Archiv für den Monat: Oktober 2018

Schon ein wenig Abschied

Gestern Abend galt es ein Geburtstagsgeschenk einzulösen. Zwei Eintrittkarten für ein Zusatzkonzert der Toten Hosen, für die Liebste und für mich. Mit dabei: Das große Kind samt Kumpel – das allein schon war Klasse. Selbst hätte ich mir nie vorstellen können, mit meinem Vater gemeinsam ein Rockkonzert zu besuchen und gemeinsam Spaß zu haben.

Das Mittel der Wahl zur Anreise war die Bahn – angesichts des zu erwartenden Verkehrschaos rund um die Düsseldorfer Merkur-Arena. Wir waren schon um kurz vor vier dort, ab vier war Einlass. Gegen halb sechs starteten die Vorgruppen, zunächst Düsseldorfer Lokalmatadore, die Rogers. Für meinen Geschmack ein wenig zu trashig, dagegen waren Feine Sahne Fischfilet echt Klasse. Mecklenburg kann also auch Musik und – der Sänger fand deutliche Worte zu dem, was man hierzulande als Rechtsruck bezeichnet. Respekt ! Als letzte Vorband spielten Billy Talent, laut, schnell, hart. Nicht so ganz meins, aber besser als die Nummer eins allemal.

Während dessen füllte sich die Bude, laut Hallenbetreiber liegt die Kapazität bei 66 000, mit Innenraumnutzung. Die Halle war fast ausverkauft … für mich war es schon sehr zwiespältig. Zuletzt bei so einem großen Fest war ich vor 21 Jahren, damals noch im alten Rheinstadion. Ein reichlich chaotischer Abend war das, mit allem, was so dazu gehörte. Leider auch mit einem tragischen Unglücksfall, von dem ich erst am nächsten Tag aus der Presse erfuhr. Jetzt also fand ich nüchtern dort hin, selbst den Tabak habe ich daheim gelassen (macht zu müde), angesichts der doch nicht unerheblichen Strapazen. Anreise, warten, insgesamt 5 Stunden Musik, Abreise, davon die meiste Zeit stehend. Man wird nicht jünger …

Im Zug schon jede Menge Freaks im gleichen Zustand wie ich vor gut zwei Jahrzehnten. Arsch voll, toll und laut. Skurril für mich, aber nicht befremdlich, da immer noch vertraut. In der Arena dann ging es vergleichsweise ruhig zu, wir standen hinten ziemlich mittig auf der Tribüne, gute Sicht und sehr geile Akustik, bei offenem Hallendach stimmte auch die Luft dabei, sehr zu meiner Freude. Ein wenig überraschend war schon, wie wenig Freaks sich so wie wir damals nach allen Regeln der Kunst abschädelten. Anstelle dessen mehr Familien, so Grauköppe wir wir samt Kinder. Reichlich vertreten auch die Mitvierziger, die die Hosen in den 90ern als Teenies schätzen gelernt hatten.

Das Repertoire – gut gemischt mit alten und neuen Stücken. Hoch professionell wie die Musik auch die Bühnenschau mit riesigen Video-Wänden, auf denen sehr gut gemachte Animationen zu sehen waren. Was macht all das mit mir, nüchtern, wie ich dabei stehe? Zunächst geht auch ausgelassen und fröhlich ohne Stoff, keine ganz so neue Erkenntnis, mittlerweile. Die neueren Stücke wie Tage wie diese sind nicht so meins, mir kam das Blut eher bei manchen Klassikern in Wallung.

Hier zum Beispiel, obgleich schon nah dran, an der 60 …

In dem Kontext beste Grüße an T.G., hab`Friede, wo immer Du auch bist. Und auch Dir herzliche Grüße, G.W., so wie gestern schon kurz anderswo geschrieben. Hätte euch gefallen, der gestrige Abend !!

 Oder hier …

Und hier erst … Gänsehaut pur.

Ebenso Gänsehaut inbegriffen, für einen Menschen, dem der Betrug von beiden Enden her bekannt ist …

Wenn ihr an etwas glauben wollt,
glaubt an euch selbst und nicht an uns …

Nichts mehr außer Erinnerung dagegen brachten mir die alten Sauflieder, die natürlich nicht fehlen durften, bei einem Heimspiel der Düsseldorfer. Zu viel passiert, mit mir, in all der Zeit. Zu viel hat sich bei anderen vergewahrheitet, in Sachen bis zum bitteren Ende.

Der Schädel, das Bandlogo – heute für mich eher ein Symbol der Vergänglichkeit, angesichts der vielen Jahre. Totenkult ? Nein, eher Gedenken. Verbunden mit dem Bewusstsein, ab und zu auch mal auf Gräbern tanzen zu dürfen.

DTH_sw

~

 

 

Die Fischverkäuferin

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Der Samstag ist sein Haushaltstag, an dem alles mögliche erledigt wird, was so unter der Woche liegen bleibt. Wenn es trocken ist, fährt er dann gern mit dem Rad in die Stadt, seit wieder ein kleines Auto vor der Türe steht, ist er da ein wenig bequem geworden. Dennoch liebt er das Radfahren, man ist halt anders unterwegs, wacher, offener irgendwie.

Sein Weg führt ihn regelmäßig in einem großen Supermarkt, so ein moderner Kaufladen in XXL. Dort hat es auch eine kleine Fischtheke, gleich daneben ist eine kleine Cafeteria mit Stehtischen und ein paar Hockern. Fisch liebt er, seit er kein Fleisch mehr isst. Fast noch mehr allerdings liebt er die Magie mancher Augenblicke, die zu spüren er erst spät in seinem Leben gelernt hat. Es sind dies meist unspektakuläre Momente des Alltags, die sich irgendwie entwickeln. Oder auch nicht.

Zauber der Gegenwart.

So wie seine fast schon regelmäßigen Begegnungen mit der jungen Dame von der Fischtheke. Sie ist vielleicht irgendwo Mitte oder Ende Zwanzig, dunkle, freundliche Augen, ihre Figur eher untersetzt und ausgesprochen weiblich, seine Ahnen nannten diesen Typ Frau gerne „gut dabei“. Das mittellange, dunkle Haar ist ein wenig streng nach hinten gebunden, was ihrer Arbeit geschuldet sein mag. Obgleich ihm dieser Typ Frau schon gefällt, sind es weniger die Äußerlichkeiten, sondern eher das Strahlen, was von dieser jungen Dame ausgeht. Etwas, was vielen Menschen seiner Generation abhanden gekommen ist. Etwas Frisches strömt von ihr aus, eine absichtslose Freundlichkeit und eine Offenheit, für die man entweder sehr jung sein oder sich zumindest so fühlen muss.

Immer, wenn er also Samstags durch den Laden schlendert, schaut er, ob sie vielleicht Dienst hat. Dann kauft er Fisch, obwohl gerade möglicherweise keiner gefragt ist. Oder er lässt es, wenn sie nicht da ist, so wichtig ist der Fisch auch wieder nicht. Manchmal sitzt sie auf einem Hocker nebenan in der Cafeteria und macht Pause. So wie neulich, er kommt um`s Eck und sieht sie herzhaft gähnen. Nicht so ein verstohlenes Gähnen mit vorgehaltener Hand, sondern das ganze Programm, mit ungeahnten Einblicken. Zeichen großer Müdigkeit und er schließt auf einen recht ausgedehnten Freitag Abend ihrerseits. Da tritt er verhalten von der Seite an sie heran und spricht mit dunkler, ernster Stimme leise in ihr Ohr:

„Oh Herr, sie will mich fressen!“

Großes Hallo und Gelächter ist die Folge, das Maß an Peinlichkeit ist nicht wirklich der Rede wert. Ein flüchtiger Wortwechsel, gegenseitige beste Wünsche für das Wochenende, und er geht weiter seines Weges. Aufdringlich will er nicht sein, liebevoll vergeben ist er außerdem auch. Es geht ihm nur um die Magie des Momentes. Schon lange sitzt er nicht mehr in seinem selbst gebauten Kokon, diesen Wall aus Bewusstseins-verändernden Mitteln, der ihm die Welt einst zum vermeintlich eigenem Schutz außen vor ließ.

Er ist berührbar geworden, in jeder Hinsicht, spürt Regen und Sonne gleichermaßen. Schönheit aller Art kann ihn wieder beeindrucken und staunen lassen, wie irgendwann damals, als Kind. An guten Tagen strahlt er darum Offenheit und Ruhe aus, an weniger guten Tagen übt er sich wenigstens in Achtsamkeit sich selbst, seinen Mitmenschen und den Dingen gegenüber, wenn auch nicht immer mit dem gewünschten Erfolg.

Neulich fragt ihn die junge Dame an so einem Samstag, was er denn mache, dass er immer so gut drauf daher komme, voller Elan und Freude irgendwie. Beruflich? fragt er ein wenig unsicher, und nachdem sie nickt, verrät er ihr sein Tagewerk als Industrieschauspieler in einer großen Fabrik. Ach, und das macht Ihnen so viel Freude, meint sie amüsiert. Nein, antwortet er, er sei nun in dem Augenblick genau so, weil sie so sei.

Spieglein, Spieglein, denkt er, während er kurz darauf sein Fahrrad packt und heiterer Stimmung heim fährt.

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