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Kinder ihrer Zeit

Dieser Tage war bei den Bad Gandersheimer Domfestspielen Premiere von Jesus Christ Superstar und wir hatten das Glück, daran teilhaben zu dürfen. Neben dem Genuss der vielen tollen schauspielerischen Leistungen auf der Bühne in sengender Hitze kamen mir Erinnerungen an die Zeit der Uraufführung 1971.

Wir waren damals noch keine 10 Jahre alt und hörten die „Großen“ auf den Schulhöfen und Straßen singen, Armee-Brotbeutel-behangen, die stolz den Titel des Stückes via dicken Filzstift trugen. Sie, die „Großen“, nannte man später die „68er“, also vielfach die Kinder der aktiven Generation des „dritten Reiches“, Kinder also von Tätern, Opfern, Mitläufern, die in hilfloser Wut erleben mussten, wie stark die junge Bundesrepublik in (Innen-)Politik, Verwaltung und Jura von den scheinbar Blitz-gewandelten Schergen des Faschismus geprägt wurde. Kinder, die auf ihre Weise mit diesen Zorn umgingen, laut feiernd so ziemlich alles auf den Kopf stellten, was den Alten heilig war und das so genannte „Establishment“, das „System“ verkörperte. Kinder, die mit den Jahren mehrheitlich ihre Ideale vergaßen und schneller „etabliert“ waren, als sie je befürchteten. Kinder, denen heute, anno 2015 vielfach die Gnade zuteil wird, zeitig in den wohlverdienten Ruhestand gehen zu dürfen.

Selbst bin ich sicherlich kein typischer Vertreter der so genannten „Generation x“, also die letzten geburtenstarken Jahrgänge bis hin zu den Anfang der 70er Geborenen. Dennoch war mein Verhalten damals so untypisch nicht, mit meinen Versuchen, die 68er rechts überholen zu wollen in Sachen F(f)este feiern. Mir und meinesgleichen ging es allerdings nicht um irgendwelche Revolutionen, sondern eher um den großen Rausch, um`s breit sein, um Rock`n Roll sowie alle Arten von weiteren Ausschweifungen. Uns war zeitig klar, das wir keine Gnade erfahren können, das wir die erste Generation sind, die ganz ohne Krieg lernen darf, was es heißt, sich reduzieren zu müssen. Nicht alle sind Gott sei Dank am Stoff hängen geblieben, aber alle, die nicht zeitig bremsen konnten, haben ihren Preis bezahlt. Wobei „zeitig“ durchaus dehnbar ist, siehe meine eigene Geschichte.

Zu meiner Geschichte zählt eben auch mein Glaube, zu dem ich allmählich gefunden habe in meinen trockenen Jahren, um dem Kreis wieder zu schließen. Darum stehe ich auch ein wenig zwiegespalten vor solchen Aufführungen wie Jesus Christ Superstar. Nicht, das ich meine religiösen Gefühle verletzt sehe oder dergleichen. Ein wenig fühlte ich mich auch an einen Gospel-Gottesdienst erinnert, der ja auch unserer zelebrierten Ernsthaftigkeit diametral gegenüber steht. Auf der einen Seite meine Erfahrung mit den Plänen Gottes, die mit unseren eigenen oft genug nicht viel zu tun haben. Die gewaltige Konsequenz, die er uns zukommen lassen kann für unser handeln oder unterlassen.  Andererseits ist das Leben ernst genug und Jesus war nicht nur Gottes Sohn, sondern eben auch der Menschen Sohn, was dem Ganzen seinen Schrecken nimmt.

Da ich trotz aller Mühe immer noch kein Heiliger geworden bin, erlaube ich mir am Ende noch einen kleinen Seitenhieb auf die 68er, sorry, liebe Gemeinde 😉

Viva la Revolution – war am Ende auch nur Opium…

Stachel im Fleisch 1

Es war irgendwann um 1968 herum, kurz vor oder nach meiner Einschulung. Die Stimme mit dem grünen Auge hatte gerade das Wohnzimmer verlassen müssen, das erste Transistor- Radio hatte Einzug gehalten. Meist lief Radio Luxemburg, was oft mit diversen Antennen-technischen Geduldprüfungen einher ging, da die Radio-Wellen nur schlapp bei uns im Tal ankamen. Radio Luxemburg hatte damals noch nicht den asigen Ruf von heute, sondern war eine gefragte Alternative zu den stinklangweiligen öffentlich-rechtlichen Sendern, von wenigen Ausnahmen dort mal abgesehen.

War mein Vater nicht da, lief die Kiste durch. In seiner Anwesenheit allerdings wurde der ganze neumodische Kram erst einmal aus- oder runter gedreht. Die Töne, die mir so sympathisch waren, in ihrem Kontrast zu den von meinem Vater so geliebten Heimat-Schnulzen und dümmlichen Schlagern. Pop-Musik eben oder in der Königs-Klasse Rock`N Roll.

Damals wusste ich natürlich nicht von solchen Band`s wie The Who oder den Stones. Von Woodstock schon gar nicht. Neben den viel versprechenden, fremden Klängen machten mich die Statements meines Vaters bezüglich der Musik und der neuen Zeit so ganz allgemein neugierig. Der war in seinem Innersten zutiefst erschüttert über die Welt da draußen. Revoltierende Studenten, die ersten Bombenleger, Straßenkämpfe, Randale. Rock`N Roll, das hörten für ihn nur die Gammler und Hasch-Raucher, wie er meinte, ohne mir das näher zu erläutern.

Irgendwie machte mir seine Ablehnung dieser ihm fremden Welt erst einmal Neugierde. Zumal es da noch diese Freundin meiner Mutter gab, mit ihren drei Kindern. Eines davon war seinerzeit bestimmt schon 16 oder so, also ein Jahrgang, den man heute als 68er bezeichnet. Lange Haare, Flicken-Jeans, rotzfrech und er hatte eine elektrische Gitarre samt Verstärker, mit der er wunderbaren Lärm produzierte. Einen Vater hatte der auch, allerdings nicht sein “richtiger”, selten zuhause, und wenn, dann mit Neigung zu Krawall. Jedenfalls war ich fasziniert von dem “Großen”, der kam mit seiner Gitarre dem mysteriösen Bild der verfluchten Gammler und Hasch-Raucher meines Vaters schon recht nahe.

Der Grundstein war gelegt, der Stachel im Fleisch saß. So wuchs ich also in die 70er Jahre hinein, dem Jahrzehnt, das an Schrägheit unübertroffen bleiben sollte. Laut, schrill, bunt, rückblickend mit seinen zahllosen Stilblüten an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Für einen mittlerweile 10-jährigen wie mich jedoch Faszination pur sowie absolutes Kontrastprogramm zum elterlichen Mikrokosmos.

* Fortsetzung *

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Stachel im Fleisch 2

Die 70er Jahre. Während bei Freunden schon Plattenspieler Einzug gehalten hatten (meist so ausrangierte Truhen aus den 50ern, 60ern) , musste ich mich vorerst noch mit einem Kassettenrecorder begnügen. Aufnahmen mit Mikrofon vom Radio und ständig der Ärger mit dem dazwischen-Gequatsche von Mal Sondock. Aber immerhin konnte man die Kratze mit raus nehmen und draußen aufdrehen, das ging.

Um 1972 herum zogen meine Eltern wieder einmal um, ich bekam einen neuen Nachbarn, vielleicht 4 Jahre älter als ich. Der lebte bei seiner allein erziehenden Mutter, hatte einen Plattenspieler sowie einen Bravo-Starschnitt von Suzi Quatro an der Tür, in Lebensgröße. Seine Bude wurde schnell mein zweites Kinderzimmer. Wir konnten ungestört Gary Glitter, Suzi & Co. hören und – rauchen ging auch, da seine Mutter ebenfalls qualmte, so hatte ich eine Ausrede für mein verstunkenes Zeug. Leider hielten diese seligen Zustände nicht all zu lange. Mit 13, glaube ich, nahm mich die Gang des Nachbarn mit zum saufen in den nahe gelegenen Talsperrenwald, was mir nur bedingt gut bekam. Der billige Rotwein aus den Zwei-Liter-Bomben machte mich Bewegungs-unfähig, die Burschen trugen mich aber netterweise noch bis vor die Haustür. Darauf hin fühlten sich meine Eltern verständlicher Weise genötigt, die Notbremse zu ziehen und erteilten mir Kontaktverbot mit dem spannenden Nachbars-Jungen.

Zuhause hielt sich das Verständnis für meinen Musikgeschmack in Grenzen. Poster aufhängen war z.B. nur eingeschränkt möglich. So hielt es Marc Bolan nur einen Nachmittag an der Wand, bis mein Vater ihn Abends entdeckte, entsetzt über mein neues Idol. Ganz konnten sich allerdings selbst meine Eltern nicht dieser Zeit entziehen. Immerhin waren sie damals im so genannten besten Alter von Mitte-Ende Dreißig und es gab ständig irgend etwas zu feiern im Familien-Freundes und Bekanntenkreis, der teils den Segnungen der Pop-Musik aufgeschlossener war. Und auch sonst. Gefeiert und reichlich getrunken wurde friedlich, laut und – lustig. Die tolle Stimmung an diesen Tagen stand im krassen Gegensatz zu der Alltags-Stimmung daheim, die ich damals als eher spannungsgeladen und geschwängert von einer getragenen Ernsthaftigkeit empfand. Ein leichtes Leben hatten die beiden jedenfalls nicht mit einander. Fatal sollten für mich die späteren Folgen dieses steten Wechsels der Stimmungen sein. Musik+saufen=lustig, so einfach schien das.

Anderswo schien die Welt lockerer zu sein. Einer meiner Schulfreunde hatte sein Zimmer ausstaffiert mit tollen ausrangierten Kram seiner Eltern inklusive Musik-Truhe, mit selbst gebastelten Boxen aus unzähligen Breitband-Lautsprechern vom Sperrmüll. Der wohnte damals nicht weit von hier nebenan auf dem Ölberg in einem alten Gründerzeit-Kasten. Wir hatten einigen Spaß mit einander, auch schienen seine Eltern bedeutend lockerer drauf zu sein als meine. Vor einigen Jahren trafen wir uns mal wieder und er versicherte mir, das seine Eltern damals sozusagen einen Schalter umlegten, sobald wer zu Besuch kam und es ansonsten ebenso eher wenig lustig war. Der schöne Schein eben.

Mit 15 war es dann endlich soweit. Ich wurde erhört und bekam die alte, ausrangierte Stereoanlage meines Onkels geschenkt. Tatsächlich habe ich ein Bild von dem Ding im Netz aufgetrieben, ein so genanntes Bolero-Studio von Telefunken, ohne Lautsprecher, was aber nicht weiter tragisch war. Wie man sich auf dem Sperrmüll mit dem Nötigsten versorgte, inklusive der Verdrahterei, das wusste ich ja.

 bolero

Nicht schön, aber laut war das Teil, und ich konnte endlich mein Taschengeld in Schallplatten investieren. Inspiriert vom Musikgeschmack meines Kumpels war meine erste Platte allerdings kein Pop, sondern handfester Psychedelic-Rock  von Pink Floyd. Wir waren begeistert von deren Musik zum Träumen, zum drauf abfahren und auch von dem perfektionistischen Gebaren der Band damals. Erste Eindrücke einer Parallel-Welt taten sich uns auf, eine Flucht, die mich lange begleiten sollte, auch wenn ich damals noch sehr wenig trank und Drogen mir (noch) komplett fremd waren. Die Musik jedenfalls war fantastisch und ist es bis heute geblieben:

 

Fortsetzung

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