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Gleichstand. Heute vor 22 Jahren trank ich zum letzten Mal Alkohol. Das entspricht annähernd der Zeitspanne, in der ich konsumiert habe, wenn ich den Beginn auf dem 16ten Lebensjahr lege, von einigen vorherigen einzelnen Gelagen mal abgesehen.

Wir unterscheiden bei den anonymen Alkoholikern zwischen Trinkpausen, Trockenheit und Nüchternheit. Trinkpause ist selbsterklärend, Trockenheit bezeichnet dauerhafte Abstinenz, Nüchternheit meint Trockenheit plus tiefgreifenden inneren Wandel, Friede mit der Vergangenheit, Vertrauen auf Gott, Skepsis dem eigenen Ego, den eigenen Emotionen gegenüber, beides Bereiche, die laut Pfarrer Kappes krank sein können und bei süchtigen Menschen auch sind – im Gegensatz zu unserer unsterblichen Seele, unser Selbst, wie Kappes sagt.

Wo stehe ich? Ich bin auf dem Weg, der zu werden, der ich Gottes Willen nach gedacht bin. Was den eigenen Willen nicht ausschließt, wer möchte schon „willenlos“ sein? Für mich ist es existenziell wichtig, Gottes Willen als den eben größeren anzusehen. Immer wieder um tägliche Führung bitten, mich führen zu lassen. Das gleicht einer abenteuerlichen Reise, mal Angst-besetzt, da wo das Vertrauen (noch) nicht reicht, mal zuversichtlich, meist aber als spannend empfunden. Langweilig wurde mir in den vergangenen 22 Jahren jedenfalls noch nie 😉 Wie wichtig Vertrauen ist, zeigen gerade diese Zeiten immer wieder neu. Richtung und Weg stimmen, wofür ich dankbar bin.

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Urvertrauen

Unten stehende Zeilen stellen im Kern einen meiner Beiträge in einer Heinz-Kappes-Whatsapp-Gruppe dar. Glaube und Vertrauen, für mich der Boden unter meinen Füßen, heute. Es ist immer noch nicht selbstverständlich für mich, abzugeben, als ein Mensch, der stets gern die Kontrolle gehabt hätte, zu haben glaubte. Ein Mensch, der mit solchen Plattitüden wie „Glauben tun wir in der Kirche“ aufwuchs, ein Mensch, für den Gott allenfalls eine Art strafende Instanz darstellte, der jedem das seine gibt, alttestamentarisch pur. Ein Mensch, der sich zum Ende seines Größenwahnes seinem Schöpfer angeboten hat, ihn abzuholen.

Es war noch nicht die Zeit dazu – Gott sei Dank.

Und das ist meine Lebensgeschichte, dass ich nicht wusste, wohin ich gehe, und dadurch am sichersten geführt war….Man weiß nicht, wohin man geht, wenn man gegangen wird in seinem Leben.

Heinz Kappes – „Von Liebe heimgesucht“ – Abschlussrede AA-Treffen in Basel am 09.05.1978)

Mein Name ist Reiner, ich bin Alkoholiker, heute trocken. Ich habe mir diese beiden Textpassagen aus der langen Rede von Heinz Kappes herausgesucht, weil sie mich besonders ansprechen: Der Umgang mit stetem Wandel, mit Unsicherheiten aller Art, wirtschaftlich und politisch auf gesellschaftlicher Ebene sowie Partnerschaften, Freundschaften, Beziehungen aller Art auf persönlicher Ebene betreffend.

Mein Leben war geprägt von persönlichen Krisen und Veränderungen. Zahlreiche partnerschaftliche Beziehungen, ständig wechselnde Bekanntschaften, deren Bindeglied die gemeinsame Gier auf Rausch war. Die totale, innere Leere in der Kapitulation vor meinem Unvermögen, mit Alkohol und Drogen umgehen zu können. Beziehungsdramen, nüchtern und trocken durchlebt und regelrecht zelebriert. Die zweite große Kapitulation war die vor meinem seelischen Zuschnitt, das andere Geschlecht betreffend, nach 9 trockenen Jahren durchlebt. Ich war mit meinem Willen, mit meinem Ego mehr als einmal komplett am Ende. Und immer, wenn ich überhaupt nicht mehr weiter wusste, konnte ich abgeben, an meine höhere Macht. Natürlich nicht frei und willig, sondern getrieben von Verzweiflung und Angst, die mein ständiger Begleiter war, solange ich denken kann. Mach du, ich weiß nicht mehr weiter, hieß es so oft.

Das kommt auch heute noch öfters vor, aber etwas hat sich geändert. Ich darf zeitig um Führung bitten, nicht erst im Zustand vollständiger Verzweiflung. Mein Ego, mein Verstand machen Pläne, entwerfen Strategien, haben aber nicht mehr das letzte Wort. Eingeprägt hat sich mir der Wunsch, das meine zu tun, soweit ich blicken kann, verbunden mit der Erkenntnis, dass das jeweilige Ergebnis nicht in meiner Macht liegt. IHM das Ergebnis zu überlassen und es annehmen zu können, gleich, wie es ausfällt. Manche nennen es Gottvertrauen, andere Intuition oder Urvertrauen, für mich ist es auch heute noch alles andere als selbstverständlich, abgeben zu dürfen, zu vertrauen, mich führen zu lassen. Es ist dies das größte Geschenk meiner Nüchternheit, mein Ego SEINEM Willen unterordnen zu können.

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Die Blase

Folgende Zeilen geben, wie immer, meine ganz persönliche Haltung wieder. Sie wollen weder belehren noch haben sie einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, auch wenn es sich so lesen mag.

Was ist eigentlich eine Blase? Ein Hohlkörper, der im Allgemeinen gut dehnbar, reißfest sowie in der Lage ist, eine Menge mehr oder weniger Nützliches aufzunehmen. Es gibt aber auch das Synonym der Blase als etwas Buntschillerndes, Verlockendes, Fragiles, das nur wenig über den tatsächlichen Inhalt oder die meist nur kurze Lebensdauer des Gebildes aussagt und in der Regel mehr Schein als Sein darstellt.

Die erste große Blase der neueren Zeit platzte 1945, in Sachen Deutschland über alles, es folgte Ende der 60er Jahre die Zweite, als die so genannten 68er die Alt-Faschisten an den Schaltstellen der Macht satt hatten und dem allgemeinen Taschen-füllen als allein selig-machende Maxime nicht mehr folgen wollten, ebenso nicht mehr dem verhassten miefigen, moralinsauren Katholizismus, dem beinharten Bete-und -Arbeite der Evangelikalen folgen wollten. Es folgten weitere Blasen, erst der Glaube an eine Alleinstellung in dem Welthandel im Zuge der Globalisierung dessen, später die Blase des Glaubens an eine friedlichere Welt nach 1990, die so genannte Immobilien- oder auch IT-Blase, also das Platzen der völlig überhöhten Wertstellung eines Themenbereiches.

Und heute? An der Stelle stockt mein Gedankenfluss ein wenig, so komplex sind die Auswirkungen dieses winzigen Etwas, das unser bisheriges Leben völlig auf den Kopf gestellt hat. Mehr oder weniger. Wenn eine Blase geplatzt ist, dann ist es die Illusion, man könne sich es bequem machen, in einer spirituellen Kuschelecke, und den Rest der Welt schlicht ausblenden, wenn er denn schon nicht zu ändern sei. Eine Flucht vor dem Leben, wie es nun mal ist – mir als ein Mensch mit Suchterkrankung nur zu vertraut. So etwas hält nur solange, wie es hält – bis zur nächstbesten Nagelprobe, sei es eine private Krise oder eine gesellschaftliche, wie wir sie gerade Pandemie-bedingt erleben.

Mein persönliches Fazit: Meine Spiritualität, mein Glaube muss sich mit der Wirklichkeit vereinbaren lassen, soll mir helfen, die Menschen zu verstehen, ohne an ihnen zu verzweifeln. Oder an mir selbst, außen wie innen. Was nicht das Potential hat, mich auch in rauer See zu begleiten, taugt nichts.

Im Außen kann ich mehrere Richtungen erkennen: Die einen werden zornig, stellen teilweise den Staat als Ganzes in Frage, ohne zu merken, wie sie von interessierten Kreisen politisch instrumentalisiert werden, indem sie Seite an Seite mit Vertretern eben dieser Kreise demonstrieren gehen. Die Mehrheit arrangiert sich mit den Einschränkungen, weil sie die Sinnhaftigkeit erkennen kann, allen politischen Irrlichtereien zum Trotz. Dazu zähle ich mittlerweile auch die Kontaktbeschränkungen via Rasenmäher, die sämtliche Wertschöpfungsketten zerschlagen. Wer seine Existenz gefährdet oder ruiniert sieht, kauft nichts mehr abseits des absolut Notwendigen. zahlt auch keine Steuern und Sozialabgaben mehr, von denen jeder Lehrer, jede medizinische Fachkraft, jeder Therapeut, jeder Beamte schlussendlich lebt. Von unseren Politikern erwarte ich mehr Differenzierung in Sachen Kontaktbeschränkung und vor allem, dass sie aufhören, dumm um etwas Rares, Kostbares, weil nur eingeschränkt Verfügbares mit den Pharmakonzernen feilschen zu wollen: Impfstoff – der einzige Weg heraus aus dieser Lage. Andere öffneten ihre Börsen und sind uns weit im Voraus, was die Impfquote angeht.

Alles in der Natur strebt nach Ausgleich der Kräfte, nach Gleichgewicht, selbst gewaltige Naturkatastrophen machen nichts anders. So in etwa wird es sich auch in der Gegenwart verhalten, glaube ich, der Ausgang ist derzeit ungewiss. Aber – was mir Hoffnung macht – , Viele Menschen, und sie werden nach meinem Empfinden stetig mehr, definieren sich als Menschen neu, abseits vom seelenlosen Konsum der Nachkriegszeit, abseits der besagten Kuschelecken, abseits von wie auch immer gearteter Religion, wobei diese im Kern eigentlich dabei nur unterstützen: Es wird bewusst, wie wenig Mensch eigentlich zu leben braucht, immer öfter wird gefragt, was wirklich zählt – mitten im realen Alltag wird einander öfter mal zugehört, praktische Hilfe geleistet, Spiritualität nicht zelebriert, sondern gelebt, meist unspektakulär und vergleichsweise leise, laut können die anderen zur Genüge. Wir sind allesamt enger miteinander verbunden, als es uns der Individualisierungstrend der letzten Jahrzehnte weismachen wollte – wirtschaftlich und vor allem menschlich.

Verbunden in unserer Verletzlichkeit.

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Das neunte Jahrsiebt

Esoterik ist nicht so mein Ding. Numerologie auch nicht, dennoch ergibt die Beobachtung der Lebensabschnitte, gerade auf die Zahl Sieben bezogen, erstaunliches. Für mich, kurz vor Vollendung meines 57sten Lebensjahres,, also am Beginn des neunten Jahrsiebtes,  geht es schwerpunktmäßig um den Tod, um Abschiede, aber auch um radikale innere Umwälzungen, mit denen ich nie gerechnet habe.

Wenn das Wasser kommt, nimmt es alles mit, was schon länger lose war. Alles, was nicht oder nicht mehr zu mir gehört, möglicherweise nie wirklich zu mir gehört hat, wird gnadenlos weggeschwemmt oder versinkt in den salzigen Fluten mancher Tränenströme. Zeit der Abschiede, Zeit der Trennungen, Zeit der Reinigung, Zeit der Wahrheit, Zeit, Farbe zu bekennen, kein Lavieren, kein Ausweichen mehr möglich. Zeit der Prüfung, der Umbrüche, quer durch alle Lebensbereiche. Zeit, zu vertrauen auf die neue Bleibe im Schloss aus Korallen, dem Ort, der unter Wasser atmen lässt, wenn das alte Haus unbewohnbar geworden ist. Wenn das Wasser kommt, spült es alles mit hoch, was es auf seinem Weg vorfindet, auch dem Müll vergangener Jahrzehnte.

Ein Teil des Meeres werden …

Der Wassertiger lernt spät, aber hoffentlich nicht zu spät, unter Wasser zu atmen…Ein wundervolles Gedicht, welches ich auch schon mal auf der Wupperpostille veröffentlicht habe, passt dazu sehr gut.

Quelle: Carol Bieleck (Sacré Coeur-Schwester)
gefunden in „Zwölf Schritte der Heilung“ von Richard Rohr

Unter Wasser atmen

Ich habe mein Haus am Meer gebaut.
Nicht auf Sand, wohlgemerkt,
nicht auf Treibsand.
Ich habe es aus Stein gebaut.
Ein starkes Haus
an einem starken Meer.
Und wir haben uns aneinander gewöhnt,
das Meer und ich.
Gute Nachbarn.
Nicht, dass wir viel gesprochen hätten.
Wir trafen uns schweigend.
Respektvoll, auf Abstand bedacht,
aber mit Blick auf unsere Gedanken
durch den Zaun aus Sand
Stets mit dem Zaun aus Sand als Grenze,
stets den Sand zwischen uns.

Aber eines Tages,
und ich weiß immer noch nicht, wie es geschah,
da kam das Meer.
Ohne Warnung.
Auch ohne Einladung.
Nicht plötzlich und schnell,
sondern eher wie Wein
sich durch den Sand einen Weg bahnt,
weniger wie Wasser fließt
eher wie ein Strömen von Blut.
Langsam, aber stetig.
Langsam, aber strömend wie eine offene Wunde.
Und ich dachte an Flucht und an Ertrinken
und an Tod.
Und während ich noch dachte, stieg das Meer höher,
bis es meine Tür erreichte.
Und da wusste ich, es gab keine Flucht, keinen Tod,
kein Ertrinken.
Wenn das Meer kommt und nach Dir ruft,
gibt es keine gute Nachbarschaft mehr,
als ob ihr euch gut kennt und freundlich distanziert bleibt.

Du tauscht dein Haus
gegen ein Schloss aus Korallen,
und lernst, unter Wasser zu atmen.


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Von Gestern und von dieser Zeit

Dieser Tage sah ich dich in den lokalen Nachrichten. Du gabst einen großen Teil des Erlöses aus dem Verkauf eines alten Kunstwerkes an ein Projekt in Südamerika. Dort, im Fernsehen, sah ich dich schon öfter, auch im Kontext mit der Hilfe an Kriegsflüchtlinge.

Das ist schon bewegend, dich nun, 2017, so lebendig vor mir zu sehen. Und – keine Sorge, ich komme jetzt nicht mit weißt-Du-noch und so. Das letzte Mal sahen wir uns vor gut 25 Jahren und miteinander zu tun hatten wir bis vor über 30 Jahren mittlerweile. Waren wir Freunde ? Irgendwie schon, wenn auch nicht auf Augenhöhe, damals. Zwei verletzte Seelen, die sich einig waren in ihrer Gier auf Rausch. Damals habe ich dich bewundert, für deine Erfolge, und auch beneidet, für deine Möglichkeiten.

Gescheitert sind wir beide, so scheint es, grandios. Die Frau an deiner Seite auf dem Schirm ist wohl ebenso wenig die Mutter deiner Kinder wie die Meine. Die Website des ehemaligen väterlichen Betriebes deinerseits ist schon lange nicht mehr zu erreichen. Vor Monaten kam ich bei Dir lang, an der Mauer der ehemaligen Fabrik kündeten neue Schilder von anderer Nutzung. Vielleicht lebst Du nun als Privatier, ich gönne es Dir von Herzen, weil ich heute eine Ahnung davon habe, wie sehr Du unter deiner Geschichte gelitten haben musst.

Mit den Jahren habe ich echte Arschlöcher kennengelernt. Millionenschwere Arschlöcher, die sich nicht zu schade waren, um den Preis in einer Eisdiele noch zu feilschen. Um so wohltuender empfinde ich es, zu sehen, dass jemand wie Du teilen kann. Neben deinem fetten Ego damals hattest Du immer schon ein gutes Herz und viel Mitgefühl für Menschen, denen es schlechter ging als Dir.

Wir leben nicht weit von einander entfernt, und doch weit weg vom anderen. Alles hat seine Zeit, wir hatten unsere. Für mich war sie wichtig, aus mehreren Gründen. Wenn ich dich heute überraschend wiedersehe, auf dem Schirm abends, dann freue ich mich für dich. Respekt !

So ganz verkneifen kann ich es mir allerdings doch nicht, mich schlussendlich an unseren damaligen, gemeinsamen derben Humor zu erinnern, auch, wenn bei einem solchen Musikgeschmack das scheitern, zumindest im privaten Bereich, vorprogrammiert ist.

Du wirst es mir nachsehen, bestimmt 🙂

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Ein neues Jahr

Wieder ein Jahreswechsel, wieder ein neues Jahr. Wobei ich es mit Vorsätzen aller Art nicht so habe, Wandel und Veränderung orientieren sich nicht an Kalender-Daten. Das, was ich mir wünsche, ändern zu dürfen, verfeinern zu dürfen, liegt mir schon länger auf der Seele, wie man so sagt, und hat seine eigene Zeitrechnung.

Als da wären Vertrauen im Glauben, Klarheit, Zentriert sein im Tagesgeschäft, Mensch bleiben in selbigen, den Spagat zwischen Mitgefühl und manchmal notwendiger Härte zu meistern.

Offenheit und Schutz.

Danke für`s mitlesen, mitschauen
&
uns allen ein gutes, neues Jahr

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Stimmungslage

Hausarbeit muss sein, vorzugsweise Samstags. Ein Rundumschlag mit dem Staubsauger nimmt in etwa eine gute Stunde in Anspruch, manchmal mache ich das in tiefster Ruhe mit Gehörschutz, manchmal mit DER Segnung der schönen neuen Zeit, dem Smartphon samt Kopfhörer. Den kleinen externen Speicherchip habe ich mit einer bunten Mischung an Musik aus meinem Festplatten-Fundus gefüttert und wähle gerne, so wie heute, willkürlich ein Album aus.

Dann wird geweckt, was hinaus möchte, Musik ist für mich ein guter Katalysator, um manche Gefühlslagen an die Oberfläche zu bringen. Heute fiel meine Wahl auf die Band Thin White Rope, eine US-amerikanische Desert-Rock-Truppe, die von 1984 bis 1992 Bestand hatte.

Dann sehe ich mich, mit Anfang 20 vielleicht, rotzig-trotzig mit meinesgleichen die Straßen lang laufen, die selbstverständlich uns gehörten, das Kinn nach vorne gereckt und mit den Hacken auftretend. Das Alter eben, das zur Farbe ROT gut passt, rot wie mein Blut, das damals fein mit THC und Alkohol angereichert war. Ein Bild aus längst vergangenen Tagen, das mit meiner Lebens-Realität von heute nicht mehr viel zu tun hat.

Zwar trage ich immer noch das Zeug von damals, erst neulich konnte ich tatsächlich ein nur noch schwer aufzutreibendes Kleidungsstück erwerben, eine klassische Jeansweste, wie sie in den 80ern, 90ern noch häufig zu sehen war. Mein Blut dagegen ist befreit von den früheren Mitteln der Wahl , mein Gang ist ein anderer. Aufrecht und eher samtig, ohne die Schwere, die so viele aus meiner Zeit schon überfallen hat. Was nicht heißt, das ich frei davon bin. Die nervöse, flatterige und dennoch kräftige Stimme des Sängers von damals lässt diesen uralten Film noch einmal ablaufen. Heute laufe ich die Straßen entlang, die schon lange nicht mehr mir gehören, fühle mich als Gast auf Durchreise mit erhobenem Haupt und geradem Rücken, aber mit stillen Tränen, die mir über`s Gesicht laufen.

Es ist nicht der Zustand der Welt, der sie hervorbringt. Es ist der Zustand meiner selbst. Freude über das Glück, das ich erfahren habe, mit der Tigerin an meiner Seite und dem Sohn, an dem ich zumindest meistens Wohlgefallen habe. Es ist aber auch der Schmerz, den ich fühle, wenn ich mir meiner Charaktermängel bewusst werde, meiner Unvollkommenheit, meiner Machtlosigkeit meinem persönlichen Zuschnitt gegenüber. Weit gekommen, immer noch unterwegs, wenn auch mit dem Gefühl, zeitweise auf der Stelle zu treten und nicht wirklich voran zu kommen.

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Besuch in Düsseldorf

Uns beide, meinen Kumpel und mich, zog es gestern an den Rhein, nebenan nach Düsseldorf. Ein Film-Abend im linken Zentrum-Hinterhof war unser Ziel, Thema Fahrrad fahren sowie die damit verbundene Städte-Entwicklung, positiv wie negativ. Wir beide fahren gern gemeinsam kleinere Tagestouren, wenn Zeit und Wetter passen. Darüber hinaus habe ich das Glück, an der Nordbahntrasse zu wohnen und zu arbeiten, die sich längs durch das Tal der Wupper an den Nordhängen entlang schmiegt. Davon mache ich meistens auch Gebrauch, soweit meine Gesundheit das zulässt, selbst schlechtes Wetter schreckt mich angesichts der Verkehrsverhältnisse hier im Tal nicht ab.

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Die Lokalität – Nomen Est Omen – ein düsterer Hinterhof an der Corneliusstraße in Düsseldorf. Ein wenig versteckt, aber dennoch leicht zu finden. Ein linkes Zentrum eben mit allen, was dazu gehört. Politisches Arrangement ebenso wie gemeinschaftliche Selbsthilfe und Selbstverwaltung, angefangen beim gemeinsamen kochen und essen über praktische Hilfe im Alltag hin zu einer integrierten Fahrradwerkstatt. Mir als immer noch überzeugten Sozialromantiker stehen sie nahe, die Linken, allen kaufmännischen Betrachtungen und Lehren zum Trotze. Hintergrund ist meine Meinung, das es gerade in unseren Land genügend Mittel gibt. Leider sind sie, zurückhaltend formuliert, ein wenig ungleich verteilt.

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Ein langer Tresen, ein riesiger Pott mit Chili Con Carne dampft auf dem Herd. Eine Leinwand hängt an der rohen Ziegelwand, Biertisch-Garnituren laden gemeinschaftlich mit fragwürdigen Polstermöbeln älteren Semesters zum verweilen ein. Wenige Menschen, bunt gemischt, nicht nur jüngere, teils mit Kindern, auch unsere Jahrgänge und älter sind vertreten. Wir besorgen uns Getränke und zwei Mega-Teller Chili mit Brot und lassen uns in zwei sehr bequemen, altehrwürdigen Sesseln nieder, gleich vorne an der Leinwand. Nach einer kurzen, gemeinsamen Betrachtung der Polstermöbel, in denen durchaus Menschen gezeugt und auch verstorben sein könnten, machen wir uns locker und füllen die Mägen mit dem gut gewürzten Chili.

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Jemand besteigt einen Biertisch und installiert einen Beamer unter der Decke und der Filmabend startet. Kleine, künstlerisch wertvolle animierte Filmchen wechseln mit Dokus aus allen Teilen der Erde. Viel ist von bewegten Menschen die Rede, die sich beharrlich, mit viel Geduld und Kraft für ein besseres Leben in ihren Städten einsetzen, abseits vom Autoverkehr mit allen seinen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, die ihn ertragen müssen. Erschreckende Zahlenwerke werden vorgestellt, weiß gestrichene Geisterräder, die an getötete Radfahrer erinnern, sind zu sehen. Schlimme Negativ-Beispiele aus Süd-Amerika sind ebenso Thema wie mustergültige urbane Wandlungen hin zum Radverkehr, Amsterdam und Kopenhagen vorneweg.

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Nachdenklich und bewegt machen wir uns spät abends auf dem Heimweg. In meiner Brust schlagen sozusagen zwei Herzen, wenn ich einerseits an das Autoland Deutschland denke, mit seinen historisch gewachsenen Strukturen und immer noch zahlreichen Arbeitsplätzen, die von der Branche abhängen. Andererseits schaue ich ebenso die schlimmen, krank machende Auswüchse in unseren Städten, schaue die allgemeine Rücksichtslosigkeit auf den Straßen und frage mich, wie lange das so, wie wir es kennen, wohl noch gut gehen wird. Es tröstet mich auch nur wenig, das die Auto-Branche in Deutschland gerade dabei ist, sich selbst zu demontieren über den ständigen globalen Vergleich mit den so genannten „Low-Cost-Countries“ sowie die permanenten Bestrebungen der Industrie, unsere Lebensverhältnisse den dortigen anzugleichen. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, das Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen nie und nimmer neue Autos kaufen werden.

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Was bleibt, ist Dankbarkeit für meine Beweglichkeit und Gesundheit. Dankbarkeit für die Erkenntnis hin zu mehr frischer Luft, weg von vielen sitzen im Auto. Auch ein zunehmendes Gefühl der Freiheit macht sich breit, die Freiheit, mein Leben auch ohne motorisiertes Gefährt organisieren zu können, selbst hier in den Bergen.

2014-10-25 13.10.16

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Autoland Deutschland

Ein auf Facebook geteilter Link brachte mir das Thema wieder einmal näher in`s Bewusstsein, Wohin die Reise wohl geht mit der Automobilität, die hierzulande immer noch mit die größte Einnahmequelle für Millionen Menschen darstellt, eben auch für mich.

Es sind weniger die vermeintlichen technischen Alternativen, also Elektro-Autos, die den gesamten Industriezweig gefährden. diese sind schlicht nicht ausgereift, wenig praxistauglich  und (noch) viel zu teuer, zu wenig haltbar oder in ihrer Ausführung zu rudimentär. Auch die Konkurrenz aus dem Ausland ist (noch) keine wirkliche Gefahr angesichts des immer noch guten Qualitätsstandards deutscher Autos, immer ausgefeiltere Rationalisierung in der Fertigung sowie der „preisenkenden“ politischen Maßnahmen im deutschen Arbeitsrecht.

„Gefährlicher“ ist eine aufkommende, neue Geisteshaltung nicht nur, aber gerade auch vieler junger Menschen, die sich nicht (mehr) via Kredit für`s Auto abhängig machen möchten in Zeiten prekärer Jobs (Praktika für lau, Leiharbeit, befristete Anstellung). An der Stelle beißt sich nebenbei die Katze zumindest auf dem Binnenmarkt in den Schwanz, da Autos frei nach Henry Ford bekanntlich keine Autos kaufen.

Zum einen.

Andererseits steigt die Bereitschaft zu teilen, die Erkenntnis, das es im Grunde Irrsinn ist, gut eine Tonne Technik allein über die (verstopften)Straßen zu bewegen. Den Führerschein zu haben, macht Sinn, aber ein Auto allein zu unterhalten, immer weniger. Statussymbole und maximale Mobilität für eben einen sehr hohen Preis haben einen immer geringeren Stellenwert. Langsam, aber sicher, zumal Alternativen vorhanden sind, Stichworte Carsharing, öffentlicher Nahverkehr, (Elektro-)Fahrräder, allmähliche Anpassung der Infrastruktur in den Städten. Nicht zuletzt darum zieht es immer mehr Menschen wieder zurück in die Städte, weg von den langen Wegen.

Das Volk der Tüftler und Ingenieure wird sich langsam andere Betätigungsfelder abseits der fossilen Verbrennungstechnik suchen müssen und ich bin guter Dinge, das uns das gelingt. Weniger guter Dinge bin ich allerdings, wenn ich darüber nachdenke, wo ich mich persönlich in diesen Wandel wiederfinde. Ausführliche Gedanken darüber mache ich mir, sollte es soweit kommen.

Durch die Zeit gefallen

So schrieb ich neulich in einem Kommentar, bezüglich meiner Befindlichkeiten. Es ist ein Gefühl, was mich schon länger verfolgt, mal ganz nah und unmittelbar präsent, mal in sicheren Abstand, schön hinter der letzten Häuserecke versteckt. Was verbirgt sich dahinter? So genau lässt sich das nicht festmachen, es zieht sich durch viele Lebensbereiche, ist eine Gemengelage von Vergangenen und Gegenwärtigen.

Zum einen hängt das vielleicht mit meinem beruflichen Status zusammen. Allen Wandel und technischem Fortschritt zum Trotz bin ich irgendwo Handwerker geblieben, ein digitaler Bastler mit kaufmännischen Hintergrundwissen. Was im Gegensatz zu meiner erlebten Wirklichkeit steht. Die Dienstleistungs-Gesellschaft lässt grüßen, ständig umgeben mich mehr Theoretiker, ein Chor von Wasserträgern, Wasserköpfen und keiner, der es in irgendwelchen klugen Reden nicht noch besser wüsste. Sie passen besser in die Zeit, scheint es, die Krawatten- und Seidenschal-Träger, die Flüsterer, die Krämer-Seelen (würden sie wenigstens richtig rechnen können), die Hofschranzen. Laut und schmutzig war gestern, das machen heute allenfalls die Chinesen oder sonst wer und auf dem Schirm sieht immer alles toll aus.

Andererseits hängt dieses seltsame Gefühl auch mit dem so genannten Zeitgeist zusammen, so, wie ich ihn ganz subjektiv empfinde. Nach außen ist er tolerant, der Geist der Zeit, Tattoo`s, schräge Klamotte, alles geht in Ordnung, soweit beruflich keine Kunden-Kontakte bestehen. Aber wehe, die Umgangsformen stimmen nicht, wehe denen, die zu „emotional“ reden. Die Inhalte sind dann nicht mehr wichtig, dann zählt nur noch der Ton.

Was sich auch im Großen widerspiegelt, in der Politik. Mutti ist pragmatisch, Charisma tut nicht Not, Wahrhaftigkeit auch nicht. Man empört sich Bündnis-treu über die Bösen im Osten und blendet anderes schreiendes Unrecht mit schlechtem Gewissen oder aus puren pragmatischen Geschäftssinn aus. Handels-Partner verärgert man nicht ernsthaft, ein bischen Schimpferchen hübsch verpackt reicht, die Krämerseele lässt grüßen. Noch nicht einmal kann ich mich da aufrecht und mit guten Gewissen empören, da ich zumindest ein kleiner Teil der großen Spieles bin.

Auch möchte ich nicht missverstanden werden. Dieses Land hier hat angesichts seiner Geschichte erstaunliches erreicht, in Sachen Menschlichkeit und Miteinander, selbst, wenn alter Unrat stets durch das dünne Mäntelchen schimmert. Allen Missständen zum Trotze kenne ich kein praktikableres besseres Gesellschaftssystem.

Was nicht heißt, das es nichts zu verbessern gibt.