Archiv für den Monat: September 2013

Liebevoll

Letzten Samstag, am frühen Abend auf der Langen Reihe in Hamburg. Wir bleiben vor einem kleinen Laden mit tibetanischem Kunsthandwerk stehen, schauen all die glänzenden kleinen und größeren Kunstwerke an und werden unfreiwillig Zeuge einer auf den ersten Blick seltsam anmutenden Szene. Es ist kurz vor Geschäftsschluss und der augenscheinliche Inhaber des Ladens „verabschiedet“ sich liebevoll und äußerst achtsam von seinem Inventar. Er geht umher und berührt das eine oder andere ihm offensichtlich besonders an`s Herz Gewachsene kurz mit seiner Hand, bevor er am Ende, uns freundlich grüßend, sein Geschäft abschließt.

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Toll, denke ich beeindruckt. Bekommt man bei einem deutschen Geschäftmann wahrscheinlich so ohne weiteres nicht zu sehen. Wer hat schon einen solchen Bezug zu seiner „Handelsware“…

Hosen runter mit Musik

So hieß das Stück im Hamburger Polittbüro, der Liebsten Tochter hatte dort ein Engagement. Ein kleines Theater am Hamburger Steindamm, schön eingerahmt von orientalischen Obst-und Gemüseläden, preiswerten Unterkünften, islamischen Gebetsstätten, Spielhallen und sonstigen Etablisement mit entsprechender Laufkundschaft.

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Nein, der Titel der Stückes bezieht sich nicht auf ein gewisses Gewerbe in der Nachbarschaft, sondern schildert den entlarvenden Austausch sehr unterschiedlicher Menschen, die sich vor dem ausgerufenen Katastrophenalarm draußen hinein zu einem abgehalfterten, flache Possen reißenden Entertainer flüchten. Der bekommt, unterstützt von zwei Musikern, auf diese Weise Besuch von einem abgewichsten Jung-Banker, einer grünen Kommunal-Politikerin, einer jungen Musical-Darstellerin und einem abgerissenen Penner. Die ungewisse Bedrohung da draußen macht offen für Selbstkritik und so manchen zum Lachen und zum Nachdenken reizenden Offenbarungseid, abgerundet und ergänzt von einigen, richtig gut geratenen Gesangseinlagen.

Ein schöner Abend war das, auch, weil wir im Anschluss an die gelungene Aufführung noch mit dem Ensemble im Foyer zusammen hockten. Ein kleiner Imbiss wurde auch gereicht, von schräg gegenüber auf dem Damm: Hanse-Schale XXL rot weiß für alle, und schön mit den Fingern.

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Dort hin nach Gelegenheit sehr gern noch einmal und wer will, kann die Website im Auge behalten, Ende Januar 2014 soll das Stück noch einmal für vier Tage aufgeführt werden.

 

Wählen gehen

Über die eigene, politische Gesinnung offen zu sprechen, ist in Deutschland nicht unbedingt üblich. Es gibt eine geheime Wahl und das ist auch gut so. Einiges gibt es an unserem System auszusetzen, wer das leugnet, verkennt die Realitäten. Dennoch ist die einzige Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, eben von dem Recht auf eine Wahl Gebrauch zu machen. Es gibt durchaus Alternativen und die da oben müssen nicht zwangsläufig tun, was sie wollen. Alternativlos – welch ein Zeitgeistwort – ist nichts.

Selbst bin ich einer von denen, die von interessierten Kreisen abfällig als Sozialromantiker bezeichnet werden. Ja, ich weiß, wer soll das alles bezahlen, tönt es mir oft entgegen. So ganz abwegig sind solche Einwände natürlich nicht, ein jeder, der seinen eigenen, kleinen Haushalt verwalten muss, weiß das. Dennoch bin ich der Meinung, das wir in einem der reichsten Länder der Erde leben, es ist meiner Meinung nach genügend Geld im Umlauf, lediglich mit der Art der Verteilung oder besser, wofür es im einzelnen ausgegeben wird, bin ich nicht unbedingt einverstanden.

Damit keine Missverständnisse entstehen – selbst bin ich einigermaßen engagiert berufstätig und freue mich über jeden Tag, an dem ich mich gesund fühle. Auch zahle ich gern meine Steuern, dagegen ist nichts einzuwenden. Noch freudiger würde ich mich allerdings von meinen Steuern und Sozialabgaben trennen, wüsste ich mein Geld gerechter verteilt unter denen, die sich nicht (mehr) selbst helfen können. Sollten dafür einige heißgeliebte Prestigeobjekte in den Schubladen verschwinden, na und?

Also – wie auch immer – wir können mitgestalten. Eben wählen gehen. Für mich ist dabei wichtig, mich nicht von machtpolitischen, strategischen Überlegungen leiten zu lassen. Wer bekommt wie viel und kann dann mit wem, solche Ränke. Das sollte nach einer Wahl Thema sein. Auf denn, Überzeugungstäter aller Farben, geht wählen. Wir sind das Volk!

Mit freundlichen Gruß, Volker

Stille

Vergangenen Sonntag an der Wuppertalsperre.

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Der Stausee hat Niedrigwasser und so laufe ich an seinem Ufer entlang, bis es nicht mehr weiter geht. Verlasse das Wasser und wende mich in den nahen Wald, abseits aller Wege. Unberührt wirkt er auf mich, wohltuend, nach der künstlichen Landschaft am See.

An dieser Quelle verweile ich. Der einzige blanke Fels weit und breit. Stille durchdringt mich, kein Mensch um mich herum, selbst die Vögel sind stumm, der Herbst ist deutlich zu spüren. Wassertropfen fallen ab und zu. Eine ganze Weile stehe ich dort regungslos.

Orte wie dieser haben Kraft, diese Gegend hier ist reich an ihnen. Erinnerungen steigen auf, an endlose Wanderungen die Wupper-Hänge hinauf und hinunter, mit Freund und Hund, Brot-Taschen behangen. Hinter jeder Kuppe, jedem Baum, in jedem Taleinschnitt warteten Geheimnisse auf uns. Alte Sagen fallen mir wieder ein und eine Zeit, in der wir diese zumindest für möglich gehalten haben…

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Wiedersehen

Einige Jahre haben wir uns nicht gesehen, zuletzt mal gehört vor zwei Jahren. Seinen Geburtstag kenne ich, nicht weit von meinen eigenen entfernt. Diesen Sommer schrieb ich ihm eine SMS mit den üblichen guten Wünschen. Nach anfänglichen Unsicherheiten, „welcher Reiner bist Du denn, wir haben da mehrere…“  folgte eine Antwort und einige Wochen später ein Anruf. Recht lang haben wir gesprochen und auf meine Frage nach der Gesundheit folgte erst einmal nur ein „hör`bloß auf “ Das sie ihm letztes Jahr den kompletten Magen entfernt hätten. Ein langes Jahr Zwangspause mit dem ganzen Programm, Reha, Chemo und so weiter, aber jetzt ginge es wieder, bisken gemacher alles, aber es ginge. Dann eine Beratschlagung, beiderseitiges Kalender-wälzen und ein Termin wurde festgelegt, weil es nicht anders geht, so unverbindliches „wir sollten uns mal sehen“ verläuft sich doch im ungefähren.

Vieles ging mir in den letzten Tagen und Wochen durch den Kopf. Unsere gemeinsame Zeit, angefangen für uns als Lehrlinge mit zarten 16 Jahren. Sein Kellerzimmer im elterlichen Haus, jeden Freitag nicht nur mein zweites Wohnzimmer. Ein damals schon uralter Röhrenverstärker, Vatter`s Bier aus der Waschküche nebenan und das Wochenende ging los, jung, wie wir waren. Später trennten sich die Wege, unterschiedliche berufliche Ausrichtungen einerseits, auch privat verlief sein Leben anders als meines, seine Kinder sind heute schon erwachsen. Die Treffen wurden seltener, blieben aber regelmäßig. Was uns  äußerlich verband, war neben unseren gemeinsamen Beruf eine gnadenlose Gier auf Rock`N Roll und Neptun`sche Traumwelten, zwei Meister im Parallel-Universum. Echt waren wir beide dennoch, jeder auf seine Art, vielleicht war es das, was wir an einander auch später immer noch schätzten. Keiner hat je dem anderen irgend ein Schauspiel vorgemacht und laut lachen konnten wir zusammen, beide schräg unterwegs, wie wir waren.

Da tauchen in den letzten Tagen unzählige Bilder aus der Vergangenheit auf. Er, der geborene Entertainer, laut, schnell, auch schnell überall zuhause, kontaktfreudig wie er war. Dabei ein nervöses Hemd vor dem Herrn, groß gewachsen und rappeldürr sehe ich ihn vor mir, seinem Gegenüber stets mitten in die Augen schauend und wild gestikulierend mit Händen und Füßen zur Rede. Ein Vereinsmensch, stets ausgebucht, daneben noch Fußball-begeistert, voll der Wohnzimmer-Hooligan, eine Leidenschaft, die ich übrigens nie teilen konnte.

Vor fast 14 Jahren dann trennten sich unsere Wege scheinbar endgültig. Das Tor zu den Neptun`schen Traumwelten schloss sich für mich aufgrund meiner Vergesslichkeit (ich vergaß stets das aufhören…), er dagegen ging weiter wie gehabt, vielleicht eine Spur ruhiger, aber von einem hohen Niveau ausgehend. Was blieb, waren gelegentliche Telefonate oder Kurznachrichten.

Bis gestern Abend eben. Meine große Sorge war, das wir uns in den endlosen, gemeinsamen Episoden verlieren, eine Beschäftigung mit Unterhaltungswert, die sich allerdings schnell erschöpft. Daneben Neugier. Wie geht der wohl heute durch`s Leben, was mag er anfangen, mit seiner Fristverlängerung. Wie ist das eigentlich, ohne Magen zu leben, was für Auswirkungen hat das auf den Alltag. So Fragen halt.

Dann steht er hier in der Tür, mit seine Frau. Das gleiche, schiefe Jungen-Grinsen wie damals, ein wenig ernsthafter die Augen, noch schmaler im Gesicht. Lang und dünn war er immer, kein Platz für Bauchschmerzen hat der, so hieß es früher. Wie makaber klingt das heute. Wir sitzen zusammen und nach einer recht kurzen, gemeinsamen Unsicherheit hellt sich die Stimmung auf. Gestern ist schon präsent, aber beherrscht zu meiner großen Erleichterung nicht unser Treffen. Hier und jetzt sind wir alle miteinander beim folgenden, gemeinsamen Essen draußen um die Ecke. Er ist äußerlich ganz der Alte, nur gezwungener Weise langsamer beim essen und trinken. Lebensfreude spüre ich, energiegeladene Wärme. Gelächter fliegt hin und her über den Tisch, laut wie eh und je. Ansteckend ist er in seiner Lebendigkeit und die Stimmung ist gut, trotz oder gerade wegen mancher Schilderung der jüngsten, leidvollen Vergangenheit, die Gott sei Dank überstanden scheint. Sätze, die mir in den Ohren klingen. Lieber ein Jahr Überholspur als 10 Jahre Standstreifen, tönt er, seinen Nimbus pflegend. Ein Mensch wie Quecksilber, welches allenfalls das Tempo ein wenig gedrosselt hat. Dahinter schimmert leise das Wissen um die eigene Endlichkeit und um die gesetzten Grenzen, aber hausieren muss man ja damit nicht unbedingt gehen. Toll, denke ich. Er und auch ich, wir beide kennen Menschen, die an der bloßen Diagnose schon zerbrochen sind. Was ist, wenn ich...denke ich weiter und weiß doch, das ich das erst heraus bekomme, sollte ich irgendwann selbst einmal davon betroffen sein .

Ein schöner Abend war das, meinen Befürchtungen zum Trotze. Für uns alle vier, was mich zusätzlich sehr freut. So Gott will, sehen wir uns wieder, und ich glaube, er will…

 

 

Armin`s Katze

Paulchen hieß sie, die Katze Armin`s. Eine Weile habe ich überlegt, ob ich den unzähligen Katzen-Geschichten im Web noch eine weitere hinzu fügen soll, aber diese hier berührt mich aus gewissen Gründen auch persönlich. Zwar haben wir selbst Katzen, uns ist also wenig fremd von den Eigenheiten dieser Tiere, aber darum geht es bei Paulchen nicht. Darum also, die Geschichte ist selbsterklärend, sozusagen…

Armin war weiß Gott nicht immer der liebenswerte Mensch, der er heute ist. Vor langen Jahren soff er wie ein Loch, leider mit allen dazu gehörenden Begleiterscheinungen. An so einem total versumpften Abend kommt Armin also sturzvoll heim, mit ihm noch einige Taschen voller Lebensmittel. Er schafft es noch irgendwie durch`s Treppenhaus in seine Wohnung, verliert dann aber in der Küche die Orientierung, Kraft und Sinne machen sich rar, kurzum, er fällt stumpf um und schläft umgehend auf dem Küchenboden liegend ein.

Irgendwann in den frühen Morgenstunden wacht er auf, in einem fürchterlichen Zustand. Der mittlerweile gesunkene Alkoholpegel sorgt für blank liegende Nerven, die übliche Begleitmusik, wenn ein Rausch sich verflüchtigt. Paulchen hat derweil die Gunst der Stunde genutzt. Hungrig, wie sie ist, hat sie sich die umherliegenden Einkaufstaschen vorgenommen. Als Armin die Augen aufschlägt, bietet sich ihm also ein Bild, ähnlich dem eines frühzeitigen Opferfestes. Er liegt in der Mitte der geräumigen Küche, um ihn herum verteilt recht gleichmäßig in einem fast sauberen Kreis aufgerissene Wurst- und Käse-Packungen sowie deren angefressener Inhalt. Armin`s Zustand lässt keine Einblicke in die wahren Ursachen die Lage zu, blind vor Wut greift er sich das arme Paulchen und wirft das bedauerenswerte Geschöpf in die nächstbeste Ecke.

Seitdem humpelt Paulchen.

In den folgenden Tagen und Wochen wird Armin von einem mehr als schlechten Gewissen geplagt. Was bist Du doch für ein Drecksack, denkt er reumütig und versinkt in Schuldgefühlen, sich derart an einem wehrlosen Geschöpf vergriffen zu haben. Bemüht, diesen entsetzlichen Ausbruch wieder gut zu machen, bringt er Paulchen darum alle möglichen Leckereien mit, die sie über alles liebt. Sie nimmt das alles mit gut gespielten Gleichmut an, allein das Humpeln will absolut nicht besser werden.

Das geht eine ganze Weile so, bis irgendwann Armin`s Tag sehr lang wird. Er kommt spät heim und ruft sofort nach dem Paulchen, das mittlerweile ziemlichen Kohldampf schiebt. Paulchen, Leckerchen! So schallt es durch die Wohnung und, was soll ich sagen, Paulchen kommt hungrig, wie sie ist, angerannt, vom Humpeln keine Spur. Bis sie Armin sieht, sofort ändert sich ihr Schritt und umgehend verfällt sie in`s bekannte Humpeln, damit auch ja die liebevolle Behandlung der letzten Zeit ihre Fortsetzung findet.

Mir ist nicht überliefert, wie genau die Geschichte ihre Fortsetzung fand. Vermutlich wird Paulchen irgendwann erkannt haben, das es ihr auch ohne das lästige Schauspiel gut gehen kann, wenn nur Armin Herr seiner Sinne ist. Ziemlich sicher wird sie auch gelernt haben, seine Zustände künftig gut zu analysieren und sich von ihm fern zu halten, wenn er wieder mal ähnlich unterwegs gewesen sein sollte wie an diesem verhängnisvollen Abend.

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Erschreckend menschlich erscheint mir das Paulchen in dieser Geschichte, zeigt sich doch mit ihren Verhalten deutlich, das Alkoholismus stets auch eine Familienkrankheit ist. Das ganze, kranke Spiel, bei dem alle mitspielen. Suchtbedingtes Fehlverhalten, Leid, schlechtes Gewissen auf der einen Seite. Die andere Seite spielt gut mit, findet Bestätigung und Erhöhung durch die gewonnene Macht aus dem schlechten Gewissen und der vermeintlichen Ohnmacht des anderen. Solange, bis jemand das Spielfeld verlässt. Sei es durch Einsicht oder Tod.

Was mir bleibt, ist Dankbarkeit, heute anders leben zu dürfen…