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Zu Gast

Auf Reisen wird er wieder spürbar, dieser Teil in mir, der sich nirgendwo zuhause fühlt. Ok, denke ich mir, das ist jetzt für einen wenn auch provinziellen Großstädter nicht wirklich überraschend, in einer erzkonservativen südstaatlichen Kleinstadt seltsam angeschaut und teils auch angesprochen zu werden. Keine Ahnung, warum – lag es an meiner morgendlichen Verschlafenheit, dem mittels Schnellspanngurt am Rucksack befestigten, mitreisenden Teddybär, der nicht recht zu meinem faltigen Antlitz passen will oder lag es am T-Shirt mit Schrödingers Katze. Die Vorstellung behagt bekanntlich nicht jedem, das allem Lebendigen schon der Tod innewohnt, schon gar nicht am frühen Morgen. Wie auch immer, sie hätten gewarnt sein können, auf selbigen Rucksack prangt eben auch das Logo der Grinsekatz als Aufkleber, habt ihr jetzt davon, kommt ihr halt in eine Geschichte 😉

Nachdenklich stimmen mich auch die Gesichter hier. Gefühlt habe ich schon lange nicht mehr so eine geballte Ansammlung von herabgezogenen Mundwinkeln in Kombination mit ausgesuchter Unfreundlichkeit gesehen, und das heißt was, wenn man im bergischen Land geographisch beheimatet ist. Wobei der Bergische an sich nicht unfreundlich gesonnen ist, eher beseelt von einer gewissen skeptischen Zurückhaltung. Erst mal rankommen lassen, so in etwa. Hier dagegen sehen viele Menschen so aus, als hätten sie es schwer. Kann sein, kenne ich ja auch, aber muss man sich dem wirklich so hingeben? Hin und wieder mal ne ordentliche Fresse ziehen geht klar, dafür sind wir alle nur Menschen. Aber so geballt? Dass es auch anders geht zeigen uns paradoxerweise die Zugezogenen, wie die coole Italienerin im Restaurant nebenan, der Stress ein Fremdwort ist. Oder der Armenier in dem kleinen Terrassencafe am Kurpark, den das von der Liebsten getragene armenische Kreuz zur orientalischen Höchstform auflaufen ließ. Zwei Stunden Aufenthalt, von denen ca. 15 Minuten dem Verzehr der angebotenen Leckereien gewidmet waren, der weitere Verlauf bestand aus anregenden theosophischen wie politischen Vorträgen und Diskussionen, durchwirkt mit liebenswürdiger orientalisch-verbaler Ausschweifung.

Zur Ehrenrettung des Landstrichs muss gesagt werden, es begegnen einem hier unglaublich viele kulturgeschichtliche Zeugnisse, die Landschaft ist sehr reizvoll, es ist milder als daheim und beim genaueren hinsehen finden sich auch nette Eingeborene. Ist möglicherweise alles wie so oft eine Frage des Fokus.

Was bleibt, ist dieses irdisch-unbehauste Lebensgefühl. Ein alles in allem erfüllendes Leben. meine mich daheim umgebenden lieben Menschen und Katzen, ein Ort, der sich mit Recht zuhause nennt, all dies erfüllt mich mit Dankbarkeit. Nichts von alledem ist selbstverständlich. Dennoch ist diese innere Heimatlosigkeit, ein Form von irdischer Verlorenheit, mein ständiger Begleiter geblieben, wenn auch lange nicht mehr derart wie in jungen Jahren. Allein mein Glaube hält all dies heute zusammen und – weil ich mich immer auch an die konstruktive Seite eines an sich destruktiven Gefühls erinnern möchte – innere Unbehaustheit, Verlorenheit geht in meinem Fall auch einher mit einer guten Portion Neugier, in Kombination mit einer gesunden inneren Distanz zu Geschehen um mich herum. Wurde mir nicht frei Haus geliefert, sondern ergab sich mit den Jahren durch ausdauerndes Training, vielleicht am ehesten vergleichbar mit einer gläsernen Mauer, die den Blick in beide Richtungen ermöglicht, aber vieles auch abprallen lässt.

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PS – der Wassertiger existiert in wenigen Tagen tatsächlich schon seit 10 Jahren. Auch, wenn hier meinerseits wenig los ist, hat sich dieser Blog der Statistik nach zu einer Fundgrube für alle möglichen Themenbereiche entwickelt. Auch wenn ich mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt habe, das Ding in Ehren vom Netz zu nehmen – solange noch gelesen wird, bleibt die Seite.

Orientierung

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen“. Mit anderen Worten, wir sollten nicht zuerst nach materiellen Dingen trachten, sondern nach innerer Vervollkommnung, denn dann kommt alles Materielle – um das wir uns bemühen – wie von selbst. Viele Menschen, die zuerst nach materiellen Dingen streben, meinen, sie könnten trotzdem dabei innerlich wachsen. Aber niemand kann Gott und Mammon gleichzeitig dienen. Die ersten Voraussetzungen für ein erfülltes Leben sind innere Qualitäten wie Wahrhaftigkeit, Lauterkeit, Selbstlosigkeit und Liebe. Solange du diese Eigenschaften nicht besitzt, nützt dir die größte Anhäufung von materiellen Gütern wenig.

https://aa-welt.de/store/24stunden/15-5.htm

Ist das so? Hat Mensch nicht erst dann einen freien Kopf, wenn der Kontostand den Erwartungen und Anforderungen entspricht? Ja und Nein, glaube ich. Ohne die mentale Grundhaltung hinter allem Tun und Lassen artet das Tagewerk leicht in einem gnadenlosen Ego-Trip und in die Gier aus. Andererseits führt das schauen der inneren weißen Wand allein auch nicht weiter, wenn es um das bezahlen von Rechnungen geht. Und so halte ich es gerne mit den Benediktinern, die da empfehlen, die Füße fest auf dem Boden zu stellen, den Kopf gen Himmel zu richten und bei alledem nicht vergessen, Kohl anzubauen (Wo ich das gelesen habe – keine Ahnung).

Die praktische Umsetzung im Alltag ist tägliche Übung auf der Basis von Vertrauen. Das meine tun und meiner höheren Macht das ihre zu überlassen, was natürlich nicht nur in materiellen Angelegenheiten gilt. Und so schaffe ich mir zwischendurch immer wieder Zeitfenster zum innehalten, am frühen Morgen mehr, über Tag sind es nur Minuten. Am Abend möchte ich danken, für das Gelungene, aber auch für die noch offenen Herausforderungen. Das alles schwankt stark, je nach Tagesform, aber hilft ungemein, im Leben zu stehen, was für einen Menschen wie mich keine Selbstverständlichkeit ist. Wer wie ich aus der stofflichen Sucht, aus der Angst, Unsicherheit, Verlorenheit und der Kontrollsucht kommt, weiß, wie wichtig das üben in Kontinuität, Beharrlichkeit und vor allem Vertrauen ist.

Was gerade in Zeiten wie diesen gilt…

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Innen wie Außen

Ist es die Macht der Gedanken, die meine Lebensumstände bestimmen? Sind es wirklich die alten (oder neuen) Glaubenssätze, die äußere Ereignisse bestimmen? Jedenfalls wird das gerne behauptet und auch ich denke, da ist etwas dran. Manchmal allerdings kommen mir Zweifel. Immer dann, wenn äußere Ereignisse die Glaubenssätze, die verinnerlichten Überzeugungen zu bestätigen scheinen. Auch, wenn diese längst als destruktiv erkannt wurden und wenn in Teilen Vertrauen in ihre Stelle getreten ist.

Prüfungen? Kann ich mit hadern. Mache ich manchmal auch, weil sie mir zum Halse heraushängen. Da hängen sie dann, gut sichtbar – so lange, bis ich sie annehmen kann, sie wieder einmal als Teil meines Lebens begreifen darf. Kannst hadern oder nicht, kichert das Leben leise, die jeweils aktuelle Herausforderung steht da wie eine Wand und bewegt sich nicht. Bis ich mich ihr stelle, wieder einmal mehr. Indem ich um Führung bitte, um die rechten Eingebungen, das rechte deuten der Zeichen, so sie denn für mich gedacht sind.

MEDITATION
Gott ist überall. Sein Geist beherrscht das Universum. Und doch lassen wir ihn oft nicht bei uns ein. Wir versuchen, ohne seine Hilfe auszukommen und verpfuschen dabei unser Leben. Denn nichts von Belang können wir ohne Gottes Hilfe tun. Alle unsere menschlichen Beziehungen sind davon abhängig. Erst wenn wir Gott die Führung in unserem Leben anvertrauen, gelingt es uns, mit unseren Mitmenschen auszukommen und ihnen zu helfen.
GEBET
Ich bete, dass ich Gott die Führung meines Lebens anvertrauen möge. Ich bitte, dass ich mein Leben nie wieder dadurch verpfusche, dass ich versuche, es nach meinem Willen zu führen.

Quelle

28

28 Jahre. Vor 28 Jahren war mein Vater so alt wie ich jetzt. Frisch gefeuert noch ein knappes Jahr arbeitslos und dann mit vollen Bezügen frühverrentet begann für ihn das Leben, wie er es sich erträumt hatte. Nur weg, Licht, Luft und Sonne. Guter Plan, leider ohne Einbeziehung der Familie, das war seine Lebensentscheidung, seine und die meiner Mutter. 11 Jahre nationalsozialistische Kindheit mit allen dazugehörenden Begleiterscheinungen, folgende Hungerjahre eingeschlossen, dienten als Rechtfertigung der gerüttelten Portion Egoismus für den Rest des Lebens.

Und ich? Wenn ich diesen Menschen heute sehe, empfinde ich keinen Neid. Das Leben strebt stets nach Ausgleich, und der hat viele Gesichter. Ich hatte die Gnade, zwar in drangvoller geistiger Enge, aber immerhin ohne Bombenterror und Hunger in einem halbwegs freien Land aufwachsen zu dürfen. Dafür darf ich, dürfen wir (bin ja nicht allein damit) ordentlich länger arbeiten, wollen wir nicht auf Grundsicherungsniveau zurückfallen. Muss und kann ich mit leben. Gemacht, was ich wollte, habe ich in jungen Jahren, irgend etwas läuft also genau anders herum als in der Generation meiner Eltern. Heute folge ich den 10 Geboten und den 12 Schritten, die mir als Orientierung dienen und bitte um tägliche Führung. So Gott will, werde ich meinen körperlichen Verfall dito so relativ klar wie mein Vater erleben, derweil nur wenige die Gnade haben, irgendwann am nächsten Morgen nicht mehr aufstehen zu müssen.

Bis dahin hat es hoffentlich noch etwas Zeit. Ohne es genau zu wissen, wie kann man das auch, trage ich das derzeit noch sehr unbestimmte und diffuse Gefühl in mir, dass es für mich noch ein Menge zu lernen gibt, die potentielle Leichtigkeit des Seins inbegriffen. Für alle, die jetzt aufmerken – ja, auch dies möchte gelernt sein, wenn Mensch es nicht von Haus aus mit bekommt. Und – irgendwo gibt es die Hoffnung, dass an einem Punkt die Fäden zusammenlaufen könnten, dass Glaube, Intuition, Familie, teilen-wollen und die Leichtigkeit sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich sinn- und liebevoll ergänzen mögen. Wird sich mit der Zeit finden – so Gott will – und ich ihm folge.

Mein Taufspruch … vor 15 Jahren.

Pari

Gleichstand. Heute vor 22 Jahren trank ich zum letzten Mal Alkohol. Das entspricht annähernd der Zeitspanne, in der ich konsumiert habe, wenn ich den Beginn auf dem 16ten Lebensjahr lege, von einigen vorherigen einzelnen Gelagen mal abgesehen.

Wir unterscheiden bei den anonymen Alkoholikern zwischen Trinkpausen, Trockenheit und Nüchternheit. Trinkpause ist selbsterklärend, Trockenheit bezeichnet dauerhafte Abstinenz, Nüchternheit meint Trockenheit plus tiefgreifenden inneren Wandel, Friede mit der Vergangenheit, Vertrauen auf Gott, Skepsis dem eigenen Ego, den eigenen Emotionen gegenüber, beides Bereiche, die laut Pfarrer Kappes krank sein können und bei süchtigen Menschen auch sind – im Gegensatz zu unserer unsterblichen Seele, unser Selbst, wie Kappes sagt.

Wo stehe ich? Ich bin auf dem Weg, der zu werden, der ich Gottes Willen nach gedacht bin. Was den eigenen Willen nicht ausschließt, wer möchte schon „willenlos“ sein? Für mich ist es existenziell wichtig, Gottes Willen als den eben größeren anzusehen. Immer wieder um tägliche Führung bitten, mich führen zu lassen. Das gleicht einer abenteuerlichen Reise, mal Angst-besetzt, da wo das Vertrauen (noch) nicht reicht, mal zuversichtlich, meist aber als spannend empfunden. Langweilig wurde mir in den vergangenen 22 Jahren jedenfalls noch nie 😉 Wie wichtig Vertrauen ist, zeigen gerade diese Zeiten immer wieder neu. Richtung und Weg stimmen, wofür ich dankbar bin.

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Urvertrauen

Unten stehende Zeilen stellen im Kern einen meiner Beiträge in einer Heinz-Kappes-Whatsapp-Gruppe dar. Glaube und Vertrauen, für mich der Boden unter meinen Füßen, heute. Es ist immer noch nicht selbstverständlich für mich, abzugeben, als ein Mensch, der stets gern die Kontrolle gehabt hätte, zu haben glaubte. Ein Mensch, der mit solchen Plattitüden wie „Glauben tun wir in der Kirche“ aufwuchs, ein Mensch, für den Gott allenfalls eine Art strafende Instanz darstellte, der jedem das seine gibt, alttestamentarisch pur. Ein Mensch, der sich zum Ende seines Größenwahnes seinem Schöpfer angeboten hat, ihn abzuholen.

Es war noch nicht die Zeit dazu – Gott sei Dank.

Und das ist meine Lebensgeschichte, dass ich nicht wusste, wohin ich gehe, und dadurch am sichersten geführt war….Man weiß nicht, wohin man geht, wenn man gegangen wird in seinem Leben.

Heinz Kappes – „Von Liebe heimgesucht“ – Abschlussrede AA-Treffen in Basel am 09.05.1978)

Mein Name ist Reiner, ich bin Alkoholiker, heute trocken. Ich habe mir diese beiden Textpassagen aus der langen Rede von Heinz Kappes herausgesucht, weil sie mich besonders ansprechen: Der Umgang mit stetem Wandel, mit Unsicherheiten aller Art, wirtschaftlich und politisch auf gesellschaftlicher Ebene sowie Partnerschaften, Freundschaften, Beziehungen aller Art auf persönlicher Ebene betreffend.

Mein Leben war geprägt von persönlichen Krisen und Veränderungen. Zahlreiche partnerschaftliche Beziehungen, ständig wechselnde Bekanntschaften, deren Bindeglied die gemeinsame Gier auf Rausch war. Die totale, innere Leere in der Kapitulation vor meinem Unvermögen, mit Alkohol und Drogen umgehen zu können. Beziehungsdramen, nüchtern und trocken durchlebt und regelrecht zelebriert. Die zweite große Kapitulation war die vor meinem seelischen Zuschnitt, das andere Geschlecht betreffend, nach 9 trockenen Jahren durchlebt. Ich war mit meinem Willen, mit meinem Ego mehr als einmal komplett am Ende. Und immer, wenn ich überhaupt nicht mehr weiter wusste, konnte ich abgeben, an meine höhere Macht. Natürlich nicht frei und willig, sondern getrieben von Verzweiflung und Angst, die mein ständiger Begleiter war, solange ich denken kann. Mach du, ich weiß nicht mehr weiter, hieß es so oft.

Das kommt auch heute noch öfters vor, aber etwas hat sich geändert. Ich darf zeitig um Führung bitten, nicht erst im Zustand vollständiger Verzweiflung. Mein Ego, mein Verstand machen Pläne, entwerfen Strategien, haben aber nicht mehr das letzte Wort. Eingeprägt hat sich mir der Wunsch, das meine zu tun, soweit ich blicken kann, verbunden mit der Erkenntnis, dass das jeweilige Ergebnis nicht in meiner Macht liegt. IHM das Ergebnis zu überlassen und es annehmen zu können, gleich, wie es ausfällt. Manche nennen es Gottvertrauen, andere Intuition oder Urvertrauen, für mich ist es auch heute noch alles andere als selbstverständlich, abgeben zu dürfen, zu vertrauen, mich führen zu lassen. Es ist dies das größte Geschenk meiner Nüchternheit, mein Ego SEINEM Willen unterordnen zu können.

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Gedanken zur Zeit

Wasser – für mich hauptsächlich Lebenselixier und ein Metapher-taugliches Element, bis dahin. Als Gefahr habe ich es in der Vergangenheit eher am Rande wahrgenommen, lebe ich doch auf einem Berg und hatte nicht viel mit den Schattenseiten vom Wasser zu tun, von diversen Kleinigkeiten wie ein vollgelaufener Keller und eine verstopfte Dachrinne mit entsprechenden Folgen in unserer Wohnung mal abgesehen. Das, was ich derzeit in den von Hochwasser betroffenen Gebieten sehe, macht mich fassungslos, wie so viele andere Menschen auch. Es wird sich etwas ändern müssen, nur nicht in dem Tempo, wie es die derzeitige allgemeine Betroffenheit am liebsten hätte, was ich nur zu gut mitfühlen kann, geht mir das Schicksal der Menschen in den vom Hochwasser verwüsteten Gebieten ebenso nahe.

Wer seinen Blick weiter schweifen lässt, weiß, dass tiefe Betroffenheit kein guter Ratgeber sein muss, oft genug eben nicht ist. Dogmatisch angetriebene Entscheidungen in Sachen Verkehrs- und Energiepolitik um den Preis von schweren, letztendlich staatsgefährdenden sozialen Verwerfungen dürfen nicht der Weg sein. Lohn und Brot, ein Auskommen für alle haben oberste Priorität, für mich, des inneren Friedens Willen. Die politische Kunst der nächsten Jahrzehnte wird sein, dieses Grundbedürfnis mit den Herausforderungen des auch von uns Menschen gemachten Klimawandels zusammen gehen zu lassen. Wege und Ansätze gibt es viele, ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht. Zum Schluss noch ein Wort an den Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet: Einfühlsamkeit angesichts zahlreicher Menschenopfer geht anders, nicht mit solchen Worten, auch wenn Sie im Kern nicht so falsch liegen. Ich habe ihren Auftritt in West3 dito gesehen…

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Genug der Politik. Der Wasser-Tiger, dieser Blog hier, namentlich inspiriert von meinem Geburtsjahr, 1962 – in letzter Zeit ist es still geworden, schreibe ich doch mehr oder weniger regelmäßig eher auf der Wupperpostille. Weiter machen? Manchmal denke ich, es reicht mit einem Blog, es braucht ihn nicht mehr, den Wassertiger. Mal sehen, für`s Erste lass ich es so weiter laufen, auch wenn sich zumeist nur Bots für die Ecke hier zu interessieren scheinen. Zumindest die arithmetische Erfüllung des chinesischen 60-Jahre-Zyklus im nächsten Jahr, dito einem Jahr des Wassertigers, soll er mit erleben.

Immerhin bietet diese Nische hier Gelegenheit, mal die Gedanken zu sammeln und passende Worte, idealerweise in ganzen Sätzen für die momentane Gefühlslage zu finden, etwas abseits der schreibenden Community. Stichworte gibt es reichlich. Familie, Gesellschaft & Politik, Idealismus, Pragmatismus, Polarisierung, Leben mit Widersprüchen, mit Zwiespalt. Gesellschaft und Politik hatte ich schon, siehe oben, das soll reichen, für heute.

Familie – mein Verhältnis zu dieser kleinsten Form von Gemeinschaft ist zwiegespalten, wie so vieles in meinem Leben, das von Polaritäten und Widersprüchen geprägt wurde und wird. Einerseits bin ich erschüttert, wenn ich am Beispiel meiner Eltern sehe, was alt werden, sehr alt werden bedeuten kann, nicht nur gesundheitlich, auch mit Blick auf den Umgang miteinander, mit Wesensveränderungen im Alter oder besser die teils heftigen Verstärkungen und Kristallisationen schon immer vorhandener Charaktereigenschaften und Neigungen. Ein Buchzitat dazu fand neulich den Weg zu mir, das ich sehr passend finde:

„Wenn wir ein gewisses Alter überschritten haben, werfen die Seele des Kindes, das wir gewesen, und die Seelen der Toten, aus denen wir hervorgegangen sind, mit vollen Händen ihre Schätze und ihren bösen Zauber auf uns und verlangen, dass sie zu ihrem Teil an den neuen Gefühlen mitwirken können, die wir empfinden und in denen wir sie, nachdem wir ihr altes Bild ausgelöscht haben, in einer neuen Schöpfung wieder zusammenschmelzen.“

Marcel Proust – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit/ Die Gefangene 
Danke für den Buchtipp, liebe G. 😉

Auf der anderen Seite sehe ich mit Freude, wie mein großes Kind seinen Weg geht, wie meine Anverwandtschaft dabei ist, mit vielen Kindern liebevoll eigene Ableger der großen Sippe zu bilden. Ich habe keine Angst mehr, meinen Vater all zu ähnlich zu werden, was den Umgang mit dem anderen Geschlecht angeht, damit habe ich bereits abgeschlossen, zum Leidwesen meiner ersten Frau. Auch in Sachen Vertrauen bin ich zu lange schon auf einem guten Weg, dass ich noch Angst haben müsste, ihm ähnlicher zu sein, als mir lieb ist. Auch kann ich die ebenso vorhandenen positiven Seiten meiner „familiären Sozialisierung“ heute durchaus erkennen und annehmen, für all das bin ich meinem Schöpfer sehr dankbar.

Zwiespalt auch an anderen Stellen in meinem Leben: Idealismus vs. Pragmatismus, vs. realistischer Einschätzungen der Gegenwart, oder besser dem, was ich dafür halte. So halte ich mich einerseits für einem gefühlsbetonten, potentiell mitfühlenden Menschen, der allerdings ebenso mit ordentlichen Portionen Ego & Überlebenswillen ausgestattet worden ist, kombiniert mit einer manchmal selbst für mich schwer erträglichen inneren Kälte & Distanz mit Blick auf manche menschliche Interaktionen, auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Dazu gehört die stete Gefahr des Abgleitens in Sarkasmus, was ich gelegentlich auch zulasse und kultiviere, wovor ich mich hüte, ist blanker, menschenverachtender Zynismus, zu dem ich ebenso fähig bin. Das Bindeglied zwischen all diesen Facetten ist mein Glaube, der mich nicht nur in die Lage versetzt, all diese inneren Widersprüche zu erkennen, anzunehmen und zu (er-)tragen, sondern der mich auch verweilen lässt, in der Gegenwart, wie immer sie auch gerade geartet ist. Flucht bedeutet für mich immer Morpheus`sche Traumwelten, die ich mir nicht mehr leisten will. Bis heute und nur für heute funktioniert das seit vielen Jahren recht gut, das wahrscheinlich größte Geschenk des Universums für mich.

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Exkurs

Die Arbeit staut sich, mancherlei Alltags-Verrichtungen und Pflichten kleben wie zäher Brei und lähmen die Seele, der es gefühlt zuviel des Ganzen ist, zumindest zeitweise. Gruppen-Aktivitäten haben sich zum PC hin verlagert, was an sich gut ist, aber kein wirklicher Ersatz für die physische Nähe von Menschen. Dort, wo ich es gerne leben täte, beruflich, da geht es leider nicht, weil ich einen altmodischen, technischen Beruf habe und tatsächlich noch des Morgens in die Werkstatt gehe, hin zu den ausgetretenen Pfaden zwischen Schreibtisch und den mit mir gealterten Maschinen. Wenn ich in einigen Jahren, so Gott und der Konzern es wollen, dort meinen letzten Tag haben werde, sind die Chancen groß, das meine treuen stählernen Gefährten zu schnöden Kernschrott degradiert werden, wer weiß. Mit in den so genannten, derzeit mehr oder weniger beliebten Home-Office nehmen kann ich sie leider nicht, wegen ausgeprägter Schwergewichtigkeit, extremen Hang zum lärmen und altersbedingten Schwächen wie permanentes kleckern und tropfen.

Anderes drängt an die Oberfläche, versucht sich Platz zu schaffen, zwischen der Arbeit und den Pflichten. Mal darf ich inne halten und dann wird ein einzelnes Stichwort im digitalen Notizbuch festgehalten. Der Versuch, das Gefühl eines Augenblicks zu beschreiben und bei solchen Gelegenheiten wie eben jetzt hervorzuholen und zu vertiefen. Was nicht so einfach ist, wie ich gerade merke. Stehen doch dort im Memo unter anderen so getragene Begriffe wie Auflösung, Transzendenz, Pelzgefühl, letzte Wahrheit, Urgrund. Zeugnisse eines Lebensgefühls unterhalb des Alltags, Zeugnisse mancher teils erschreckender, teils überraschender Erkenntnisse, die sich durch Risse und Spalten in der Geschäftigkeit ihren Weg nach „oben“ suchen. Oder durch bewusste Ruhepausen, ohne die bewährten Ablenkungen, an`s Licht gelockt werden. Die astrologischen Entsprechungen, deren Interpretationen  in den einschlägigen, allgemein eher mit Vorsicht zu genießenden Foren und Büchern nachzulesen sind, beziehen sich auf Mond und Venus nicht nur im zwölften Haus, auch im Sternbild Krebs, was zu guten Teilen passt. Als Teile der mir mitgegebenen Optionen, nicht mehr und nicht weniger. Die äußere Entsprechung in der Gegenwart ist das begleiten meiner Eltern auf ihren letzten Wegen. Ungewohnte Nähe, der ich jahrzehntelang ausgewichen bin und nun mangels gangbarer Alternativen leben darf. Macht Sinn, denke ich und kann es annehmen, wie es ist, fernab der alten Muster, weder verängstigtes Kind noch überheblicher Oberlehrer, altes Leben zwischen den Polen, hinter mir gelassen. Auf der anderen Seite darf ich zu meiner Freude erleben, wie mein großes, leibliches Kind erwachsen wird, Stück für Stück. Werden und vergehen eben.

Und so tauche ich wieder auf, schaue das Flauschknäuel namens Lilit, unsere dunkle Seite des Mondes, das es sich dicht bei mir hinter dem Monitor leise schnarchend gemütlich gemacht hat, höre die Stimme der mittlerweile eingetroffenen Liebsten, die mich an so profanes wie Abendbrot erinnert. Mit Recht – und eben mit Hunger. So sei es dann…

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Gestreckt sieht man mehr…

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Ego und Angst

Schon länger hege ich den Verdacht, dass es da einen Zusammenhang geben muss, ohne groß im Netz zu dem Thema recherchiert zu haben. Wer so wie ich dann danach sucht, findet eine Fülle von Seiten, die sich damit auseinandersetzen, scheint also vor mir schon eine Menge anderer Menschen beschäftigt zu haben. So Dinge, mit denen ich mich selbst erst dann auseinandersetze (und dann staune, dass ich damit nicht allein bin), wenn es nicht mehr anders geht. Wenn das Ego endgültig realisiert hat, nichts, wirklich nichts selbst „in der Hand“ zu haben, keine Kontrolle über irgendetwas zu haben.

Alles hat seine eigene Gesetzmäßigkeit im Leben, so auch die Lebensbereiche, an denen das Ego gerne rütteln und schütteln möchte. Herrschte bei mir im Beruflichen die meiste Zeit meines Lebens, von den Anfängen einmal abgesehen, eher Kontinuität und Beständigkeit, im Privaten dagegen meist das blanke Chaos, so scheint sich dieses Verhältnis nun in meinen letzten Berufsjahren umzukehren. Einzelheiten erspare ich der Öffentlichkeit an der Stelle lieber, zum einen mit Blick auf die Diskretionspflicht meinem Arbeitgeber gegenüber, zum anderen mag ich mir mit Details zu dem Thema nicht unbedingt den schönen Samstag-Morgen verderben.

Bildet sich mein Ego also ein, der König meiner selbst zu sein, steht ihm sofort die kleine lästige Schwester Angst zur Seite. Da könnte etwas verlustig werden, weggenommen werden, zumal wenn nur beschränkt verfügbar, sorgt die Angst dafür, dass Verteidigungswälle errichtet werden, Waffen werden geputzt, geladen, in Stellung gebracht und entsichert. Strategien werden erdacht, Taktiken entwickelt, mögliche Waffenbrüder gesucht. Eine sehr anstrengende Sache also, die an vielen Positionen in den Betrieben oder an anderen Stellen im Leben, überall dort, wo Mensch gehalten ist, sich mit seinesgleichen zu arrangieren, dazu führt, dass der überwiegende Teil der Tages-Energie für eben diese, letztendlich vom Ego im Verbund mit der Angst ausgelösten Verhaltensweisen dahin geht und so der eigenen Kreativität, meinetwegen Produktivität, der eigenen Lebendigkeit nicht mehr zur Verfügung steht. Ganz zu schweigen von der Lebensfreude, der Gelassenheit, der Ausgeglichenheit, des inneren Friedens.

Wie kann also ein Weg heraus aus dieser Falle ausschauen? Ohne ein Mindestmaß an Ego geht es offensichtlich nicht, unser Schöpfer hat sich etwas dabei gedacht, uns damit auszustatten. Keine Kühlschranktür öffnet sich ohne Ego, von den modernen Varianten der urzeitlichen Säbelzahntiger mal ganz zu schweigen. Da sei doch immer noch Gott, meinte ein AA-Freund neulich im Gespräch über diese Zusammenhänge zu mir. Einer, der es wissen muss, bei seiner Lebensgeschichte, die nun immerhin fast 8 Jahrzehnte währt und alles andere als beständig verlief.

Stimmt. Wenn ich mich daran erinnere, im Leben geführt und begleitet zu sein, schrumpft das Ego auf ein natürliches Maß und spielt sich nicht mehr als Chef auf. Mit ihm schrumpft auch die Angst, an ihrer Stelle tritt Vertrauen, so wird Energie und Raum freigesetzt, auf das Nächstliegendste zu schauen, in der Gegenwart zu bleiben, was sich sehr befreiend anfühlt. Was mir bleibt, ist Tag für Tag neu zu schauen. Pläne und Visionen gehen schon in Ordnung, solange sie nicht als Anspruch und Erwartung angesehen werden, sondern bestenfalls als Orientierung.

In dem Sinne –
alles in der Natur strebt nach Ausgleich, nach Gleichgewicht …

Nachtrag:

Ich nutze immer gerne das Bild von dem schwarzen Vogel, der auf meiner rechten Schulter sitzt. Er ist Herr der Ängste, der Depressionen, der dunklen Stimmungen. Er lässt sich nicht vertreiben, darum haben wir einen Burgfrieden geschlossen. Ich verschwende keine Energie mehr darauf, ihn zu vertreiben, er darf also bleiben, da er offensichtlich ein Teil von mir ist. Im Gegenzug hat sich der Schwarzgefiederte damit abzufinden, nicht der Herrscher über meine Seele zu sein.

Nun bin ich im Laufe meiner mehrwöchigen gesundheitlichen Rehabilitation gefragt worden, wer oder was denn als Ausgleich sozusagen auf der anderen Schulter säße. Ein gute Frage, fand ich – spontan fiel mir Jesus ein. Jesus? Warum eigentlich nicht. Der schwarze Vogel ist ebenso nicht körperlich sichtbar und wirkt dennoch, ebenso wie Jesus. Nur in die andere Richtung …

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Das neunte Jahrsiebt

Esoterik ist nicht so mein Ding. Numerologie auch nicht, dennoch ergibt die Beobachtung der Lebensabschnitte, gerade auf die Zahl Sieben bezogen, erstaunliches. Für mich, kurz vor Vollendung meines 57sten Lebensjahres,, also am Beginn des neunten Jahrsiebtes,  geht es schwerpunktmäßig um den Tod, um Abschiede, aber auch um radikale innere Umwälzungen, mit denen ich nie gerechnet habe.

Wenn das Wasser kommt, nimmt es alles mit, was schon länger lose war. Alles, was nicht oder nicht mehr zu mir gehört, möglicherweise nie wirklich zu mir gehört hat, wird gnadenlos weggeschwemmt oder versinkt in den salzigen Fluten mancher Tränenströme. Zeit der Abschiede, Zeit der Trennungen, Zeit der Reinigung, Zeit der Wahrheit, Zeit, Farbe zu bekennen, kein Lavieren, kein Ausweichen mehr möglich. Zeit der Prüfung, der Umbrüche, quer durch alle Lebensbereiche. Zeit, zu vertrauen auf die neue Bleibe im Schloss aus Korallen, dem Ort, der unter Wasser atmen lässt, wenn das alte Haus unbewohnbar geworden ist. Wenn das Wasser kommt, spült es alles mit hoch, was es auf seinem Weg vorfindet, auch dem Müll vergangener Jahrzehnte.

Ein Teil des Meeres werden …

Der Wassertiger lernt spät, aber hoffentlich nicht zu spät, unter Wasser zu atmen…Ein wundervolles Gedicht, welches ich auch schon mal auf der Wupperpostille veröffentlicht habe, passt dazu sehr gut.

Quelle: Carol Bieleck (Sacré Coeur-Schwester)
gefunden in „Zwölf Schritte der Heilung“ von Richard Rohr

Unter Wasser atmen

Ich habe mein Haus am Meer gebaut.
Nicht auf Sand, wohlgemerkt,
nicht auf Treibsand.
Ich habe es aus Stein gebaut.
Ein starkes Haus
an einem starken Meer.
Und wir haben uns aneinander gewöhnt,
das Meer und ich.
Gute Nachbarn.
Nicht, dass wir viel gesprochen hätten.
Wir trafen uns schweigend.
Respektvoll, auf Abstand bedacht,
aber mit Blick auf unsere Gedanken
durch den Zaun aus Sand
Stets mit dem Zaun aus Sand als Grenze,
stets den Sand zwischen uns.

Aber eines Tages,
und ich weiß immer noch nicht, wie es geschah,
da kam das Meer.
Ohne Warnung.
Auch ohne Einladung.
Nicht plötzlich und schnell,
sondern eher wie Wein
sich durch den Sand einen Weg bahnt,
weniger wie Wasser fließt
eher wie ein Strömen von Blut.
Langsam, aber stetig.
Langsam, aber strömend wie eine offene Wunde.
Und ich dachte an Flucht und an Ertrinken
und an Tod.
Und während ich noch dachte, stieg das Meer höher,
bis es meine Tür erreichte.
Und da wusste ich, es gab keine Flucht, keinen Tod,
kein Ertrinken.
Wenn das Meer kommt und nach Dir ruft,
gibt es keine gute Nachbarschaft mehr,
als ob ihr euch gut kennt und freundlich distanziert bleibt.

Du tauscht dein Haus
gegen ein Schloss aus Korallen,
und lernst, unter Wasser zu atmen.


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