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Vergebung

So gerne hätte ich dir das persönlich gesagt, aber das sollte wohl nicht sein. Vor Jahren suchte ich deinen Namen auf einer dieser Plattformen, wahrscheinlich haben die allgegenwärtigen Algorythmen dann dafür gesorgt, das dir der meine präsentiert wurde. Ob es nun in meine Richtung ging, ich weiß es nicht genau, aber möglich ist es, dass du mich meintest, in einem deiner Beiträge, in dem du davon schriebst, dass es Menschen gäbe, deren Namen man noch nicht einmal ertragen könne. Ich hätte mich gefreut, wenn es dir gut ginge, leider wiesen deine öffentlichen Einträge eher in eine andere Richtung.

Sehnsucht nach Nähe – die gab es, damals, als wir uns kennenlernten, vor über 3.5 Jahrzehnten. Wir zogen uns an, Gleiches sucht und findet Gleiches, zwei verlorene Kinder, die sich in ihrer Bedürftigkeit in nichts nachstanden, auch wenn deren Erscheinungsformen recht verschieden waren. Ich konnte dich nicht sehen, gefangen wie ich war zwischen Arbeit, Abendschule und der Befriedigung meiner Sucht. Andere sahen dich, wie liebevoll du mit Kindern umgehen konntest, während ich fortlaufend beschäftigt war. Die Rechnung dafür habe ich bekommen und angenommen.

Eine Wiedergutmachung im Sinne des neunten Schrittes, ohne den vergangenen noch weitere Verletzungen hinzuzufügen, ist unmöglich, damit muss ich leben. Du wirst mir nicht vergeben können, zu viel ist damals geschehen. Damit legte ich den Grundstein für mindestens einen weiteren Menschen, der mir aus ähnlichen Gründen bis heute unversöhnlich gegenüber steht. An mir ist es heute, zu schauen, dem so entstandenen Trümmerfeld nicht noch mehr Schutt hinzuzufügen, Wiedergutmachung indirekt an Dritte zu leben und – mir selbst zu vergeben.

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Lange her

Der Winter ist eine reizarme Zeit, im Lockdown erst recht. Die Zahl der Menschen, denen man willentlich in freundschaftlicher Absicht begegnen möchte, ist, vorsichtig formuliert, überschaubar. Was liegt also näher als mal zurück zu schauen, bevor manche Bilder gänzlich im gedanklichen Nirvana verschwinden. Na dann.

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1983, zwischen den Feiertagen am Jahresende.

Gerade 21 Jahre jung, bestand mein Lebenszweck aus hemmungslosen Besäufnissen, mein spiritueller Mittelpunkt waren kleine Plastiktütchen mit Gras, kombiniert mit Portwein, vorzugsweise, wenn ich ihn mir leisten konnte. Meine Gesellschaft war dem entsprechend, Gleiches findet immer Gleiches. Jochen zum Beispiel. Den kannte ich von der Arbeit, er lag in den letzten Zügen seiner Ausbildung in der Werkstatt, wo ich meine ersten Berufserfahrungen sammeln sollte.

Jochen hatte Verwandtschaft an der damaligen Zonengrenze, ein Dorf irgendwo bei Lüchow-Dannenberg, dem Ende unserer westgermanischen Welt. Onkel und Tante, glaube ich, und laut Jochen trinkfeste sowie gastfreundliche Menschen. Das klang gut. Knapp 400 Km vom Tal der Wupper entfernt, lag unser Reiseziel nicht nur geographisch um Lichtjahre weiter von uns fort als zum Beispiel die Niederlande, das gelobte Land in unserer jugendlichen Vorstellung. Ich war sofort begeistert, als die Rede auf einem möglichen Besuch kam. Besäufnisse in fremden, aber vertrauenswürdigen Gefilden, verbunden mit neuen Eindrücken und potentiell freundlichen Menschen – genau richtig zur Einstimmung auf den anstehenden Jahreswechsel. Blieb die Frage nach dem Vehikel der Wahl, um die große Fahrt zu bewerkstelligen. Auto fahren war jedem von uns immer extrem wichtig, schnell hin und schnell weg, darauf kam es an. Mein damaliges Gefährt bestand aus einem Rost-zerfressenen Opel Rekord D – Caravan, Jochen fuhr einen uralten Fiat 500 und bestand darauf, mit seinem Auto fahren zu wollen.

Zwei Helden auf Reisen, es war eisig kalt, ein ekliger Ostwind mit reichlich Frost war unser Begleiter. Der Fiat hatte keine Heizung, nur ein Faust-großes Loch neben dem Schaltknüppel, aus dem ein Hauch von Wärme strömte. Abwechselnd steckten wir die klammen Hände dort hinein, so gut es ging. Unser Outfit passte zum Gefährt, Jochen trug seinen Gestapo-Mantel und ich meine Holzfäller-Jacke mit Brandlöchern. Der Fiat machte gerade 80 Sachen, immer schön rechts und ausnahmslos jeder LKW überholte uns mit teils freundlichem Gehupe. Die Karre war damals schon Kult … Andere Reisende waren da skeptischer, manch verantwortungsbewusster Familienvorstand samt Anhang starrten beim vorbeifahren mit einem Blick zu uns herunter wie unsereins den Füllstand einer Mülltonne begutachtet. Wir liebten dieses Gefühl und hatten beide den unwiderstehlichen Drang, den nackten Arsch an`s Fenster zu pappen. Dagegen sprachen die Kälte und die Fahrsicherheit, also verwarfen wir die nette Geste, war vielleicht auch besser so. Unser beider damaliges Lebensgefühl spiegelte sich im Musikgeschmack – Punk zum wach werden und Reggea zum herunter kommen, mehr brauchte es nicht. Ein abgerocktes Cassettendeck im Fiat tat sein bestes, uns zu unterhalten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit und diversen Tankstopps kamen wir endlich an und wurden mit großen Hallo begrüßt. Ein Dorf wie es sein soll, einige Gehöfte, ein paar Einfamilienhäuser, kein Laden, keine Kirche, nichts, aber eine Kneipe samt jeder Menge Gegend drum herum. Unsere Gastgeber hatten dito einen großen Hof, wir schoben den Fiat mit vereinten Kräften in den Kuhstall, wegen der Kälte. Der Anlasser war übrigens im Sack, das Teil musste angeschoben werden, darin hatte auch ich schon Übung, von den Pausen an den Tankstellen. So ein wenig Wärme konnte der Heimreise also nur förderlich sein.

Die Tage waren ausgesprochen angenehm, bestanden sie doch für uns eigentlich nur aus dem damals Wesentlichen. Lecker essen, Zocken, saufen und lange ruhen. Zocken ging klar, wir hatten eine gewisse Routine darin. Jochens Bude im Tal der Wupper war ein genialer Treff zum pokern. Zwei Zimmer unter`m Dach, Altbau, eines hatte der Berglage geschuldet ein Stirngiebelfensterchen, für Jochen der Zugang zum Dach des Nachbarhauses, auf dem man sich dank Südlage trefflich sonnen konnte. Und diskret Gras anbauen. Ansonsten bestand das Interieur aus einer Matratze, einem Fernseher, einem wackeligen Holztisch samt passenden Gestühl zum zocken, einer verbeulten Schirmlampe und einem riesigen geklauten Hohlspiegel von der Straße.

Auf dem Hof waren wir allabendlich mit Rommé statt Poker beschäftigt, so richtig derbe, mit allen Regeln und unter stimmgewaltigen emotionalen Ausbrüchen, getragen vom Dunst der Geschwister Braun und Weiß. Da man ja nicht nur zocken kann, bestand unser Gastgeber darauf, uns am Tage die Gegend zu zeigen. Das gestaltete sich ein wenig abenteuerlich, war doch sein Führerschein gerade verlustig. Zuviel vom Braunen irgendwann. Es gab nur Braun oder Weiß, Bier eher sekundär, zum Durst löschen für den Sommer. Also jetzt nur wenig. Der Mann wusste sich aber zu helfen, dank der zahlreichen Feldwege entlang seiner Ländereien. Sein Auto – ein abgemeldeter VW Variant 1600, so ein Modell, mit dem mein Vater vor damals schon gut 12 Jahren seinen ersten Wohnwagen zog. Das Gefährt musste also für Sightseeing herhalten, die verreckten Stoßdämpfer in Kombi mit der Beschaffenheit der Feldwege waren der Befindlichkeit unserer Mägen nicht förderlich, die noch mit dem Inhalten des letzten Abends beschäftigt waren. Aber – wir lernten Land und ein wenig Leute kennen, wenn auch mit käsigem Gesichtsausdruck.

Der letzte Abend sollte alle vorhergehenden übertreffen, es galt Abschied zu feiern, darin waren sich alle einig. Also wurde Karten gespielt, was das Zeug hielt, mit peinlich genauem aufschreiben, soweit Braun und Weiß das noch zuließen.. Der Höhepunkt des Abends fand dann in der Kneipe statt, wo sich der erzockte Punktestand in weiteren braun-weißen Getränken auflöste. Die Stimmung war unbeschreiblich, mit viel Tanz, Musik, Gelächter, alkoholischen Verbrüder- und Verschwesterungen. Irgendwann zog ich mich mit einer ebenso abgefüllten Dame aus dem Dorf in die Gemächer zurück, gefüllt nicht nur mit Weiß- Braunen, der alles folgende unkompliziert erscheinen ließ, sondern auch mit der Sehnsucht nach ein wenig menschlicher Wärme. Eine mögliche schriftliche Fixierung des Restes der Nacht ist verständlicher Weise nicht für die Öffentlichkeit geeignet.

Der Abreisetag. Es war immer noch saukalt, wir schoben den Kleinen aus dem Kuhstall, nachdem wir ihn erstmal von einer guten Schicht Stroh aus dem Dachgeschoß befreit hatten. Wir verabschiedeten uns herzlich, versicherten, uns baldmöglichst wieder sehen zu lassen und bekamen freundliche Hilfe beim anschieben. Die Rückfahrt war im Grunde ein Abbild der Anreise, nur eben in die andere Richtung und eher schweigsam, da gemeinschaftlich schwer verkatert.

Anfang Januar 1984, in einer Arztpraxis der Wahl. Es juckt, sage ich. Wo, fragt der Arzt. Innen, außen, und vor allem unten, versuche ich mit rotem Gesicht eine Beschreibung meiner Unpässlichkeit. Antimykotikum, sagt der Arzt nach näherer Inaugenscheinnahme der beschriebenen Körperzonen. Zum einnehmen und einreiben. Und grüßen Sie mir die Dame…

Es gibt eigentlich nur eine Erklärung für diese Tage:
Ich war 21 ….

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Epilog: 21 & zocken, da gab es mal einen guten Film.

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Kleider machen Leute?

So sagt man im allgemeinen. Schon wesentlich, wer sich welchen Fetzen und warum umhängt. Selbst bin ich da relativ unbedarft. Jeans, Shirts, Baumwollhemden kariert und die dicke M65 im Winter. Schieberkappe oder Dockermütze ganzjährig, Sommertags auch mal ein Kopftuch um die fast nackte Rübe. Fertig. Das fällt mir relativ leicht, weil ich keine Person „öffentlichen Interesses“ bin und keinen Verkehr habe, bei dem man gut gekleidet sein muss. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass, wer sich auf Äußerlichkeiten verlässt, schon das Potential zum sich-wundern in sich trägt. Das kann durchaus mal daneben gehen, kann ich aus eigener Erfahrung sagen.

Meinem bislang besten Lehrmeister zu dem Thema begegnete ich Anno 1986 oder so. Zu Zeiten der Abendschule, die ich damals berufsbegleitend besuchte. Eine etwas stressige Zeit, 8-Stunden-Job, drei mal die Woche am Abend Penne, von 6 bis 9. Dazwischen Hausaufgaben, Klausur-Vorbereitungen. kiffen, saufen, Rock N Roll, Beziehung führen. Die Reihenfolge ist nicht beliebig, leider, rückblickend, und stolz bin ich auch nicht darauf.

An so einem Abend in der Schule gab es etwas zu kopieren. PC und Scanner gab es noch nicht, geschweige Smartphon mit Texterkennung. Wer etwas kopieren wollte, musste also in so einem Laden, einem Kopierladen, mit inakzeptablen Öffnungszeiten und sonstwo abseits des Weges gelegen. Keine gute Idee für einen beschäftigten Abendschüler, also ab in der Pause in das mutmaßlich verwaiste Lehrerzimmer, welches über einen Kopierer verfügte. Der Deckel von dem Ding stand schon auf, da meint ein Typ neben mir, keine Ahnung, wo der auf einmal herkam, das ginge aber nicht, Lehrerzimmer und so und wenn das jeder täte. Als ich mich der Stimme zuwende, sehe ich einen alten Mann mit strubbeligen, grauen Locken und einem usseligen, offen stehenden grauen Arbeitskittel, Typ Hausmeister Krause.

Von den Äußerlichkeiten geblendet antwortete ich frech, ich hätte nur die eine Kopie und wer er denn wäre, dass er sich hier so ereifere. Worauf mir der Typ seinen Namen nannte und – er Direktor dieser Schule sei. Etwas geschockt zog ich von dannen, wohl wissend, dass der Direktor dem Vernehmen nach auch im Prüfungsausschuss des Technikums sitzt, ich also bei der staatlichen Abschlussprüfung durchaus noch einmal mit ihm zu tun haben könnte. Dumm gelaufen mit der großen Fresse, am folgenden Abend rief ich ihn daheim an und bat um Nachsicht für mein Auftreten …Canossa light … „Lassen Sie sich künftig nicht von Äußerlichkeiten täuschen …“ meinte er milde gestimmt, Glück gehabt. Das Leben ist eben doch der beste Lehrmeister.

Heute stehe ich gerne auf der anderen Seite, mit meinem Auftreten. Ich wirke meinem Äußeren nach irgendwie in den frühen 80ern stecken geblieben, mein Auftreten ist zunächst meist eher bescheiden und freundlich. Wer mich näher kennt, weiß um gewisse Steigerungen, die der erste Eindruck nicht unbedingt vermuten lässt, was mir immer wieder Freude bereitet. Meinem ehemaligen Direktor bin ich immer noch dankbar, für die Lektion in Sachen Klamotten und die 2.48, bestanden mit Zwei …

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Von Gestern und von dieser Zeit

Dieser Tage sah ich dich in den lokalen Nachrichten. Du gabst einen großen Teil des Erlöses aus dem Verkauf eines alten Kunstwerkes an ein Projekt in Südamerika. Dort, im Fernsehen, sah ich dich schon öfter, auch im Kontext mit der Hilfe an Kriegsflüchtlinge.

Das ist schon bewegend, dich nun, 2017, so lebendig vor mir zu sehen. Und – keine Sorge, ich komme jetzt nicht mit weißt-Du-noch und so. Das letzte Mal sahen wir uns vor gut 25 Jahren und miteinander zu tun hatten wir bis vor über 30 Jahren mittlerweile. Waren wir Freunde ? Irgendwie schon, wenn auch nicht auf Augenhöhe, damals. Zwei verletzte Seelen, die sich einig waren in ihrer Gier auf Rausch. Damals habe ich dich bewundert, für deine Erfolge, und auch beneidet, für deine Möglichkeiten.

Gescheitert sind wir beide, so scheint es, grandios. Die Frau an deiner Seite auf dem Schirm ist wohl ebenso wenig die Mutter deiner Kinder wie die Meine. Die Website des ehemaligen väterlichen Betriebes deinerseits ist schon lange nicht mehr zu erreichen. Vor Monaten kam ich bei Dir lang, an der Mauer der ehemaligen Fabrik kündeten neue Schilder von anderer Nutzung. Vielleicht lebst Du nun als Privatier, ich gönne es Dir von Herzen, weil ich heute eine Ahnung davon habe, wie sehr Du unter deiner Geschichte gelitten haben musst.

Mit den Jahren habe ich echte Arschlöcher kennengelernt. Millionenschwere Arschlöcher, die sich nicht zu schade waren, um den Preis in einer Eisdiele noch zu feilschen. Um so wohltuender empfinde ich es, zu sehen, dass jemand wie Du teilen kann. Neben deinem fetten Ego damals hattest Du immer schon ein gutes Herz und viel Mitgefühl für Menschen, denen es schlechter ging als Dir.

Wir leben nicht weit von einander entfernt, und doch weit weg vom anderen. Alles hat seine Zeit, wir hatten unsere. Für mich war sie wichtig, aus mehreren Gründen. Wenn ich dich heute überraschend wiedersehe, auf dem Schirm abends, dann freue ich mich für dich. Respekt !

So ganz verkneifen kann ich es mir allerdings doch nicht, mich schlussendlich an unseren damaligen, gemeinsamen derben Humor zu erinnern, auch, wenn bei einem solchen Musikgeschmack das scheitern, zumindest im privaten Bereich, vorprogrammiert ist.

Du wirst es mir nachsehen, bestimmt 🙂

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Nachgerufen (2)

An deinem vorletztem Tag vor einem Jahr hatte ich Gelegenheit, mich von Dir zu verabschieden. Danke zu sagen. Du konntest kaum mehr sprechen und mein Herz war unendlich schwer, dich so zu sehen. Worte haben in solchen Augenblicken keine Bedeutung mehr. Darum jetzt und hier ein zweiter Versuch.

Mal davon abgesehen, dass wir uns in Sachen Neptun`sche Traumwelten sehr verbunden waren und einen ähnlichen Musik-Geschmack hatten – weißt Du, was darüber hinaus dauerhaft in meiner Erinnerung geblieben ist?

Dein bedingungsloses JA ohne Aber.

Das habe ich bis dahin nur selten erlebt. Ich, das übergewichtige Unkind mit den langen, fettigen Haaren und der unmöglichen Hornbrille. Schüchtern, total gehemmt, umgeben von einer von Angst beherrschten, inneren Welt, die nur im Suff erträglich wurde, damals. Mit 16. Heute würde man mich Nerd rufen, damals nannte man mich Psycho, was auch irgendwie passend war. Ein Psycho-Nerd also, der gerade das kalte Wasser der Schulzeit mit dem noch kälteren Wasser des beginnenden Berufslebens gewechselt hatte. Der nah am Wasser gebaute, der stets als letzter bei der Zusammenstellung der Völkerball-Mannschaft gerufen wurde.

Komm`mit, hast Du gesagt, und mich so genommen, wie ich war. Klingt für die meisten Menschen selbstverständlich, ich kann Dir versichern, das war es nicht und ist es nicht.

Danke nochmal.

Mach`s gut, Fidel

Heute früh also bist Du uns also voraus gegangen, wie ich gerade im Radio hörte. Natürlich werden jetzt all die vorgedruckten Nachrufe aus den Schubladen gezogen, weil, so ganz plötzlich und unerwartet hast Du uns ja nicht verlassen, in deinem biblischen Alter von 90 Jahren. Jetzt wird  je nach politischer Ausrichtung eher respektvolles oder mehr kritisches zu lesen sein, warst ja nicht immer fein in der Wahl deiner Mittel.

Einen hätte ich dann auch noch, ganz spontan, ehrlich. Für mich warst Du ein Held. Nicht, weil Du dem großen Bruder nebenan die Stirn dauerhaft geboten hast, auch nicht, weil Du angeblich über 600 (!) Mordanschläge überlebt hast. Sympathisch war mir stets der morbide Charme deiner kleinen Insel, das Improvisationstalent deiner Leute. Widerstand ist eben oft mit Entbehrungen verbunden. Sehr respektabel finde ich in dem Zusammenhang auch das Geschick deiner Landsleute, die Lebensdauer amerikanischer Straßenkreuzer mit Hilfe von russischen Triebwerken in`s Aschgraue zu verlängern.

Nein, der wahre Grund meiner Heldenverehrung ist ein anderer gewesen. Aus deinem schönen Inselreich kam weiland in den 80ern das mit Abstand beste Gras der damals noch geteilten Republik. Dein ganz persönlicher Beitrag zur Zersetzung der Kampfmoral, wenn man so möchte. Was haben wir dir für rauschende Ballnächte gewidmet, die explodierende Samenkörner in den dicken, selbst gedrehten Tüten waren die Gewehrschüsse unserer ganz privaten Revolution, sozusagen.

Bleibt Danke zu sagen, gute Reise, Fidel!

„Jeder glaubte an was anderes, weil keiner etwas verstand.
Viva la Revolution... war leider auch nur Opium.“

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Stachel im Fleisch 1

Es war irgendwann um 1968 herum, kurz vor oder nach meiner Einschulung. Die Stimme mit dem grünen Auge hatte gerade das Wohnzimmer verlassen müssen, das erste Transistor- Radio hatte Einzug gehalten. Meist lief Radio Luxemburg, was oft mit diversen Antennen-technischen Geduldprüfungen einher ging, da die Radio-Wellen nur schlapp bei uns im Tal ankamen. Radio Luxemburg hatte damals noch nicht den asigen Ruf von heute, sondern war eine gefragte Alternative zu den stinklangweiligen öffentlich-rechtlichen Sendern, von wenigen Ausnahmen dort mal abgesehen.

War mein Vater nicht da, lief die Kiste durch. In seiner Anwesenheit allerdings wurde der ganze neumodische Kram erst einmal aus- oder runter gedreht. Die Töne, die mir so sympathisch waren, in ihrem Kontrast zu den von meinem Vater so geliebten Heimat-Schnulzen und dümmlichen Schlagern. Pop-Musik eben oder in der Königs-Klasse Rock`N Roll.

Damals wusste ich natürlich nicht von solchen Band`s wie The Who oder den Stones. Von Woodstock schon gar nicht. Neben den viel versprechenden, fremden Klängen machten mich die Statements meines Vaters bezüglich der Musik und der neuen Zeit so ganz allgemein neugierig. Der war in seinem Innersten zutiefst erschüttert über die Welt da draußen. Revoltierende Studenten, die ersten Bombenleger, Straßenkämpfe, Randale. Rock`N Roll, das hörten für ihn nur die Gammler und Hasch-Raucher, wie er meinte, ohne mir das näher zu erläutern.

Irgendwie machte mir seine Ablehnung dieser ihm fremden Welt erst einmal Neugierde. Zumal es da noch diese Freundin meiner Mutter gab, mit ihren drei Kindern. Eines davon war seinerzeit bestimmt schon 16 oder so, also ein Jahrgang, den man heute als 68er bezeichnet. Lange Haare, Flicken-Jeans, rotzfrech und er hatte eine elektrische Gitarre samt Verstärker, mit der er wunderbaren Lärm produzierte. Einen Vater hatte der auch, allerdings nicht sein “richtiger”, selten zuhause, und wenn, dann mit Neigung zu Krawall. Jedenfalls war ich fasziniert von dem “Großen”, der kam mit seiner Gitarre dem mysteriösen Bild der verfluchten Gammler und Hasch-Raucher meines Vaters schon recht nahe.

Der Grundstein war gelegt, der Stachel im Fleisch saß. So wuchs ich also in die 70er Jahre hinein, dem Jahrzehnt, das an Schrägheit unübertroffen bleiben sollte. Laut, schrill, bunt, rückblickend mit seinen zahllosen Stilblüten an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Für einen mittlerweile 10-jährigen wie mich jedoch Faszination pur sowie absolutes Kontrastprogramm zum elterlichen Mikrokosmos.

* Fortsetzung *

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Stachel im Fleisch 2

Die 70er Jahre. Während bei Freunden schon Plattenspieler Einzug gehalten hatten (meist so ausrangierte Truhen aus den 50ern, 60ern) , musste ich mich vorerst noch mit einem Kassettenrecorder begnügen. Aufnahmen mit Mikrofon vom Radio und ständig der Ärger mit dem dazwischen-Gequatsche von Mal Sondock. Aber immerhin konnte man die Kratze mit raus nehmen und draußen aufdrehen, das ging.

Um 1972 herum zogen meine Eltern wieder einmal um, ich bekam einen neuen Nachbarn, vielleicht 4 Jahre älter als ich. Der lebte bei seiner allein erziehenden Mutter, hatte einen Plattenspieler sowie einen Bravo-Starschnitt von Suzi Quatro an der Tür, in Lebensgröße. Seine Bude wurde schnell mein zweites Kinderzimmer. Wir konnten ungestört Gary Glitter, Suzi & Co. hören und – rauchen ging auch, da seine Mutter ebenfalls qualmte, so hatte ich eine Ausrede für mein verstunkenes Zeug. Leider hielten diese seligen Zustände nicht all zu lange. Mit 13, glaube ich, nahm mich die Gang des Nachbarn mit zum saufen in den nahe gelegenen Talsperrenwald, was mir nur bedingt gut bekam. Der billige Rotwein aus den Zwei-Liter-Bomben machte mich Bewegungs-unfähig, die Burschen trugen mich aber netterweise noch bis vor die Haustür. Darauf hin fühlten sich meine Eltern verständlicher Weise genötigt, die Notbremse zu ziehen und erteilten mir Kontaktverbot mit dem spannenden Nachbars-Jungen.

Zuhause hielt sich das Verständnis für meinen Musikgeschmack in Grenzen. Poster aufhängen war z.B. nur eingeschränkt möglich. So hielt es Marc Bolan nur einen Nachmittag an der Wand, bis mein Vater ihn Abends entdeckte, entsetzt über mein neues Idol. Ganz konnten sich allerdings selbst meine Eltern nicht dieser Zeit entziehen. Immerhin waren sie damals im so genannten besten Alter von Mitte-Ende Dreißig und es gab ständig irgend etwas zu feiern im Familien-Freundes und Bekanntenkreis, der teils den Segnungen der Pop-Musik aufgeschlossener war. Und auch sonst. Gefeiert und reichlich getrunken wurde friedlich, laut und – lustig. Die tolle Stimmung an diesen Tagen stand im krassen Gegensatz zu der Alltags-Stimmung daheim, die ich damals als eher spannungsgeladen und geschwängert von einer getragenen Ernsthaftigkeit empfand. Ein leichtes Leben hatten die beiden jedenfalls nicht mit einander. Fatal sollten für mich die späteren Folgen dieses steten Wechsels der Stimmungen sein. Musik+saufen=lustig, so einfach schien das.

Anderswo schien die Welt lockerer zu sein. Einer meiner Schulfreunde hatte sein Zimmer ausstaffiert mit tollen ausrangierten Kram seiner Eltern inklusive Musik-Truhe, mit selbst gebastelten Boxen aus unzähligen Breitband-Lautsprechern vom Sperrmüll. Der wohnte damals nicht weit von hier nebenan auf dem Ölberg in einem alten Gründerzeit-Kasten. Wir hatten einigen Spaß mit einander, auch schienen seine Eltern bedeutend lockerer drauf zu sein als meine. Vor einigen Jahren trafen wir uns mal wieder und er versicherte mir, das seine Eltern damals sozusagen einen Schalter umlegten, sobald wer zu Besuch kam und es ansonsten ebenso eher wenig lustig war. Der schöne Schein eben.

Mit 15 war es dann endlich soweit. Ich wurde erhört und bekam die alte, ausrangierte Stereoanlage meines Onkels geschenkt. Tatsächlich habe ich ein Bild von dem Ding im Netz aufgetrieben, ein so genanntes Bolero-Studio von Telefunken, ohne Lautsprecher, was aber nicht weiter tragisch war. Wie man sich auf dem Sperrmüll mit dem Nötigsten versorgte, inklusive der Verdrahterei, das wusste ich ja.

 bolero

Nicht schön, aber laut war das Teil, und ich konnte endlich mein Taschengeld in Schallplatten investieren. Inspiriert vom Musikgeschmack meines Kumpels war meine erste Platte allerdings kein Pop, sondern handfester Psychedelic-Rock  von Pink Floyd. Wir waren begeistert von deren Musik zum Träumen, zum drauf abfahren und auch von dem perfektionistischen Gebaren der Band damals. Erste Eindrücke einer Parallel-Welt taten sich uns auf, eine Flucht, die mich lange begleiten sollte, auch wenn ich damals noch sehr wenig trank und Drogen mir (noch) komplett fremd waren. Die Musik jedenfalls war fantastisch und ist es bis heute geblieben:

 

Fortsetzung

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Stachel im Fleisch 3

1978. Ein Jahr, in dem sich eine ganze Menge änderte, in meinem Leben. Die Schule hatte ich endlich abgeschlossen, mehr schlecht als recht, aber, wenn man so will, schon zielorientiert. Mein einziger Ehrgeiz bestand damals darin, dieses Schüler-Dasein nicht durch sitzen-bleiben zu verlängern, dem entsprechend sah dann auch der Abschluss aus. Einen Beruf galt es zu lernen, meine Traumberufe blieben aufgrund meines herausragenden Abschlusszeugnisses eben Traumberufe. Meinen schlussendlich erlernten Beruf habe ich dann auf anraten meines Vaters gewählt, wofür ich ihm auch heute noch dankbar bin.

Die Lehre. Wir waren damals zu dritt, in unserem Jahrgang. Einen kannte ich aus der Grundschule noch, wir waren mal Nachbarn, wenn auch aus sehr ungleichen Verhältnissen, so mochten wir uns doch. Der andere wohnte sozusagen um die Ecke von mir, wir zwei wurden schnell recht dicke mit einander. In unserem Dorf hatte mein neuer Kumpel eine große Clique, alles ehemalige Messdiener in der erzkatholischen Gemeinde, was ich witzig fand, weil die Jungs eben gar nicht so heilig waren. Im Gegenteil. Wir trafen uns regelmäßig Freitags Abend zum saufen und abrocken, was sich später dann  immer öfter auch mal bis Sonntag Mittag hinzog. Immerhin waren wir ja mittlerweile wer. Unser Lehrlings-Dasein mit bescheidenen Einkünften, die ersten Autos, die ersten Frauengeschichten. Wobei die bei mir zu der Zeit eigentlich so gut wie keine Rolle spielten. Das sollte erst viel später kommen, dann aber umso heftiger.

Mein einziges Ziel bestand damals darin, diesen Beruf zu erlernen, um endlich zuhause abzuhauen. Selbst haushalten, ohne zu wissen, wie und in welche Richtung, Hauptsache raus. Was immerhin mit langsam einsetzenden Ehrgeiz verbunden war. Wenn die Pflicht gerade mal nicht rief, wurde gefeiert, und wir waren in unseren Dorf da alle gleich unterwegs damals. Selbst zuhause wurde mein liederliches Leben toleriert, weil ich ja jetzt arbeiten ging. Und solange Sonntag Mittag Schluss war und ich Montags wieder raus kam, war es meinen Eltern zähneknirschend recht. Das Bild der Gammler und Haschraucher meines Vaters wurde also langsam von mir revidiert. Zum einen der Erkenntnis sei Dank, das man Freiheit, Bier und Fusel auch bezahlen muss, zum anderen zog Haschisch erst zeitversetzt in die Zentren meiner Gier ein.

Zu feiern gab es also einiges. Musikalisch untermalt wurde das, nachdem der Glamrock sein kurzes und grelles Dasein ausgehaucht hatte, von dem erklecklichen Nachlass und für mich neue Töne, Hardrock a la ACDC zunächst und später dann Punk und Metal. Nina Hagen,  Marius Müller-Westernhagen, ab `79 dann auch Jürgen Zeltinger und BAP schepperten aus den Low-End-Anlagen in unseren Buden, wenn uns das Geld für die Kneipe ausgegangen war, was schon zeitig im Monat der Fall war. So langsam fand ich Gefallen an meinem Leben, damals natürlich nicht ahnend, worauf ich mich da einließ. Breit sein war Erlösung und Geschenk zeitgleich und Spaß hatten wir mit einander, so wie später selten wieder.

Altes neu verpackt kam auch sehr gut, und der Dicke ließ uns Köln sehen…

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– Fortsetzung

Gast am Stammtisch

Sie schlüpfen in mittelalterliche Rollen wie z.B. Krieger, Magier. Elfen und vieles mehr. Treffen sich auf teils großen Con(vention)`s wie dem Drachenfest, organisieren sich in verschiedenen Lagern, erkennbar durch verschiedene Farb-Codes in Verbindung mit verschiedenen Themen und auch sehr unterschiedlichen Hierarchie-Graden. Der grüne Drache für Neuankömmlinge, der Kupferne in einer streng hierarchischen Organisation, das schwarze Lager symbolisch für Macht und Magie, die Grauen im Namen von Wissen und Weisheit, der rote Drache tatkräftig und kämpferisch, um nur einige zu nennen.

Junge und jung gebliebene Menschen, die einen beträchtlichen Teil ihrer freien Zeit und/oder ihres Geldes mit organisatorischen Dingen hierfür verbringen oder aufwändig sehr phantasievolle Kleidung selbst herzustellen. Eigene Charaktere in dem jeweiligen Themen-Rahmen sind gefragt, keine bekannten Rollen aus TV oder Mainstream-Kino. Individualismus im Kontext mit der Gemeinschaft, auch Einzelgänger finden da durchaus ihren Platz im Rollenspiel.

Dort also sitzen wir, in einer Kneipe hier im Viertel. Werden freundlich begrüßt, jeder stellt sich mit Namen vor. Selbst höre ich mehr zu, stelle hier und da mal eine Frage und lasse das alles auf mich einwirken. Jemand näht, eine andere zeichnet, Stimmengewirr und lautes Gelächter. Begeisterungsfähig sind sie, alle miteinander, was nur geistvollen Menschen gelingt, nehmen das Spiel ernst, aber nicht ernster, als es ist. Mehr nebensächlich kommt hier und da die Rede auf das reale (?) Leben. Was machst du sonst so? Städtenamen fliegen über den Tisch, Mietpreise, Berufe, Studiengänge, Ausbildungen, WG`s sind Thema. So am Rande eben. 

Das Spiel gestattet Ausdruck. Bietet Gelegenheit zur Übung, zur Darstellung. Spiegelt Archetypen im historischen Gewand, wie sie heute zumindest in Reinform nicht mehr unbedingt zu finden sind. Kanalisiert  Neigungen, Kraft und Gefühl in einer Welt, die Angepasstheit sowie ständige Korrektheit erwartet. Bietet auch Platz für den eigenen Schatten, der sonst oft genug weder Raum noch Verständnis findet.

Uns hat der Abend gut getan. Teil haben zu dürfen am Leben der Kinder. Gelegenheit bietet sich mir zumindest nicht so oft.