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Brücken und Zugehörigkeit

Eine Brücke ist ein Konstrukt, das zwei Orte miteinander verbindet, die ansonsten zueinander nicht oder nur mit großen Umwegen und Hindernissen erreichbar wären. Der Verstand kann eine solche Brücke sein, wenn er nicht zu sehr andersweitig in seiner Rolle als Werkzeug im Alltag beschäftigt ist. Oder – was noch hinderlicher ist, wenn er seinem Träger einzureden versucht, er sei sein Verstand. Kommt so selten nicht vor, vor allem bei übermäßigen Gebrauch macht er sich gerne wichtiger, als er ist und wirkt so wie eine Windmaschine für das Ego, welches sich in der Folge künstlich aufbläht.

Wenn der Verstand also von seinem Alltagsaufgaben temporär befreit ist, dann darf er manchmal eine Brücke sein. Eine direkte Verbindung zwischen der Seele seines Trägers und der Außenwelt, im Idealfall. Oft genug drängeln sich andere vor, jede Art von Emotionen und natürlich das Ego. Geht auch in Ordnung, solange der Verstandesträger verinnerlicht hat, er ist nicht seine Emotionen und schon gar nicht sein Ego.

Worte gehen beim schreiben über diese Brücke, formen Sätze, Geschichten und können das Innere des Schreibers wohldosiert in die Welt tragen.

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Manchmal staune ich, was mir für kleine Episoden im Gedächtnis haften geblieben sind. Momente, die sich kurz nach der magischen Erinnerungsgrenze von drei Jahren zugetragen haben müssen. So dieser Moment damals, an der Hand meiner Mutter. Ich hatte mitbekommen, dass die Menschen einander grüßen, wenn sie sich begegnen. Was ich noch nicht verstanden hatte, die meisten jedenfalls kennen sich irgendwie, irgendwoher. Und so dachte ich, es müsse so sein und grüßte fröhlich jeden, der des Weges kam, wurde tatsächlich von den meisten auch zurück gegrüßt. Bis eines Tages meine Mutter ihrem vermeintlich verhaltensauffälligen Kind zu verstehen gab, es sei nun genug, mit der Grüßerei. Fremde Leute und so, die grüßt man nicht, zumindest nicht in der Stadt. Im Wald schien das anders zu sein, hier grüßte jeder freundlich jeden. Sehr seltsam jedenfalls für einen Dreijährigen, der ab nun nicht mehr drauflos grüßte, aber die Welt nicht so recht verstand. Es schien Unterschiede zwischen den Menschen zu geben…

Mittlerweile sind ein paar Jahre mehr ins Land gezogen und das mit dem grüßen ist eine Sache der Tagesform, des Bekanntheitsgrades und der Begegnungshäufigkeit. Sieht man weniger seinesgleichen, wird eher schon mal gegrüßt. Soweit, so gut. Die Zeit der großen Entfremdung von der Welt ist auch schon lange her, auch wenn sich dieses alte Gefühl ab und zu noch breitmachen möchte. So ist der Schreiber zwar viel und oft mit sich allein oder auf seine arg fragmentierte Rest- Kern- Rumpf-Familie reduziert, was nicht ungewöhnlich ist, gerade beim älter-werden. Geblieben ist ein starkes Interesse an Gemeinschaften aller Art, vorzugsweise menschlicher Natur, aber auch religiös oder politisch, die natürlich das menschliche nicht ausschließen dürfen. Ich lese öfter von anderen Lebensformen, gerne auch aus der so genannten queeren Kommunity, die auch ein Regel-basiertes Miteinander pflegt, nur eben anders. Vereinsmeiereien dagegen erwecken erst mal Argwohn, scheinen sie doch oft vom eigentlichen Zweck abweichend schiere Ego-Pflegewerke zu sein. Magie dagegen scheinen Gemeinschaften zu besitzen, die ein gutes Maß Selbstlosigkeit pflegen und in denen ein jeder nach Kräften für seinen Nächsten einsteht.

Tja. Was macht Mensch nun mit der uralten Sehnsucht nach Zugehörigkeit? Er fühlt sich als Kosmopolit, einerseits, und andererseits als Teil des Großen und Ganzen, heute, verbunden mit der Hoffnung auf näheren Anschluss im nunmehr fortgeschrittenen Lebensalter. Das wiederum bedingt ein gutes Maß Teilnahme an der Welt, was dem Höhlenbewohner nicht immer leicht fällt. Zeit ist auch so ein Ding – und – entschieden werden sollte sich auch beizeiten, das macht der Verstand so schwer, mit seiner ewigen Abwägerei. Und hier schließt sich der Kreis in diesem Eintrag, weil – Chef ist er nicht, der Verstand.

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Gedanken zur Zeit

Wasser – für mich hauptsächlich Lebenselixier und ein Metapher-taugliches Element, bis dahin. Als Gefahr habe ich es in der Vergangenheit eher am Rande wahrgenommen, lebe ich doch auf einem Berg und hatte nicht viel mit den Schattenseiten vom Wasser zu tun, von diversen Kleinigkeiten wie ein vollgelaufener Keller und eine verstopfte Dachrinne mit entsprechenden Folgen in unserer Wohnung mal abgesehen. Das, was ich derzeit in den von Hochwasser betroffenen Gebieten sehe, macht mich fassungslos, wie so viele andere Menschen auch. Es wird sich etwas ändern müssen, nur nicht in dem Tempo, wie es die derzeitige allgemeine Betroffenheit am liebsten hätte, was ich nur zu gut mitfühlen kann, geht mir das Schicksal der Menschen in den vom Hochwasser verwüsteten Gebieten ebenso nahe.

Wer seinen Blick weiter schweifen lässt, weiß, dass tiefe Betroffenheit kein guter Ratgeber sein muss, oft genug eben nicht ist. Dogmatisch angetriebene Entscheidungen in Sachen Verkehrs- und Energiepolitik um den Preis von schweren, letztendlich staatsgefährdenden sozialen Verwerfungen dürfen nicht der Weg sein. Lohn und Brot, ein Auskommen für alle haben oberste Priorität, für mich, des inneren Friedens Willen. Die politische Kunst der nächsten Jahrzehnte wird sein, dieses Grundbedürfnis mit den Herausforderungen des auch von uns Menschen gemachten Klimawandels zusammen gehen zu lassen. Wege und Ansätze gibt es viele, ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht. Zum Schluss noch ein Wort an den Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet: Einfühlsamkeit angesichts zahlreicher Menschenopfer geht anders, nicht mit solchen Worten, auch wenn Sie im Kern nicht so falsch liegen. Ich habe ihren Auftritt in West3 dito gesehen…

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Genug der Politik. Der Wasser-Tiger, dieser Blog hier, namentlich inspiriert von meinem Geburtsjahr, 1962 – in letzter Zeit ist es still geworden, schreibe ich doch mehr oder weniger regelmäßig eher auf der Wupperpostille. Weiter machen? Manchmal denke ich, es reicht mit einem Blog, es braucht ihn nicht mehr, den Wassertiger. Mal sehen, für`s Erste lass ich es so weiter laufen, auch wenn sich zumeist nur Bots für die Ecke hier zu interessieren scheinen. Zumindest die arithmetische Erfüllung des chinesischen 60-Jahre-Zyklus im nächsten Jahr, dito einem Jahr des Wassertigers, soll er mit erleben.

Immerhin bietet diese Nische hier Gelegenheit, mal die Gedanken zu sammeln und passende Worte, idealerweise in ganzen Sätzen für die momentane Gefühlslage zu finden, etwas abseits der schreibenden Community. Stichworte gibt es reichlich. Familie, Gesellschaft & Politik, Idealismus, Pragmatismus, Polarisierung, Leben mit Widersprüchen, mit Zwiespalt. Gesellschaft und Politik hatte ich schon, siehe oben, das soll reichen, für heute.

Familie – mein Verhältnis zu dieser kleinsten Form von Gemeinschaft ist zwiegespalten, wie so vieles in meinem Leben, das von Polaritäten und Widersprüchen geprägt wurde und wird. Einerseits bin ich erschüttert, wenn ich am Beispiel meiner Eltern sehe, was alt werden, sehr alt werden bedeuten kann, nicht nur gesundheitlich, auch mit Blick auf den Umgang miteinander, mit Wesensveränderungen im Alter oder besser die teils heftigen Verstärkungen und Kristallisationen schon immer vorhandener Charaktereigenschaften und Neigungen. Ein Buchzitat dazu fand neulich den Weg zu mir, das ich sehr passend finde:

„Wenn wir ein gewisses Alter überschritten haben, werfen die Seele des Kindes, das wir gewesen, und die Seelen der Toten, aus denen wir hervorgegangen sind, mit vollen Händen ihre Schätze und ihren bösen Zauber auf uns und verlangen, dass sie zu ihrem Teil an den neuen Gefühlen mitwirken können, die wir empfinden und in denen wir sie, nachdem wir ihr altes Bild ausgelöscht haben, in einer neuen Schöpfung wieder zusammenschmelzen.“

Marcel Proust – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit/ Die Gefangene 
Danke für den Buchtipp, liebe G. 😉

Auf der anderen Seite sehe ich mit Freude, wie mein großes Kind seinen Weg geht, wie meine Anverwandtschaft dabei ist, mit vielen Kindern liebevoll eigene Ableger der großen Sippe zu bilden. Ich habe keine Angst mehr, meinen Vater all zu ähnlich zu werden, was den Umgang mit dem anderen Geschlecht angeht, damit habe ich bereits abgeschlossen, zum Leidwesen meiner ersten Frau. Auch in Sachen Vertrauen bin ich zu lange schon auf einem guten Weg, dass ich noch Angst haben müsste, ihm ähnlicher zu sein, als mir lieb ist. Auch kann ich die ebenso vorhandenen positiven Seiten meiner „familiären Sozialisierung“ heute durchaus erkennen und annehmen, für all das bin ich meinem Schöpfer sehr dankbar.

Zwiespalt auch an anderen Stellen in meinem Leben: Idealismus vs. Pragmatismus, vs. realistischer Einschätzungen der Gegenwart, oder besser dem, was ich dafür halte. So halte ich mich einerseits für einem gefühlsbetonten, potentiell mitfühlenden Menschen, der allerdings ebenso mit ordentlichen Portionen Ego & Überlebenswillen ausgestattet worden ist, kombiniert mit einer manchmal selbst für mich schwer erträglichen inneren Kälte & Distanz mit Blick auf manche menschliche Interaktionen, auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Dazu gehört die stete Gefahr des Abgleitens in Sarkasmus, was ich gelegentlich auch zulasse und kultiviere, wovor ich mich hüte, ist blanker, menschenverachtender Zynismus, zu dem ich ebenso fähig bin. Das Bindeglied zwischen all diesen Facetten ist mein Glaube, der mich nicht nur in die Lage versetzt, all diese inneren Widersprüche zu erkennen, anzunehmen und zu (er-)tragen, sondern der mich auch verweilen lässt, in der Gegenwart, wie immer sie auch gerade geartet ist. Flucht bedeutet für mich immer Morpheus`sche Traumwelten, die ich mir nicht mehr leisten will. Bis heute und nur für heute funktioniert das seit vielen Jahren recht gut, das wahrscheinlich größte Geschenk des Universums für mich.

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Noch eine Nachbarschaftsgeschichte

Gegenüber, unten, auf Parterre gibt es eine kleine Wohnung. Sie ist so ein typisches Refugium für frisch Getrennte oder gerade eben erst flügge gewordene junge Menschen. Lange bliebt bislang dort niemand, es sind nur zwei kleine Zimmerchen und es ist relativ laut. In all den Jahren, die ich mittlerweile hier wohne, ging es herein und heraus dort. Spätestens nach zwei oder höchstens drei Jahren stand sie wieder leer, für eine Weile. Keiner bleibt wirklich gerne allein und, wie gesagt, es ist halt laut dort.

Unfreiwillig kann ich das Geschehen dort gut einsehen, wenn ich dem Tabak auf dem Balkon fröne. Der letzte Mieter war ein nicht mehr ganz so junger Mann, Mirko hieß er. Das weiß ich, weil wir uns ein paar mal auf der nahen Nordbahntrasse getroffen haben und ich ihn irgendwann einfach angesprochen habe. Ein Radler, der sein Rad mit in die Wohnung nahm – ein Liebhaber alter Stahlräder. Ein Hund, der niemals an der Leine ging und sein kleiner Sohn, der wie damals der meine alle zwei Wochen an den Wochenenden bei ihm war. Ein leicht verrückter Kerl, der Mirko. Oft sah ich ihn durch seine Wohnung tanzen, die Musik bis hier oben hin zu hören. Seine Wohnung, keine Einrichtung aus dem Katalog, vieles selbst gebastelt, er konnte gut mit Holz umgehen. Später dann sah ich eine Frau an seiner Seite und freute mich für ihn. Allmählich war er immer seltener daheim, was mich nicht wirklich wunderte. Vieles erinnert mich an meine eigene Geschichte, auch mir ging es damals ähnlich.

Jetzt ist er fort und ich weiß nicht, wohin. Die Tage war Licht dort unten, und ich sah jemanden abbauen und aufräumen, aber es war nicht Mirko. Draußen stand ein Hänger, Tagelang im Regen mit seinen Sachen darauf, wohl für den Sperrmüll bestimmt. Was mich nachdenklich stimmt, was mag mit ihm wohl sein? Alles stehen und liegen gelassen und abgehauen, das kommt vor. Hoffentlich ist er noch unter uns, irgendwo …

Gerade wurde der Hänger abgeholt ..
Mirko, falls Du noch lebst – meine besten Wünsche für Dich.

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Am See

Ein Zeltplatz, sehr schön gelegen an einem Bergsee irgendwo in Österreich. Er liebt das zelten mit den Eltern, die hier einiges anders sind als daheim. Weniger nervös und angespannt im Umgang miteinander, sie lassen ihm auch viel mehr Freiheiten als daheim. Kinder sind reichlich dort, auch in seinem Alter, also um die 8 oder 9 Lebensjahre vielleicht. Mal gibt es Tagesausflüge mit den Eltern, aber die meiste Zeit sind sie am See.

Daheim hat er kaum Freunde, dem kleinen Jungen fällt es sehr schwer, auf andere zu zugehen. Beim Camping ist das irgendwie alles anders, schnell findet er Kontakt mit den anderen Kindern am Platz. Dieses Jahr ist es allerdings wieder anders als in den Jahren zuvor. Ein paar Wohnwagen weiter campiert eine Familie mit einem Mädchen in seinem Alter, ebenso augenscheinlich ohne Geschwister. Die beiden finden schnell zueinander und verbringen ihre gesamte „freie“, also elternlose Zeit gemeinsam. Sei es mit gemeinsamen kleinen Ausflügen auf der bergwärts gelegenen Alm, die man so fein herunter rollen kann oder sei es direkt am Wasser, wo man am Ufer zwischen den Bäumen so herrlich spielen kann. Sie sind unzertrennlich, jeden Morgen nach dem Frühstück treffen sie sich, und selbst des Abends sind sie bis zum Anbruch der Dunkelheit noch für sich, derweil die Alten ebenso zusammen hocken, bei Kartenspiel, Grill und vielen Geschichten.

Es kommt, wie es kommen muss. Das Ende der Urlaubszeit naht und die Heimreise steht an. Es fließen Ströme von Tränen auf beiden Seiten und dann kehrt ein jeder dorthin zurück, wo er sich zuhause nennt. Der kleine Junge trauert noch ein Weile und „vergisst“ dann dieses schöne Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Zuneigung und Freundschaft. Er schaut die beiden, die ihm sein späteres Bild von Mann und Frau vorleben, lernt von den beiden, lernt früh, sie zu fürchten, später dann zu verachten, manchmal auch zu hassen und sehr viel später dann, zu vergeben.

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Gefühle können nicht vergessen werden, weiß der damalige kleine Junge heute. Sie sinken herab und schlafen nur, dringen nicht mehr in dem Bereich des Lebens, den wir Bewusstsein nennen. Sie lassen Menschen suchen, mitunter süchtig werden und die abenteuerlichsten Irrwege gehen, die furchtbarsten Verwechselungen durchleben, um vielleicht irgendwann wieder überraschend an`s Licht kommen zu dürfen.

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Vom ersten und vom zweiten Eindruck

Er ist ein großer, massiger Mann, den ich nicht unbedingt mochte. Irgendwie immer etwas zu laut, etwas zu distanzlos in seiner Art und zumindest von außen betrachtet auch nicht übermäßig kompetent. Ein Mensch, mit dem ich die Tageszeit wechsele und ansonsten meinen Abstand wahre. Eine sachliche Distanz, verbunden mit einer gewissen Contenance, und, wenn es sein muss auch mit kurzzeitigen aggressiven Einsatz, ist für mich die Voraussetzung für Frieden und Abstand im beruflichen Haifisch-Becken. Private Kontakte sind damit logischer Weise eher selten und beschränken sich, wenn dann, auf den unmittelbaren Nächsten.

Manchmal allerdings durchbrechen Menschen meinen Abstand, nicht mit Gewalt, die ich nicht zulasse, sondern indem sie mich berühren. Manchmal überraschend tief bewegen, in ihrem Mensch-Sein. So wie oben genannter Kollege eben.

Eines seiner Kinder ist schwer behindert und sitzt im Rollstuhl. Bei irgend einer betrieblichen Feier sind auch Angehörige mit dabei, eben auch sein krankes Kind. Man steht und sitzt umher, nippt an allerlei Getränk und Fingerfood, pflegt den üblichen, oberflächlichen Austausch. Das Kind im Rollstuhl hat schwere motorische Störungen und kleckert mit seinem Getränkebecher. An den Stehtischen wird getuschelt. Da steht dieser große, massige Mann auf, positioniert sich gut sichtbar vor allen anderen und kippt sich wortlos seinen vollen Getränkebecher in den eigenen Schritt, worauf das Getuschel endgültig verstummt.

So eine Form von Solidarität berührt mein Herz zutiefst. Gerade bei einem Menschen, von dem ich dies nie vermutet hätte. Heute sehe ich besagten Mann anders, bin auf eine Weise auch dankbar für die mir erteilte Lektion.

Respekt !

 

Vergebung?

Früher
da fühlte er sich geehrt
Wenn der Alte ihn verglich
Mit dem Vater seiner Frau
Dem Desperado
Dem Weltenbummler
Bunt schillernder Ausnahme-Opa

Bilder ändern sich mit der Zeit
Aus dem bunt schillernden Ahnen
wurde ein mutmaßlicher Wehrmacht-Verbrecher
Ein verletzender Zyniker
Ein scharfzüngiger Narzisst
Ein Unterhalt-Verweigerer

Nicht geändert hingegen
haben sich die Worte des Alten
Was früher schmeichelte
Wohltuend Distanz schaffte
verletzt heute
da beleidigend

Was es immer schon war

Mal `ne Frage nach da oben
Lässt mich hier Geschenke einpacken
zum Ehrenfest deines Sohnes
Mit Wut im Bauch
Alle Welt redet von Vergebung dieser Tage
Ich würde sie gern erleben
Fühlen

Sag`mal
wie geht das eigentlich ?!?

Früher

In regelmäßigen Abständen stoße ich im Netz auf Postings meinesgleichen Geburtsjahrgangs, wo sich in epischer Breite darüber ausgelassen wird, das früher alles besser war. Wo sich bitterlich über die Kinder beklagt wird, die doch nur ihren Vorbildern folgen. So wie wir im übrigen damals auch. Was genau geht da in den Köpfen nur vor, frage ich mich immer öfter.

Früher war alles besser?

1. War es nicht, war anders.
2. Zeiten ändern sich.
3. Seid euren Kindern entsprechende Vorbilder.
4. Gerade, was Konsum angeht.
5. Erwartet nicht, das sie euch gleich folgen.

“Früher, hör auf mit früher,
ich will es nicht mehr hör’n.
Damals war es auch nicht anders,
mich kann das alles nicht stör’n.”

(DTH, Damenwahl, anno 1986)

Auch, wenn ich dieses Lied mittlerweile mit gehörigen Abstand „zu früher“ höre, es hat immer noch etwas 🙂

Uno verschärft

Früher schon, so mit 18,20, hatte ich eine Schwäche für dunkle Kaschemmen, wo an wackeligen alten Tischen im trüben Licht einer Funzel gezockt wurde, Harmlose Sachen, keine großen Beträge, zur zum Spaß an der Freude saßen wir gefühlte Ewigkeiten in einer verräucherten Mansardenbude, gar nicht weit von hier im Quartier und fühlten uns sehr erwachsen, mit dem mehr oder weniger guten Blatt auf der Hand, dem Stumpen im Gesicht und den Kaltgetränken aus der Truhe.

Heute ist das ein wenig anders, kein Rauch und keine Gersten-Kaltschalen. Selten kommt es vor, auch ist es kein Poker mehr, sondern das gute alte Uno-Spiel aus den Kindertagen meines Sohnes. So geschehen letzten Samstag im erweiterten Familienkreis hier zuhause – mit ganz speziellen Regeln, derweil Uno an sich ja doch ein eher überschaubares Spiel ist.

So dürfen also so genannte Zwillings-Karten, also gleiche Farbe, gleiche Zahl, auch außer der Reihe abgeworfen werden, sofern der reguläre Spieler noch nicht geschaltet hat. Sehr schön ist auch die Regel mit der Sechs. Kommt diese auf den Stock, muss eine Hand darauf, von allen rundum, und der letzte kassiert eine Strafkarte. Das macht recht munter und regt Ringträger zum nachdenken an, wenn der Nachbar böse guckt und sich anschließend die Pfote reibt. Außer böse gucken ist in dieser familiären Sonder-Edition nämlich nicht viel möglich, derweil jedes Schimpfwort sofort eine weitere Strafkarte nach sich zieht. Es ist einfach unbeschreiblich, welche Wortkonstellationen diese hübsche Regel zustande bringt, um den Unmut, den die kleinen Gemeinheiten dieses Spieles produzieren, irgendwie zu kanalisieren.

Um das Ganze noch ein wenig abzurunden, um der passenden Stimmung willen lief dabei noch nette Tischmusik. Immer noch staune ich, wie stabil unser großer Holztisch ist, nach all den handgreiflichen Attacken hier am Wochenende. Spaß gemacht hat es auf jeden Fall!

Mojsche & Rejsele

Während sich gestern Nachmittag mehrere Gruppen extremistischer Demonstranten gegenseitig gern das Fell versohlen wollten und nur durch das kluge Engagement der Staatsdiener daran gehindert wurden, machten die Liebste und ich uns auf geheimnisvollen Pfaden um den Pöbel herum auf den Weg zu einer Theater-Aufführung. Unser Ziel war die Christian Morgenstern Schule in Wuppertal-Barmen.

Die Kinder der achten Klasse führen ein Klassenspiel auf. Was Jüdisches, sagt die Liebste im Vorfeld und ich denke, gut, mal schauen. Angekommen in der Mehrzweck-Halle der Förderschule finden wir Flyer auf den Stühlen über das Stück. Geahnt habe ich es schon, es spielt in Zeiten des Faschismus, des Massenmordes an den deutschen Juden Anfang der Vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Geschichte handelt vom polnischen Arzt Janusz Korczak, der auf für die damalige Zeit außergewöhnlich fortschrittliche Art ein Waisenhaus in Warschau betreute, von den Faschisten mit seinen Kindern in das Warschauer Getto zwangsumgesiedelt wurde und am Ende die Größe hatte, seine Kinder in das Vernichtungslager Treblinka zu begleiten, anstatt sich selbst mit von Freunden besorgten falschen Papieren zu retten.

Die Helden des Stückes sind neben dem Doktor eben Mojsche und Rejsele, die Hauptdarsteller einer fiktiven Liebesgeschichte, deren Handlung in dem Jugendroman von Karlijn Stoffels  in das von damals überlieferte Geschehen eingebettet wurde. Mojsche kommt mit 13 in das Waisenhaus und hat zunächst große Schwierigkeiten, sich aufgrund seiner Aggressionen, seiner Aufsässigkeit, in das Leben dort einzufügen. Rejsele wird im zur Seite gestellt, um ihm zu helfen, sich besser einzubringen und die beiden beginnen, sich zu mögen. Mojsche verlässt alsbald das Waisenhaus, um im Untergrund als Kurier tätig zu werden, sein Charakter zeichnet ihn dafür aus. Auch Rejsele übernimmt Botengänge aus dem Getto heraus und nach der Deportation verlieren sich die beiden aus den Augen. Bis sie als alte Menschen viele Jahrzehnte später wieder zusammen finden, über eine Radio-Reportage zu den Geschehnissen damals.

Bewundernd registriere ich die Begeisterung der Kinder für so ein schweres und trauriges Stück. Ein Hauptdarsteller spielt mit Krücken und geschienten Bein, nachdem er sich noch am Vorabend bei einem Fahrrad-Sturz das Knie angebrochen hatte. Sie sind mit ganzen Herzen, mit ganzer Seele dabei, während ich mehrere Male echte Mühe habe, meine Fassung zu wahren. Eigentlich möchte ich von der ganzen Zeit damals nichts mehr wissen, von den unfassbaren Verbrechen unserer Ahnen. Ich war das nicht, denke ich, das ist ein Problem meiner Großeltern, bzw. Urgroßeltern, die zumindest teilweise auch Täter waren. Ganz so einfach ist es indes nicht, denn hätte ich damals gelebt, wo hätte ich mich wiedergefunden, in so einer Zeit? Solche Gedanken beschäftigen mich, während ich die berührt, gerührt die Kinder sehe, die Improvisationen verfolge, über die 13, 14 jährigen Kid`s staune und mich auch für die Lehrer freue, die es geschafft haben, die Kinder solcher Art zu motivieren. Sie lernen hier etwas, was in keinem Lehrplan steht:

Engagement, Leidenschaft, und Selbstbewusstsein.

Wir waren beide noch lange gefangen von dem Stück, von dieser Stimmung, während wir durch die mittlerweile wieder stille Stadt den Heimweg antraten.

2015-03-14 17.34.48

2015-03-14 17.53.54

2015-03-14 18.26.05

 

Schulbeginn

Normalerweise bin ich um diese Zeit nicht daheim. Wochentags morgens so gegen 8 Uhr stehe ich meist schon mitten im Tag, mit Ausnahme der freien Tage, freiwillig oder wie derzeit eher unfreiwillig. Wie ich da so liege, unter meiner AUA-Decke, kann ich schön aus dem Fenster schauen und fühle mich ein wenig so, wie sich gelangweilte Rentner (gibt es die wirklich?) fühlen könnten.

Da draußen ist eine Menge los, um die Zeit. In der Nähe liegen zwei weiter führende Schulen, Hundertschaften motorisierte, so genannte Helicopter-Eltern (die nichts mit dem schönen Helicopter-Spiel zu tun haben) verstopfen die engen Straßen hier im Quartier. Parallel dazu ergießen sich von der anderen Seite des Berges aus den Einsatzlinien der Stadtwerke große Ströme ganz normaler Kinder, also solche, die einigermaßen selbstständig erzogen werden und schon allein am öffentlichen Personen Nahverkehr teilnehmen können, auf Straßen und Gehwegen in Richtung ihrer Schulen. Die meisten gehen zügig in kleinen oder größeren Gruppen, schwatzend, lachend, oder eher still. Freundinnen im Gleichschritt mit röhrenbejeansten Beinen sind zu sehen und ich denke, interessant, das manche Mode tatsächlich 4 Jahrzehnte überdauern kann.

Langsam werden die Gruppen weniger, Zeit für manche schlendernden Nachzügler, manche mit gesenkten Kopf, die es nicht eilig haben, gelehrt zu werden, andere dagegen sind schlicht spät dran und hetzen den anderen hinterher. Alles so wie immer schon, denke ich, von den verrückten Eltern mit ihren Autos mal abgesehen.

Während sich da draußen der Verkehr normalisiert, lasse ich meine Gedanken treiben, nicht zuletzt, weil auch ich Vater eines solchen „großen“ Kindes bin. Erfolg und Versagen, oder besser das, was wir dafür halten, fallen mir ein. Wie viele von denen gerade eben fallen durch das Netz und müssen schauen, wo sie bleiben. Gründe dafür kann es viele geben, Krankheiten, familiäre Krisen aller Art, oder schlicht das Gefühl, „anders“ zu sein und irgendwie nicht in diese Welt zu gehören. Toleranz und Kompromissbereitschaft gelten als Tugenden der Zeit, bei vielen allerdings nur unter ihresgleichen oder als leere Worthülsen. Spätestens wenn die Bereitschaft zum teilen gefordert ist, Zeit, Aufmerksamkeit oder sogar Geld, trennt sich die Spreu vom Weizen. Und „anders“ ist man schnell heutzutage. Introvertiertheit reicht schon oder jede Abkehr, sei es religiös, sexuell, ethnisch, politisch, kulturell oder sozial von der so genannten Majorität.

Dieses Land erscheint mir da gespalten, auf eine merkwürdige Art. Einerseits gilt Individualität als gesellschaftsfähig, andererseits haben sich in Sachen Bildung und Erwerbsleben Verhaltensweisen etabliert, die keine wirkliche Abkehr zulassen. Ungeschriebene Gesetze bestimmen das tägliche Zusammenleben innerhalb der gegebenen Strukturen und Hierarchien.  Zum Beispiel „Sei kritikfähig und übe dich in offener Fehler-Kultur.“  Was meint, trete bloß niemanden ernsthaft auf die Füße und wenn Du Scheiße gebaut hast, gib`es sofort zu, aber erwarte das nicht von anderen, schon gar nicht von deinen Vorgesetzten.  Oder „Schaue stets über deinen Tellerrand“  Was meint, sei aufmerksam, was um dich herum geschieht, aber überschreite in gar keinen Fall deine Kompetenzen, sondern teile deine Beobachtungen mit deinen Vorgesetzten, damit der den potentiellen Erfolg verbuchen kann. Oder auch „Übe dich in Teamfähigkeit“ Was meint, sei froh, wenn man dich mit Arbeit überhäuft, das ist die beste Existenz-Absicherung. Solltest Du das nicht alles schaffen, tue so wie die meisten anderen, trete die Dinge herunter zum Nächsten, auf das Dein Tisch sauber sein möge. Was man nett verpackt auch delegieren nennt.

Vielleicht bin ich auch nur geschädigt durch die lange Zeit in meinem Beruf, wie dem auch sei…Widersprüche und fadenscheinige Ansagen finden sich überall und die wenigsten haben vermutlich das Glück, mit ihren Beruf auch eine Berufung gefunden zu haben. Hilfreich ist in jedem Fall ein Gespür für einigermaßen ertragreiche, besetzbare Nischen, verbunden mit dem Mut, diese auch zu betreten. Günstige Gelegenheiten gehören ebenso dazu wie die Fähigkeit, diese auch wahrzunehmen und zu nutzen.

Mit diesen Gedanken und besten Wünschen für die Kid`s da draußen kehrt meine Aufmerksamkeit wieder zur AUA-Decke zurück und zur Wärmflasche.

Gut für diesen Augenblick.

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