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Kurzbesuch in Leipzig

Der Anlass ist ein berufliches Tages-Seminar der Liebsten dort, ich nutze die Gelegenheit, mir zumindest eine ganz kleinen Eindruck von der Stadt zu verschaffen. Die Fahrt bietet schon viel für die Augen. Nachdem die Kreuz-langweilige A44 endlich geschafft ist, wird die Landschaft abwechslungsreicher. Die Kasseler Berge und weiter über die neue A38 durch zwei Tunnel und wir sind in Thüringen. Schilder verweisen auf die ehemalige Grenze, auf eine Gedenkstätte, auf das Lager Friedland.

Wir passieren eine Ausfahrt, deren Schild auf Mühlhausen verweist. Erinnerungen werden bei mir wach, an meine erste Visite in der „Zone“, irgendwann kurz nach der Grenz-Öffnung im Frühjahr 1990. Bis dahin hatte ich nichts mit dem „anderen“ Deutschland zu tun, keine Freunde und keine Verwandte gab es dort. Nur die Grenze, die zu passieren mir nie in den Sinn kam. Auch damals bin ich nur dort hin, weil ich es eigentlich nicht glauben konnte, das dieses Land, das für mich bis dato eher ein großes Gefängnis darstellte, nun offen sein sollte.

Mühlhausen damals also, Kopfsteinpflaster, riesige Industriebrachen, Auto an Auto, überwältigender Braunkohle- und Zweitakt-Gestank, der Straßenrand gesäumt mit Glückritter aller Art in selbst gebastelten Verkaufs-Ständen. Ausverkauf total auf beiden Seiten sozusagen, die einen nutzten jede Chance, an die begehrte D-Mark zu kommen, die anderen brachten bunte Glasperlen und alte Autos zur anderen Seite. Verwirrt und beschämt bin ich damals wieder heim gefahren.

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Von alledem ist jetzt nichts mehr zu spüren. Wir passieren den Süd-Harz mit seiner Karst-Landschaft, vorbei an bizarren Abraum-Pyramiden durchfahren wir die Ebene. Städtenamen tauchen auf, Sangershausen, Querfurt, Eisleben, Merseburg. Unendlich viele Wind-Kraftwerke und Stromleitungen am Horizont. Ein Stück noch nach Norden auf der A9 und wir  sind am Stadtrand von Leipzig. Die „blühenden Landschaften“ sind weitläufig unübersehbar, Industrie- und Verkaufsparks wie allerorten in Autobahn-Nähe.

Unsere Unterkunft liegt am Rand vom Zentrum, ein Jugend-Hostel in einem schönen, alten, Geschichts-trächtiges Haus, ehemals wohl Geschäftshaus einer angrenzenden Mühle.

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Das Zimmer wird erst einmal, was die Betten betrifft, umgebaut. Die auf diese Weise entstandene Bretter-Umzäunung lässt eine leise Ahnung von Alten-gerechten Schlaf-Gemächern aufkommen, ausgerechnet in einem Jugend-Hostel.

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Die niedliche Wand-Deko befeuert meine Lust am Unfug und ich freue mich über den dicken Edding in meinem Hand-Gepäck. Das hätte ich nicht gedacht, das der noch einmal irgend einen Sinn macht.

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Nach dem einchecken lassen wir den Tag in der schönen Altstadt ausklingen, ich bin überrascht, wie viele Gründerzeit-Häuser es dort gibt. Zumindest im Zentrum sind selbige auch liebevoll hergerichtet und mit Sicherheit teuer vermietet.

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Am nächsten Morgen stehen wir sehr zeitig auf und fahren nach dem Frühstück zum Tagungs-Ort der Liebsten, unweit des so genannten bayrischen Bahnhofes. Dort wird gerade ein historisches Portal nicht saniert, sondern blödsinniger Weise neben einem futuristisch anmutenden U-Bahn-Eingang neu errichtet. Derzeit herrscht übrigens gerade Baustopp, warum auch immer, und ich stelle fest, das bescheuerte und verantwortungslose Stadtplanung durchaus keine Wuppertaler Domäne ist.

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Die Liebste ist also beschäftigt und ich überlege, was ich in den paar Stunden wohl tun kann. Die Wetter-Vorhersage verspricht Regen am Nachmittag und so fahre ich mit der Straßenbahn erst einmal zum Völkerschlachtdenkmal, Fast 100 Meter hoch, düster und bedrohlich, ein steinernes Zeugnis deutscher Geschichte. 1913, am Vorabend des ersten Weltkrieges errichtet und 2013 abschließend saniert, zu einer Zeit, in der wieder deutsche Soldaten diesmal europäische „Werte“ mit der Waffe in der Hand in alle Welt exportieren sollen. Oben angekommen bietet sich mir ein toller Ausblick, weit über die Stadt hinaus. Meine Gänsehaut rührt allerdings nicht von dem heftigen Wind dort oben. Den Aufstieg spüre ich übrigens immer noch in den Beinen.

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Das beschauliche Schlösschen rechts unten ist übrigens ein Krematorium.

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Oben auf der Plattform stelle ich fest, das ich vergessen habe, den zweiten Kamera-Akku zu laden, den ich gerade einwechseln will und ärgere mich über meine nachlassende Selbst-Organisation. Was allerdings nicht tragisch ist, da das Netz sowieso voll ist mit Bildern dieser schönen, alten Stadt. Der Handy-Akku ist auch am Ende, aber da gibt es wenigsten noch geladenen Ersatz im Rucksack, wenn auch die Bilder an Qualität zu wünschen übrig lassen. Immerhin.

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Anschließend fahre ich zurück Richtung Zentrum, erst einmal. Wieder mit der Straßenbahn, hier Tram genannt. Mit dem Auto sieht man nicht viel von Stadt und Menschen, das ist in öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich anders, zumal es für kleines Geld Tages-Karten gibt. Der Dialekt hier fasziniert mich, und ich spüre eine mir fremde Freundlichkeit der Menschen. Was nicht viel heißen mag, als gebürtiger Wuppertaler. Die Berliner sind mir da schon vertrauter (Sorry, liebe Berliner, aber mental sind wir da wohl verwandt…)

Im Zentrum schaue ich nach der Thomaskirche, leider ist dort gerade eine Chor-Probe, betreten also leider nicht möglich. Durch die bunten Gläser des Einganges gelingt mir aber ein verstohlener Blick hinein.

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Im Anschluss suche ich die 1989 berühmt gewordene Nicolaikirche auf, die Keimzelle der friedlichen Revolution damals. Es gibt dort auch einen kleinen Laden und ich erstehe ein Buch, auf das ich sehr gespannt bin. Ein Zeitzeugen-Bericht aus erster Hand sozusagen, nicht ideologisch verfälscht oder gar missbraucht. Wer hier heute auf die Straße geht, mag sich kaum vorstellen können, was das für die Menschen dort drüben damals wohl hieß, auch, wenn hierzulande die Sitten langsam auch rauer werden. Die Unzufriedenheiten dort damals und die heute lassen sich wohl kaum vergleichen. Unglaublich immer noch auch für mich, das damals alles weitgehend friedlich blieb, was sich nur zum Teil mit der Staatsgewalt der DDR-Regierung und der leidvollen Erfahrung der Ostdeutschen mit ihr erklärt. Wie selten kommt es vor, das Menschen gegen eine Regierung friedlich aufstehen, die an ihrem Volk vorbei regiert, mal vorsichtig ausgedrückt. Und dabei nicht zu allem greifen, was ihnen in die Hände gerät. Es war eben nicht nur die damalige Schwäche der russischen „Freunde“ und die Ratlosigkeit der greisen DDR-Führung, es waren vor allem Menschen vom Schlage des Christian Führer , die die „Wende“ damals möglich machten. Auch, wenn sie sich tragischer Weise bestimmt anderes erhofft hatten als das, was dann kommen sollte.

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Die Zeit rückt langsam vor, für größere Aktionen wie z.B. einen Zoo-Besuch ist sie eh zu knapp und so fahre ich im Regen mit der Straßenbahn nach Stötteritz, das so gerade eben noch im Tarif der Tageskarte liegt. Mit jedem Kilometer nimmt die Zahl der abbruchreifen oder zumindest stark sanierungsbedürftiger Gründerzeit-Häuser zu, sind es in Zentrum-Nähe nur vereinzelt einige wenige, so ist es weiter draußen fast jedes zweite Haus. Manchmal ist auch nur das Erdgeschoss bewohnt, während weiter oben leere Fensterlöcher gähnen. Alternatives Wohnen, denke ich, Hauptsache, irgendwie trocken, warm und bezahlbar.

Am späten Nachmittag hole ich dann die Liebste ab, bin ein wenig zu früh und muss warten. Ein junger Mann steht mitten im Vorgarten, übt sich offensichtlich im Bogenschießen und fragt mich freundlich nach mein Begehr hier im Hof. So entwickelt sich ein netter und aufschlussreicher Plausch zwischen uns über so alles mögliche, angefangen beim Holz seines selbst gefertigten Bogens über unsere verschiedene Herkünfte hin zu unseren Tagewerk, wenn nicht gerade Städte-Reisen oder Bogen-Schießen dran sind. Ein frisch gebackener Wirtschaftsprüfer aus dem Erz-Gebirge, der mir einiges über das Leben in der alten Studenten-Stadt verrät. Dann kommt die Liebste und wir verabschieden uns freundlich.

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Viel Zeit bleibt uns nicht mehr, schon am nächsten Morgen geht es wieder heim. Für einen Bummel durch die Stadt, abgerundet mit einem leckeren Essen, reicht es aber allemal. Abschließend noch ein paar Bilder, angefangen im „Ossi-Laden“…

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Und weiter durch die Stadt…

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Nachtrag: Gerade gefunden

Heimlichkeiten (2)

Hier wieder eine Folge der beliebten Serie „Hallo Amerika, brauchst nicht heimlich lauschen“:

Der deutsche Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele trifft sich mit dem ehemaligen US-amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden unter konspirativen Bedingungen in dessen derzeitige Wahlheimat Russland. Thema des gut dreistündigen Gespräches ist eine mögliche Zeugenaussage Snowdens zum aktuellen Abhörskandal.

Fast zeitgleich greifen die USA Deutschland wegen dessen Exportüberschusses massiv an. Zufall? Wohl kaum. Gerade eben in der ARD-Sendung Panorama betont der US-Botschafter in Berlin auf Nachfrage, er werde nicht darüber reden, was geschieht, wenn so einer als Zeuge vernommen wird. Das kann man sicher so oder so verstehen. Offiziell sieht die Bundesregierung derzeit Snowden als Verräter an, ganz im Sinne der US-Administration. Die Warnung war indes deutlich.

Bleibt abzuwarten, wie es weiter geht. Unserer Kanzlerin fehlen geschlechtsspezifisch nun einmal die beiden Körperteile, denen man volkstümlich u.a. Mut und Stärke zuspricht. Aber Rückgrat wäre ihr zu wünschen, gerade nun. Rückgrat und Umsicht. Abwägen zwischen dem Schutz von Arbeitsplätzen einerseits und dem Rest von Souveränität, dem berechtigtem Interesse an Aufklärung andererseits. Leider rennt niemand mit der Fackel der Wahrheit umher, ohne irgendwem den Bart zu versengen. Wir werden sehen.

Heimlichkeiten

Die Lauscher – seit die Kanzlerin selbst betroffen ist, wird sich auch offiziell empört und wenig geschieht. Warum auch, wer möchte sich schon selbst Schaden zufügen. Ratio bestimmt das Handeln, auch, wenn es nicht laut ausgesprochen wird. Beherrschend sind  (hinter den Kulissen) solche Begriffe wie z.B. das Handelsbilanz-Defizit (Deutschland hat US-Waren im Wert von 48,8 Mrd. US-Dollar eingeführt…Bei den Warenimporten der USA liegt die Bundesrepublik Deutschland als Exporteur mit 108,5 Mrd. US-Dollar… / Quelle: Auswärtiges Amt ) sowie Macht- und Sicherheitspolitik mit ihren strategischen Interessen. John Kornblum, der ehemalige US-Botschafter in Deutschland sprach gestern Abend nicht grundlos von Partnerschaft, betont nicht von Freundschaft.

Wenn ich mir gerade schon die deutsche Krämerseele zumindest temporär zu eigen mache, wäre noch erwähnenswert, das das deutsche Militär jährlich (nur?) gut 33 Milliarden Euro an Geldmitteln kostet. Darin enthalten sind auch die Söldner-Dienste für unsere amerikanischen Freunde Partner. Der Blutzoll in dem Zusammenhang beträgt allein in Afghanistan bis dato 54 Menschenleben auf deutscher Seite.

Die Rechnung ist also recht einfach: Wir helfen den Amerikanern militärisch bei der Durchsetzung ihrer geostrategischen und machtpolitischen Ziele, wir leisten „Amtshilfe“ in Sachen Geheimdiensttätigkeit (eben auch durch Duldung). Andererseits geben die Amerikaner ihre gewonnen Erkenntnisse an uns weiter, soweit das auch ihren Interessen dient und sie gewähren uns Handelsvorteile, indem sie unsere begehrten Exportschlager eben nicht mit Strafzöllen belegen. Alle an diesem Deal Beteiligten sollten allerdings aufhören, von Wertegemeinschaft zu reden. Auch die Propaganda in dem Zusammenhang (wir sind die Guten, Export von Demokratie und Menschenrechten, Friedensdienst mit Knarre in der Hand usw) ist höchst überflüssig und verlogen. Eben Propaganda.

Nun sind wir Menschen ja bekanntlich viel mehr als nur blanker Ratio, solche Emotionen wie enttäuschtes Vertrauen, Misstrauen und auch Zorn können politische Entscheidungen (und Wahlen!) sehr wohl beeinflussen. Bleibt spannend, abzuwarten, wie unsere gewählten Vertreter damit umgehen werden. Angesichts der oben angeführten Zahlen muss man kein Prophet sein, um zu sehen, wie es ausgehen wird. Ein wenig öffentliche Empörung, ein paar ernste Gespräche mit den Amerikanern und weiter geht`s. Angesichts der vielen gefährdeten Arbeitsplätze wird diese hässliche Kröte wohl geschluckt werden. Uns, den Wählern gegenüber wünsche ich mir endlich mehr Offenheit über unser Verhältnis zu den USA. 

Bleibt schlussendlich zu hoffen, das Deutschlands (Europas) Regierung(en) zumindest langfristig ihre Lehren aus den aktuellen Ereignissen ziehen und endlich massiv, ernsthaft kontinentale Soft- und Hardware-Produktion fördern, um den gigantischen Technologie-Vorsprung der Amerikaner wenigstens zu verringern.

Wählen gehen

Über die eigene, politische Gesinnung offen zu sprechen, ist in Deutschland nicht unbedingt üblich. Es gibt eine geheime Wahl und das ist auch gut so. Einiges gibt es an unserem System auszusetzen, wer das leugnet, verkennt die Realitäten. Dennoch ist die einzige Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, eben von dem Recht auf eine Wahl Gebrauch zu machen. Es gibt durchaus Alternativen und die da oben müssen nicht zwangsläufig tun, was sie wollen. Alternativlos – welch ein Zeitgeistwort – ist nichts.

Selbst bin ich einer von denen, die von interessierten Kreisen abfällig als Sozialromantiker bezeichnet werden. Ja, ich weiß, wer soll das alles bezahlen, tönt es mir oft entgegen. So ganz abwegig sind solche Einwände natürlich nicht, ein jeder, der seinen eigenen, kleinen Haushalt verwalten muss, weiß das. Dennoch bin ich der Meinung, das wir in einem der reichsten Länder der Erde leben, es ist meiner Meinung nach genügend Geld im Umlauf, lediglich mit der Art der Verteilung oder besser, wofür es im einzelnen ausgegeben wird, bin ich nicht unbedingt einverstanden.

Damit keine Missverständnisse entstehen – selbst bin ich einigermaßen engagiert berufstätig und freue mich über jeden Tag, an dem ich mich gesund fühle. Auch zahle ich gern meine Steuern, dagegen ist nichts einzuwenden. Noch freudiger würde ich mich allerdings von meinen Steuern und Sozialabgaben trennen, wüsste ich mein Geld gerechter verteilt unter denen, die sich nicht (mehr) selbst helfen können. Sollten dafür einige heißgeliebte Prestigeobjekte in den Schubladen verschwinden, na und?

Also – wie auch immer – wir können mitgestalten. Eben wählen gehen. Für mich ist dabei wichtig, mich nicht von machtpolitischen, strategischen Überlegungen leiten zu lassen. Wer bekommt wie viel und kann dann mit wem, solche Ränke. Das sollte nach einer Wahl Thema sein. Auf denn, Überzeugungstäter aller Farben, geht wählen. Wir sind das Volk!

Mit freundlichen Gruß, Volker