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Die Blase

Folgende Zeilen geben, wie immer, meine ganz persönliche Haltung wieder. Sie wollen weder belehren noch haben sie einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, auch wenn es sich so lesen mag.

Was ist eigentlich eine Blase? Ein Hohlkörper, der im Allgemeinen gut dehnbar, reißfest sowie in der Lage ist, eine Menge mehr oder weniger Nützliches aufzunehmen. Es gibt aber auch das Synonym der Blase als etwas Buntschillerndes, Verlockendes, Fragiles, das nur wenig über den tatsächlichen Inhalt oder die meist nur kurze Lebensdauer des Gebildes aussagt und in der Regel mehr Schein als Sein darstellt.

Die erste große Blase der neueren Zeit platzte 1945, in Sachen Deutschland über alles, es folgte Ende der 60er Jahre die Zweite, als die so genannten 68er die Alt-Faschisten an den Schaltstellen der Macht satt hatten und dem allgemeinen Taschen-füllen als allein selig-machende Maxime nicht mehr folgen wollten, ebenso nicht mehr dem verhassten miefigen, moralinsauren Katholizismus, dem beinharten Bete-und -Arbeite der Evangelikalen folgen wollten. Es folgten weitere Blasen, erst der Glaube an eine Alleinstellung in dem Welthandel im Zuge der Globalisierung dessen, später die Blase des Glaubens an eine friedlichere Welt nach 1990, die so genannte Immobilien- oder auch IT-Blase, also das Platzen der völlig überhöhten Wertstellung eines Themenbereiches.

Und heute? An der Stelle stockt mein Gedankenfluss ein wenig, so komplex sind die Auswirkungen dieses winzigen Etwas, das unser bisheriges Leben völlig auf den Kopf gestellt hat. Mehr oder weniger. Wenn eine Blase geplatzt ist, dann ist es die Illusion, man könne sich es bequem machen, in einer spirituellen Kuschelecke, und den Rest der Welt schlicht ausblenden, wenn er denn schon nicht zu ändern sei. Eine Flucht vor dem Leben, wie es nun mal ist – mir als ein Mensch mit Suchterkrankung nur zu vertraut. So etwas hält nur solange, wie es hält – bis zur nächstbesten Nagelprobe, sei es eine private Krise oder eine gesellschaftliche, wie wir sie gerade Pandemie-bedingt erleben.

Mein persönliches Fazit: Meine Spiritualität, mein Glaube muss sich mit der Wirklichkeit vereinbaren lassen, soll mir helfen, die Menschen zu verstehen, ohne an ihnen zu verzweifeln. Oder an mir selbst, außen wie innen. Was nicht das Potential hat, mich auch in rauer See zu begleiten, taugt nichts.

Im Außen kann ich mehrere Richtungen erkennen: Die einen werden zornig, stellen teilweise den Staat als Ganzes in Frage, ohne zu merken, wie sie von interessierten Kreisen politisch instrumentalisiert werden, indem sie Seite an Seite mit Vertretern eben dieser Kreise demonstrieren gehen. Die Mehrheit arrangiert sich mit den Einschränkungen, weil sie die Sinnhaftigkeit erkennen kann, allen politischen Irrlichtereien zum Trotz. Dazu zähle ich mittlerweile auch die Kontaktbeschränkungen via Rasenmäher, die sämtliche Wertschöpfungsketten zerschlagen. Wer seine Existenz gefährdet oder ruiniert sieht, kauft nichts mehr abseits des absolut Notwendigen. zahlt auch keine Steuern und Sozialabgaben mehr, von denen jeder Lehrer, jede medizinische Fachkraft, jeder Therapeut, jeder Beamte schlussendlich lebt. Von unseren Politikern erwarte ich mehr Differenzierung in Sachen Kontaktbeschränkung und vor allem, dass sie aufhören, dumm um etwas Rares, Kostbares, weil nur eingeschränkt Verfügbares mit den Pharmakonzernen feilschen zu wollen: Impfstoff – der einzige Weg heraus aus dieser Lage. Andere öffneten ihre Börsen und sind uns weit im Voraus, was die Impfquote angeht.

Alles in der Natur strebt nach Ausgleich der Kräfte, nach Gleichgewicht, selbst gewaltige Naturkatastrophen machen nichts anders. So in etwa wird es sich auch in der Gegenwart verhalten, glaube ich, der Ausgang ist derzeit ungewiss. Aber – was mir Hoffnung macht – , Viele Menschen, und sie werden nach meinem Empfinden stetig mehr, definieren sich als Menschen neu, abseits vom seelenlosen Konsum der Nachkriegszeit, abseits der besagten Kuschelecken, abseits von wie auch immer gearteter Religion, wobei diese im Kern eigentlich dabei nur unterstützen: Es wird bewusst, wie wenig Mensch eigentlich zu leben braucht, immer öfter wird gefragt, was wirklich zählt – mitten im realen Alltag wird einander öfter mal zugehört, praktische Hilfe geleistet, Spiritualität nicht zelebriert, sondern gelebt, meist unspektakulär und vergleichsweise leise, laut können die anderen zur Genüge. Wir sind allesamt enger miteinander verbunden, als es uns der Individualisierungstrend der letzten Jahrzehnte weismachen wollte – wirtschaftlich und vor allem menschlich.

Verbunden in unserer Verletzlichkeit.

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Morgenstunde

Eine klebrige, schwüle Nacht liegt hinter mir, 26 Grad um 5 Uhr früh. Auf dem Weg zur Arbeit fällt mir eine kleine Episode von gestern Morgen ein. Der Weg führt durch einen alten, sehr engen kleinen Tunnel, der zu Zeiten von Pferdefuhrwerken gebaut wurde. Links und rechts der schmalen Passage gibt es „Fußwege“, die den Namen nicht wirklich verdienen, weil gerade 20 cm breit. Und als ob dies noch nicht reichen täte, hat die Stadt Wuppertal diese schmalen Wege noch mit hervor stehenden, so genannten Leuchtnägeln versehen, auf dass auch der dümmste Autofahrer weiß, wo die Straße seitlich begrenzt ist. Feine Stolperfallen für Fußgänger, die auf diesem schmalen Grat eh schon um Gleichgewicht ringen.

Gestern früh also bin ich kurz vor der Passage, sehe weit hinter dem Tunnel ein Auto auf der Straße stehen. Ok, der hat Zeit, denke ich und laufe los. Das Auto setzt sich in Bewegung und fährt in den Tunnel ein, gerade, als ich mitten drin bin. Ich bleibe auf der Fahrbahn und schaue mal, wie es weiter geht. Meinem Gegenüber ist das wurscht, er fährt zügig weiter.

Du dummes, rücksichtsloses Arschloch, denkt es in mir. Kannst nicht eine Sekunde draußen warten, bis ich heraus bin. Was glaubst du eigentlich, wer eher auf Erden war, Autos oder zu Fuß gehende Menschen… Und so flüchte ich mich mit meinem XXL-Rucksack, der die Tageszehrung sowie den gefühlten halben Hausrat beinhaltet, auf die schmale Steige, hart an die dreckschwarze Tunnelwand. Es ist warm, der Kerl hat das Fenster auf, wortlos schauen wir uns an, während er langsam weiter fährt. Wahrscheinlich hat es meinerseits auch keine Worte gebraucht, um verstanden zu werden, unmaskiert, wie ich um diese Zeit meiner Wege gehe.

Kleinigkeit? Ja, schon, auf dem ersten Blick. Beim näheren hinschauen eher nicht, spiegelt es doch einen Teil meiner so genannten Lebens-Herausforderungen wieder. Der alte Adam möchte, übellaunig, wie er ist, am frühen Morgen, ohne Frühstück im Bauch, mit gezieltem Tritt Spiegel abtreten und zornig aussteigen wollenden Fahrern die Ohren lang ziehen und die Beine brechen.. Der andere, eher friedfertige Teil in mir wundert sich, man hätte ja auch mit einem freundlichen Lächeln einen guten Morgen wünschen können. Hätte. Irgendwo dazwischen liegt das, was man Realität nennt, also dieser Mordblick, der potentielle Kommentare im Keim erstickt. Nächstenliebe geht irgendwie anders, denke ich. Gibt wohl noch so einiges zu tun.

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Der Plan

Schwitzend wälzt er sich auf seinem Nachtlager umher, ein Blick auf die Uhr verrät, dass es in eineinhalb Stunden Zeit ist aufzustehen. Es ist nicht nur die sommerliche Tropennacht, die ihn schlaflos macht. Die Geister, die ihn des Nachts besuchen, in seinen Träumen, tun ihr übriges.

Pflicht. Es gab mal einen Roman, da sollte einer einen Schulaufsatz schreiben, über die Freuden der Pflicht. Der Junge gab seinerzeit ein leeres Blatt ab, weil er nicht wusste, wo er beginnen sollte und kassierte seine ungenügende Note dafür. Der Schlaflose dagegen weiß heute seine Gedanken zu sortieren, was ihm allerdings auch nur begrenzt weiter hilft.

Die Arbeit – der größte Teil dessen, was man gemeinhin als Pflicht ansieht. Er hat seine Arbeit nie geliebt, allerdings schon in großen Teilen gerne gemacht, zu seiner Zufriedenheit und offensichtlich auch zu der seines Arbeitgebers, sonst wäre er nicht schon so lange in dem Unternehmen. Was ihm mehr zusetzt als die Arbeit selbst, ist das erkennen seiner eigenen Untiefen, mit den Jahren. All die Ängste, die er ausgestanden hat. Vieles hat sich aufgelöst, anderes lediglich transformiert, was an sich nicht schlecht sein muss. Geblieben ist ihm die Erkenntnis, das sein Leben ganz offensichtlich irgend einem seltsamen Plan folgt, geschrieben von einem, der es nach Lage der Dinge recht gut mit ihm meinte, bis dahin.

Hoffnung. Die hat er nie aufgegeben. Dass sich unter anderen dieser Zorn, der in dieser Zeit sein Herz so oft erfüllt, auch eines Tages legen wird. Wut auf die tägliche Tretmühle, die ihn manchmal zu ersticken droht. Zorn, der an die Stelle der Angst getreten ist, die ihn so lange gefangen hielt. Zorn auf diesen unerbittlichen Konkurrenzkampf, der nichts mehr mit dem gemeinsamen Jagen und Sammeln aus seiner Vorstellung von einst zu tun hat.

Frieden gibt es, das spürt er in manchen stillen Augenblicken, wenn gerade einmal wirklich nichts zu tun ist. Die frühen Morgenstunden, die er so liebt, weil die Stadt dann noch still ist, wenn die meisten Menschen schlafen. Die Besinnung, bevor für ihn der Tag beginnt. Versöhnung mit dem Weg, der für ihn in großen Teilen aus Überwindung bestand. Überwindung seiner selbst und mehr als einer Kapitulation aus vermeintlich verlorenen Schlachten.

Sein Berufsleben befindet sich im Endspurt, sozusagen. Alles scheint auf eine bestimmte Zeit hinaus zu laufen. Das Ende seiner Erwerbstätigkeit fällt, so scheint es, einerseits mit der Selbstständigkeit seines Kindes zusammen und andererseits ganz offensichtlich mit dem Lebensende seiner greisen Eltern. Nichts besonderes also, denkt er, auch viele andere seiner Generation sitzen auf diese Weise zwischen Baum und Borke, dort, wo es manchmal recht eng und ungemütlich werden kann.

In ein paar Jahren kann er also heraus aus dem Job und etwas anderes tun, was er idealer Weise von Herzen gerne tun kann. So ganz klar ist das noch nicht, weil es eben noch nicht wirklich ansteht. Nach Lage der Dinge brauchen die Eltern irgendwann eine Form von Unterstützung und/oder Unterbringung, die sehr viel Geld kosten kann. Der Staat? Der wird seine Frau mit rupfen, wenn er nicht zahlen kann und das ist das letzte, was er möchte. Also Augen auf und durch, jeden Tag auf`s Neue.

Seine Schlussfolgerungen erschrecken ihn beizeiten und er fragt sich öfter, ob man solcher Art berechnend auf das Lebensende seiner Erzeuger blicken darf. Sie sind ihm nicht gleichgültig, er möchte schon, dass sie es so gut wie möglich haben, in ihrer täglichen Fristverlängerung. Grenzbereiche, wie so oft in seinem Leben. Abschiede kennt er, ebenso dieses lebenslange Gefühl, im Grunde allein da zu stehen. Was so heute nicht mehr stimmt, wie er weiß. Allein das Gefühl will nicht wirklich weichen, es hat bei ihm schon immer etwas länger gedauert, der Weg vom Kopf in`s Herz kann sehr lang sein.

So reiht sich Tag an Tag, Dankbarkeit wechselt manches Mal den Zorn ab, der seinerseits leider immer noch die Angst ablöst. Er weiß, dass das größte Kunststück der nächsten Zeit darin bestehen wird, selbst einigermaßen gesund zu bleiben. So, wie ihm klar ist, dass Gott nicht würfelt und erst recht nicht mit sich handeln lässt.

Fortsetzung folgt, vielleicht.

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Kein ausweichen möglich

Wenn mich etwas traurig stimmt, gebe ich mich dem hin, so lange es sein muss. Das ist, kommt ganz darauf an, worum es geht, mal kürzer und mal länger. Traurigkeit hat die Eigenschaft, zu bremsen. Früher ging ich darum um die Trauer herum und wurde lieber zornig. Mit der Welt, mit meinem Gegenüber, mit mir selbst, mit Gott, mit allem. Mit Wut im Bauch schafft man viel, jedenfalls mehr als mit der Trauer. Allerdings lässt sich die Trauer nicht betrügen. Sie kommt zurück, ungefragt, wann sie gerade will, und dann mit voller Wucht, zum Ausgleich für den versuchten Betrug vielleicht.

Hast`e jetz`davon, nehm`mich gefälligst ernst!

Also lass`ich die Traurigkeit dort, wo sie gerade sein möchte. Um nicht in ihr zu versinken, mache ich irgend etwas profanes. Das Fahrrad reparieren zum Beispiel. Oder Essen zubereiten. Staub saugen, Abwaschen, kleine Blog-Einträge wie diesen hier schreiben. Solche Sachen. Kleine, simple Notwendigkeiten und Beschäftigungen, die nicht das Potential haben, mich von mir selbst abzulenken. Beschäftigungen, die mich allerdings geerdet bleiben lassen.

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xxx

(Hamburger Hafen, irgendwann.)

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Nur ein Schuh

Abdul Halim ist ein gläubiger Mensch und besucht regelmäßig zum Freitags-Gebet die Moschee in seinem kleinen Dorf. So auch letzten Freitag, und es hätte eigentlich sein können wie jeden Freitag, wenn…, ja wenn nicht irgendjemand den linken von Abdul Halims Schuhen gestohlen hätte, die er vor dem Gebet als Paar noch draußen abgestellt hat, im vollen Vertrauen in die Ehrlichkeit seiner Mitmenschen.

Man kennt sich auf dem Lande, und auch Abdul Halim ist seinen Nachbarn gut bekannt. Nicht nur er, auch seine alte Mutter, die ihm einst seinen schönen Namen gab, der für Milde und Friedfertigkeit steht. Gleich so, als hätte sie beizeiten schon geahnt, das eben diese Attribute nicht zu den bevorzugten Stärken ihres Sohnes gehören sollten. Kaum entdeckt Abdul Halim die frevelhafte Tat, steigt eine unglaubliche Wut in ihm hoch. Nicht zur persönlichen Bereicherung, was ja noch zu verstehen gewesen wäre, nein, sondern ausschließlich ihm zum Ärger hat man ihn bestohlen, wer sonst, außer vielleicht Einbeinige, könnten mit einem Schuh etwas anfangen.

Abdul Halim baut sich vor dem Eingang der heiligen Stätte auf, wartend, bis sich auch der letzte Dorfbewohner nach dem Gebet zum Plausche dort eingefunden hat. Mit hochrotem Kopf, geschwollener Halsschlagader und der Körperhaltung eines zum Angriff bereiten Bullen brüllt er über den Platz:

Wenn jetzt gleich, spätestens in einer Viertelstunde, meine beiden Schuhe nicht genau dort stehen, wo ich sie hingestellt habe, dann könnt ihr mich erleben, wie ihr mich nie zuvor erlebt habt und ich schwöre euch bei Allah und allen Heiligen, ihr werdet mich kaum wiedererkennen!

Erschrocken stehen die Dorfbewohner zusammen, man kennt Abdul Halim und sein gefürchtetes Temperament. Niemand wiederum kennt den ruchlosen Dieb, der ihnen mit seiner lasterhaften Tat solchen Ärger einzubringen droht. So fasst man also einen Entschluss. Geld wird gesammelt und ein Abgesandter zu Abdul Halim geschickt, um eine weitere Eskalation zu verhindern.

Schnell ist Abdul Halims Schuhgröße bestimmt, der örtliche Schuster konsultiert und ein Paar passende, wunderschöne Lederschuhe besorgt. Nachdem diese offensichtlich Abdul Halims Gemüt beruhigt haben, zerstreut sich langsam die erleichterte Menge. Bis auf ein kleiner Junge, den die Neugier nicht weichen lässt. Vorsichtig nähert er sich dem nun nicht mehr ganz so furchterregenden Abdul Halim und fragt ihn schüchtern:

Onkel, sag doch, was genau hättest Du denn so furchtbares getan, hätten nicht alle für den Diebstahl eingestanden?

Abdul Halim lässt sich Zeit mit der Antwort. Nach einer Weile neigt er sich zu dem kleinen Jungen hinab und schaut ihm mit festem Blick aus seinen dunklen Augen tief in die Seele und sagt leise:

Nach Hause wäre ich gegangen, mit nur einem Schuh…

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 Anm.: Die Geschichte wurde mir im Kern vor langer Zeit als Teil der mündlichen arabischen Überlieferungen erzählt. Form und Ausschmückung sind meine.