Schlagwort-Archive: Vater

Abgesang, Teil 3

Im Bad läuft das Radio, es ist Karfreitag, und die Themen dementsprechend. Sie haben einen Buchautor eingeladen, der sein neues Buch vorstellt – Warum wir Trost brauchen. Interessiert höre ich zu, da ist von Unwiederbringlichkeit, von Endgültigkeit die Rede. Ich spüre nach … Trost, Vergebung. Für mich besteht da ein Zusammenhang.

„Gib mir ein wenig Zeit“, höre ich dich sagen. Passt, denke ich, das wollte ich dir auch gerade sagen. Du hast jetzt Zeit genug und irgendwann sehen wir uns sowieso wieder, um weiter aneinander zu wachsen, in welcher Konstellation auch immer. Du hast jetzt jedenfalls dein Grabstellenschild (nachdem ich mich mit Gemeinde und Friedhofsverwaltung gestritten habe), deine letzte Ruhestätte trägt deinen Namen, den Tag deiner Geburt und den Tag deines Todes. Vielleicht hilft es dir, dich aufzumachen.

Ein guter Freund meinte vor längerer Zeit mal zu mir, welch großer Schatz es sei, dass ich meine Eltern noch hätte. Ich habe kurz gestutzt und ihm dann geantwortet, nein, andersherum wird es etwas. Sie haben mich. Jetzt, wo mein Vater fast ein halbes Jahr tot ist, fühlt sich das immer noch genau so an. Die Feststellung ist mir wichtig, weil mir meine potentiellen Selbstbetrügereien allmählich vertraut sind. Nachspüren und hinterfragen ist mir darum immer wichtig.

Trauer – was dich angeht, fühlt es sich immer noch so an wie die meiste Zeit in meinem Leben. Ich hatte nie den Vater, den ich mir gewünscht habe, ich hatte den bekommen, der für mich vorgesehen war, den ich offensichtlich brauchte, um selbst ein anderer Vater zu werden. Möglicherweise. Dein Tod war nur ein großes Finale, um Vergebung und Frieden zu finden. Mag sein, dass es dir ähnlich geht.

Mutter geht es gut, von den Beschwerden ihres Alters mal abgesehen. Sie genießt ihr Alleinsein, nachdem sie so lange ihre Pflicht getan hat. Die kleine Wohnung ist lichter und heller geworden und ich wünsche ihr, dass sie noch ein Weilchen daran Freude haben darf.

*

Abgesang, Teil 2

Es kommt vieles zusammen, nach deinem Tod. Vielleicht liegt es an mir, weil ich den Dingen immer gerne irgendeine Bedeutung beimesse. Vielleicht ist alles nur ein lose Folge von mehr oder weniger zufälligen Ereignissen, eine Beweisführung ist nicht möglich.

Angefangen unmittelbar nach deinem Tod, der Bestatter hatte es unheimlich eilig, dich zu holen. Zweimal mussten sie den wieder fortschicken, weil die kleine, geplante Abschiedsfeier noch ausstand. Dann wollte Mutter dein Bett loswerden, auf dass etwas mehr Platz sei. Die Diakonie kam, guckte und wollte haben, meldeten sich aber nicht, den Abholtermin betreffend. Auf meine Nachfrage hin kamen sie dann genau auf deinem Geburtstag, das Bett holen. Ein Zahlendreher in der Telefonnummer war die Ursache der Verzögerung. Zum Ende noch dein Grab. Neulich schaute ich nach, alles voll mit dem vergammelten Kram noch von deiner Beisetzung. Die Platte auf deinem Urnengrab immer noch namenlos. Den Dreck habe ich selbst fortgeräumt, Abrechnung gewälzt, vereinbarte Leistungen überprüft, der Friedhofsverwalter hat gepennt und sich nach Anruf tausendmal entschuldigt. Du bekommst also dein Schild demnächst und muss nicht wie ein Verbrecher namenlos verscharrt sein.Das Universum scheint zu antworten und geht nach deinem Tod ziemlich lieblos mit dir um.

Nächtens kommst du mich manchmal besuchen und friedvoll oder gar liebevoll geht es dann nicht zu, zwischen uns beiden. Als du so krank warst, die letzten Jahre, habe ich mir viel verkniffen, was ich dir hätte sagen wollen. Du warst zu krank, um mir zu wechseln, und zu abhängig von Hilfe. Meine Wut auf dich veschwand aber nicht, die tauchte nur ein wenig ab. Wenn ich daran denke, wie dein Blick auf diese Welt war und wie du sein konntest, wenn sie, die Welt, sich nicht so verhielt, wie du es von ihr erwartet hast. Dann waren sie alle böse, durchtrieben und falsch. Zuhause war das anders, da warst du es gewohnt, dass alles nach deinem Kopf ging. Bis auf dein Ende, dafür hat dir der Geist gefehlt, dir vorzustellen, was kommt – hören mochtest du das auch nicht. Du wolltest daheim sterben, das ist nur zu verständlich. Nur funktioniert das nicht, wenn das Sterben, wie in deinem Fall, so lange dauert und mit langen Leiden verbunden ist. Ein Rollstuhl passt nunmal nicht in eine normale Siedlungswohnung und deine beinahe gleichaltrige Frau konnte dich auch nicht bis zum Ende pflegen. Ein letztes Mal war die Welt dann ungerecht und böse mit dir.

Du warst, nach allem, was ich heute weiß, ein recht typischer Narzisst, aber ich weiß auch, dass kein Mensch so auf Erden ankommt. Wenn ich den ganzen Scheiß, der uns zeitlebens getrennt hat, ein wenig auf Seite schiebe, sehe ich irgendwo darunter eine arme Seele. Dann spüre ich für einen kurzen Moment echte Trauer, so wie jetzt gerade, beim schreiben. Vielleicht kannst du weiterziehen, wenn dein Grab deinen Namen trägt. Wünsche ich dir.

Nebelbilder

Sie sind ziemlich genau zwei Jahre alt und entstanden am letzten für ihn erreichbaren Sehnsuchtsort meines kürzlich verstorbenen Vaters, am Stausee Beyenburg zu Wuppertal. Zu dieser Zeit war er noch ein wenig mobil und das Wetter war phantastisch für nebelige Bilder. Wir fuhren über die Höhenzüge im strahlenden Sonnenschein hinunter ins Tal, in eine Wolke hinein. Eine bizarr nasse Landschaft, die Sonne gab sich alle Mühe, den dicken Nebelsumpf zu durchbrechen, der im Tal über der Wupper lag.

Die Phantasie macht aus diesen Bilden Exkurse in die Mystik. So in etwa mag der Grenzfluss Styx ausschauen, der mit seinen Ufern die Welt der Lebenden von der der Toten trennt. Mein Vater ist nun auf der anderen Seite und findet hoffentlich seinen Frieden.

Sie sprechen für sich , die Bilder, die hier ihrer Schönheit wegen in Originalgröße zu sehen sind.

~

~

Abgesang

Es ist nicht so, wie es sollte. Aber wie soll es denn sein? Abschied, sagte ein alter Freund, der mir wieder etwas näher gerückt ist, vielleicht, weil wir über strittiges nicht mehr sprechen. Abschied also, nicht Abrechnung. Man soll – Toten nichts schlechtes nachsagen. Definiere gut oder schlecht, da wird es schon sehr individuell, außer man bedient sich gesamtgesellschaftlicher Maßstäbe und lässt die eigenen außen vor. Das wiederum kann schnell in Heuchelei ausarten und die wiederum ist schlecht – zumindest in meiner Empfindung.

Ich habe für dich getan, was ich konnte, zum Schluss, die letzten Jahre, Monate. Mit ganzen Herzen wäre gelogen, eher aus der Pflicht heraus, im Sinne des vierten Gebotes. Mit Sicherheit, weil es irgend jemand in die Hand nehmen musste, aber auch, um endlich dein Vertrauen zu bekommen. Und ja, dein Leid rührte mich zutiefst an, ganz gleich, wie du warst, das habe ich dir nicht gewünscht. Manche Erkenntnis, dir verdammt ähnlich zu sehen, im Guten und im weniger Guten, rührte mich zutiefst auf.

Ich habe dir mein Leben zu verdanken. Meinem Glauben nach suchen sich wiederkehrende Seelen ihre irdischen Eltern aus, um bestmögliche Wachstumschancen zu haben. Manchmal halte ich das für eine zynische Scheiße, manchmal spüre ich die Wahrheit darin, immer dann, wenn ich Bewegung und Veränderung wahrnehme. Wie auch immer, die Beweisführung dessen wird auf ewig offen bleiben müssen.

Viele Gespräche im Familienkreis lassen darauf schließen, dass du bis zum Ende der Alte geblieben bist, habgierig und misstrauisch gegenüber allem und jedem, deine Frau und mich eingeschlossen. Ich nehme es dir nicht persönlich, du konntest das nicht anders, ich weiß, wie es ist, wenn man sich selbst nicht vertraut, kann man dies auch seinem Nächsten nicht schenken. Wir sprachen über deine Kindheit, Jugend, junge Erwachsenenjahre, vieles kam aus aktuellem Anlass wieder hoch. Ein Satz blieb mir im Gedächtnis, aus dem Munde eines Menschen, der sich beruflich mit Heilung beschäftigt: Du hättest schlimmer werden können. Auch das, sicher.

Es wird mir nicht möglich sein, dich in guter Erinnerung zu behalten, wie man so sagt. Du bleibst mir so in Erinnerung, wie du warst, mit deinen Schatten, aber auch mit deine liebenswürdigen Seiten, die es durchaus gab. Niemand ist nur so oder so, jeder ist ganz viel und oft genug widersprechen sich die Anteile, ich kenne das nur zu gut von mir selbst. Darum richte ich nicht, vielleicht verbunden mit der Hoffnung, dass auch über mich einst nicht gerichtet wird.

Morgen tragen wir deine irdischen Überreste zu Grabe. Ein ritueller Abschluss, so würdevoll, wie es uns möglich ist. Du wirst dich für dein vergangenes Leben verantworten müssen, dort, wo du jetzt bist, ganz gleich wo das sein mag. Ich wünsche dir Frieden und Licht – von Herzen.

🙏

PS: Das Bild im Header und das Hintergrundbild dieser Website entstanden auf einem unserer Ausflüge zu deinem Sehnsuchtsort in der Nähe. Den Sinn für die Schönheit in der Natur teile ich mit dir.

Am Straßenrand

Der Feierabendverkehr wälzt sich lautstark und zäh den Berg hinauf Richtung Autobahn, während ich den Wagen aufschließe und mich hinein fallen lasse, bewegt noch vom Besuch gerade eben. Gerade als ich den Motor starten möchte, schauen mich durch das Beifahrerfenster vom Gehweg aus zwei etwas listige, aber freundliche, kleine Augen an. Sie gehören zu einer alten Dame, gebückt, mit Rollator.

Scheint jetzt gerade für mich DAS Thema zu sein … , geht mir durch den Kopf, während ich die Scheibe rechts herunter kurbele, mutmaßend, sie wolle vielleicht mitgenommen werden. Eine dünne, alte, langsame, aber bestimmte Stimme begrüßt mich freundlich und meint, sie sei 85 Jahre alt, würde in der Schönebecker wohnen und wollte zur Sparkasse, hätte aber irgendwie alles daheim vergessen. Nun wolle sie zu ihrer Freundin in der Nähe, ob sie ihr aushelfen könne, mit vier Euro, aber die sei nicht da …um das ganze abzukürzen, frage ich, ob sie Geld brauche.

„Ja, wenn sie so freundlich wären“, tönt es liebenswürdig in meine Richtung. Während ich wieder aussteige und einen Fünfer heraus krame, denke ich, wenn sie trickst, macht sie das ziemlich gut. Selbst, wenn die Geschichte erstunken und erlogen ist, sie möglicherweise solcher Art hier in der Nähe des Krankenhauses ihre Rente aufbessert, so hat sie zumindest eine Gage verdient ..

„Wo kommen Sie her ?“ fragt sie. „Elberfeld“, sage ich. „Und was machen sie hier, waren Sie im Krankenhaus ?“, fragt sie weiter neugierig. Obgleich es sie nichts angeht, sage ich,“ja, der Vater“. „Geht es ihm nicht gut ?“ fragt sie langsam, mich nicht aus den kleinen Augen lassend. „Nein“, sage ich, „er ist so alt wie Sie, krankes Herz, kranke Lunge …“  „Oh…“, sagt sie, sie wolle für ihn beten, ich sei ein Guter, hätte ihr sehr geholfen, und noch einmal wird sich überschwänglich bedankt.

Nachdem wir uns verabschiedet haben und ich die Heimfahrt angehe, denke ich, dass ein Gebet nie schaden kann, Fünfer hin, Fünfer her.

+

Ansichten eines Clowns

So von uns als gelungene Theater-Aufführung gesehen, gestern Abend im Schauspiel Köln, nach dem bekannten Roman von Heinrich Böll. Das Buch habe und kenne ich schon seit über 30 Jahren, zusammen mit allen anderen Büchern von Böll, die ich bekommen konnte. Er hat mir als junger Mann schon geholfen, die Welt meiner Eltern besser zu verstehen, mich in ihre Zeit hinein zu finden.

rps20170625_104841

rps20170625_104818 rps20170625_104858

Dieses Buch hat mich immer schon endlos traurig gemacht, und so ging es mir auch gestern Abend. Das hat hierbei nicht mit der Bigotterie der Nachkriegszeit zu tun, die im krassen Gegensatz zu dem „tausendjährigem Reich“ stand. Auch nicht mit der wundersamen Demokratisierung quasi über Nacht, die doch nur ein hauchzartes, fadenscheiniges Mäntelchen war und in Teilen immer noch ist.

Es ist das festhängen in irgendwelchen Dogmen, in Lebensbildern, projizierten Mustern, übergestülpten Lebensformen, die verhindern, zum wirklichen eigenem Wesenskern, zum eigenen Glück zu finden. Dazu gehört das ständige zitieren von irgendwelchen Phrasen und Stereotypen, die dem Ganzen seine Rechtfertigung geben sollen, dieses unselige Gebräu als Normalität im Sinne von „das macht man so“ verkaufen soll. 

Möchtegern-Majoritäten, Leit(d)kultur, Führungsanspruch.

Was hat all das mit mir zu tun, warum bewegt mich das so ? Es ist die Erinnerung an die „Vater-Worte“, die mir einst um die Ohren gehauen wurden. Worte, die er seinerseits als Kind hörte und in ihrer Tragweite nicht wirklich erfassen konnte (meine Eltern waren bei Kriegsende gerade 10 bzw. 11 Jahre jung). Worte, die er als Krücke für sich selbst nutzte, um irgendeinen Halt zu finden, nach gestohlener Kindheit und den Entbehrungen der Nachkriegsjahre. Worte, die mich ihn hassen lehrten, als Kind. Worte, die für Beschränkung und Zwang ebenso stehen können wie für Tugend, sofern sie dann nicht für sich allein stehen.

Prrreußische Orrrdnung und Sauberrrkeit.
Anstand und Disziplin.
Gesunderrr Körrrper, gesunderrr Geist.

Er konnte nicht anders.

Zum Total-Verweigerer a la Hans Schnier hat es bei mir nicht gereicht, statt dessen lief ich ihnen weg, diesen Worten. Nebenan in der Parallelwelt der synthetischen Träume war es wärmer, da war ich in scheinbarer Sicherheit, erst einmal. Es hat eine lange Weile gebraucht, in der „Realität“ leben zu können und eigene Träume haben zu dürfen.

*

Wo wart ihr ?

Wo wart ihr eigentlich
damals, vor fast 20 Jahren
dass ihr heute das Maul so weit aufreißt

euch empört
dass die Jugend sich nicht kümmert

Ihr wart zu feige
euch zu stellen
den Verhältnissen, wie sie waren

Zu egoistisch, euch zu engagieren
Seht zu, wie ihr eure Kinder groß bekommt, wir sind zu jung, um Großeltern zu sein.
das waren eure Worte
mit denen ihr erst einmal weg wart,
für das nächste halbe Jahr

Ihr meint ihn und trefft mich
alte Narben, roter Zorn
Euch werde ich nicht mehr berichten
weil es euch einen Scheiß interessiert
geheucheltes Interesse

Und ja, ihr habt alles richtig gemacht
seid nach wie vor über jeden Zweifel erhaben

Da ist nur eines
Leben ist endlich
Zahltag ist Zahltag

Von mir jedenfalls
bekommt ihr Basisversorgung
ein Auge auf euch
dass ihr nicht verwahrlost

Für euer Seelenheil
seid ihr selbst verantwortlich
Bekommt ihr schon hin

Ehren soll ich euch
Ehre dem, dem Ehre gebührt

Ein Auge auf euch
ist der Ehre genug

Wie sagt man?
Nestbeschmutzer ?
Meinetwegen
Besser als an diesen Worten ersticken

*

Vergebung?

Früher
da fühlte er sich geehrt
Wenn der Alte ihn verglich
Mit dem Vater seiner Frau
Dem Desperado
Dem Weltenbummler
Bunt schillernder Ausnahme-Opa

Bilder ändern sich mit der Zeit
Aus dem bunt schillernden Ahnen
wurde ein mutmaßlicher Wehrmacht-Verbrecher
Ein verletzender Zyniker
Ein scharfzüngiger Narzisst
Ein Unterhalt-Verweigerer

Nicht geändert hingegen
haben sich die Worte des Alten
Was früher schmeichelte
Wohltuend Distanz schaffte
verletzt heute
da beleidigend

Was es immer schon war

Mal `ne Frage nach da oben
Lässt mich hier Geschenke einpacken
zum Ehrenfest deines Sohnes
Mit Wut im Bauch
Alle Welt redet von Vergebung dieser Tage
Ich würde sie gern erleben
Fühlen

Sag`mal
wie geht das eigentlich ?!?

Ein Sonntag

Irgend etwas ist zerrissen in ihm, an diesen letzten Sonntag. Eigentlich ist alles so, wie es immer schon war. Ein Besuch bei den beiden, das übliche, Kaffee, Kuchen. Er ist es gewohnt, nicht gehört und nicht verstanden zu werden, das allein ist es nicht. Es ist einmal mehr die Rede des Alten, wahrscheinlich einmal zuviel die gleichen Worte, die gleichen Töne. Diese Wut-geladenen,gering schätzenden Worte in Richtung des Menschen an seiner Seite, der sich einst entschieden hat, bei ihm zu bleiben. Vergessen die Tränen nach schwerer Krankheit, Tränen der Angst vor Verlust, keine Tränen des Mitgefühls. Dafür wieder diese Worte.

Es ist nicht nur die Fassungslosigkeit, das so etwas möglich ist, nach über acht Jahrzehnten getaner Atemzüge. Nicht nur das Mitgefühl mit dem anderen Menschen, der die Folgen einer Entscheidung aushalten will. Es ist einmal mehr, einmal zuviel auch die Erkenntnis, das er selbst auch wie der Alte gesprochen hat, damals. Es ist die endgültige Erkenntnis, das es in diesem Leben keine Harmonie und keine offene Rede zwischen ihm und dem Alten geben wird. Ihm ist bewusst, was er dem Alten zu verdanken hat, an abgeschauter Überlebensstrategie und so manchen handwerklichen Geschick. Dankbarkeit dafür mischt sich mit Zorn, Bitterkeit und Trauer. Dann sind da noch andere Worte, die ihn in Zwiespalt stürzen. Worte aus dem dicken alten Buch, an die er glaubt. Das vierte Gebot von Zehn. Er möge sie ehren, die beiden, die ihm ungefragt das Leben gaben. Das klingt gut und richtig, doch es ist ihm unglaublich schwer, danach zu leben.

Der Riss ist da, allen Geboten zum Trotz. Er weiß, das er nicht flüchten kann. Da ist weiter niemand, der ihm die Verantwortung abnehmen könnte. Die Verantwortung, dem vierten Gebot wenigstens auf niedrigstem Niveau gerecht zu werden. Nicht einmal die Flucht vor sich selbst ist ihm möglich, das hat schon damals nicht funktioniert. Es gibt keine Wahl, er steht mitten in diesem Ring aus Feuer und muss es aushalten, das sich abzeichnende Finale der beiden Hauptdarsteller dieses Dramas, dessen Ende schon lange vorhersehbar ist, einzig noch ungewiss, wer zuletzt die Bühne verlässt.

Ich weiß, das mein Erlöser lebt (Hiob 19,25)

Worte auf dem Kalender dort an der Wand, die ihm mehr als Worte sind, gerade jetzt.