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Brücken und Zugehörigkeit

Eine Brücke ist ein Konstrukt, das zwei Orte miteinander verbindet, die ansonsten zueinander nicht oder nur mit großen Umwegen und Hindernissen erreichbar wären. Der Verstand kann eine solche Brücke sein, wenn er nicht zu sehr andersweitig in seiner Rolle als Werkzeug im Alltag beschäftigt ist. Oder – was noch hinderlicher ist, wenn er seinem Träger einzureden versucht, er sei sein Verstand. Kommt so selten nicht vor, vor allem bei übermäßigen Gebrauch macht er sich gerne wichtiger, als er ist und wirkt so wie eine Windmaschine für das Ego, welches sich in der Folge künstlich aufbläht.

Wenn der Verstand also von seinem Alltagsaufgaben temporär befreit ist, dann darf er manchmal eine Brücke sein. Eine direkte Verbindung zwischen der Seele seines Trägers und der Außenwelt, im Idealfall. Oft genug drängeln sich andere vor, jede Art von Emotionen und natürlich das Ego. Geht auch in Ordnung, solange der Verstandesträger verinnerlicht hat, er ist nicht seine Emotionen und schon gar nicht sein Ego.

Worte gehen beim schreiben über diese Brücke, formen Sätze, Geschichten und können das Innere des Schreibers wohldosiert in die Welt tragen.

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Manchmal staune ich, was mir für kleine Episoden im Gedächtnis haften geblieben sind. Momente, die sich kurz nach der magischen Erinnerungsgrenze von drei Jahren zugetragen haben müssen. So dieser Moment damals, an der Hand meiner Mutter. Ich hatte mitbekommen, dass die Menschen einander grüßen, wenn sie sich begegnen. Was ich noch nicht verstanden hatte, die meisten jedenfalls kennen sich irgendwie, irgendwoher. Und so dachte ich, es müsse so sein und grüßte fröhlich jeden, der des Weges kam, wurde tatsächlich von den meisten auch zurück gegrüßt. Bis eines Tages meine Mutter ihrem vermeintlich verhaltensauffälligen Kind zu verstehen gab, es sei nun genug, mit der Grüßerei. Fremde Leute und so, die grüßt man nicht, zumindest nicht in der Stadt. Im Wald schien das anders zu sein, hier grüßte jeder freundlich jeden. Sehr seltsam jedenfalls für einen Dreijährigen, der ab nun nicht mehr drauflos grüßte, aber die Welt nicht so recht verstand. Es schien Unterschiede zwischen den Menschen zu geben…

Mittlerweile sind ein paar Jahre mehr ins Land gezogen und das mit dem grüßen ist eine Sache der Tagesform, des Bekanntheitsgrades und der Begegnungshäufigkeit. Sieht man weniger seinesgleichen, wird eher schon mal gegrüßt. Soweit, so gut. Die Zeit der großen Entfremdung von der Welt ist auch schon lange her, auch wenn sich dieses alte Gefühl ab und zu noch breitmachen möchte. So ist der Schreiber zwar viel und oft mit sich allein oder auf seine arg fragmentierte Rest- Kern- Rumpf-Familie reduziert, was nicht ungewöhnlich ist, gerade beim älter-werden. Geblieben ist ein starkes Interesse an Gemeinschaften aller Art, vorzugsweise menschlicher Natur, aber auch religiös oder politisch, die natürlich das menschliche nicht ausschließen dürfen. Ich lese öfter von anderen Lebensformen, gerne auch aus der so genannten queeren Kommunity, die auch ein Regel-basiertes Miteinander pflegt, nur eben anders. Vereinsmeiereien dagegen erwecken erst mal Argwohn, scheinen sie doch oft vom eigentlichen Zweck abweichend schiere Ego-Pflegewerke zu sein. Magie dagegen scheinen Gemeinschaften zu besitzen, die ein gutes Maß Selbstlosigkeit pflegen und in denen ein jeder nach Kräften für seinen Nächsten einsteht.

Tja. Was macht Mensch nun mit der uralten Sehnsucht nach Zugehörigkeit? Er fühlt sich als Kosmopolit, einerseits, und andererseits als Teil des Großen und Ganzen, heute, verbunden mit der Hoffnung auf näheren Anschluss im nunmehr fortgeschrittenen Lebensalter. Das wiederum bedingt ein gutes Maß Teilnahme an der Welt, was dem Höhlenbewohner nicht immer leicht fällt. Zeit ist auch so ein Ding – und – entschieden werden sollte sich auch beizeiten, das macht der Verstand so schwer, mit seiner ewigen Abwägerei. Und hier schließt sich der Kreis in diesem Eintrag, weil – Chef ist er nicht, der Verstand.

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Vom ersten und vom zweiten Eindruck

Er ist ein großer, massiger Mann, den ich nicht unbedingt mochte. Irgendwie immer etwas zu laut, etwas zu distanzlos in seiner Art und zumindest von außen betrachtet auch nicht übermäßig kompetent. Ein Mensch, mit dem ich die Tageszeit wechsele und ansonsten meinen Abstand wahre. Eine sachliche Distanz, verbunden mit einer gewissen Contenance, und, wenn es sein muss auch mit kurzzeitigen aggressiven Einsatz, ist für mich die Voraussetzung für Frieden und Abstand im beruflichen Haifisch-Becken. Private Kontakte sind damit logischer Weise eher selten und beschränken sich, wenn dann, auf den unmittelbaren Nächsten.

Manchmal allerdings durchbrechen Menschen meinen Abstand, nicht mit Gewalt, die ich nicht zulasse, sondern indem sie mich berühren. Manchmal überraschend tief bewegen, in ihrem Mensch-Sein. So wie oben genannter Kollege eben.

Eines seiner Kinder ist schwer behindert und sitzt im Rollstuhl. Bei irgend einer betrieblichen Feier sind auch Angehörige mit dabei, eben auch sein krankes Kind. Man steht und sitzt umher, nippt an allerlei Getränk und Fingerfood, pflegt den üblichen, oberflächlichen Austausch. Das Kind im Rollstuhl hat schwere motorische Störungen und kleckert mit seinem Getränkebecher. An den Stehtischen wird getuschelt. Da steht dieser große, massige Mann auf, positioniert sich gut sichtbar vor allen anderen und kippt sich wortlos seinen vollen Getränkebecher in den eigenen Schritt, worauf das Getuschel endgültig verstummt.

So eine Form von Solidarität berührt mein Herz zutiefst. Gerade bei einem Menschen, von dem ich dies nie vermutet hätte. Heute sehe ich besagten Mann anders, bin auf eine Weise auch dankbar für die mir erteilte Lektion.

Respekt !

 

Warum ich auf meinen Freund Farhad stolz bin

Ein Blick in den Kühlschrank sagt mir, das der Ingwer zur Neige geht. Das ist im Winter gar nicht gut, also radle ich bei meiner samstäglichen Einkaufs-Runde am Neumarkt vorbei, meinen Freund Farhad  besuchen, der dort einen vortrefflichen Verkaufsstand führt. Oft tragen wir die gleiche Kopfbedeckung, aber das ist es natürlich nicht allein, was ich an Farhad schätze. Auch unterhalb des französischen Deckels gibt es gewisse Parallelen, und so freue ich mich, ihn bei bester Gesundheit in seinem Wagen anzutreffen.

Wir begrüßen uns freundlich und neben dem exzellenten jamaikanischen Ingwer findet sich Zeit zum plaudern. Ein wenig Zeit nehmen wir uns immer, wenn nicht gerade eine lange Schlange Kunden wartet, aber gestern war ich glücklicherweise etwas später dran, so das der große Run schon vorüber war. Zu erzählen gibt es immer etwas, was macht zu Hause, alles gesund, die Frau, Kinder, das Leben, die Kommunal-Politik, die große Politik, Zeitgenossen, nette und weniger nette. Von der letzten Kategorie hatte Farhad  an diesem Samstag morgen leider schon Besuch, und so höre ich erst staunend, dann zunehmend empört und am Ende laut lachend, was sich so zugetragen hat, an seinem Verkaufsstand.

Ein elegant gekleideter Herr erscheint in Begleitung seiner Familie und schaut sich wortlos die Auslagen an. Mein Freund Farhad begrüßt ihn höflich und freundlich, wie er das mit allen Menschen zu tun pflegt, die ihn besuchen. Der Herr reagiert nicht, hat womöglich nichts gehört und so wiederholt Farhad seine Anrede. Wieder kommt keine angemessene Reaktion, dafür ein ausgestreckter Arm auf ein Objekt der Begierde in den Auslagen mit dem kalten Vermerk: „Davon„. Farhad denkt sich seinen Teil und fragt einfach mal nach. Warum der Herr nicht grüße, so einfachen Formen der Konversation wahre, er hätte ihn ja schließlich bereits zweimal angesprochen. Dafür hätte er keine Zeit, entgegnet der Herr, und wieder zückt der Arm mit dem gestreckten Zeigefinger vor: „Davon„. Selbst das Wort Bitte ist ihm fremd.

Farhad bedauert, ihm mitteilen zu müssen, das gewünschter Artikel leider ausverkauft sei und erklärt im gleichen Satz seine gesamte, prall gefüllte und weithin mit der Nase wahrnehmbare Auslage für ausverkauft. Der vornehme Herr wechselt die Farbe, tönt irgend etwas von Unverschämtheit und will Namen und Rufnummer Farhad`s Arbeitgebers, er würde noch von ihm hören. Farhad reicht ihm freundlich lächelnd eine Broschüre, mit dem Vermerk, dort könne er jederzeit anrufen. Sein Gegenüber steckt das Papier weg, ohne genau hinzuschauen. Hätte er das getan, währe ihm wahrscheinlich Farhad`s Bild auf der Rückseite aufgefallen und hätte ihm weitere Peinlichkeiten vielleicht erspart. So allerdings geht das Theater weiter und das Ordnungsamt wird angedroht. Farhad bietet ihm an, einen Moment zu warten, selbige kämen um diese Stunde regelmäßig hier vorbei schauen, da könne er sich dann gern beschweren. Im übrigen lebe er in einen freien, demokratischen Land und könne sich, Gott sei Dank, aussuchen, an wen er verkaufe und an wen eben nicht. Woraufhin der unangenehme Geselle mit seiner Mischpoke endlich wutschnaubend verschwindet.

Im Anschluss an diese Geschichte kommt Farhad aus seinem Wagen hervor und wir umarmen uns zur Verabschiedung Schulter-klopfend. Er ist für mich einer der größten kleinen Männer, die ich kenne, was erst auffällt, wenn er vor mir steht. Respekt vor soviel Contenance, solch ein Arschloch wie den vornehmen Herrn nicht als selbiges zu titulieren, wie es mir möglicherweise geschehen wäre.

Alle Achtung, Farhad, bleibe, wie Du bist!

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