Archiv der Kategorie: Geschichte

Blick zurück

Wenn sich die Gegenwart zum größten Teil auf die eigenen vier Wände beschränkt und die Zukunft sehr überschaubar ist, rückt die Vergangenheit in die Gegenwart, möchte Erlösung, will in Worte gekleidet werden.

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Manchmal telefonieren sie. Das geht nur zu merkwürdigen Zeiten, weil sie der vollständige Erddurchmesser trennt. So geht bei ihr morgens um 7 das Telefon, am anderen Ende ist es 7 Uhr am Abend. Aber sie reden schon beinahe regelmäßig miteinander, wohl wissend, dass sie sich niemals mehr wiedersehen werden. Es gibt immer einiges zu erzählen und niemand nimmt Anstoß an Tageszeit und Dauer des Telefonats, das sich schonmal über Stunden ziehen kann. Ihre beiden Männer sind verstorben. Die beiden sind nicht nur Cousinen, sie waren auch Freundinnen, damals. Im „dritten Reich“, als Kinder. Die Frau am anderen Ende der Welt ist Jahrgang 1934, die andere ein Jahr jünger.

Das Tal der Wupper lag bereits in Trümmern, die beiden nahmen gezwungenermaßen an der so genannten Kinderlandverschickung teil. Im selben Schlafsaal untergebracht, durften sie nicht miteinander reden. Auch durften sie des Nachts nicht zur Latrine, was zu heimlicher Erleichterung in irgendwelchen Ecken führte. Beide wurden nacheinander krank und fanden sich auf der Krankenstation wieder. Hier durften sie immerhin miteinander sprechen.

Sie reden von der Flucht vor den Russen, zurück in den Westen. Von dem eiskalten Winter auf Pferdewagen. Die eine verlor sämtliche Zehen an beiden Füßen auf dem Weg, die andere hatte Glück, man konnte ihr das Leben unter großen Schmerzen wieder in die Zehen zurück massieren. Bilder werden getauscht, von dieser Fahrt durch die Hölle. Am schlimmsten seien die Toten gewesen, die sie einfach während der Fahrt vom Wagen warfen. Es gab keine Zeit, sie in dem hartgefrorenen Boden zu bestatten. So viele Babys seien dabei gewesen, kleine steifgefrorene Bündel. Tränen fließen, fast 80 Jahre alte Tränen.

Die beiden tun sich gut, während sie sich ihre Lebensgeschichten erzählen und den Horror aufzuarbeiten versuchen.

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Manchmal reden wir von den Nachrichten. Sie wundert sich manchmal über die Berichte, wobei ich nicht weiß, ob „wundern“ das rechte Wort ist. Ein Angriff, sagt sie und es ist von 5, 10 oder 20 Toten die Rede. Sie spricht direkt im Anschluss daran von dem großen Finale hier in der Stadt. Von der Nacht, in der es Feuer vom Himmel regnete, das sie aus dem Kellerloch beobachten konnte. Wie Regentropfen, sagt sie. Von dem Morgen danach, als sie zum spielen raus ging, in den Park, weil es Drinnen nicht mehr gab. Der Park, in dem die Toten der Nacht lagen, sehr viele Tote, ordentlich aufgereiht nebeneinander. Ist jeder einer zu viel, sage ich, und sie nickt stumm.

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Zum Schluss spare ich mir jeden weiteren persönlichen oder auch politischen Kommentar, obgleich mein Herz vom schreiben gerade übervoll ist. Um mich soll es hier an dieser Stelle nicht gehen.

Festplattenfund

Vor ziemlich genau 10 Jahren fragte mich eine Kollegin, ob ich Lust hätte, einige Bilder zu machen. Sie wusste, dass ich seit einiger Zeit einen Weblog betrieb, damals noch bei Blog.de. Der Hintergrund war die anstehende Entrümpelung und Neunutzung der ehemaligen Werkstatt ihres Opas, wie ich ein gelernter Werkzeugmacher, ein Beruf mit langer Tradition hier in der Gegend und auch andernorts.

Das Besondere daran war der Umstand, dass der Opa zu diesem Zeitpunkt bereits gut 20 Jahre verstorben und die Oma ihm kürzlich gefolgt war. Zu ihren Lebzeiten durfte absolut nichts in dieser Werkstatt, ein kleines Hinterhofhäuschen auf den hiesigen Südhöhen, verändert werden, gleich so, als könne ihr verstorbener Mann es sich nochmal überlegen und noch irgend etwas fertig stellen wollen. Sehr wahrscheinlich aber eher, um sein Andenken auf diese Art zu bewahren, aber das ist Spekulation.

Damals gestaltete ich einen hübschen Foto-Eintrag bei Blog.de, eine Plattform, die kurz darauf in der Versenkung verschwand, und mit ihr die (bebilderte) Datenbank, auf die ich keinen Zugriff hatte. In der Folge des Untergangs von blog.de entstand übrigens diese Website hier, die ich selbst hoste. Parallel dazu verschwanden die Fotos in einem falsch benannten Ordner auf einer alten Festplatte, die ich erst gestern nach Ewigkeiten mal wieder gesichtet habe. Gott sei Dank sind sie doch noch da, was mich sehr freut, und so erblicken sie noch einmal das Licht der Öffentlichkeit.

Das Häuschen ist am Hang gebaut und hat 2 Etagen, von denen vorne nur eine sichtbar ist.

Selbst habe ich in den 80ern 10 Jahre in kleinen, Inhaber-geführten Betrieben gearbeitet, darunter auch zwei solcher „kleinen Klitschen“, von denen es damals hier im bergischen Land noch eine Menge gab. Sie steckten in unscheinbaren Hinterhof-Anbauten, Wohnhäusern oder Garagen. Heute gibt es nur noch wenige, die überlebt haben, Zeit ist immer im Wandel. Gesegnet, wer sie kennt, schätzt und seinen Arbeitgeber oder sich selbst zu ihren Kunden machen kann. Mit der typisch deutschen Reglementierungs- und Zertifizierungswut haben so Einzelkämpfer nämlich in der Regel nichts am Hut und der Arbeitsschutz wird auch nicht immer so ganz genau genommen. Die Jahre in dieser Art Firmen haben mir als junger Mann ausgesprochen gut getan, ich durfte unendlich viel dort lernen.

So habe ich unter anderen auch in einer kleinen Schlosserei gearbeitet und kenne noch den Umgang mit sehr alten Maschinen. Mein damaliger Chef war ein großer Freund von Insolvenz-Versteigerungen, dazu kam, dass er einen PKW-Anhänger hatte und ich damals der einzige Mitarbeiter mit Hängerkupplung am Auto war. Darum kam ich bei den Beutezügen ein wenig herum und konnte einige ehemalige altertümliche Werkstellen besichtigen. Die kleine Werkstatt hier im Jahrzehnte langen Dornröschenschlaf hatte es mir darum sehr angetan.

Eine alte Zeitung veranschaulicht die Zeitschiene.

Am Fenster …

Kleinkram …

Hier, nur hier und nur so hat die Kratze Empfang.

Bandsäge

Noch mehr Sägen

Wärme …

Liegengebliebenes

Lagerhaltung und mehr

Eine alte Drehbank und ein Shaping oder Kurzhobler. Solch einen Kurzhobler habe ich mal für besagte Schlosserei in einem 400Kg-ungebremsten Anhänger quer durch Wuppertal gefahren. Mit etwas mehr als Schritttempo … gearbeitet habe ich auf solchen Dingern auch.

Ständerbohrmaschine

Und zum Schluss noch Oppas Hausordnung.

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Sonn-Tag und Nischen im Dasein

Derzeit scheint mein Leben zum großen Teil aus Pflichten zu bestehen, verbunden mit einer grandiosen Müdigkeit. Wer sich je quasi Berufs-begleitend um seine greisen Eltern gekümmert hat, die zudem nicht gerade nebenan und seit neulich auch getrennt voneinander wohnen, der versteht, was ich meine.

Um so wichtiger sind die Stunden zwischendurch. Ich mag keine klassischen Ausflüge mit dem Auto, Auto fahren bedeutet für mich nur weiteren Stress und wieder ohne Bewegung. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel sind keine wirkliche Alternative, von ihrem therapeutischen Nutzen in Sachen Menschheitsverständnis und Bewusstseinserweiterung, die eigene Art betreffend, mal abgesehen. Also Schuhe an und raus, dort wo ich lebe.

Die Hardt ist eines meiner Liebelingsziele, wenn auch in diesem Jahr total vertrocknet, wie überall. Ist schon erschreckend zu sehen und es scheint zu unserer neuen Normalität zu gehören. Der Ausblick vom Elisenturm ist dennoch immer wieder schön.

Und weiter geht es, die andere Talseite am Südhang hinauf, hin zum Unterbarmer Friedhof. Dort habe ich vor vielen Jahren mal ausgiebig Bilder gemacht, die leider verschollen sind oder besser aufgrund nicht vorhanden gewesener Datenbank-Zugriffsrechte mit dem ehemaligen blog.de untergegangen sind. Seis drum.

Ein Geschichts-trächtiger Ort und für mich auch ein Ort privater Erinnerungen, liegt er doch in der Nähe einer ehemaligen Wohung aus lange zurückliegenden Zeiten. Es hat etwas verwunschenes dort und ich bin immer wieder gerne hier, klettern und schwitzen Sommertags inbegriffen.

Alles in allem waren das gut 15000 Schritte – ich bin froh und dankbar, mich noch so bewegen zu können. Dass das nicht ewig anhält, sehe ich mit Blick auf meine Eltern gerade nur zu deutlich.

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Nachtgedanken

3.30 Uhr. Draußen ist Schneeregen, die Scheiben unserer Uralt-Fenster sind beschlagen. Wenn ich gesund bin, ist dies die Zeit, aufzustehen, mich auf dem Tag vorzubereiten. Jetzt ist das anders, die nötige Medikation zerhackt auch die Nacht in 5-Stunden-Abschnitte. Soll heißen, ich bin wach. Also beinahe, so ein Zustand, der mich gerade eben diesen Eintrag schreiben lässt.

Steht hier jemand auf, ist sie mit dabei. Immer gut, wenn was los ist, denkt sie, mit ihren jugendlichen knapp drei Jahren. Wenn sie „denkt“, selbst glaube ich, dass unter ihren sehr süßen Ohren meist eher bunte Bänder, flauschige Bälle und jede Menge anderer Unfug anzutreffen ist. Wenn ich wieder liege, in der Hoffnung, doch noch ein wenig schlafen zu können, dann kommt sie zu mir, in bekannter Manier, um sich ihrer Nische zu versichern, zwischen meiner Brust und der Sofalehne.

Milchtritte, uralter Reflex – es gibt keine Milch, aber Berührung und Liebe, die nähren auch. Und so ist der Geruch meiner Bettwäsche für dieses berechenbar unberechenbare Geschöpf zeitlebens mit einer Portion Liebe verbunden. Was keine Einbahnstraße ist, wer je mit einer sonor schnurrenden Katze eingedöst ist, weiß, wie ich das meine. Das dauert solange, wie es dauert, meist nicht sehr lang. Irgend ein Geräusch, ein Knacken der alten Wände oder das Schurren von Schritten in der Nacht da draußen sorgen für ein abruptes Ende der Session.

Selbst bleibe ich noch ein Weilchen liegen, könnte ja sein, dass ich noch einmal abdrifte in den seltsamen Traum von gerade eben. Das funktioniert nicht, siehe oben, anstelle dessen nehme ich das Phon und schaue nach dem Leben der anderen, finde Spiegel und lese erst einmal nicht zu Ende. Besser aufstehen und schreiben, so unsortierte Dinge wie nun, in dieser Zwischenwelt, noch nicht wach und nicht mehr müde.

Oben auf dem Bücherstapel neben meinem Bett liegt von Stig Dagerman: Deutscher Herbst, ein längst vergessener Reisebericht von einem längst vergessenen jungen schwedischen Autor, der kürzlich wiederentdeckt und frisch ins Deutsche übersetzt wurde. 1946 in Deutschland.

Beistand und Zusammenhalt waren ihnen immer wichtig, den Kindern der Not. Sie waren 11 und 12 Jahre jung, 1946, zählten per Dagermans Definition damals mindestens zu den sehr Armen, die sich zu neunt ein winziges Zimmer teilen mussten. Es ging noch tiefer, in die überfluteten, eiskalten Keller der Ruinen, wo die ärmsten der Armen hausen mussten.

Beistand und Zusammenhalt also, so große Tugenden im gemeinsamen Leid. Und was noch? Das konnten sie mir nicht verraten, weil sie es selbst nicht so genau wussten. Vereint in der Not zu sein ist nicht gleichbedeutend mit einem erfüllten Leben, was immer das für den Einzelnen bedeuten mag. Milchtritte sind möglicherweise eines der zahllosen Werkzeuge auf dem Weg dahin, das Geheimnis eines erfüllten Lebens zu ergründen. Zumindest für Katzen.

Allein bin ich mit dieser Problematik offensichtlich nicht. In den (für mich) unseligen 90ern gab es mal ein Liedchen, das solch ein defizitäres Lebensgefühl gut beschrieb, in treibenden Sound gepackt zelebrierten das Tausende auf großen Festivals. Klingt immer noch gut, selbst zu dieser Unzeit.

Lyrics

Vielleicht besser doch noch eine Stunde Schlaf?

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Die Blase

Folgende Zeilen geben, wie immer, meine ganz persönliche Haltung wieder. Sie wollen weder belehren noch haben sie einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, auch wenn es sich so lesen mag.

Was ist eigentlich eine Blase? Ein Hohlkörper, der im Allgemeinen gut dehnbar, reißfest sowie in der Lage ist, eine Menge mehr oder weniger Nützliches aufzunehmen. Es gibt aber auch das Synonym der Blase als etwas Buntschillerndes, Verlockendes, Fragiles, das nur wenig über den tatsächlichen Inhalt oder die meist nur kurze Lebensdauer des Gebildes aussagt und in der Regel mehr Schein als Sein darstellt.

Die erste große Blase der neueren Zeit platzte 1945, in Sachen Deutschland über alles, es folgte Ende der 60er Jahre die Zweite, als die so genannten 68er die Alt-Faschisten an den Schaltstellen der Macht satt hatten und dem allgemeinen Taschen-füllen als allein selig-machende Maxime nicht mehr folgen wollten, ebenso nicht mehr dem verhassten miefigen, moralinsauren Katholizismus, dem beinharten Bete-und -Arbeite der Evangelikalen folgen wollten. Es folgten weitere Blasen, erst der Glaube an eine Alleinstellung in dem Welthandel im Zuge der Globalisierung dessen, später die Blase des Glaubens an eine friedlichere Welt nach 1990, die so genannte Immobilien- oder auch IT-Blase, also das Platzen der völlig überhöhten Wertstellung eines Themenbereiches.

Und heute? An der Stelle stockt mein Gedankenfluss ein wenig, so komplex sind die Auswirkungen dieses winzigen Etwas, das unser bisheriges Leben völlig auf den Kopf gestellt hat. Mehr oder weniger. Wenn eine Blase geplatzt ist, dann ist es die Illusion, man könne sich es bequem machen, in einer spirituellen Kuschelecke, und den Rest der Welt schlicht ausblenden, wenn er denn schon nicht zu ändern sei. Eine Flucht vor dem Leben, wie es nun mal ist – mir als ein Mensch mit Suchterkrankung nur zu vertraut. So etwas hält nur solange, wie es hält – bis zur nächstbesten Nagelprobe, sei es eine private Krise oder eine gesellschaftliche, wie wir sie gerade Pandemie-bedingt erleben.

Mein persönliches Fazit: Meine Spiritualität, mein Glaube muss sich mit der Wirklichkeit vereinbaren lassen, soll mir helfen, die Menschen zu verstehen, ohne an ihnen zu verzweifeln. Oder an mir selbst, außen wie innen. Was nicht das Potential hat, mich auch in rauer See zu begleiten, taugt nichts.

Im Außen kann ich mehrere Richtungen erkennen: Die einen werden zornig, stellen teilweise den Staat als Ganzes in Frage, ohne zu merken, wie sie von interessierten Kreisen politisch instrumentalisiert werden, indem sie Seite an Seite mit Vertretern eben dieser Kreise demonstrieren gehen. Die Mehrheit arrangiert sich mit den Einschränkungen, weil sie die Sinnhaftigkeit erkennen kann, allen politischen Irrlichtereien zum Trotz. Dazu zähle ich mittlerweile auch die Kontaktbeschränkungen via Rasenmäher, die sämtliche Wertschöpfungsketten zerschlagen. Wer seine Existenz gefährdet oder ruiniert sieht, kauft nichts mehr abseits des absolut Notwendigen. zahlt auch keine Steuern und Sozialabgaben mehr, von denen jeder Lehrer, jede medizinische Fachkraft, jeder Therapeut, jeder Beamte schlussendlich lebt. Von unseren Politikern erwarte ich mehr Differenzierung in Sachen Kontaktbeschränkung und vor allem, dass sie aufhören, dumm um etwas Rares, Kostbares, weil nur eingeschränkt Verfügbares mit den Pharmakonzernen feilschen zu wollen: Impfstoff – der einzige Weg heraus aus dieser Lage. Andere öffneten ihre Börsen und sind uns weit im Voraus, was die Impfquote angeht.

Alles in der Natur strebt nach Ausgleich der Kräfte, nach Gleichgewicht, selbst gewaltige Naturkatastrophen machen nichts anders. So in etwa wird es sich auch in der Gegenwart verhalten, glaube ich, der Ausgang ist derzeit ungewiss. Aber – was mir Hoffnung macht – , Viele Menschen, und sie werden nach meinem Empfinden stetig mehr, definieren sich als Menschen neu, abseits vom seelenlosen Konsum der Nachkriegszeit, abseits der besagten Kuschelecken, abseits von wie auch immer gearteter Religion, wobei diese im Kern eigentlich dabei nur unterstützen: Es wird bewusst, wie wenig Mensch eigentlich zu leben braucht, immer öfter wird gefragt, was wirklich zählt – mitten im realen Alltag wird einander öfter mal zugehört, praktische Hilfe geleistet, Spiritualität nicht zelebriert, sondern gelebt, meist unspektakulär und vergleichsweise leise, laut können die anderen zur Genüge. Wir sind allesamt enger miteinander verbunden, als es uns der Individualisierungstrend der letzten Jahrzehnte weismachen wollte – wirtschaftlich und vor allem menschlich.

Verbunden in unserer Verletzlichkeit.

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Brief an einen alten Freund

Wir hatten lange miteinander zu tun. Haben uns voreinander offenbart, uns gegenseitig in die Seele geschaut, wie Menschen das sonst im Alltag nur selten zulassen. Nicht nur das war es, was uns verband: Wir haben uns beide in den Dienst einer höheren Sache gestellt, ein gutes Stück losgelöst von unseren eigenen Lebensschwierigkeiten.

Dann kam Corona und die Gemeinschaft zerfiel, wie ein Spiegel, der in Tausend Stücke bricht, wenn er zu Boden fällt. Es gab Regeln und staatliche Vorgaben, wie mit der unsichtbaren Bedrohung umzugehen sei. Unterschiedliche Haltungen wurden offensichtlich, nicht nur bei uns beiden. Wir haben beide bei einer großen Social-Media-Plattform einen Account , ich bin allerdings nur selten dort präsent. Wenn ich alle paar Wochen mal herein schaue, klicke ich deinen Namen und schaue mir deine Postings an, in der Hoffnung auf eine Veränderung, die sich leider nicht erfüllt. Im Gegenteil, seit einiger Zeit teilst du Inhalte vom rechten Rand, deine Einträge sind voller Wut und Schmäh. Du hast Angst, beherrscht zu werden, nehme ich an. Weil ich dich ein wenig kennenlernen durfte, kann ich das verstehen, auch die Aggression, die sich damit aufbaut, mit der ich große Schwierigkeiten habe.

Auch ich habe meine Ängste. Das hängt mit meiner Geschichte zusammen, mit dem Riss, der durch die Sippe meiner Ahnen ging, das Leid, was sie sich gegenseitig zufügten. Das hängt mit der Zeit zusammen, die ein Vertreter deiner neuen Freunde als ein Vogelschiss in der Weltgeschichte bezeichnet hat. Aber das nur am Rande – im Grunde sind wir doch wieder gefordert, uns in den Dienst einer höheren Sache zu stellen, nur ist es dieses Mal nicht eine kleine verschworene Gemeinschaft, sondern unsere Gesellschaft als Ganzes. Dazu gehören nun mal auch Regeln, über die man diskutieren und streiten kann, ja. Unsere Politiker agieren leider viel zu oft aus Unsicherheit, Angst, Unwissen, Aktionismus und ja, leider sind auch einige wenige käuflich. Trotzdem kommen wir um Einschränkungen und Zumutungen nicht herum, wenn wir keine Verhältnisse wie in Amerika wollen, wo der Virus gemessen an der Einwohnerzahl fast doppelt so viele Menschopfer forderte, bis dahin. Allmählich scheint selbst dort ein Umdenken stattzufinden, Gott sei Dank.

Nichts wird wieder so wie zuvor, soviel ist klar. Das hat gesellschaftliche Gründe, aber in meinem Fall auch familiäre Gründe, die meine Zeit arg beschneiden. Was dich angeht – ich weiß, dass sich hinter all der Wut immer noch ein anderer Mensch verbirgt. Der Mensch, der mich in vergangenen Tagen an die Meditation herangeführt hat. Der Mensch, den ich für seine Verlässlichkeit und Verbindlichkeit hoch schätze. Der Mensch, dem ich für den Beistand, den er anderen Menschen am Ende ihres Weges leistete, großen Respekt zolle. Der Mensch, mit dem ich einen sehr schrägen Humor teilen konnte, dessen beim Lachen blitzende Augen ich noch gut in Erinnerung habe.

Wir sehen uns wieder, hoffe ich.

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Nikolaustag 2020

Der Wassertiger führt in letzter Zeit ein Schatten-Dasein, wird also Zeit, ihn wieder mal zu füttern. Die Wupperpostille, nebenan bei WordPress.com, nimmt viel Zeit in Anspruch, was einerseits viel Freude macht, aber diese eher private Nische hier ein wenig zu kurz kommen lässt. Sei`s drum. Heute bin ich wieder mal hier.

Was bewegt mich? Klar, das, was die meisten so umtreibt, in diesen Tagen. Ein kleiner Virus, der sich im doppelten Wortsinne atemberaubend schnell unter uns Menschen verbreitet. Selbst in meinem beruflichen Umfeld ist er mittlerweile angekommen, was mich ausgesprochen vorsichtig macht, im Umgang mit meinen Eltern. Um mich sorge ich mich dabei weniger, zähle zwar altersmäßig auch schon zur so genannten Risikogruppe, aber ich vertraue auf mein Immunsystem und den Willen meines Schöpfers, in Verbindung mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen.

Ich las es in der letzten Zeit schon öfter – auch anderen scheint es ähnlich wie mir zu gehen. Das Virus und seine Eigenschaften ist eines, der Umgang von uns Menschen damit gleicht nicht nur für mich einer spannenden Studie. So eine erdumspannende Seuche bringt aus den Einen das Beste hervor, während sich bei den Anderen nur dürftig verdeckte Abgründe auftun. Die Phase der ersten Erschütterung habe ich mittlerweile hinter mir gelassen, es trennt sich nun eben die Spreu vom Weizen. Die Einen sammeln sich, um dieser Herausforderung gemeinsam Herr zu werden und die anderen scharen sich um ihresgleichen, um möglichst alles wie immer schon so weiterlaufen zu lassen – keine Theorie und Demagogie ist ihnen zu kraus, die dabei helfen könnte. Alles nichts Neues, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

Und ich? Isolation ist für mich zunächst einmal nichts Neues. Als Kind war es freilich schlimm, eine ewige Außenseiter-Rolle zu haben. Später habe ich das zelebriert und gepflegt, mein vermeintliches anders-sein. Psycho nannten sie mich, mir war es recht. Hatte ich sie eben nicht alle, ab einem bestimmten Grad adelt selbst das, dachte ich. Das ging damals mit meiner Suchterkrankung einher, mit den dazu passenden Begleitumständen, Auftritten und „Nebenkosten“.

Lange her, das alles. Heute bin ich recht gerne allein, kann mich meistens selbst gut ausstehen. Seit einiger Zeit darf ich sogar allein arbeiten, nachdem mein berufliches Umfeld Anfang des Jahres arg reduziert wurde und ich das Glück hatte, bleiben zu dürfen. Jeder Tag ist heute gefüllt von Dankbarkeit, nunmehr befreit von Neid, Missgunst, Boshaftigkeit und Intrigen arbeiten zu dürfen. Keine Selbstverständlichkeit, wie sich gezeigt hat. Für mich wäre das so genannte Home-Office eine Auszeichnung, allein bin ich am kreativsten, muss ich dann doch auf keinerlei Befindlichkeiten meiner Mitmenschen Rücksicht nehmen. Das schließt Teamfähigkeit nicht aus, so nutze ich alle mir zur Verfügung stehenden Kanäle der neuen Zeit, um mit den anderen zusammenzuarbeiten. Leider ist das daheim-arbeiten in meinem Fall unrealistisch, da mein tägliches Werkzeug dank nicht unerheblicher Masse ein wenig immobil ist. Was den heute schon anachronistischen Luxus mit sich bringt, am Ende des Tages (hier mal ausnahmsweise nicht als Phrase gemeint) noch etwas in den Händen halten zu dürfen, was bis dahin nur als virtueller Datensatz sicht- und begreifbar war.

Geblieben ist weiter eine nur schwer zu beschreibende Sehnsucht nach Gemeinschaft, getragen von einem Gefühl der Zugehörigkeit. Im engeren Sinne bin ich reich beschenkt worden, was mein direktes familiäres Umfeld angeht. So bin ich heute tief dankbar für den Menschen an meiner Seite, mit dem ich meine tägliche Fristverlängerung teile, so gut ich kann. Dankbar auch für ein anderes Geschenk in Form meines großen Kindes, der seinen Weg als nunmehr junger Erwachsener recht zielstrebig geht. Dankbar auch für den mir möglichen Umgang mit meinen Eltern … alles keine Selbstverständlichkeiten, für mich.

Ziehe ich die Kreise weiter, sehe ich meine geistige Verwandtschaft. Menschen, die sich wie ich selbst auch als Erdenbürger, meinetwegen Kosmopoliten, begreifen. Menschen, deren Horizont über das Taschen-füllen um jeden Preis hinaus geht. Menschen, mit denen mich neben Humanität auch Glaube verbindet, dessen offizielle Titel mir übrigens sehr wurscht sind. Ich fühle mich mit jeden Menschen verbunden, der erkannt hat, dass es mehr gibt als sein eigenes Ego, in welcher Form auch immer. Solange es  dem gemeinsamen Auskommen und Wachstum dient. Was die Sehnsucht angeht, sie gehört offensichtlich zu mir. Und weil ich sie umarmen kann, hat sie ihren Schrecken verloren. Passend dazu habe ich das Liedchen weiter untern gefunden oder es mich, wie auch immer. Beschreibt es doch in seiner Übersetzung gut das alte „Fass ohne Boden“, das ich einst war, verbunden mit dem, was mich heute ausmacht. Viel Freude beim hören – und schön laut machen.

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Wesel – ein Kurzbesuch

Wir sind geschäftlich unterwegs, sozusagen. Hintergrund ist unser sehr kleines Auto mit nicht wirklich guten Möglichkeiten, ein Rad zu transportieren. Oben drauf mag ich nicht, hinten dran ginge, wäre aber recht teuer, und hinein geht selbst bei Demontage der Laufräder nicht wirklich ein ganzes Rad. Also soll es ein Faltrad sein, derweil ich in der unmittelbaren Umgebung so allmählich die meisten guten Wege kenne. Zudem kann man mit den Dingern (gefaltet) auch Bus fahren, ohne Gefahr zu laufen, von irgend einem eifrigen Fahrer stehen gelassen zu werden. So ein Teil, offeriert relativ günstig eben in Wesel, möchte ich gern erwerben.

Der Handel ist schnell getan und es geht an`s ausprobieren, was das verstauen im Auto betrifft. Nach einigen vergeblichen Versuchen habe ich den Kniff heraus, ein ganzes Faltrad klapperfrei in einem etwas größeren Handschuhfach verschwinden zu lassen – voilà, geht doch 🙂

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Das geschäftliche ist also getan, jetzt haben wir Zeit und können uns ein wenig umschauen. Die Innenstadt von Wesel ist nicht wirklich eine Reise wert, alles Nachkriegsbauten, selbst der Dom ist restauriert bzw .rekonstruiert, ebenso die Fassade des historischen Rathauses. Es gibt noch eine Zitadelle, die wir aus Zeitgründen aber aussparen. Wesel hat historisch eine lange Vergangenheit als Festung und Garnisonsstadt, was ihr gegen Ende des zweiten Weltkrieges im Zuge der letzten Schlachten fast vollständig die Existenz kostete.

Bei der Einfahrt in die Stadt nehme ich unweit unseres Standortes auf dem Navi Wasser wahr, das muss der Rhein sein. Das Wetter ist zwar stürmisch, aber etwas aufgelockert, und so gehen wir in der Aussicht auf ein paar gute Bilder zum Wasser. Wieder spüre ich die Macht dieses alten, riesigen Stromes, der sich hier auf der Zielgerade auf seinem Weg Richtung Nordsee befindet.

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Am Wasser sowie auf dem flachen Land fühle ich mich mit meiner höheren Macht am stärksten verbunden, warum auch immer. Der Niederrhein ist diesbezüglich genau richtig – die Jacke gut bis oben an geschlossen und den Kragen hoch geht es gegen den Wind, es ist ein unbeschreibliches Gefühl.

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Und wieder Zeitzeugen – die zum Kriegsende noch gesprengte alte Rheinbrücke zu Wesel, es muss einst ein mächtiges Bauwerk gewesen sein. Auf Wunsch des Militärs wurden weite Teile an Land nicht wie üblich auf Dämmen gebaut, sondern Hochwasser-unabhängig auf steinernen Viadukten, die heute noch vorhanden sind, leider für uns nicht gut sichtbar auf der anderen Rheinseite. Beim Anblick der Überreste überkommt mich wieder dieses wohlvertraute, beklemmende Gefühl, sowie die immer wieder spürbare Fassungslosigkeit der  letzten großen Katastrophe, die hier in Deutschland seinen Ursprung hatte.

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Lange her – andere setzen deutlich sichtbar wohlvertraute Zeichen der Liebe auf den Ruinen. Auch die Kunst kommt nicht zu kurz, der große Vogel hat, so scheint es, witterungsbedingt so etwas wie einen heiligen Schein.

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Zum Schluss noch Bilder, die für sich sprechen …

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Höre alten Leuten zu …

Der Titel stammt aus meinem Lieblingsgedicht von Joseph Beuys, „Lass`dich fallen“ oder auch „How to be an Artist“. Bei alten Frauen ist mir das meist recht leicht gefallen, viele von ihnen plaudern gerne, bei Gelegenheit. Ältere Männer sind anders. Die sind mehr für sich, glaube ich, in ihrer Welt aus reichlich Vergangenheit, der Gegenwart, und der sehr überschaubaren Zukunft.

Ausnahmen bestätigen das wohltuend, so wie heute Nachmittag. Getrieben von dem Wunsch, noch wenigstens ein Stündchen an die Luft zu kommen, in der Hoffnung, mein Kopfweh loszuwerden, fuhr ich bis zum alten Bahnhof Loh, an unserer Nordbahntrasse nebenan. Da saß er, mit schneeweißem Haar allein auf einer Bank unter dem alten Bahnsteigdach, schön im Schatten. Mit meiner hellen Haut liebe ich die Sonne auch nur begrenzt, also nehme ich neben ihm Platz.

Das Wetter – damit kommt man jetzt gerade immer in`s Gespräch. Toller Sommer, die armen Bauern, das wenige Getreide, aber das viele Obst. Was man alles heute gesund finden solle und wer da was von hätte. Früher war alles anders – eine Aussage, die ich mittlerweile nicht mehr spöttisch belächle, weil auch ich heute etwas von „früher“ erzählen kann, wenn auch nicht so viel.

Die vielen fremden Menschen hier im Land – wäre nicht gut. Flucht kennt er, bei Kriegsende war er gerade vier Jahre jung und mit seiner Mutter von Oberschlesien über Regensburg hier her gekommen. Dort in Regensburg trafen die beiden den Vater, frisch aus der Kriegsgefangenschaft. Ohne Internet und Telefon, so richtig mit Fügung, wie er sagt. Da hat jemand geguckt, für uns ...Er ist im übrigen etwas fassungslos, das jeder Flüchtling ein Mobilphon hat, wie das sein könne. Mein Einwand, das diese Dinger ja halt die einzige Verbindung zur Heimat seien, und somit teils wichtiger als ein paar Schuhe, nimmt er schweigend hin.

Er erzählt von seiner Flucht, von den Russen. Den schlimmsten Fehler, sagt er, den man machen konnte, war, die Haustür abzuschließen, wenn sie kamen. Dann wurden sie wild, wie er sagt, und brachten alle um, die sie vorfanden. Verstehen Sie das, fragt er mich und blickt mich durchdringend an. Ich nicke stumm. Seine Mutter wusste das und riss darum Türen und Fenster auf, wenn sie kamen. Er wurde von den Soldaten stets misstrauisch beäugt, der kleine blonde Junge. Germanski, sagten sie, aber nicht feindselig. Der Offizier schlief dann auf dem Bett, mit Stiefeln an den Füßen. Er solle sie ruhig ausziehen, sagt die Mutter irgendwann zu ihm, worauf ihr eindringlich klar gemacht wurde, dass man jederzeit mit den Deutschen rechnete … es stirbt sich halt schneller, auf Socken.

Wir erzählen eine Menge, sitzen bestimmt eine gefühlte Stunde zusammen, während der Wind unter dem Bahnhofsdach etwas frösteln lässt. Ich erzähle von meinen Eltern, die hier in der Stadt aufgewachsen sind. Drei Generationen, sage ich, braucht es, um wieder mit der Welt klar zukommen, nach solchen Kriegen. Das mein großes Kind der erste in unserer Familie ist, der emotional nichts mehr damit zu tun hat.

Der alte Mann erzählt von seiner längst erwachsenen Tochter, die in England studierte. Die EU heute, die Reisefreiheit, die Politik, Assimilation, (er nennt es nicht so, meint aber das gleiche), der Seehofer – der im übrigen ja nicht so ganz unrecht hätte, mit dem, was er sagen täte. Die AfD und ihre potentielle Mehrheitsfähigkeit in der Gesellschaft, die Brüder im Geiste bei der FDP, was die Wirtschaftspolitik anginge, und so weiter.

Eh wir uns versahen, waren wir bei Hitler und Göbbels. Er wäre fassungslos, das die Menschen die zwei damals so verehrten, dat waren doch zwei ausgesprochen schäbbige Kerle, meint er, während ich sinniere, dass Dämonen keinem Schönheitsideal entsprechen müssen. Überhaupt, die Äußerlichkeiten sind sein Thema. Die von der Linken da, das wäre ja `ne Granate, und der Oskar wäre ein echter Glückspilz – wir lachen beide herzhaft, auch wenn er der Meinung ist, dass die Wagenknecht ja in der falschen Partei wäre. Das will ich nicht weiter vertiefen, obgleich es schon eine Erörterung wert gewesen wäre, die Frage nach der richtigen Partei, So langsam drängt auch die Zeit zum Aufbruch.

Wir verabschieden uns, mir gefällt sein kräftiger Händedruck. Vielleicht sieht man sich wieder hier, sagt er und keiner fragt den anderen nach den Namen. Irgendwie unwichtig.

Begegnungen die ich mag, denke ich, und fahre entspannt heim.

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Karfreitag 2018

Heute ist also der so genannte stille Oster-Feiertag, an dem Jesu Kreuzigung gedacht wird. Weltlich gesehen war das zunächst einmal ein Gewaltverbrechen, ausgeübt von den damals herrschenden Machthabern, aus politischem Kalkül. Die Amtskirchen sagen, er sei für uns gestorben, hat unsere Sünden auf sich genommen und uns somit Zugang zum ewigen Leben ermöglicht. Glaubenssache eben.

Was macht das mit mir? Gut möglich, denke ich. Wobei die Bibel Menschenwerk ist, eine Produkt vieler Zeitalter, geschrieben aus dem Geist der jeweiligen Epochen heraus. Was mich zunächst skeptisch stimmt, weil das geschriebene Wort selten absichtslos entsteht. Dann ist es für mich als ein Mensch, der gerne um viele Ecken denkt, sehr verlockend, zu glauben, gut so – einer für alle, wie praktisch, dann könnte ich ja theoretisch haushalten nach Belieben, is`ja schon alles bezahlt. Das ist bestimmt des öfteren in vielen Köpfen so gelaufen, glaube ich. Allerdings funktioniert das nur scheinbar, da gibt es ja noch das Gesetz von Ursache und Wirkung, oder, einfacher gesagt, wie Du mir, so ich Dir. Das Leben antwortet mir, so oder so. Man nennt es Karma, ich mag dieses esoterisch besetzte Wort nicht, aber so ist es eben.

Vor nunmehr gut elf Jahren bin ich der evangelischen Kirche wieder beigetreten, trotz oder vielleicht auch gerade wegen aller Zweifel an dem geschriebenen Wort in dem dicken, alten Buch. Ein Schritt aus der tiefen Erkenntnis heraus, das es keinen Zufall gibt, im Leben. Aus Dankbarkeit heraus, überlebt zu haben, meine aktive Zeit als süchtiger Mensch. Aus dem Bedürfnis heraus, etwas zurück zu geben, ein klein wenig daran teilzuhaben, dass vielleicht die eine oder andere Einrichtung doch nicht geschlossen werden muss und weiter arbeiten kann, im Dienst am Nächsten. Und – für mich heute das wichtigste – ich fühle mich getragen und geborgen in meinem Glauben. Er hilft mir, mit meinen sicherlich immer noch zahlreichen Charaktermängeln klar zu kommen oder besser, sie wo immer möglich, loszulassen bzw. auf ein für mich und andere erträgliches Maß zu reduzieren.

Gerade, wenn Leben in manchen unruhigen Zeiten nur „auf Sicht“ möglich ist, hilft mir mein Glaube. Darüber hinaus denke ich, es schadet nichts, sich einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten anzuschließen, von denen der weitaus überwiegende Teil ernsthaft um eine etwas bessere Welt bemüht ist. Jede, jeder auf ihre, seine Weise. Dafür hätten sie ihn nicht gleich an`s Kreuz nageln und grausam langsam sterben lassen, denkt es in mir. Andererseits ist es für mich auch abseits vom Glauben eine realistische Vorstellung, dass es sich so zugetragen haben mag. Mein Bild von Jesus ist das eine aufrechten, durchaus auch streitbaren Menschen, der von göttlicher Liebe überzeugt war, Bigotterie und Doppelmoral verabscheute. Damit hat man eben nicht nur Freunde.

Als Ausrichtung taugt das, was er gesagt und gelebt haben soll, allemal, für mich. Von dem unrühmlichen Ende einmal abgesehen. Aber solchen Menschen sind eben sehr selten zu Lebzeiten noch Denkmäler gebaut worden …

Uns allen friedliche und ruhige Ostertage !