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Abgesang, Teil 3

Im Bad läuft das Radio, es ist Karfreitag, und die Themen dementsprechend. Sie haben einen Buchautor eingeladen, der sein neues Buch vorstellt – Warum wir Trost brauchen. Interessiert höre ich zu, da ist von Unwiederbringlichkeit, von Endgültigkeit die Rede. Ich spüre nach … Trost, Vergebung. Für mich besteht da ein Zusammenhang.

„Gib mir ein wenig Zeit“, höre ich dich sagen. Passt, denke ich, das wollte ich dir auch gerade sagen. Du hast jetzt Zeit genug und irgendwann sehen wir uns sowieso wieder, um weiter aneinander zu wachsen, in welcher Konstellation auch immer. Du hast jetzt jedenfalls dein Grabstellenschild (nachdem ich mich mit Gemeinde und Friedhofsverwaltung gestritten habe), deine letzte Ruhestätte trägt deinen Namen, den Tag deiner Geburt und den Tag deines Todes. Vielleicht hilft es dir, dich aufzumachen.

Ein guter Freund meinte vor längerer Zeit mal zu mir, welch großer Schatz es sei, dass ich meine Eltern noch hätte. Ich habe kurz gestutzt und ihm dann geantwortet, nein, andersherum wird es etwas. Sie haben mich. Jetzt, wo mein Vater fast ein halbes Jahr tot ist, fühlt sich das immer noch genau so an. Die Feststellung ist mir wichtig, weil mir meine potentiellen Selbstbetrügereien allmählich vertraut sind. Nachspüren und hinterfragen ist mir darum immer wichtig.

Trauer – was dich angeht, fühlt es sich immer noch so an wie die meiste Zeit in meinem Leben. Ich hatte nie den Vater, den ich mir gewünscht habe, ich hatte den bekommen, der für mich vorgesehen war, den ich offensichtlich brauchte, um selbst ein anderer Vater zu werden. Möglicherweise. Dein Tod war nur ein großes Finale, um Vergebung und Frieden zu finden. Mag sein, dass es dir ähnlich geht.

Mutter geht es gut, von den Beschwerden ihres Alters mal abgesehen. Sie genießt ihr Alleinsein, nachdem sie so lange ihre Pflicht getan hat. Die kleine Wohnung ist lichter und heller geworden und ich wünsche ihr, dass sie noch ein Weilchen daran Freude haben darf.

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Der Plan

Schwitzend wälzt er sich auf seinem Nachtlager umher, ein Blick auf die Uhr verrät, dass es in eineinhalb Stunden Zeit ist aufzustehen. Es ist nicht nur die sommerliche Tropennacht, die ihn schlaflos macht. Die Geister, die ihn des Nachts besuchen, in seinen Träumen, tun ihr übriges.

Pflicht. Es gab mal einen Roman, da sollte einer einen Schulaufsatz schreiben, über die Freuden der Pflicht. Der Junge gab seinerzeit ein leeres Blatt ab, weil er nicht wusste, wo er beginnen sollte und kassierte seine ungenügende Note dafür. Der Schlaflose dagegen weiß heute seine Gedanken zu sortieren, was ihm allerdings auch nur begrenzt weiter hilft.

Die Arbeit – der größte Teil dessen, was man gemeinhin als Pflicht ansieht. Er hat seine Arbeit nie geliebt, allerdings schon in großen Teilen gerne gemacht, zu seiner Zufriedenheit und offensichtlich auch zu der seines Arbeitgebers, sonst wäre er nicht schon so lange in dem Unternehmen. Was ihm mehr zusetzt als die Arbeit selbst, ist das erkennen seiner eigenen Untiefen, mit den Jahren. All die Ängste, die er ausgestanden hat. Vieles hat sich aufgelöst, anderes lediglich transformiert, was an sich nicht schlecht sein muss. Geblieben ist ihm die Erkenntnis, das sein Leben ganz offensichtlich irgend einem seltsamen Plan folgt, geschrieben von einem, der es nach Lage der Dinge recht gut mit ihm meinte, bis dahin.

Hoffnung. Die hat er nie aufgegeben. Dass sich unter anderen dieser Zorn, der in dieser Zeit sein Herz so oft erfüllt, auch eines Tages legen wird. Wut auf die tägliche Tretmühle, die ihn manchmal zu ersticken droht. Zorn, der an die Stelle der Angst getreten ist, die ihn so lange gefangen hielt. Zorn auf diesen unerbittlichen Konkurrenzkampf, der nichts mehr mit dem gemeinsamen Jagen und Sammeln aus seiner Vorstellung von einst zu tun hat.

Frieden gibt es, das spürt er in manchen stillen Augenblicken, wenn gerade einmal wirklich nichts zu tun ist. Die frühen Morgenstunden, die er so liebt, weil die Stadt dann noch still ist, wenn die meisten Menschen schlafen. Die Besinnung, bevor für ihn der Tag beginnt. Versöhnung mit dem Weg, der für ihn in großen Teilen aus Überwindung bestand. Überwindung seiner selbst und mehr als einer Kapitulation aus vermeintlich verlorenen Schlachten.

Sein Berufsleben befindet sich im Endspurt, sozusagen. Alles scheint auf eine bestimmte Zeit hinaus zu laufen. Das Ende seiner Erwerbstätigkeit fällt, so scheint es, einerseits mit der Selbstständigkeit seines Kindes zusammen und andererseits ganz offensichtlich mit dem Lebensende seiner greisen Eltern. Nichts besonderes also, denkt er, auch viele andere seiner Generation sitzen auf diese Weise zwischen Baum und Borke, dort, wo es manchmal recht eng und ungemütlich werden kann.

In ein paar Jahren kann er also heraus aus dem Job und etwas anderes tun, was er idealer Weise von Herzen gerne tun kann. So ganz klar ist das noch nicht, weil es eben noch nicht wirklich ansteht. Nach Lage der Dinge brauchen die Eltern irgendwann eine Form von Unterstützung und/oder Unterbringung, die sehr viel Geld kosten kann. Der Staat? Der wird seine Frau mit rupfen, wenn er nicht zahlen kann und das ist das letzte, was er möchte. Also Augen auf und durch, jeden Tag auf`s Neue.

Seine Schlussfolgerungen erschrecken ihn beizeiten und er fragt sich öfter, ob man solcher Art berechnend auf das Lebensende seiner Erzeuger blicken darf. Sie sind ihm nicht gleichgültig, er möchte schon, dass sie es so gut wie möglich haben, in ihrer täglichen Fristverlängerung. Grenzbereiche, wie so oft in seinem Leben. Abschiede kennt er, ebenso dieses lebenslange Gefühl, im Grunde allein da zu stehen. Was so heute nicht mehr stimmt, wie er weiß. Allein das Gefühl will nicht wirklich weichen, es hat bei ihm schon immer etwas länger gedauert, der Weg vom Kopf in`s Herz kann sehr lang sein.

So reiht sich Tag an Tag, Dankbarkeit wechselt manches Mal den Zorn ab, der seinerseits leider immer noch die Angst ablöst. Er weiß, dass das größte Kunststück der nächsten Zeit darin bestehen wird, selbst einigermaßen gesund zu bleiben. So, wie ihm klar ist, dass Gott nicht würfelt und erst recht nicht mit sich handeln lässt.

Fortsetzung folgt, vielleicht.

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Experiment Auto-freies Leben

9 Monate waren wir hier im Tal der Wupper komplett ohne Auto. Seit kurzem steht wieder ein motorisierter Winzling vor der Türe, dafür gab und gibt es Gründe, ebenso, wie es genügend Gründe gegeben hätte, den Kleinen nicht anzuschaffen.

Zeit für eine Rückschau: Zusammenfassend lässt sich sagen – es lebt sich ohne Auto, wenn auch eingeschränkt. Wir sind öfter mal und gerne unterwegs, das ist hier in der Gegend ausgesprochen kompliziert und auch teuer (Stichwort mehrere Verkehrsverbünde, die nur rudimentär miteinander kooperieren) Dazu: Permanente Verspätungen und Chaos bei der Bahn. Wie, um mich damit noch einmal zu bestätigen, sei erwähnt, dass wir gestern (an einem Montag) für die Strecke Salzburg-Wuppertal mit der Bahn (die Karten waren schon gekauft) fast 14 Stunden gebraucht haben Zur Entlastung der Bahn muss gesagt werden, dass ein Teil der Verspätung Folge von mehreren Brandanschlägen auf Signalanlagen war. Die Hinfahrt jedenfalls war auch mit 90 Minuten im Plus. Platzreservierung zum Teufel, auf dem Koffer hocken im Gang. Und – ja, ich weiß. Je nach Datum und Tageszeit sind die auch Autobahnen eher Parkspuren als Reisewege.

Was mich an der Bahn richtig ärgert: Sie verzocken ihre Fahrpreise. Günstig buchen ist pure Glücksache. Da bin ich sehr altmodisch. Wenn ich handeln möchte, gehe ich auf einem Trödelmarkt oder einem orientalischen Basar. ansonsten bevorzuge ich feste und vor allem überschaubare Tarife.

Was den Alltag angeht, da fällt die Bilanz schon um Längen besser aus. Weil wir beide fußläufig oder, in meinem Fall, komfortabel mit dem Rad zur Arbeit gehen/fahren können. Einkaufen mit dem Rad ist auch kein Thema, Dank Kuriersack auf dem Buckel und/oder Packtaschen an den Seiten. Meine persönliche Bilanz als Mit-Fünfziger: Es bringt Kondition, so zu leben. Bis dahin war es ein teils holperiger Weg. Ausprobieren mehrerer Kettenblatt-Ritzel-Kombinationen, bis schlussendlich eine Kombi gefunden wurde, die einen guten Kompromiss aus Bergtauglichkeit mit Last (da kommen schnell 20 Kilo zusammen) und Endgeschwindigkeit auf der anderen Seite darstellt. Versuch und Irrtum waren auch der Weg hin zur vernünftiger Kleidung. Vernünftig im Sinne von Wetter- und Alltags-tauglich (denke das an so 2, 3 Grad plus und Dauerregen) und Anschaffungspreis (High-Tech-Zeug zerreißt an Zweigen und Brombeer-Hecken leider genau so wie die Müllsack-ähnlichen Dinger vom Discounter.)

Eine weitere, interessante Erfahrung in dem Zusammenhang sowie allgemein zum Thema älter werden waren teils sehr schmerzhafte, mehrfache Rippenblockaden über viele Wochen. Das ging über den Hausarzt, der bemüht, aber leider nicht sehr erfolgreich sein Glück versuchte, hin zum Orthopäden, der auch als Sportmediziner praktiziert.

Sätze der Doktoren, die mir heute noch in den Ohren klingen lauten: Finden `se sich damit ab, für ihren allmählich älter werdenden Körper täglich mehr Zeit investieren zu müssen, um fit und beweglich zu bleiben. (der Hausarzt). Oder der Orthopäde, der mich geräuschvoll und mit gezielter Gewalt „deblockierte“, auf meine Frage, das Radfahren betreffend: Sie machen alles richtig, weiter so! Dazu noch regelmäßig, also tägliche Übungen zur Stärkung der Halswirbelmuskulatur,

Ich will Sie in, sagen wir, vier Monaten wieder hier sehen und von Ihnen wissen, wie es Ihnen geht.

Mit diesen Worten sowie mit eine kleinen Liste skizzierter Übungen entließ er mich. Seitdem lasse ich einen Teil davon in meine morgendliche Routine einfließen. Meine Yoga-Übungen sowie die HWS-Gymnastik (eigentlich sind das sehr einfache, auch zwischendurch über Tag zu praktizierende Übungen) beanspruchen nunmehr allmorgendlich 20 Minuten. Und – es hilft. Ich fühle mich jetzt schon, nach ein wenigen Wochen, um Längen besser.

Fakt ist, meinen alltäglichen Lebenswandel mit dem Rad werde ich beibehalten.

Was waren also die Gründe für ein Auto, wenn nicht die tägliche Pendelei ? Unsere größeren und kleineren Reisen sind das eine. Etwas anderes ist es, dass ich mich nicht in einer Situation wiederfinden möchte, in der ich ein Auto haben muss und dann zu nehmen habe, was ich bekommen kann (Jetzt hatte ich eine ruhige, überlegte Wahl). So ist es durchaus denkbar, wenn auch nicht wünschenswert, dass sich meine berufliche Situation (sind noch etliche Jahre) nochmal ändern mag. Dazu kommt das mittlerweile hohe Alter meiner Eltern, die hartnäckig am grünen Stadtrand verweilen möchten. Stadtrand heißt in unseren Fall hier im Tal der Wupper gut 200 Höhenmeter Differenz plus so einige Kilometer. Nicht geeignet für regelmäßige Besuche mit dem Rad, nach getaner Arbeit. Geschwister, auf die ich meine Verantwortung diesbezüglich delegieren könnte, gibt es keine, was, weiß Gott, für mein persönliches Wachstum gute Gründe haben mag.

Wie auch immer.

So mache ich in großen Teilen weiter wie bisher mit dem Rad und nehme hin, dass der Kleine da draußen derzeit mehr ein Stehzeug als ein Fahrzeug ist.

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Nicht allein

Ein neues Buch liegt hier, die ersten paar Seiten habe ich schon gelesen.

Kriegsenkel von Sabine Bode.

Dort ist u.a. die Rede von diffusen Ängsten und tiefsitzenden Verunsicherungen der Kinder der so genannten Kriegskinder, also hauptsächlich der in den 60ern geborenen Kinder. Kinder mit Vater und Mutter wie meine Eltern eben, die bei Kriegsende selbst so um die zehn Jahre jung waren. Welche Auswirkungen deren Erlebnisse auf ihre Kinder wiederum, der dritten Generation nach den Tätern hatten.

Meine Generation, meine Geschichte.

Nie hätte ich gedacht, das all das einmal Thema eines Buches und vieler therapeutischer Erklärungsmodelle sein würde. So viel ging mir schon nach den ersten Zeilen durch den Kopf. Das Leben meiner Eltern. Sie waren unübertroffen im Ausblenden großer Themenbereiche, im Leben innerhalb einer selbst erschaffenen Matrix. Diese Sätze. Das ich nicht wüßte, wie gut ich es hätte. Diese Missachtung von Individualität, entstanden aus dem Zwang zur Konformität, der wichtigsten Überlebensstrategie der einfachen Menschen im Nationalsozialismus. Nicht auffallen eben.

Diese Geschichten, die mir wie aus einer anderen Welt schienen. Spärlich kamen sie an`s Licht, vieles erst auf hartnäckige Nachfrage hin. Mein Vater hatte das „Glück“, in Quartieren weit im Osten der Stadt aufzuwachsen, die von den Angriffen nicht so extrem betroffen waren. Meine Mutter hingegen musste diese Nächte in der Innenstadt erleben. Aus dem Keller heraus mit ansehen, wie Menschen im vom Phosphor entzündeten Asphalt stecken blieben und verbrannten. Die Hölle auf Erden.

Andere Geschichten. Geschichten von Flucht, Kinderlandverschickung. Geschichten von Zwangssterilisation, Denunziation, angewandter Rassenwahn. Geschichten derer, die nicht zurück gekommen sind. Derer, die am nächsten Morgen schlicht nicht mehr da waren. Geschichten der wenigen, die sich dem Irrsinn erfolgreich entziehen konnten, die den Preis  zu zahlen dafür bereit waren, ein Leben im Untergrund. Und auch die Geschichten derer, die das System mit trugen, sei es in ihrer Gesinnung, sei es an der Front. Alles innerhalb zweier Familien. Nach den Geschichten vom Terror folgten die Geschichten vom Hunger, von Entbehrungen, von der Not, eine Bleibe zu finden. Vom Zwang, zu heiraten, um überhaupt eine Bleibe zu finden.

Du weißt überhaupt nicht, wie gut Du es hast.

Es ging mir gut, ihren Maßstäben nach, ja. In Friedenszeiten aufwachsen zu dürfen, ist für sich genommen erst einmal ein großes Geschenk. Wenn dieses Gefühl nicht gewesen wäre. Das irgend etwas nicht stimmt an dieser vorgelebten Welt. Maskerade. Für sie war sie Überlebens-notwendig, um das Erlebte irgendwie erträglich zu machen. Auf mich wirkte sie aufgesetzt und unecht. Wenn  diese Träume und Ängste nicht gewesen wären, für die es offensichtlich doch keinen Grund gab.

Heute weiß ich, das es keinen einzelnen, schlüssigen Grund für die Zustände gibt, in denen ich mich als Kind, als Jugendlicher und als Erwachsener wieder fand. Allenfalls ein ganzes Bündel von Ursache und Wirkung, keine Schuld. Die Geschichte meiner Eltern ist ein Teil davon.

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