schnell bewegen möchten, wie mein Geist oder gar mein Wille es erwartet. Jaja, tönt es irgendwo weiter hinten im Kopf, typisch Zwilling-Geborener, kann alles außer warten und/oder den Dingen ihre Zeit der Reife lassen. Hier stehe ich also und kann nicht anders? Das wäre wahrlich schlimm. Gott sei Dank – und ja, das meine ich genau so, schickt mir mein Schöpfer, oder meinetwegen eher weltlich formuliert, das Leben, immer wieder feine Herausforderungen zum üben, auf dass ich mein zweifelhaftes Geburtshoroskop nicht als Fixum verstehe.

Wenig geschieht wirklich überraschend, auf vieles im Leben kann man sich gut vorbereiten und ausnahmslos alles hat seine eigene Geschwindigkeit. Mein eigenes Wachstum genau so wie die Entwicklung der Dinge an meinem Arbeitsplatz, auch die Beziehungen zu meinen Mit-Menschen ändern sich immer wieder nach  ungeschriebenen Gesetzen, parallel zu meiner eigenen Entwicklung. Selbst der Tod fordert mich immer wieder auf, die Zeit bis zu seiner Stunde doch bitte mit Leben zu füllen und nicht mit Warten, er käme schon früh genug, meint er und kichert dabei leise.

Gras wächst also auch dann nicht schneller, wenn man daran zieht, jaja. So Binsenweisheiten im wahrsten Wortsinne helfen auch nicht wirklich, wenn`s kribbelt und manche göttliche Zeiteinteilung zum dreinschlagen reizt oder wenigsten mal ein wenig anstoßen. Wie also umgehen, mit diesem Gefühl, allem und jedem am liebsten mal zur gefälligen Beschleunigung einen kräftigen Tritt zu verpassen? ES findet sich, sagt ein Freund von mir gerne. Könnte aber etwas flotter gehen, denkt es dann in mir, gerade mit Blick auf manche Ungewissheiten, die zeitweise nur schwer zu ertragen sind.

Recht hat er, der Freund. Was bleibt, ist üben, möglichst ohne dabei zu platzen…

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In der Küche

Wenn ich nichts mit mir anzufangen weiß, gehe ich in die Küche. Der Kühlschrank ist meistens gut gefüllt und irgendetwas gibt es immer zu tun, Vorräte machen Sinn und ich koche gerne. Dabei läuft Musik, oft Radio, gerne WDR5, Funkhaus Europa, DLF und vergleichbares. Meine erste Wahl, mich über das Zeitgeschehen zu informieren. Ab und zu allerdings gibt es nur Uninteressantes und auf die Mainstreamsender möchte ich nicht ausweichen. Dann kommt ein CD zum Einsatz, was nicht ganz ohne ist, derweil Musik doch oft mit Stimmung verbunden ist. Sie ist ein super Katalysator, das hervorzuholen, was gerade darauf wartet, an`s Licht kommen zu dürfen. Dem entsprechend fällt die Vorauswahl nicht gerade zufällig aus.

Meine letzte Anschaffung ist von Seasick Steve, YOU CAN´T TEACH AN OLD DOG NEW TRICKS, gebraucht, da neu nicht mehr für einen akzeptablen Preis zu erwerben. Der Titel impliziert altersbedingte Unbelehrbarkeit, aber so ganz trifft es das nicht. In dem Titelsong ist eher die Rede von Kapitulation vor dem, was ist, vor allem vor dem, was nicht zu ändern war oder ist. Auch ich gebe nicht (mehr) gerne den Don Quijote ab, das wirkt auch zunehmend lächerlich mit den Jahren.

Allein. Alle haben gut zu tun und ich kann sie alle gut verstehen. Mir geht es ja im Grunde ähnlich. der Beruf, das Leben kostet Energie, Energie, mit der gehaushaltet werden möchte, mit den Jahren. Die wenige Zeit, die bleibt, bekommen die, die mir am nächsten sind. Die Liebste. die Kinder, die Rest-Familie und sehr wenige sehr beharrliche Freunde, auch, wenn man sich nur alle Monate wieder mal sieht.

Allein ist nicht einsam, darum ist allein sein ganz in Ordnung. Es gibt kein Bedürfnis mehr, die Nähe von Menschen zu suchen, die bestenfalls hofiert werden möchten und sich ansonsten wenig um ihre Nächsten scheren. Allein sein, allein gelassen werden hatte früher für mich etwas furchtbares. Der Tod eines vertrauten Menschen ist in seiner Unwiderruflichkeit sozusagen die Königsklasse des allein-gelassen-werden. Er fragt niemanden, ob es ihm recht wäre, erst recht nicht diejenigen, die noch ein Weilchen bleiben müssen oder dürfen, je nach Sichtweise. In der Liga darunter sind die zahllosen Menschen, deren Wege sich irgendwann mit meinem kreuzten und die dann teilweise spurlos verschwanden.

Heute ist allein sein eine gute Gelegenheit, in mir Frieden zu finden. Und – wenn ich die Gesellschaft von Menschen suche, weiß ich, wo meine Jacke ist und wie die Tür aufgeht. Ein geschenktes Lächeln ist meistens drin, für mich und natürlich auch für die anderen.

In dem Sinne –
Have mercy with the lonely.

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Gedanken

So viele Veränderungen habe ich erlebt, rückblickend dankbar und staunend. Etliche körperliche Beschwerden, die Hand in Hand einher gingen mit meinen seelischen Zuständen, haben sich größtenteils aufgelöst oder sich zumindest auf ein erträgliches Maß reduziert. Mich in Situationen wiedergefunden, die mir meine Grenzen aufzeigten, die mich lehrten, das auch Grenzen sich verschieben lassen. Langsam allerdings, mit viel Beharrlichkeit. Lebenslagen, die heute abgeschlossen sind und mir in dieser Form sehr wahrscheinlich auch nicht mehr begegnen werden. Vieles hat sich regelrecht aufgelöst, was damals unvorstellbar schien.  Anderes blieb mir erhalten, Charakterzüge, die wie die sprichwörtliche Scheiße am Schuh kleben. Die Grenzen der Wandlungsfähigkeit eben, dahinter bleibt nur das annehmen.

Die Themen ändern sich also fortlaufend. Die Einschläge kommen näher, sagen manche und meinen das, was auch ich immer öfter erlebe. Schwere Erkrankungen, erst weit weg und fremd, dann immer tiefer in den inneren Kreis eindringend. Der Tod, das große Finale, die Vollendung jeden Lebens. Aufmerksam schaue ich die Alten, wie gehen sie um mit dem letzten kleinen Rest Leben. Halten sie verzweifelt an irgend einem Status Quo fest, der aschgrau wirkt und längst überholt ist oder haben sie ihre Wahrhaftigkeit gefunden, wie immer das auch aussieht. Hadern sie mit ihrem gelebten Leben oder können sie es annehmen, wie es war, mit allen Licht und Schatten. Ist da  wirklicher, echter Friede mit jedem Tag, trotz zahlreicher Einschränkungen und Gebrechen oder wird die verbleibende Zeit damit verbracht, zornig fluchend ganze Seiten im Tagebuch rot zumarkieren.

Wie willst, wie kannst du es halten, später irgendwann, frage ich mich und weiß doch, das ich heute und mit jedem Tag dem Puzzle ein Teil hinzu füge. Was sich manchmal beängstigend und manchmal beruhigend anfühlt, je nach Tagesform. Ein alter Mensch fällt mir ein, dem man noch ein halbes Jahr versprochen hat, schul-medizinisch abgeschrieben, der schon lange über dem prognostizierten Limit lebte, damals, kurz vor seinem Tod, mit lachenden, lebendigen Augen.

Ein unglaublich faszinierender Anblick, so ein altes, lachendes Gesicht mit seinen zahllosen Falten und Gräben, auf einer Haut, die an altes Papier erinnert.

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Zum lesen

Jessy und Jim

von Arthur Brühlmeier

Ein faszinierender Roman, eine mystische Geschichte, die ursprünglich ein Kinderbuch werden sollte. Sie basiert auf der Annahme, das unsere Existenz mit dem Tode nicht erlischt, sondern das wir uns danach in einer jenseitigen Welt wiederfinden, deren Landschaften unseren Seelenzustand auf Erden entsprechen. Irdische Naturgesetze haben dort keine Gültigkeit, äußere Veränderungen gehen immer mit inneren Wandel und dem jeweiligen Erkenntnisstand Hand in Hand.

Das alles wird spannend in wechselnden Episoden erzählt, beginnend mit der Ankunft der kleinen Jessy dort, nachdem sie die Erde bei einem Autounfall früh verlassen musste. Ein dickes Buch, das mich derzeit fesselt…

Hier gibt es eine Website zu der Geschichte, auf der auch Vertriebswege verlinkt sind, seit ein paar Tagen gibt es auch das Hörbuch dazu. Ein Zitat aus dem Schlusswort des dazu gehörenden Booklets:

„Die Wahrheit kann man nicht besitzen. Man kann sie nur suchen, und wenn man glaubt, sie gefunden zu haben, entschlüpft sie einem wieder, und man muss weiter suchen, immer weiter. Es ist mit der Wahrheit fast  wie mit einem schillernden Regenbogen: Wie sehr man sich ihm auch nähern will – immer weicht er zurück. Und doch lässt er niemanden unberührt und weckt in allen Menschen die Sehnsucht, in seine wundersame Farbenpracht einzutauchen.“