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Dezember 2021

Ein riesiger Topf mit Hühnersuppe kocht langsam vor sich hin, auf dem Tisch liegt seit heute Mittag ein ordentlicher Stapel ungelesener Bücher. Kurzweil ist wichtig, wenn schon mit Aua zuhause. Nicht nur am Schirm, auch ganz klassisch auf Papier. Fehlt es an äußeren Ereignissen, so wie derzeit in meinem Leben, richtet sich der Blick nach innen. Die ewig langen Nächte tun ihr übriges, düster hier, ich zünde mal ne Kerze an.

Schon besser.

Ich kann nicht sagen, dass mir langweilig ist. Eher ist es so, dass ich auch solchen Zeiten etwas Gutes abgewinnen kann. Was mich bewegt, bewegt viele Menschen in meinem Alter. Das nahende Ende der Erwerbstätigkeit, die letzten Meter im Leben der Eltern. Partnerschaft, Familie, die letzten Reste alter Freundschaften. Schlechte Kunde tropft zäh wie Pech in einer fast schon kalkulierbaren Regelmäßigkeit in mein Leben. Es ist die Qualität der Zeit, meiner Zeit, meiner Gegenwart. Krankheit, Tod, und nicht immer sind es die (ganz) Alten, die es trifft. Nichts besonderes eigentlich, so geht es allen Menschen, früher oder später. Besonders für mich ist die teils brutale Klarheit, mit der ich all dies wahrnehme. Es gibt kein so vertrautes Ausweichen, keine Fluchtmöglichkeit.

Auch die mir so vertrauten Neigungen der allgemein aus dem Märchen bekannten Grinsekatze, deren Charakter auch ein Teil meines Wesens ist, helfen bei alledem nicht weiter. Das Ungefähre, Verschlüsselte, Wortverspielte, irrlichternd Beliebige in mir ist das der Grinsekatze vertraute Terrain. Das, was vor mir liegt, ist außerhalb dieses Revieres. Dort wird die Luft dünner und die Gesellschaft spärlich. Tiger-Revier passt besser, analog zu meinem Geburtsjahr. Zwei Katzen-Wesen, die erst einmal nicht viel miteinander zu tun haben, aber doch zusammengehören, für mich. Auf dass die Grinsekatze ein wenig verbindlicher wird und der Tiger das Leben ein wenig leichter nehmen kann. Beide sind, so Gott will, lernfähig, jeder aus seine/ihre Weise. Und mit den Jahren sogar gute Freunde geworden.

Gott ist besser als nichts, so schrieb mir eine Freundin gerade eben in einem Kommentar, nebenan, bei wordpress.com, der virtuellen Heimstatt der Grinsekatze. Stimmt, der ist immer da, selbst, wenn ich ihm den Rücken zudrehe. Und ein wenig grinsen muss ich auch, wenn mich Menschen daran erinnern, die sonst von weitem betrachtet eher als mögliche Agnostiker durchgehen würden.

Niemand ist eine Insel, auch, wenn es sich zeitweise so anfühlt.

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Brief an einen alten Freund

Wir hatten lange miteinander zu tun. Haben uns voreinander offenbart, uns gegenseitig in die Seele geschaut, wie Menschen das sonst im Alltag nur selten zulassen. Nicht nur das war es, was uns verband: Wir haben uns beide in den Dienst einer höheren Sache gestellt, ein gutes Stück losgelöst von unseren eigenen Lebensschwierigkeiten.

Dann kam Corona und die Gemeinschaft zerfiel, wie ein Spiegel, der in Tausend Stücke bricht, wenn er zu Boden fällt. Es gab Regeln und staatliche Vorgaben, wie mit der unsichtbaren Bedrohung umzugehen sei. Unterschiedliche Haltungen wurden offensichtlich, nicht nur bei uns beiden. Wir haben beide bei einer großen Social-Media-Plattform einen Account , ich bin allerdings nur selten dort präsent. Wenn ich alle paar Wochen mal herein schaue, klicke ich deinen Namen und schaue mir deine Postings an, in der Hoffnung auf eine Veränderung, die sich leider nicht erfüllt. Im Gegenteil, seit einiger Zeit teilst du Inhalte vom rechten Rand, deine Einträge sind voller Wut und Schmäh. Du hast Angst, beherrscht zu werden, nehme ich an. Weil ich dich ein wenig kennenlernen durfte, kann ich das verstehen, auch die Aggression, die sich damit aufbaut, mit der ich große Schwierigkeiten habe.

Auch ich habe meine Ängste. Das hängt mit meiner Geschichte zusammen, mit dem Riss, der durch die Sippe meiner Ahnen ging, das Leid, was sie sich gegenseitig zufügten. Das hängt mit der Zeit zusammen, die ein Vertreter deiner neuen Freunde als ein Vogelschiss in der Weltgeschichte bezeichnet hat. Aber das nur am Rande – im Grunde sind wir doch wieder gefordert, uns in den Dienst einer höheren Sache zu stellen, nur ist es dieses Mal nicht eine kleine verschworene Gemeinschaft, sondern unsere Gesellschaft als Ganzes. Dazu gehören nun mal auch Regeln, über die man diskutieren und streiten kann, ja. Unsere Politiker agieren leider viel zu oft aus Unsicherheit, Angst, Unwissen, Aktionismus und ja, leider sind auch einige wenige käuflich. Trotzdem kommen wir um Einschränkungen und Zumutungen nicht herum, wenn wir keine Verhältnisse wie in Amerika wollen, wo der Virus gemessen an der Einwohnerzahl fast doppelt so viele Menschopfer forderte, bis dahin. Allmählich scheint selbst dort ein Umdenken stattzufinden, Gott sei Dank.

Nichts wird wieder so wie zuvor, soviel ist klar. Das hat gesellschaftliche Gründe, aber in meinem Fall auch familiäre Gründe, die meine Zeit arg beschneiden. Was dich angeht – ich weiß, dass sich hinter all der Wut immer noch ein anderer Mensch verbirgt. Der Mensch, der mich in vergangenen Tagen an die Meditation herangeführt hat. Der Mensch, den ich für seine Verlässlichkeit und Verbindlichkeit hoch schätze. Der Mensch, dem ich für den Beistand, den er anderen Menschen am Ende ihres Weges leistete, großen Respekt zolle. Der Mensch, mit dem ich einen sehr schrägen Humor teilen konnte, dessen beim Lachen blitzende Augen ich noch gut in Erinnerung habe.

Wir sehen uns wieder, hoffe ich.

2021-03-07 08_44_52-Mediathek ‹ wupperpostille — WordPress – Opera

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Veränderung

Loslassen – klingt abgedroschen. Lerne loszulassen, klingt es allerorten, in Zeiten der Unverbindlichkeit. Zeiten der Umbrüche, des Wandels. Eigentlich habe ich mir in dieser Disziplin eine gewisse Routine erarbeitet, mit den Jahren. Angefangen mit dem klassischen Loslassen zeitweise lieb gewonnener Frauen, mal ging die Initiative dazu von mir aus, mal vom Gegenüber. Der damit verbundene Schmerz war derselbe, bis auf das letzte Mal und das war neu. Größer als der Schmerz, als das uralte Gefühl, allein gelassen zu werden, war ein bis dahin unbekannte, gewaltiges Gefühl der Befreiung von alten Mustern, von Kapitulation vor dem eigenen Beziehungsmuster – ein Gefühl von Freiheit.

Was zu mir gehört, findet mich und bleibt. Auch so eine Weisheit, die unzählige Male schon zu lesen war und ist, aber sie passt. Loslassen inbegriffen, nur verlagern sich jetzt die Themen. Fort von den Irrtümern und Verwirrungen, den alten Sehnsüchten und dem erlernten Schrott, der mir zwar lange eigen war, aber nie wirklich zu mir gehören sollte, hin zum letzten loslassen, der Kapitulation vor unserer Endlichkeit. In letzter Konsequenz hin zum sich-von-sich-selbst-verabschieden. Das schwingt derzeit immer mit, bei mir, aus gegebenen Anlass in der Familie. Andererseits spüre ich gerade, wie schwer mir das loslassen auf gesellschaftlicher Ebene fällt, fort von einer Gemeinschaft, die mich zwei Jahrzehnte getragen hat, die der ehemals anonymen Alkoholiker.  Gib`es weiter, sagten sie. Das werde ich nach Möglichkeit auch weiterhin tun, nur eben nicht in mehr oder weniger geschlossenen Zirkeln und schon gar nicht unter Preisgabe meiner vollständigen Daten bei jedem Treffen. Es findet sich …

Alles hat seine Zeit, persönliche wie auch gesellschaftliche Bindungen. Was davon bleibt, ist der spirituelle Boden, auf dem ich mich dank der vielen Jahre bewegen darf, sowie einige persönliche Kontakte, die die sich lösende Gruppenbindung zu überdauern scheinen. Der größte Gewinn aus dieser Zeit aber ist mein wiedergefundenes Vertrauen in meine höhere Macht, die über meinen letzten Atemzug hinaus bei mir sein wird. Sie lässt mich niemals los.

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Am See

Ein Zeltplatz, sehr schön gelegen an einem Bergsee irgendwo in Österreich. Er liebt das zelten mit den Eltern, die hier einiges anders sind als daheim. Weniger nervös und angespannt im Umgang miteinander, sie lassen ihm auch viel mehr Freiheiten als daheim. Kinder sind reichlich dort, auch in seinem Alter, also um die 8 oder 9 Lebensjahre vielleicht. Mal gibt es Tagesausflüge mit den Eltern, aber die meiste Zeit sind sie am See.

Daheim hat er kaum Freunde, dem kleinen Jungen fällt es sehr schwer, auf andere zu zugehen. Beim Camping ist das irgendwie alles anders, schnell findet er Kontakt mit den anderen Kindern am Platz. Dieses Jahr ist es allerdings wieder anders als in den Jahren zuvor. Ein paar Wohnwagen weiter campiert eine Familie mit einem Mädchen in seinem Alter, ebenso augenscheinlich ohne Geschwister. Die beiden finden schnell zueinander und verbringen ihre gesamte „freie“, also elternlose Zeit gemeinsam. Sei es mit gemeinsamen kleinen Ausflügen auf der bergwärts gelegenen Alm, die man so fein herunter rollen kann oder sei es direkt am Wasser, wo man am Ufer zwischen den Bäumen so herrlich spielen kann. Sie sind unzertrennlich, jeden Morgen nach dem Frühstück treffen sie sich, und selbst des Abends sind sie bis zum Anbruch der Dunkelheit noch für sich, derweil die Alten ebenso zusammen hocken, bei Kartenspiel, Grill und vielen Geschichten.

Es kommt, wie es kommen muss. Das Ende der Urlaubszeit naht und die Heimreise steht an. Es fließen Ströme von Tränen auf beiden Seiten und dann kehrt ein jeder dorthin zurück, wo er sich zuhause nennt. Der kleine Junge trauert noch ein Weile und „vergisst“ dann dieses schöne Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Zuneigung und Freundschaft. Er schaut die beiden, die ihm sein späteres Bild von Mann und Frau vorleben, lernt von den beiden, lernt früh, sie zu fürchten, später dann zu verachten, manchmal auch zu hassen und sehr viel später dann, zu vergeben.

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Gefühle können nicht vergessen werden, weiß der damalige kleine Junge heute. Sie sinken herab und schlafen nur, dringen nicht mehr in dem Bereich des Lebens, den wir Bewusstsein nennen. Sie lassen Menschen suchen, mitunter süchtig werden und die abenteuerlichsten Irrwege gehen, die furchtbarsten Verwechselungen durchleben, um vielleicht irgendwann wieder überraschend an`s Licht kommen zu dürfen.

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Von Gestern und von dieser Zeit

Dieser Tage sah ich dich in den lokalen Nachrichten. Du gabst einen großen Teil des Erlöses aus dem Verkauf eines alten Kunstwerkes an ein Projekt in Südamerika. Dort, im Fernsehen, sah ich dich schon öfter, auch im Kontext mit der Hilfe an Kriegsflüchtlinge.

Das ist schon bewegend, dich nun, 2017, so lebendig vor mir zu sehen. Und – keine Sorge, ich komme jetzt nicht mit weißt-Du-noch und so. Das letzte Mal sahen wir uns vor gut 25 Jahren und miteinander zu tun hatten wir bis vor über 30 Jahren mittlerweile. Waren wir Freunde ? Irgendwie schon, wenn auch nicht auf Augenhöhe, damals. Zwei verletzte Seelen, die sich einig waren in ihrer Gier auf Rausch. Damals habe ich dich bewundert, für deine Erfolge, und auch beneidet, für deine Möglichkeiten.

Gescheitert sind wir beide, so scheint es, grandios. Die Frau an deiner Seite auf dem Schirm ist wohl ebenso wenig die Mutter deiner Kinder wie die Meine. Die Website des ehemaligen väterlichen Betriebes deinerseits ist schon lange nicht mehr zu erreichen. Vor Monaten kam ich bei Dir lang, an der Mauer der ehemaligen Fabrik kündeten neue Schilder von anderer Nutzung. Vielleicht lebst Du nun als Privatier, ich gönne es Dir von Herzen, weil ich heute eine Ahnung davon habe, wie sehr Du unter deiner Geschichte gelitten haben musst.

Mit den Jahren habe ich echte Arschlöcher kennengelernt. Millionenschwere Arschlöcher, die sich nicht zu schade waren, um den Preis in einer Eisdiele noch zu feilschen. Um so wohltuender empfinde ich es, zu sehen, dass jemand wie Du teilen kann. Neben deinem fetten Ego damals hattest Du immer schon ein gutes Herz und viel Mitgefühl für Menschen, denen es schlechter ging als Dir.

Wir leben nicht weit von einander entfernt, und doch weit weg vom anderen. Alles hat seine Zeit, wir hatten unsere. Für mich war sie wichtig, aus mehreren Gründen. Wenn ich dich heute überraschend wiedersehe, auf dem Schirm abends, dann freue ich mich für dich. Respekt !

So ganz verkneifen kann ich es mir allerdings doch nicht, mich schlussendlich an unseren damaligen, gemeinsamen derben Humor zu erinnern, auch, wenn bei einem solchen Musikgeschmack das scheitern, zumindest im privaten Bereich, vorprogrammiert ist.

Du wirst es mir nachsehen, bestimmt 🙂

*

 

Nachgerufen (2)

An deinem vorletztem Tag vor einem Jahr hatte ich Gelegenheit, mich von Dir zu verabschieden. Danke zu sagen. Du konntest kaum mehr sprechen und mein Herz war unendlich schwer, dich so zu sehen. Worte haben in solchen Augenblicken keine Bedeutung mehr. Darum jetzt und hier ein zweiter Versuch.

Mal davon abgesehen, dass wir uns in Sachen Neptun`sche Traumwelten sehr verbunden waren und einen ähnlichen Musik-Geschmack hatten – weißt Du, was darüber hinaus dauerhaft in meiner Erinnerung geblieben ist?

Dein bedingungsloses JA ohne Aber.

Das habe ich bis dahin nur selten erlebt. Ich, das übergewichtige Unkind mit den langen, fettigen Haaren und der unmöglichen Hornbrille. Schüchtern, total gehemmt, umgeben von einer von Angst beherrschten, inneren Welt, die nur im Suff erträglich wurde, damals. Mit 16. Heute würde man mich Nerd rufen, damals nannte man mich Psycho, was auch irgendwie passend war. Ein Psycho-Nerd also, der gerade das kalte Wasser der Schulzeit mit dem noch kälteren Wasser des beginnenden Berufslebens gewechselt hatte. Der nah am Wasser gebaute, der stets als letzter bei der Zusammenstellung der Völkerball-Mannschaft gerufen wurde.

Komm`mit, hast Du gesagt, und mich so genommen, wie ich war. Klingt für die meisten Menschen selbstverständlich, ich kann Dir versichern, das war es nicht und ist es nicht.

Danke nochmal.

Wespennester

In`s Blaue geschossen
und getroffen
Seit wann eigentlich
tarnen sich Wespennester blau ?

Deine Wahrheit
von mir gefühlt
hat schon die Farbe meines Denkens

Gewünscht habe ich Dir
was mir wichtig
Gut gemeint aber eben nicht Deines

Mein Wille
ist nicht Gottes Wille

Da gibt es anderes zu entdecken
für dich
etwas, was mir längst vertraut
soll nun auch dein Leben bereichern

Du schweigst sehr laut
Dein gutes Recht

Erfüllung und Erkenntnis
Das wünsche ich Dir
Mein Freund