Schlagwort-Archive: Leistenbruch

Netzwerk – 2 Jahre später

Eigentlich wollte ich zu diesem Thema nichts mehr schreiben, so eine große Sache ist es ja nun auch wieder nicht. Andererseits finden immer wieder geneigte Leserinnen und Leser über das Stichwort Leistenbruch hier her. Dazu kommt, dass das Internet in der Tat vom rein medizinischen Aspekt mal abgesehen nicht sehr ergiebig ist, was Erfahrungsberichte zu diesem Thema angeht. Spricht man(n) nicht drüber, oder es wird gerade unter Männer gerne heldenhaft berichtet, dass alles noch besser ist als je gehabt.

Am passendsten finde ich immer noch die Aussage eines Kollegen:
Es ist nichts wie vorher.
Kommt hin.

Im Alltag bin ich weitgehend beschwerdefrei. Auch optisch ist keine Veränderung im betreffenden Bereich zu erkennen, die darauf schließen lassen müsste, das eingebaute Netz sei durch. Weitgehend beschwerdefrei lässt auf Ausnahmen schließen, richtig. Zunächst einmal sei gesagt, ich treibe weiterhin Sport, fahre regelmäßig und gerne auch ausdauernd Rad, bewege mich allgemein gerne und viel.

Schmerzen, ziehender Art, kommen dagegen unter verschiedenen Zu- und Umständen:

  • Bei Radtouren jenseits der vielleicht 50 Km, gerade dann, wenn mich falscher Ehrgeiz hier in den Bergen am herunterschalten gehindert hat
  • Beim Bewegen von Lasten über ca.15, 20 Kg, auch kurzzeitig und unter Berücksichtigung des „richtigen“ Hebens aus den Beinen.
  • Husten im Zuge von grippalen Infekten oder Erkältungen.
  • Die seelischen Aspekte nach Rüdiger Dahlke. Es ist für mich sehr lehrreich, festzustellen, dass das Geschriebene zumindest auf mich immer noch ziemlich gut zutrifft. Will ich mit dem Kopf durch die Wand, oder, anders gesagt, versuche ich Menschen und/oder Umstände zu ändern, die nicht zu ändern sind (Stichwort Überheblichkeit und/oder Fehleinschätzung der eigenen Ressourcen), entstehen Stress-bedingte Schmerzen in der Leistengegend, mitunter interessanter Weise manchmal auch in dem Bereich, der nicht operiert wurde. Ein körpereigenes Frühwarnsystem sozusagen, das mich meist zeitig zum innehalten und nachspüren auffordert.

Das taube Gefühl im Oberschenkel ist zurückgegangen. Manchmal, je nach Belastung kribbelt, sticht oder brennt es gelegentlich. Es kann lange dauern, bis sich Nervenenden wieder finden und verbinden.

Und ja, das ach so wichtige Thema Sexualität. Allen besorgten Geschlechtsgenossen kann ich nur sagen, es bleibt uns erhalten, damit frisch und frei nach Kräften zu haushalten. Nach Kräften meint, solange ich die hormonelle Uhr nicht um mehrere Jahrzehnte zurückdrehen möchte 🙂

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PS: Mehr zum Thema HIER

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Netzwerk – die Diagnose

Gemerkt habe ich nicht viel davon. Ich bin ein Mann und deutlich über 50, da darf es schon mal hier und da ziehen und zwicken. Heraus kam es erst im Rahmen einer Vorsorge-Untersuchung, zu der mich der Doktor meines Vertrauens sozusagen genötigt hatte, erstmalig, nach einer derben Infekt-Folge im Winter. Das volle Programm, ein Stunden-Werk mit vielen tollen Bildern meiner Innereien, die er hocherfreut kommentierte.
(An der Stelle Respekt vor seinen Sachverstand und seiner Begeisterungsfähigkeit!)
Am Ende stand die typische Männer-Runde unten herum, mit sachkundigen Blick, viel Gefühl und wieder Beweis-fähige Bilder, auf denen ich nichts und er alles sah.

Leistenbruch, links, nicht sehr groß, aber eindeutig durch.
„Dat wird nich`von allein, im Gegenteil, wird eher größer mit der Zeit, sollten`se operieren lassen.“

Nach der Abtast-Prozedur tat es auch tatsächlich weh oder zumindest habe ich erstmals bewusst darauf geachtet. Nun bin ich eigentlich richtig gut im abwarten, bis die Dinge sich von allein regeln, was oft genug mit ein wenig Obacht auch gesundheitlich funktioniert. Die überzeugende Ansage des Dok`s und entsprechende Recherchen im Internet meinerseits haben mich aber schnell überzeugt, das es wohl dieses mal wohl nicht der Fall ist.

Der Eingriff selbst – mittlerweile ist wohl seit ein paar Jahren das so genannte minimal-invasive Verfahren mit einem zwischen Bauchdecke und Leisten-Wand platzierten Kunststoffnetz Standard, nur noch in Ausnahmefällen wird klassisch, also offen operiert und genäht. Geht sogar ambulant, aber der Dok meint, ich möge das ruhig stationär machen lassen, zwei Tage Krankenhaus mit einer Übernachtung dort.

Legen`se de Füße hoch, machen`se nix, lassen`se sich bedienen!“ 
(Ein Rat, für den ich ihm noch dankbar sein sollte)

Eine entsprechende Klinik hier in der Stadt war nach Recherche im Bekanntenkreis auch schnell gefunden und der Dok bestärkte mich im meinen Entschluss, mich den Fachärzten dort anzuvertrauen.

Also machen lassen, aber wann? Mir war nicht klar, wie gefährlich das nun real ist, im Netz stehen ja die schlimmsten Sachen, Darm-Schlingen, die sich einquetschen und absterben können bis hin zu akuter Lebensgefahr, Also noch einmal hin zum Doktor, nachgefragt und beruhigt wieder gegangen, nachdem er mir versicherte, das ich das gut und in aller Ruhe planen könne, der Bruch würde keine sofortigen Maßnahmen erfordern. allein diverse Waschmaschinen-Transporte möge ich doch bitte erst einmal anderen überlassen.

Das klang gut, derweil die Sommerferien vor der Tür standen mit den üblichen personellen Engpässen auf Arbeit, ebenso hatte ich keine Lust, die nötige Rekonvaleszenz-Zeit in dem seit langen geplanten, gemeinsamen Urlaub zu erleben bzw. auf die Reise mangels Fitness ganz  verzichten zu müssen. So konnte in Ruhe ein Zeitplan erstellt werden sowie eine Absprache auf Arbeit erfolgen.

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Netzwerk – Ursachenforschung und Veränderungen

Natürlich fielen mir zuerst die zahlreichen Umzüge all der Jahre ein, die eigenen und auch fremde. Diverse heftige Hustenanfälle im letzten Winter. Auch die Mengen Stahl, die ich im Berufsleben bewegt habe. Ebenso die zahllosen Einkaufstouren per Rad mit prall gefüllten Packtaschen hier in den Bergen. Fast alles ist meinem Hang geschuldet, die Dinge allein regeln zu wollen, soweit eben möglich und bis jetzt bin ich damit ganz gut zurecht gekommen.

Dann bin ich ein Anhänger des Glaubens daran, das jede Krankheit auch einen emotionalen Bezug hat. Die Liebste hat eine sehr umfangreiche Bibliothek, darin ein dickes Buch von Rüdiger Dahlke, Krankheit als Sprache der Seele. Egal, wie man zu den von ihm dort verbreiteten Thesen steht, Nachdenkens-wert sind sie auch jeden Fall. Da gibt es auch ein kleines Kapitel zum Thema Leistenbruch und zwei Worte springen mich an: Überheblichkeit und Selbstüberschätzung. Diese beiden Leiden sind mir recht vertraut, gerade aus jüngeren Jahren. Zuletzt war ich allerdings der Meinung, diese beiden Eigenschaften auf ein für mich (und natürlich auch für andere) erträgliches Maß reduziert zu haben. Allein mein Körper ist da offensichtlich anderer Meinung.

Also gut, ich will nichts riskieren bis zur OP. Fortan lasse ich also das Rad stehen und fahre mit dem Familien-Auto zur Arbeit, stehe täglich im Stau und brauche länger als mit dem Rad dank diverser Großbaustellen hier im Tal, aber eben ohne große körperliche Anstrengung. Mir fehlt die Bewegung und ich ärgere mich, nun wieder ein Teil der Masse sein zu müssen, die die Luft in unserer Stadt mit ihren Verbrennungsmotoren verpestet. Mit dem Rad fahre ich nur noch dann und wann Sonntags, ohne Gepäck, schön langsam auf humanen Strecken.

Die nächste große Herausforderung: Um Hilfe bitten zu müssen. Auf Arbeit geht das noch, wenn ich hier und da mal etwas schweres bewegen muss, packt mir gern mal einer mit an. Obwohl mir das schon lästig ist, mit kann`ste mal eben bitte und so.

Eine andere Qualität haben größere Aktionen, die leider keinen Aufschub dulden. Wie z.B. der Umbau unserer Küche. Das große Fenster lässt sich dank einer etwas unglücklich abgestellten Kühl-Gefrier-Kombi seit langen schon nur eingeschränkt öffnen, was weiter nicht gestört hat. Jetzt muss allerdings etwas am Fenster ausgebessert werden, das geht nur im Sommer, also dran. Nichts großes, aber immerhin. Regale und Hängeschrank runter, Unterschränke samt Arbeitsplatten und Gefrier-Kombi versetzen, zwischendurch mal die Wand verschönern mit Spachtel und Farbe, alles neu platzieren, miteinander und an der Wand verbohren.

Meine Lieben wollen helfen, was mich freut, das große Kind mit Freundin vorneweg, mir sind so Sachen wie Hängeschränke zuviel. Das ist schön, erst einmal. Es gibt nach längerer Diskussion mit der Liebsten einen recht genauen Plan, wo was sinnvollerweise seinen neuen Platz finden soll. Dann gibt es aus langer Erfahrung mit solchen Sachen einen Plan in meinen Kopf, in welcher Abfolge all das geschehen soll, mit welchen Werkzeugen und mit welcher Dringlichkeit, was Maße und rechte Winkel betrifft. Mein großes Kind ist ein sehr kluger Kopf, aber dank seiner jungen Jahre sagen wir mal ein wenig unerfahren, was so ganz praktische Überlegungen angeht und hat darüber hinaus einen unwiderstehlichen Drang zu diskutieren, was ja sehr fruchtbar sein kann, aber eben keinen Schrank an die Wand bringt.

Ich soll mich also erklären, das heißt im einzelnen, erst einmal Worte finden für manche Vorgänge, die ich in der Zeit, in der ich nach den Worten suche, schon selbst erledigt zu haben glaube. Das macht mich knapp und ungehalten, man tituliert mich unter anderen als Tyrann, was ich natürlich nicht nachvollziehen kann. Immerhin wird mir erklärt, ich wäre zwar so, wie ich bin, aber man würde mir dennoch weiter helfen, was ich ausgesprochen nett finde. Die Aktion findet letztendlich einen erfolgreichen und allseits befriedigenden Abschluss, alle Tassen & Co. finden ihren Weg ohne mich zurück in den Schrank und ich darf ruhen und darüber nachdenken, warum mir solche Dinge so schwer fallen.

In der verbleibenden Zeit bis zur OP schaue ich genauer hin, was ich so an alltäglichen Lasten bewege, im wörtlichen und im übertragbaren Sinn, beginne die Dinge etwas besser zu delegieren, lasse mir gegen inneren Widerstand da und dort mal helfen und übe mich nebenbei im Bitte- und Danke sagen, auch, wenn das nicht immer so klingt wie aus vollen Herzen. Solcher Art halten sich die körperlichen Beschwerden in Grenzen, der Urlaub wird ein erholsamer Erfolg und auch die verbleibende Arbeitszeit bis zu OP verläuft erträglich.

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Netzwerk – die OP

Nach der Ferienzeit ist es dann soweit. Ich suche meinen Dok auf, der mir freudestrahlend zu meinen Entschluss gratuliert. Eine weitere Untersuchung der rechten Seite bringt keine neuen Erkenntnisse, hier scheint anders als links alles in Ordnung.

Bürokratie. Ich lerne den Unterscheid zwischen einer Überweisung und einer Einweisung kennen. Telefonisch hatte ich schon herausgefunden, das eine Einweisung in eine Klinik nur 5 Tage Gültigkeit hat. Der Dok meint, zum vorstellig werden reicht erst einmal die Überweisung, schriebe er mir jetzt bereits die Einweisung, könne die in Abhängigkeit vom Termin ihre Gültigkeit verlieren. Na gut. Mit dem Papier begebe ich mich in das Krankenhaus meiner Wahl und werde mit meinem Anliegen an die so genannte Terminambulanz verwiesen, wo mir ein Termin für die Voruntersuchung gegeben werden soll.

Verwinkelte Räumlichkeiten, ein enger, voller Wartebereich und Nümmerchen ziehen, wie beim Job-Center. Nach einer Weile bin ich dran, eine der ersten Fragen lautet, ob ich Schmerzen hätte, also als Notfall-Patient aufgenommen werden solle. Das Szenario kenne ich aus der Erzählung eines Kollegen, der damit die Bürokratie ein wenig verkürzt hat, ordentlich gejammert hat und sofort zur Voruntersuchung in die Notfall-Aufnahme verwiesen wurde. Guter Trick, kann ich leider nicht so gut. Klar habe und hatte ich Beschwerden, das sage ich dann auch, mehr aber nicht. Ich bin ein paar mal als Notfall-Patient aufgenommen worden und kenne die Unterschiede, was Schmerzen angeht. Im Hinterkopf dreht sich dann noch die Vorstellung, im „Ernstfall“ nicht als solcher behandelt zu werden.

Also geht alles nach der Regel und ich bekomme einen Termin in zwei Tagen zur Voruntersuchung, dann soll mir auch der OP-Termin mitgeteilt werden. Mitzubringen hätte ich die Einweisung, aha. Also wieder zurück zum Dok, das Papier schnell geholt, zwei mal für Nüsse durch das Großbaustellen-verseuchte Wuppertal gefahren, aber alles erledigt, immerhin.

Zwei Tage später, zur genannten Zeit in der Terminambulanz. Das klingt gut, jedoch bezieht sich dieses schöne Wort eher auf das genannte Datum denn auf die angegebene Uhrzeit. Vorher geht es noch zur Anmeldung, auch dort heißt es Nummer ziehen. Ordnung muss sein. Dann warten, es herrscht reges Treiben und wenn ein Notfall-Patient kommt, lassen sie dafür verständlicherweise alles liegen. Darauf bin ich vorbereitet, habe genügend Zeit sowie Zerstreuung mitgebracht.

Eine Ärztin führt die Untersuchung und das Vorgespräch. Ich werde detailliert über die Vorgehensweise aufgeklärt, nachdem ich draußen schon endlose Fragebögen ausgefüllt habe, in Sachen Vorerkrankungen. Ernte unverständliche Blicke, als ich frage, ob ein kleiner, Familien-planerischer Eingriff von vor fast 20 Jahren von Belang wäre. „Hätten`se schreiben müssen, war schließlich `ne OP! “  Mein Einwand „Stand nich` auf`m Zettel...“ wird kopfschüttelnd registriert. Meine Frage nach dem/der Operateur/in wird mit einer Gegenfrage beantwortet: „Ha`m`se`ne Zusatzversicherung?“ Thema erledigt, keine freie Arztwahl, da muss ich nehmen, was kommt und darauf vertrauen, das jeder von der Truppe sein Handwerk versteht. Anschließend folgt noch ein Gespräch mit einem Narkose-Arzt, der mir noch einmal alles Wissenswerte dazu sagt.

Sie bekommen kurz vor der OP noch `ne Tablette, um den Stress ein wenig herauszunehmen. Wenn`se noch eine Frage haben, fragen`se vorher, es könnte sein, das Sie anschließend die Frage vergessen haben.“

Einweisung nächsten Donnerstag.

Zwei Tag davor ändere ich meine Ernährung. weil bedingt durch die Narkose anschließend Probleme mit der Verdauung zu erwarten sind. Brot und andere Kohlenhydrate bleiben fortan weg, ich esse überwiegend Obst und Gemüse und ignoriere das Knurren weiter unten. So komme ich am Donnerstag weitestgehend entleert und nüchtern um 7 Uhr morgens in die Klinik. Nüchtern heißt, 6 Stunden zuvor nichts mehr essen und trinken. Letzeres fällt mir besonders schwer. Nach dem schon vertrauten Procedere der Anmeldung begebe ich mich auf die genannte Station, ganz oben. Ich nehme lieber die Treppen, vorläufig das letzte mal gewohnt zügig. Oben heißt es erst einmal weiter warten, es ist noch kein Bett frei. Mir fällt die Story des Kollegen ein, der einmal von 7 Uhr morgens bis 16 Uhr nachmittags gewartet hat, nüchtern. Na dann.

Ich habe Glück, gegen halb 9 kommt ein Arzt, der Operateur zu einer letztmaligen Voruntersuchung, schließlich will er das auch noch ganz genau wissen, als ausführendes Organ. Er wirkt sympathisch, ruhig und kompetent, was mich ein wenig beruhigt. Witziger Weise findet seine Voruntersuchung mangels Stations-Zimmer für mich in einer nahe gelegenen Rumpelkammer zwischen Putzeimern und anderen Zeug statt. „Netter Untersuchungsraum“ sage ich und wir grinsen beide. Besser hier als draußen auf dem Gang, denke ich und bekomme mit einem dicken Edding einen großen Pfeil aufgemalt.

Nach einer weiteren halben Stunde bekomme ich ein Bett und habe so gerade noch Zeit, meine paar Habseligkeiten zu verstauen. Dann erscheint ein aufgeräumter, fröhlicher junger Mann und erklärt mir, das es gleich los ginge. „Hier Ihr OP-Hemd, dat Offene nach hinten. Sind`se rasiert, Nee? Hier sind Rasierer, alles muss weg, schön großzügig. Un`dann nehm`se noch die Tablette da, dat beruhigt.“ Kann ich gut gebrauchen, denke ich und tue, wie mir geheißen.

Während ich so da liege, spüre ich, wie die Tablette langsam wirkt. Könnte etwas mehr sein, denke ich angesichts meiner flatternden Nerven und in Erinnerung diverser Zustände in meiner aktiven Zeit als Konsument allerlei Bewusstseins-verändernder Mittel.

Ich werde mit dem Bett durch die Gänge in den Aufzug gefahren, es geht herunter. Schlachträume sind wohl immer unten, denke ich und stelle mir bildhaft vor, was gleich mit mir geschieht. Es geht in einem Umlagerungsraum, zwei liebeswerte, schräge Vögel wollen mich umbetten, auf die OP-Liege. Ich will selbst Hand anlegen und ernte Protest.
Och Neee, dat lassen`se mal, wir wollen ja auch unser Geld wert sein“
Maschinell wird mir eine beheizte dünne Stahlplatte unter dem Hintern geschoben und ich wechsele wie von Geisterhand die Position. Mir ist kalt, ich klappere und die beiden haben ihren Spaß:
Ham`se Angst? Das müssen`se aber gar nicht, wir sind doch bei Ihnen, die sind alle total nett hier!“ 
Schön langsam gesprochen, mit gedehnten Vokalen und ich fühle mich eher im Kellergeschoß einer Psychiatrie als im Vorraum eines OP-Zimmers. Unter anderen Umständen hätte ich das witzig gefunden…

Wieder geht eine Türe auf, es geht endlich in den OP-Raum. Alles wirkt sehr eng auf mich, ein fensterloses Loch. Eine etwas ungeschickte Ärztin müht sich ab, mir den Zugang für die Mittelchen zu setzen, trifft nicht, murkst herum und setzt nach einer Weile anderswo neu an. Wenn die hier alle so arbeiten, dann Mahlzeit, denke ich. Kurz darauf läuft die Mischung, ich schaffe noch ein kurzes, stilles Gebet für mich und mir geht gnädig das Licht aus.

Nach einer guten Stunde komme ich im Aufwach-Raum nebenan wieder zu mir. Das erste, was ich spüre, sind die Flammen da unten, wo jetzt ein dünnes Kunststoff-Netz zwischen Bauchdecke und Leistenwand liegt und darauf wartet, fest zu wachsen. Der Zugang liegt noch und ich bekomme Schmerzmittel. Es sollen die letzten sein, die ich nehme.

Wieder oben auf Station. Mein Bett ist in der Mitte von dreien, der Kollege rechts von mir wurde gerade entlassen, auch ein Leistenbruch. Links liegt einer, der länger bleiben muss. Ich bekomme Infusion, nur Flüssigkeit, wie ich höre. Wenn ich mich vorsichtig bewege, kommen mir Zweifel, wie ich wieder hoch kommen soll. Das soll schon nach vier Stunden gehen. Die Zeit bis dahin verdöse ich.  Abends muss ich pinkeln, bin schon vorgewarnt worden, das nicht allein zu versuchen. Ich starte den ersten Versuch, es tut weh und ich breche ab. Man eröffnet mir, wenn ich heute nicht hoch käme, würde ich morgen nicht entlassen, was auf mich sehr motivierend wirkt, das sofort noch einmal zu versuchen. Dieses mal klappt es und ich schleiche begleitet von einer Schwester wie ein Geist in die Toilette. Pinkeln geht, wenn auch total langsam, aber immerhin. Das finde ich sehr beruhigend, jedenfalls in dem Zusammenhang scheint nichts falsches zerschnitten worden zu sein.

Mir wird schmerzhaft bewusst, wie viel wir tagtäglich mit der Bauchpresse, also der ramponierten Region da unten, erledigen. Hinsetzen, wieder aufstehen, alles geht wie in Zeitlupe und nur unter Zuhilfenahme der Arme. Die Nacht ist gewitterig und schlaflos, mein Nachbar schnarcht und es ist sehr warm. Schmerzmittel nehme ich keine weiteren, nicht, weil ich ein Held sein will, sondern weil ich mitbekommen möchte, wo die Grenzen zum Schmerz liegen, um keinen Aufriss zu riskieren. Viel zu sehen ist jetzt noch nicht. Drei kleine Löcher, verpflastert, machen nicht glauben, das sich dazwischen eine relativ große Wunde verbirgt.

Am nächsten Morgen darf ich nach Visite, Blutabnahme, Frühstück und Warterei auf die Papiere (die Bürokratie!) endlich raus, mein Sohn kommt mich holen. Sandalen und weite Hosen tragen sich recht angenehm, immerhin. Was führ ein Werk, in`s Auto zu kommen und wieder heraus…Treppen steigen dito. Mein sehr betagter Vater hätte mich gut überholen können.

Jedenfalls dankbar zuhause, erst einmal.

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Netzwerk – Heilung

Eigentlich sollte hier jetzt so etwas wie ein Tagebuch stehen. Stichworte dafür gab es reichlich, aber dann hat mich die Lust verlassen, mein kleines bisschen Krankheit hier humoristisch auszuführen, obgleich es an schrägen Details nicht gemangelt hat. Um mich herum ist derzeit viel los und wenig davon ist erheiternd. Das nimmt mir die Lust am gewohnten Stil. Kurz gefasst kann ich jetzt sagen:

Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
(afrikanisch)

 Es geht mir heute gut, verglichen mit den letzten Wochen. Zeitweise war ich davon überzeugt, einer von den paar Prozent zu sein, die den Rest ihres Lebens chronische Schmerzen zurück behalten. Zerschnipselte Nerven, elende Verwachsungen. Mindestens. Der eine war nach 2 Wochen wieder fit, ein anderer nach dreien. Mitte nächster Woche werde ich wieder arbeiten gehen, so wie die Dinge jetzt liegen, nach 5 Wochen, die auch nötig waren. In`s Büro oder an den Schreibtisch hätte ich schon eher gehen können, das war jedoch nicht möglich, so blieb ich dann daheim. Eine Werkstatt ist halt kein Büro und manche Arbeitgeber sind flexibel, andere eben nicht.

Größte Prüfung war und ist, die Füße still zu halten. Geduld zu haben. Was erst einmal bleibt, ist neben dem Gebot, nichts schweres zu heben oder zu tragen, eine immer noch ungewohnte Langsamkeit, ein seltsam tauber Oberschenkel sowie allgemeine Empfindlichkeit talwärts mit Blick auf Anstrengungen aller Art. Sei`s drum. Wie schon oben angedeutet, gibt es genug mir mehr oder weniger gut bekannte Menschen, die ganz andere Schlachten zu schlagen haben.

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