Archiv für den Monat: Juli 2014

Eingeschränktes Sichtfeld

Heute Morgen stehe ich in der Warteschlange einer Bäckerei-Filiale beim Akzenta um die Ecke. Es dauert, ein dicker, bärtiger Kerl hat offensichtlich eine riesige Sippe zu versorgen, vor ihm auf der Theke liegen gut ein halbes Dutzend prall gefüllter Tüten.

Endlich bin ich an der Reihe. BITTESCHÖN! fragt ein etwas säuerlicher Mund und ich sage „6 Brötchen und zwar davon...“ Jetzt wird`s schwierig. Ich quetsche mich neben dem Dicken mit der Groß-Sippe und stehe so wenigsten unmittelbar vor den Auslagen. Was mich aber nicht wirklich weiter bringt, denn mindestens eine halbe Fußball-Mannschaft emsiger Kolleginnen von BITTESCHÖN flitzen hin und her, um die zahlreichen Wünsche der Wartenden zu erfüllen. So sehe ich anstelle der begehrten Backwaren genau in Blick-Höhe nur die Hinterteile der Kolleginnen, was zwar auch seinen Reiz hat, mich aber meinem Ziel einer vollständigen Bestellung nicht näher bringt.

BITTESCHÖN guckt ungeduldig und ich sage zu meiner Entschuldigung mit ein wenig hilfloser Mine „Kann leider nix sehen…“  Das stimmt zwar so nicht per Definition, aber weiter ausführen möchte ich das jetzt nicht. Dann kommt sie, diese Frage, mit zickigen Unterton:

„WAS können Sie denn nicht sehen?“ 

Jetzt wird mein dramaturgisches Talent geweckt, von dem ich eigentlich bis heute Morgen noch nichts wusste. Mit ausgebreiteten Armen und ratlosen Gesicht stehe ich da. „Wie kann ich Ihnen etwas beschreiben, was ich eben nicht sehe…“  Diese Logik treibt einigen der Emsigen einen Anflug von Lächeln in`s Gesicht und ich nutze derweil jede Lücke, um endlich zu Potte zu kommen. „Davon zwei…“ mit ausgestecktem Arm – „davon auch…“  Was weiß ich, welche Phantasie-Namen dem ganzen Zeug hier gegeben wurde, Schilder lesen ist mir aus gegebenen Anlass schon erst recht nicht möglich.

Endlich ist alles komplett und bezahlt, BITTESCHÖN und ich wünschen uns zuckersüß ein schönes Wochenende. Während ich erleichtert das Weite suche, wundere ich mich immer noch.

Fragen gibt es!

Durch die Zeit gefallen

So schrieb ich neulich in einem Kommentar, bezüglich meiner Befindlichkeiten. Es ist ein Gefühl, was mich schon länger verfolgt, mal ganz nah und unmittelbar präsent, mal in sicheren Abstand, schön hinter der letzten Häuserecke versteckt. Was verbirgt sich dahinter? So genau lässt sich das nicht festmachen, es zieht sich durch viele Lebensbereiche, ist eine Gemengelage von Vergangenen und Gegenwärtigen.

Zum einen hängt das vielleicht mit meinem beruflichen Status zusammen. Allen Wandel und technischem Fortschritt zum Trotz bin ich irgendwo Handwerker geblieben, ein digitaler Bastler mit kaufmännischen Hintergrundwissen. Was im Gegensatz zu meiner erlebten Wirklichkeit steht. Die Dienstleistungs-Gesellschaft lässt grüßen, ständig umgeben mich mehr Theoretiker, ein Chor von Wasserträgern, Wasserköpfen und keiner, der es in irgendwelchen klugen Reden nicht noch besser wüsste. Sie passen besser in die Zeit, scheint es, die Krawatten- und Seidenschal-Träger, die Flüsterer, die Krämer-Seelen (würden sie wenigstens richtig rechnen können), die Hofschranzen. Laut und schmutzig war gestern, das machen heute allenfalls die Chinesen oder sonst wer und auf dem Schirm sieht immer alles toll aus.

Andererseits hängt dieses seltsame Gefühl auch mit dem so genannten Zeitgeist zusammen, so, wie ich ihn ganz subjektiv empfinde. Nach außen ist er tolerant, der Geist der Zeit, Tattoo`s, schräge Klamotte, alles geht in Ordnung, soweit beruflich keine Kunden-Kontakte bestehen. Aber wehe, die Umgangsformen stimmen nicht, wehe denen, die zu „emotional“ reden. Die Inhalte sind dann nicht mehr wichtig, dann zählt nur noch der Ton.

Was sich auch im Großen widerspiegelt, in der Politik. Mutti ist pragmatisch, Charisma tut nicht Not, Wahrhaftigkeit auch nicht. Man empört sich Bündnis-treu über die Bösen im Osten und blendet anderes schreiendes Unrecht mit schlechtem Gewissen oder aus puren pragmatischen Geschäftssinn aus. Handels-Partner verärgert man nicht ernsthaft, ein bischen Schimpferchen hübsch verpackt reicht, die Krämerseele lässt grüßen. Noch nicht einmal kann ich mich da aufrecht und mit guten Gewissen empören, da ich zumindest ein kleiner Teil der großen Spieles bin.

Auch möchte ich nicht missverstanden werden. Dieses Land hier hat angesichts seiner Geschichte erstaunliches erreicht, in Sachen Menschlichkeit und Miteinander, selbst, wenn alter Unrat stets durch das dünne Mäntelchen schimmert. Allen Missständen zum Trotze kenne ich kein praktikableres besseres Gesellschaftssystem.

Was nicht heißt, das es nichts zu verbessern gibt.

Nachts

Der große Saal in dem ehemaligen Filmstudio ist mit einem schwarzen Vorhang ein wenig reduziert und allmählich wird es voller. Bunt gemischtes Publikum, in der Mehrzahl so um die 40 vielleicht, aber auch einige in unserem Alter und einige jüngere. Hier ein Punk, dem man sein Leben wie auf einer alten Landkarte im Gesicht ablesen kann, dort ein headbangender Metal-Freak. Tattoos allerorten, stilistisch kann man in dem Laden nichts falsch machen, was meiner mit mir in Würde gealterten Garderobe sehr entgegen kommt. Selten sind solche Ausflüge geworden, derweil sie meist im Tageslicht münden, mit Auswirkungen auf den Folgetag. Was uns jetzt nicht groß kümmert, Regen ist versprochen und da gibt es dann Ruhe genug.

Die Musik ist laut und sagenhaft bass-lastig im Bauch zu spüren. Selten mal ein Ausrutscher in`s poppige, meist bleibt es schnell und hart. Hier und da dringen Gesprächsfetzen durch die laute Musik, Mimik spricht für sich. Gerüche vermischen sich zu einer Wand aus Ausdünstungen aller Art. Früher kam noch Tabakrauch dazu, das ist dank der verbreiteten Militanz der Nichtraucher vorbei. Dafür wird draußen im Biergarten kräftig gequalmt und ein etwas genauerer Blick offenbart in dunklen, regennassen Ecken Männlein und Weiblein, die gut mit sich selbst beschäftigt sind.

Wieder stehe ich mit der Liebsten und Freunden in der Wand aus Musik und Sinnlichkeit. Nur umher stehen macht Rücken- und Knie-Probleme auf die Dauer und so lassen wir uns treiben vom Sound, kommen in Bewegung, was sich ausgesprochen gut anfühlt. Gedanken aller Art treten für den Moment zurück, machen Platz für den gewaltigen Bass im Bauch.

Am frühen Morgen trennen sich unsere Wege wieder daheim im Tal der Wupper. Bis zum nächsten mal, dann wieder ruhiger vielleicht. Dort hin kann man ja immer mal wieder, es wird wohl weiter gehen im ZAKK, den jeweils ersten Samstag im Monat dann etwas schneller als üblich.

2014-07-06_02.23.01

Idole & Vorbilder

Mit den Jahren wurden sie weniger, mit zunehmend kritischen Blick. Einige wenige sind geblieben, Menschen, die mich sehr beeindrucken  mit ihrem Charakter und ihren Taten. Einer von ihnen war Christian Führer, der ehemalige Pfarrer der Nikolai-Kirche in Leipzig. Er verstarb gestern nach schwerer Krankheit.

Im Frühjahr erstand ich im Rahmen eines Kurz-Besuches in Leipzig ein Buch von ihm, in dem er seinen Werdegang schilderte, hin zu den Friedens-Gebeten, die 1989 die friedliche Revolution in der DDR einleiteten und auch darüber hinaus, als Bürger der BRD. Mitten in dieser Lektüre kommt dann heute die Meldung seines Todes, die mich darum um so mehr berührt. Wann hat es das schon einmal gegeben, eine weitestgehend friedliche Revolution, die ihre Wurzeln in der Kirche hatte. Gerade in Deutschland. Menschen wie er haben meinen tiefen Respekt, Menschen, die das Wirken Jesu wörtlich genommen haben, mutig und mit Augenmaß ihren Glauben lebten.

R.I.P., Christian Führer.