Zu Gast

Auf Reisen wird er wieder spürbar, dieser Teil in mir, der sich nirgendwo zuhause fühlt. Ok, denke ich mir, das ist jetzt für einen wenn auch provinziellen Großstädter nicht wirklich überraschend, in einer erzkonservativen südstaatlichen Kleinstadt seltsam angeschaut und teils auch angesprochen zu werden. Keine Ahnung, warum – lag es an meiner morgendlichen Verschlafenheit, dem mittels Schnellspanngurt am Rucksack befestigten, mitreisenden Teddybär, der nicht recht zu meinem faltigen Antlitz passen will oder lag es am T-Shirt mit Schrödingers Katze. Die Vorstellung behagt bekanntlich nicht jedem, das allem Lebendigen schon der Tod innewohnt, schon gar nicht am frühen Morgen. Wie auch immer, sie hätten gewarnt sein können, auf selbigen Rucksack prangt eben auch das Logo der Grinsekatz als Aufkleber, habt ihr jetzt davon, kommt ihr halt in eine Geschichte 😉

Nachdenklich stimmen mich auch die Gesichter hier. Gefühlt habe ich schon lange nicht mehr so eine geballte Ansammlung von herabgezogenen Mundwinkeln in Kombination mit ausgesuchter Unfreundlichkeit gesehen, und das heißt was, wenn man im bergischen Land geographisch beheimatet ist. Wobei der Bergische an sich nicht unfreundlich gesonnen ist, eher beseelt von einer gewissen skeptischen Zurückhaltung. Erst mal rankommen lassen, so in etwa. Hier dagegen sehen viele Menschen so aus, als hätten sie es schwer. Kann sein, kenne ich ja auch, aber muss man sich dem wirklich so hingeben? Hin und wieder mal ne ordentliche Fresse ziehen geht klar, dafür sind wir alle nur Menschen. Aber so geballt? Dass es auch anders geht zeigen uns paradoxerweise die Zugezogenen, wie die coole Italienerin im Restaurant nebenan, der Stress ein Fremdwort ist. Oder der Armenier in dem kleinen Terrassencafe am Kurpark, den das von der Liebsten getragene armenische Kreuz zur orientalischen Höchstform auflaufen ließ. Zwei Stunden Aufenthalt, von denen ca. 15 Minuten dem Verzehr der angebotenen Leckereien gewidmet waren, der weitere Verlauf bestand aus anregenden theosophischen wie politischen Vorträgen und Diskussionen, durchwirkt mit liebenswürdiger orientalisch-verbaler Ausschweifung.

Zur Ehrenrettung des Landstrichs muss gesagt werden, es begegnen einem hier unglaublich viele kulturgeschichtliche Zeugnisse, die Landschaft ist sehr reizvoll, es ist milder als daheim und beim genaueren hinsehen finden sich auch nette Eingeborene. Ist möglicherweise alles wie so oft eine Frage des Fokus.

Was bleibt, ist dieses irdisch-unbehauste Lebensgefühl. Ein alles in allem erfüllendes Leben. meine mich daheim umgebenden lieben Menschen und Katzen, ein Ort, der sich mit Recht zuhause nennt, all dies erfüllt mich mit Dankbarkeit. Nichts von alledem ist selbstverständlich. Dennoch ist diese innere Heimatlosigkeit, ein Form von irdischer Verlorenheit, mein ständiger Begleiter geblieben, wenn auch lange nicht mehr derart wie in jungen Jahren. Allein mein Glaube hält all dies heute zusammen und – weil ich mich immer auch an die konstruktive Seite eines an sich destruktiven Gefühls erinnern möchte – innere Unbehaustheit, Verlorenheit geht in meinem Fall auch einher mit einer guten Portion Neugier, in Kombination mit einer gesunden inneren Distanz zu Geschehen um mich herum. Wurde mir nicht frei Haus geliefert, sondern ergab sich mit den Jahren durch ausdauerndes Training, vielleicht am ehesten vergleichbar mit einer gläsernen Mauer, die den Blick in beide Richtungen ermöglicht, aber vieles auch abprallen lässt.

*

PS – der Wassertiger existiert in wenigen Tagen tatsächlich schon seit 10 Jahren. Auch, wenn hier meinerseits wenig los ist, hat sich dieser Blog der Statistik nach zu einer Fundgrube für alle möglichen Themenbereiche entwickelt. Auch wenn ich mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt habe, das Ding in Ehren vom Netz zu nehmen – solange noch gelesen wird, bleibt die Seite.

10 Gedanken zu „Zu Gast

  1. Pingback: Samstag, 230729 | wupperpostille

  2. Birgit Oda

    Wer persönliche Tiefpunkte und echte existenzielle Krisen kennt und durchlebt hat, kann dem „Aus Prinzip“-Muffelmenschen vielleicht nicht so gut verstehen. Er ist abwehrend, gefühlsheruntergedimmt… es geht den meisten in diesen Regionen überdurchschnittlich gut, für deutsche, europäische und globale Verhältnisse. Sie wollen ihre Ruhe, ihren Muffel-Frieden

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Man hat mir vor einiger Zeit eine so genannte Anpassungsstörung diagnostiziert. Das war noch weit vor Corona und Krieg. Wenn ich mich so umschaue, verdienen ganze Bevölkerungsgruppen diese Diagnose. Klar gibt es ne Menge, was auch mir nicht passt, die politischen Herangehensweisen an die aktuellen Herausforderungen betreffend. Sei es drum, Dinge, die ich nicht ändern kann – ganz wichtig, zu unterscheiden, was liegt in meiner Macht und was nicht Seit ich dieses Prinzip, das seinen Ursprung in dem so genannten Gelassenheitsgebet hat, beherzige, geht es mir deutlich besser. Und dann kommt noch die regionale Mentalität hinzu, da gibt es in Deutschland – dem Flickenteppich ehemaliger Fürstentümer – unglaublich krasse Unterschiede.

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  3. Robert

    Mir sind Menschen, die sich sogleich und überall zuhause fühlen eher suspekt. Da habe ich viel Oberflächlichkeit erlebt. Und auch fehlende Verbindlichkeit. Nach dem Motto, heute hier morgen dort…
    Menschen, die sich selbst nach ihrem Zuhause befragen, sind mir da näher. Kritische Distanz und ehrliche Selbsterkenntnis scheinen mir eine gute, tragfähige Verbindung.

    Viele Grüsse,
    Robert

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  4. gerlintpetrazamonesh

    Das Bild. Nicht der Text, so weit bin ich noch gar nicht. Hat mich gefangen. Gelbweste mit Bär. Mit gebundenem Bären (ob das auch als Sternzeichen taugt?).
    Ist der Bär jetzt aus Sicherheitsgründen gefesselt? Damit er nicht losbricht (wie beispielsweise eine durchdrehende Hauptstadt, die erstmals wieder ermöglicht hat, dass Deutschland aktiv an Kriegen (natürlich für den Anfang gegen einen bewährten kleinen Gegner, den man schon in jedem Weltkrieg erfolgreich bombardiert hat) teilnimmt, was Bonn immer zu verhindern wußte? Eine Stadt, die im Zweifel nicht zwischen Löwe und Schwein zu unterscheiden weiß?)? Oder wurde der Bär – womöglich wider Willen (des Bären, des Trägers) aufgebunden? Oder ist die Sicherheitsleine nur wegen der Sicherheit da?
    Gebundener Bär verstört wollte ich nur sagen.
    Zum Text komme ich vielleicht auch noch.

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  5. gerlintpetrazamonesh

    Zehn Jahre. Das ist viel. (Denn was ist das Leben? Und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit… ja, die Bibel und der Luther sind nie um kluge Sentenzen verlegen).
    Aber an Welterfahrenheit fehlt es doch. Ich weiß nicht, wo in Süddeutschland (München? Es war ja die Rede von einer Kleinstadt.)… Aber es gibt da Regionen, da wird der Grant als eine weltkulturverdächtige Eigenart gelebt. Grundsätzlich ist erst mal alles schlecht, zumindest wird es doch ein paar Nachteile haben und was oder wer von auswärts kommt, na, das oder der kann eh nichts taugen, zumindest ist es oder er nicht von hier.
    Gegenbeispiele bestätigen diese Regel eher.
    Wenn nun einer fröhlich der Welt begegnet, gar noch einen gefesselten Tanzbären am Rucksack trägt, dann wird es dem Dörfler rasch unheimlich, es würde mich nicht wundern, wenn sich der (dezidiert auch die) eine oder andere abwendet und bekreuzigt. Ich würde ja sagen, halte dich an die, die sich bezwetschigen, aber der Jandl ist halt auch schon gestorben.
    Ein Tipp: Geh in die Berge. Fröhlich oder aber heftig schnaufend den Berg hinan. Und schon wirst von Jedermann mit einem frohgemuten „Grüß Gott,“ „Servus“ und ähnlichem gegrüßt, soferns keine Touristen sind.

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  6. Andreas Becker

    Die kulturgeschichtlichen Zeugnisse und die reizvolle Landschaft, von denen du sprichst, sind zweifellos Schätze, die es zu schätzen gilt. Deine Dankbarkeit für das erfüllte Leben, das du zu Hause mit deinen lieben Menschen und Katzen genießt, ist herzerwärmend. Die Vorstellung von innerer Heimatlosigkeit, die du teilst, gibt deinem Erlebnis eine tiefere Dimension. Es ist bewundernswert, wie du diese Empfindung in einen Quell der Neugier und inneren Stärke verwandelt hast.
    LG,
    Andreas

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