Archiv für den Monat: Oktober 2016

Morgenstunde Ende Oktober

Die ehemalige Deponie Eskesberg liegt an unserer Nordbahntrasse. Der Aufstieg, jedenfalls der kürzeste, ist sehr steil, aber der Weg lohnt sich. Heute früh habe ich die Gunst der frühen Stunde eingefangen und war punktum zum Sonnenaufgang dort.

Zeit der langen Schatten.

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Die Bilder sprechen selbst …

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Sail

Manchmal verfeuere ich alles, um weiter zu kommen.
Manchmal verfeuere ich, weil ich etwas verfeuern will.
Manchmal werfe ich Schatzkisten Außenbords.
Manchmal finde ich überraschend Schlüssel,
lasse dem großen Vogel die Freiheit.
Manchmal steuere ich selbst, so gut ich kann.
Manchmal vertäue ich das Steuer.

Autopilot.

 

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Werkstatt-Troll

Du hast eine kleine, fein und übersichtlich ausgestattete Werkstatt. Alle Dinge, die Du für den Erwerb deines täglich Brot benötigst, haben ihren festen Platz. Es gibt große Schränke mit unterschiedlichsten Werkzeugen für dein vielfältiges Tagewerk. Jeder Schrank hat seinen Namen, als Sammelbegriff seines Inhaltes, jede Schublade ihr Schild, das den Inhalt erkennen lässt.

Einmal im Jahr kommt dann der Werkstatt-Troll, sozusagen planmäßig und sogar mit Vorankündigung. So kommt es, das du eines Morgens die Werkstatt betrittst und nichts ist mehr an seinem vertrauten Platz. Schränke sind vertauscht, Beschriftungen geändert, Du bist der, der sich den Wolf sucht, nach allen Regeln der Kunst. Leider gehörst Du nicht zu denen, die gerne auf Entdeckungstour gehen, sondern möchtest viel lieber dein täglich Brot zügig verdienen.

Was bleibt, ist temporäre schlechte Laune und ein langsames sich-vertraut-machen mit der neuen Ordnung. Einfach alles wieder wie früher geht leider nicht. Zwar kannst du den Troll aussperren, die Bude vernageln und den Wicht ignorieren. Irgendwann jedoch tritt er dir mit mit aller Gewalt die Türe ein und produziert dann so richtig Chaos, mit ungleich härteren verwirrenden Folgen. Dann ist nämlich keiner mehr zur Stelle, der dich zumindest ein wenig mit der neuen Ordnung vertraut machen kann.

Der geneigte Leser ahnt bestimmt schon, worum es geht. Das Ganze nennt sich System-Upgrade, die Werkstatt ist ein Programm und der Troll steht stellvertretend für die große Geld-Druckmaschine der Software-Schmieden, die alljährlich via Lizenzen und Schnittstellen ihrerseits das tägliche Brot verdienen wollen.

Dinge die ich nicht ändern kann.
Gelebte Gelassenheit – soweit möglich 😉

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Piccolo

Nicht, das ich sie wirklich sehen könnte, sie sitzt im Zug schräg vor mir. Es dämmert, und die Zugscheiben geben Spiegelbilder frei, die sich mit dem Blick durch den schmalen Spalt zwischen den Sitzen zu einem etwas größeren Bildausschnitt ergänzen.

Gepflegt wirkt sie, deren Alter schwer zu schätzen ist. Sauber und modisch gekleidet verbringt sie viel Zeit während der Reise mit ihren Fingernägeln, die über einem sorgsam ausgebreiteten Tuch akkurat gefeilt werden. Sie ist sehr schlank, so das ihr leicht gedunsenes Gesicht nicht recht zu ihrer Figur passen will. Zunächst spüre ich nur, das sie schwitzt, obwohl es im Abteil eher kühl ist.

Sie ist routiniert. Die Flasche steckt verschämt hinter einer Zeitung im Gepäcknetz der Sitzlehne. Sie hat zwei Handtaschen, eine ganz unverdächtige typische Damenhandtasche sowie eine zweite, die problemlos als Beautycase durchgeht, modisch anzuschauen. Das ist ihr Depot, sie ist meisterlich in der Kunst, fast geräuschlos eine leere Flasche gegen eine volle zu tauschen. Regelmäßig nimmt sie einen Schluck, nach einem genau festgelegten Zeitplan. Einem Zeitplan, den ihre Besatzer vorgeben, jene stillen Machthaber, die bei körperlicher Gewöhnung an Alkohol den Takt vorgeben. Der Spiegel will gehalten werden, ohne dem das Leben zur Hölle wird.

So, wie alles einem genau festgelegtem Plan zu folgen scheint. Immer wieder der Whatsapp-Check auf dem Smartphon, wieder Maniküre, wieder ein kleiner Schluck. Nur ein Telefonat, offensichtlich mit einem Kind, unterbricht die Routine, ebenso ein kurzes Nickerchen mit den gefalteten, makellosen Händen.

Gern hätte ich mit ihr gesprochen, wohl wissend, wie fruchtlos solche Gespräche in der Regel verlaufen. Hätte ihr gerne von mir erzählt, von dem nassen Säufer, der ich einst war. Der zum Ende hin auch beinahe den unheimlichen Machthabern zum Opfer gefallen wäre, die bei Nichtbeachtung Schweißausbrüche und lose flatternde Nervenenden produzieren.

Was bleibt, ist die Gewissheit, das jeder Mensch seinen eigenen Zeitplan Gottes in sich trägt. Als wir aussteigen, bleibt sie sitzen. Fast schon symbolisch. Viele steigen nie aus, gehen diesen Weg bis zum Ende. Was mir bleibt, ist tiefe Dankbarkeit, anders leben zu dürfen einerseits sowie die Bitte an unseren Schöpfer, ihr beim aussteigen behilflich sein zu können.

Falls es sein Wille ist.

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Greenhound

Das Auto ist verkauft, und so stehe ich als ehemaliger, eingefleischter Kraftfahrer vor der Herausforderung, die paar weiteren Reisen im Jahr eben ohne Auto zurückzulegen. So geschehen am vergangenen, langen Wochenende, meiner erste Fahrt mit der deutschen Variante des Greyhounds, die hierzulande im schicken Grün daher kommt.

Ein zentraler Omnibusbahnhof ist von der Auto-Stadt Wuppertal nicht vorgesehen, da die Fernbusse eben privat sind. Diese halten darum schön am anderen Ende der Stadt, ohne Fahrgasthäuschen, ohne Toiletten, direkt an der B7. Das große Kind ist so nett, uns früh morgens dorthin zu fahren, mit seinem ersten eigenen Auto. Wir sind einiges zu früh, was meiner Paranoia geschuldet ist, einiges zu spät zu kommen und stehen darum erst einmal herum. Langsam kommen noch mehr Fahrgäste hinzu.

Das Gepäck. Gewohnt, stets den gefühlten halben Hausrat mitzuführen, darf ich mich in Minimalismus üben. Wobei immer noch ein gut gefüllter 60-Liter-Trolley nebst Rucksack am Ende übrig bleibt. Auf ein paar Sachen will ich einfach nicht verzichten. Auf meinen morgendlichen grünen Tee zum Beispiel. Den brauche ich in größeren Mengen zur Befeuerung meiner Seele und meiner Verdauung. Getränke fallen meiner Erfahrung nach bei den meisten Frühstück-Buffets für meine Verhältnisse eher sparsam aus, darum habe ich meine dem Handgepäck angepasste Teeküche auch nun dabei: Ein Baby-Wasserkocher 0.5 Liter, eine ebenso niedliche Isolierkanne von 0.35 Litern sowie einen Becher aus Auto-Zeiten.

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Der Bus kommt pünktlich und der Fahrer öffnet den Bauch des großen grünen Ding, der unser Zeug aufnehmen soll. Erste Erfahrung: Der Fahrer öffnet und schließt lediglich den Gepäckraum, jeder schiebt und drückt sein Zeug nach Belieben hinein. Verschlüsse sollten also gesichert werden.

Es sind mehrheitlich jüngere Menschen, aber nicht nur. Eine offensichtlich etwas unsichere Frau in unserem Alter wird liebevoll von ihrem Mann verabschiedet, es ist ebenso ihre erste Fahrt mit dem Fernbus, wie sich heraus stellt. Platz-Reservierungen gibt es nicht, wir setzen uns weiter hinten im Bus in die großzügig bemessenen Sitze. Gemach geht es los. der Fahrer ist ebenso sehr jung, aber ausgesprochen nett und hält erst einmal ein Rede. Nennt die Zwischenstopps, mahnt an, das Bordklo mangels Kanalisation nur im Notfall zu nutzen, verweist im übrigen auf Pinkel-Pausen, das Rauchverbot sowie auf einen Fahrerwechsel unterwegs, derweil der Bus bis Stockholm weiter fährt. Wir wollen nur bis Hamburg, was in gut fünf Stunden zu schaffen sein soll.

Auf der anderen Seite neben uns sitzen zwei junge Wuppertaler Grazien, beide gut im Futter, was nicht verwundert, da sie irgendwie ständig essen. Und reden. Eine hohe Kunst, an gewissen Möhren und anderen Sachen vorbei zu sprechen, ohne etwas wieder zu verlieren oder grob unverständlich zu werden.

Derweil kommt es zum ersten und nicht dem letzten Notfall, die Allein-Reisende nutzt die Bord-Toilette. Das verkneife ich mir, habe vorsorglich im Tal der Wupper noch den Bahnhofszaun gewässert, der grüne Tee möchte schließlich auch wieder hinaus.

Von irgendwo her zieht es, mir fröstelt und ich zerre meine Jacke aus dem Gepäcknetz, wickele mich ein Stück weit darin ein. Andere machen es sich gemütlich. Schuhe werden aus- , dicke Norweger-Socken angezogen. Schräg vor uns in der Bank sehe ich zwischen den Sitzen nur ein wirres Haarknäuel sowie Richtung Gang ein paar kräftige Frauenfüße in verschlissenen Ringelsocken. Offensichtlich ist ein Platz unbesetzt und es wird die Gunst der frühen Stunde für ein Schläfchen genutzt.

Das ändert sich in Bielefeld, der Bus ist hier randvoll. Aus der kalten Zugluft wird so ein lebenspendender Frischluft-Strom. Die stämmige junge Dame richtet sich offensichtlich hungrig auf und ich staune, was sie aus den Tiefen ihrer Tasche hervor holt. Ein riesiges Brot am Stück kommt zu Vorschein, wird Raum-füllend auf dem Sitzlehnen-Mini-Tischchen platziert und zu den Füßen passende Hände sägen mit einem Taschenmesser eine dicke Scheibe ab. Fingerdick wird die Scheibe mit einem undefinierbaren, Senf-farbenen Zeug aus einem Glas bestrichen und zur Krönung noch mit frisch geschnittenen Gurkenscheiben verziert. Mahlzeit. Selbst mag ich unterwegs nichts essen und nur wenig trinken.

Mich nerven ein paar Schuhe in der Nähe meines Sitzes und schaue kritisch in die Richtung der Trägerin. Sie fragt, ob das so ginge und ich nicke gnädig, unter der Auflage, sie möge sich nach Möglichkeit von meiner Jacke fernhalten. Später dann bei eine Pause stellt sich heraus, das dort hinten in der letzten Reihe die Fußablagen fehlen, entschuldigend wird auf Wasser in den Beinen verwiesen sowie auf die lange Fahrt bis Stockholm und ich bin meinerseits froh, nicht zu streng mit ihr gewesen zu sein.

Der Diesel ist gut gedämmt und brummt monoton leise. WLAN gibt es, aber ich bekomme warum auch immer die Installation nicht hin, was nicht weiter tragisch ist, derweil mir lesen beim fahren immer schon Kopfschmerzen machte. So schalte ich in geistigen Standby-Betrieb und lasse mich von den Fahrgeräuschen einlullen.

Die Fahrzeit. Gut beraten ist, wer sich einen satten Zeitpuffer am Zielort verschafft. Die angegebene Fahrzeit gleicht angesichts der ständigen Staus nur einer groben Empfehlung. Die Fahrer sind ihrerseits fit mit GPS und verlassen mehrfach rechtzeitig die Bahn, um den Stau durch die Dörfer zu umfahren, was Erinnerungen an meine Zeit der Mitfahrgelegenheit bei mir weckt. Mit einer guten Stunde Verspätung erreichen wir so den Hamburger ZOB, an dem wegen des langen Wochenendes ein unglaubliches Gedränge herrscht.

Fazit: Fernbus fahren ist in jedem Fall unterhaltsam und auch günstig, sofern man früh genug bucht. Und es dauert, Zeit mitbringen ist wichtig.

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