Der Plan

Schwitzend wälzt er sich auf seinem Nachtlager umher, ein Blick auf die Uhr verrät, dass es in eineinhalb Stunden Zeit ist aufzustehen. Es ist nicht nur die sommerliche Tropennacht, die ihn schlaflos macht. Die Geister, die ihn des Nachts besuchen, in seinen Träumen, tun ihr übriges.

Pflicht. Es gab mal einen Roman, da sollte einer einen Schulaufsatz schreiben, über die Freuden der Pflicht. Der Junge gab seinerzeit ein leeres Blatt ab, weil er nicht wusste, wo er beginnen sollte und kassierte seine ungenügende Note dafür. Der Schlaflose dagegen weiß heute seine Gedanken zu sortieren, was ihm allerdings auch nur begrenzt weiter hilft.

Die Arbeit – der größte Teil dessen, was man gemeinhin als Pflicht ansieht. Er hat seine Arbeit nie geliebt, allerdings schon in großen Teilen gerne gemacht, zu seiner Zufriedenheit und offensichtlich auch zu der seines Arbeitgebers, sonst wäre er nicht schon so lange in dem Unternehmen. Was ihm mehr zusetzt als die Arbeit selbst, ist das erkennen seiner eigenen Untiefen, mit den Jahren. All die Ängste, die er ausgestanden hat. Vieles hat sich aufgelöst, anderes lediglich transformiert, was an sich nicht schlecht sein muss. Geblieben ist ihm die Erkenntnis, das sein Leben ganz offensichtlich irgend einem seltsamen Plan folgt, geschrieben von einem, der es nach Lage der Dinge recht gut mit ihm meinte, bis dahin.

Hoffnung. Die hat er nie aufgegeben. Dass sich unter anderen dieser Zorn, der in dieser Zeit sein Herz so oft erfüllt, auch eines Tages legen wird. Wut auf die tägliche Tretmühle, die ihn manchmal zu ersticken droht. Zorn, der an die Stelle der Angst getreten ist, die ihn so lange gefangen hielt. Zorn auf diesen unerbittlichen Konkurrenzkampf, der nichts mehr mit dem gemeinsamen Jagen und Sammeln aus seiner Vorstellung von einst zu tun hat.

Frieden gibt es, das spürt er in manchen stillen Augenblicken, wenn gerade einmal wirklich nichts zu tun ist. Die frühen Morgenstunden, die er so liebt, weil die Stadt dann noch still ist, wenn die meisten Menschen schlafen. Die Besinnung, bevor für ihn der Tag beginnt. Versöhnung mit dem Weg, der für ihn in großen Teilen aus Überwindung bestand. Überwindung seiner selbst und mehr als einer Kapitulation aus vermeintlich verlorenen Schlachten.

Sein Berufsleben befindet sich im Endspurt, sozusagen. Alles scheint auf eine bestimmte Zeit hinaus zu laufen. Das Ende seiner Erwerbstätigkeit fällt, so scheint es, einerseits mit der Selbstständigkeit seines Kindes zusammen und andererseits ganz offensichtlich mit dem Lebensende seiner greisen Eltern. Nichts besonderes also, denkt er, auch viele andere seiner Generation sitzen auf diese Weise zwischen Baum und Borke, dort, wo es manchmal recht eng und ungemütlich werden kann.

In ein paar Jahren kann er also heraus aus dem Job und etwas anderes tun, was er idealer Weise von Herzen gerne tun kann. So ganz klar ist das noch nicht, weil es eben noch nicht wirklich ansteht. Nach Lage der Dinge brauchen die Eltern irgendwann eine Form von Unterstützung und/oder Unterbringung, die sehr viel Geld kosten kann. Der Staat? Der wird seine Frau mit rupfen, wenn er nicht zahlen kann und das ist das letzte, was er möchte. Also Augen auf und durch, jeden Tag auf`s Neue.

Seine Schlussfolgerungen erschrecken ihn beizeiten und er fragt sich öfter, ob man solcher Art berechnend auf das Lebensende seiner Erzeuger blicken darf. Sie sind ihm nicht gleichgültig, er möchte schon, dass sie es so gut wie möglich haben, in ihrer täglichen Fristverlängerung. Grenzbereiche, wie so oft in seinem Leben. Abschiede kennt er, ebenso dieses lebenslange Gefühl, im Grunde allein da zu stehen. Was so heute nicht mehr stimmt, wie er weiß. Allein das Gefühl will nicht wirklich weichen, es hat bei ihm schon immer etwas länger gedauert, der Weg vom Kopf in`s Herz kann sehr lang sein.

So reiht sich Tag an Tag, Dankbarkeit wechselt manches Mal den Zorn ab, der seinerseits leider immer noch die Angst ablöst. Er weiß, dass das größte Kunststück der nächsten Zeit darin bestehen wird, selbst einigermaßen gesund zu bleiben. So, wie ihm klar ist, dass Gott nicht würfelt und erst recht nicht mit sich handeln lässt.

Fortsetzung folgt, vielleicht.

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6 Gedanken zu „Der Plan

    1. Reiner Beitragsautor

      Ja … des Nachts kommen sie, die des Tages verscheucht wurden.
      Bizzar, schräg, „traumhaft“ eben 😉

      Auch Dir liebe Grüße, Katrin.

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  1. Sabina

    Oh, solche Grübelstunden kenne ich nur allzu gut! Als gezwungenermaßen Hausfrau mit drei Kindern mit zeitweilig einer Halbtagsstelle war ich oft allein zu Hause, mit langweiliger Hausarbeit ohne Ende …und immer wieder alles von vorn … niemand da, um sich mal abzulenken … bis mir auf einmal klar geworden ist , nachdem die Kinder aus dem Haus waren, dass ich nun an der Reihe bin, um es mal gut zu haben … glaube mir, ich wäre oft lieber arbeiten gegangen, bin jedoch inzwischen zu alt, um neu einzusteigen … so blickte ich auch oft mit gemischten Gefühlen zurück … inzwischen weigere ich mich zurückzuschauen und die Grübelgespenster lasse ich nicht mehr an mich heran. Da lese ich doch lieber ein Buch in der Nacht, sollte ich mal wach werden … Alles Gute dir! Liebe Grüße von Holda Stern

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  2. TeggyTiggs

    …ich kann Deine Gedanken gut nachvollziehen…die meisten werden sich ähnliche von Zeit zu Zeit machen…das Leben ist eben immer unvollkommen, wie man es auch wendet und dreht, in welcher Lage man sich auch befindet…wahrscheinlich haben sogar die Menschen Probleme, die eigentlich keine haben dürften…da hilft wohl nur eines, den Augenblick genießen und das Nachdenken für später aufheben…

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    1. Reiner Beitragsautor

      So ist es, liebe Teggy. Mehr als den Moment haben wir nicht wirklich. Und ja, viele Menschen nicht nur meiner Generation machen sich solche Gedanken. Darüber spricht man aber gemeinhin nicht 😉

      Wie viel Macht über mich räume ich solchen Themen ein?

      Liebe Grüße!

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