Archiv für den Monat: Januar 2020

Kleider machen Leute?

So sagt man im allgemeinen. Schon wesentlich, wer sich welchen Fetzen und warum umhängt. Selbst bin ich da relativ unbedarft. Jeans, Shirts, Baumwollhemden kariert und die dicke M65 im Winter. Schieberkappe oder Dockermütze ganzjährig, Sommertags auch mal ein Kopftuch um die fast nackte Rübe. Fertig. Das fällt mir relativ leicht, weil ich keine Person „öffentlichen Interesses“ bin und keinen Verkehr habe, bei dem man gut gekleidet sein muss. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass, wer sich auf Äußerlichkeiten verlässt, schon das Potential zum sich-wundern in sich trägt. Das kann durchaus mal daneben gehen, kann ich aus eigener Erfahrung sagen.

Meinem bislang besten Lehrmeister zu dem Thema begegnete ich Anno 1986 oder so. Zu Zeiten der Abendschule, die ich damals berufsbegleitend besuchte. Eine etwas stressige Zeit, 8-Stunden-Job, drei mal die Woche am Abend Penne, von 6 bis 9. Dazwischen Hausaufgaben, Klausur-Vorbereitungen. kiffen, saufen, Rock N Roll, Beziehung führen. Die Reihenfolge ist nicht beliebig, leider, rückblickend, und stolz bin ich auch nicht darauf.

An so einem Abend in der Schule gab es etwas zu kopieren. PC und Scanner gab es noch nicht, geschweige Smartphon mit Texterkennung. Wer etwas kopieren wollte, musste also in so einem Laden, einem Kopierladen, mit inakzeptablen Öffnungszeiten und sonstwo abseits des Weges gelegen. Keine gute Idee für einen beschäftigten Abendschüler, also ab in der Pause in das mutmaßlich verwaiste Lehrerzimmer, welches über einen Kopierer verfügte. Der Deckel von dem Ding stand schon auf, da meint ein Typ neben mir, keine Ahnung, wo der auf einmal herkam, das ginge aber nicht, Lehrerzimmer und so und wenn das jeder täte. Als ich mich der Stimme zuwende, sehe ich einen alten Mann mit strubbeligen, grauen Locken und einem usseligen, offen stehenden grauen Arbeitskittel, Typ Hausmeister Krause.

Von den Äußerlichkeiten geblendet antwortete ich frech, ich hätte nur die eine Kopie und wer er denn wäre, dass er sich hier so ereifere. Worauf mir der Typ seinen Namen nannte und – er Direktor dieser Schule sei. Etwas geschockt zog ich von dannen, wohl wissend, dass der Direktor dem Vernehmen nach auch im Prüfungsausschuss des Technikums sitzt, ich also bei der staatlichen Abschlussprüfung durchaus noch einmal mit ihm zu tun haben könnte. Dumm gelaufen mit der großen Fresse, am folgenden Abend rief ich ihn daheim an und bat um Nachsicht für mein Auftreten …Canossa light … „Lassen Sie sich künftig nicht von Äußerlichkeiten täuschen …“ meinte er milde gestimmt, Glück gehabt. Das Leben ist eben doch der beste Lehrmeister.

Heute stehe ich gerne auf der anderen Seite, mit meinem Auftreten. Ich wirke meinem Äußeren nach irgendwie in den frühen 80ern stecken geblieben, mein Auftreten ist zunächst meist eher bescheiden und freundlich. Wer mich näher kennt, weiß um gewisse Steigerungen, die der erste Eindruck nicht unbedingt vermuten lässt, was mir immer wieder Freude bereitet. Meinem ehemaligen Direktor bin ich immer noch dankbar, für die Lektion in Sachen Klamotten und die 2.48, bestanden mit Zwei …

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Vom neuen Jahr und vom Brauchtum

Familiäre Gründe lassen uns den Jahreswechsel daheim verbringen. Das hat den Vorteil, bei den Tieren sein zu können und niemanden bemühen zu müssen. Und so stehe ich nach einem guten Abendessen in der Küche und denke angesichts der ersten Feuerwerke da draußen über das so genannte Brauchtum nach. Allein die Wortwurzel suggeriert mir, etwas zu „brauchen“, was offensichtlich schon lange der Tradition entspricht und somit seine Existenzberechtigung per se in sich trägt. Ok, denke ich, wer`s braucht, ich nicht, nehme mir den vollen Müllsack und trage ihn durch`s Treppenhaus in Richtung Tonne, das braucht der jetzt, der Sack, und ich auch, weil`s stinkt und nichts mehr hinein geht. Brauchtum der anderen Art eben.

(Der Link führt übrigens zu weiteren interessanten Begriffen wie Gruppenkohäsion, strukturellen Egoismus und vielem anderen mehr).

Wie kommt das eigentlich, das manche uralte Rituale so derart in den Köppen kleben, obwohl sie sich selbst schon lange überholt haben, denkt es in mir, während draußen die ersten Feuerwehr- und/oder Notarztwagen zu hören sind. Irgendwie scheint das trotzig, angesichts der schnellen Wandels um uns herum. Ich-will-aber-Mentalität. Nicht nur Feuerwerk, auch vieles andere wird solcher Art beharrlich begehrt, Stichwort dicke Autos und so. Naja, besser nicht zu laut den Kopf schütteln, immerhin arbeite ich ja selbst in dieser Branche, noch. Widersprüche gehören offensichtlich zu mir.

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Am Abend geht das Festnetz-Telefon, eine Nummer aus der Nachbarstadt, in der ich selbst auch einige Jahre lebte, erscheint auf dem Schirm. Seltsam, denke ich, habe ich doch so gut wie keinen Kontakt mehr dorthin. Neugierig bin ich dennoch und nehme den Anruf entgegen. Es meldet sich eine ältere Frauenstimme, die ich nicht sofort erkenne und erst mal nachfragen muss. Ein Wiederhören nach fast 11 Jahren, weil sie sich verwählt hat – und weil wir durch Fügung heute Abend hier sind. So wird aus einer verwechselten Nummer, die aus einer alten Kladde entnommen wurde (auch hier wieder Fügung, das Teil wird sonst nie benutzt, aber das Handy ist gerade sonstwo) eine knappe Dreiviertel Stunde bewegtes Plaudern über das, was sich so alles seit neulich vor 11 Jahren getan hat, mit viel Rührung, einigen Erinnerungen und abschließend reichlich guten Wünschen.

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Mitternacht dann herzen wir die Katzen, denen der Lärm weniger als befürchtet an die Nerven geht und stoßen gegen jedes Brauchtum mit rattenscharfem Ingwertee auf das neue Jahr an, in Gedanken bei dem, der den Jahreswechsel im Krankenhaus verbringen muss. Ein sehr bewegtes Jahr geht zu Ende, gefüllt mit Krankheiten, eigene und die nahe stehender Menschen, auch Menschen, die uns vorangegangen sind. All dies hat mir persönlich meine höhere Macht näher gebracht, den Mensch-Gewordenen, an dem ich mich in letzter Zeit nicht nur in Not wende, sondern mich auch öfter mal bedanke. Zum Beispiel für unsere neue Mitbewohnerin, seit dem Frühjahr, die gerade Schlaf nachholt.

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Auch deren Essen war vorzüglich …

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Ich wünsche uns allen ein gutes, nach Möglichkeit friedvolles neues Jahr!

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