Experiment Auto-freies Leben

9 Monate waren wir hier im Tal der Wupper komplett ohne Auto. Seit kurzem steht wieder ein motorisierter Winzling vor der Türe, dafür gab und gibt es Gründe, ebenso, wie es genügend Gründe gegeben hätte, den Kleinen nicht anzuschaffen.

Zeit für eine Rückschau: Zusammenfassend lässt sich sagen – es lebt sich ohne Auto, wenn auch eingeschränkt. Wir sind öfter mal und gerne unterwegs, das ist hier in der Gegend ausgesprochen kompliziert und auch teuer (Stichwort mehrere Verkehrsverbünde, die nur rudimentär miteinander kooperieren) Dazu: Permanente Verspätungen und Chaos bei der Bahn. Wie, um mich damit noch einmal zu bestätigen, sei erwähnt, dass wir gestern (an einem Montag) für die Strecke Salzburg-Wuppertal mit der Bahn (die Karten waren schon gekauft) fast 14 Stunden gebraucht haben Zur Entlastung der Bahn muss gesagt werden, dass ein Teil der Verspätung Folge von mehreren Brandanschlägen auf Signalanlagen war. Die Hinfahrt jedenfalls war auch mit 90 Minuten im Plus. Platzreservierung zum Teufel, auf dem Koffer hocken im Gang. Und – ja, ich weiß. Je nach Datum und Tageszeit sind die auch Autobahnen eher Parkspuren als Reisewege.

Was mich an der Bahn richtig ärgert: Sie verzocken ihre Fahrpreise. Günstig buchen ist pure Glücksache. Da bin ich sehr altmodisch. Wenn ich handeln möchte, gehe ich auf einem Trödelmarkt oder einem orientalischen Basar. ansonsten bevorzuge ich feste und vor allem überschaubare Tarife.

Was den Alltag angeht, da fällt die Bilanz schon um Längen besser aus. Weil wir beide fußläufig oder, in meinem Fall, komfortabel mit dem Rad zur Arbeit gehen/fahren können. Einkaufen mit dem Rad ist auch kein Thema, Dank Kuriersack auf dem Buckel und/oder Packtaschen an den Seiten. Meine persönliche Bilanz als Mit-Fünfziger: Es bringt Kondition, so zu leben. Bis dahin war es ein teils holperiger Weg. Ausprobieren mehrerer Kettenblatt-Ritzel-Kombinationen, bis schlussendlich eine Kombi gefunden wurde, die einen guten Kompromiss aus Bergtauglichkeit mit Last (da kommen schnell 20 Kilo zusammen) und Endgeschwindigkeit auf der anderen Seite darstellt. Versuch und Irrtum waren auch der Weg hin zur vernünftiger Kleidung. Vernünftig im Sinne von Wetter- und Alltags-tauglich (denke das an so 2, 3 Grad plus und Dauerregen) und Anschaffungspreis (High-Tech-Zeug zerreißt an Zweigen und Brombeer-Hecken leider genau so wie die Müllsack-ähnlichen Dinger vom Discounter.)

Eine weitere, interessante Erfahrung in dem Zusammenhang sowie allgemein zum Thema älter werden waren teils sehr schmerzhafte, mehrfache Rippenblockaden über viele Wochen. Das ging über den Hausarzt, der bemüht, aber leider nicht sehr erfolgreich sein Glück versuchte, hin zum Orthopäden, der auch als Sportmediziner praktiziert.

Sätze der Doktoren, die mir heute noch in den Ohren klingen lauten: Finden `se sich damit ab, für ihren allmählich älter werdenden Körper täglich mehr Zeit investieren zu müssen, um fit und beweglich zu bleiben. (der Hausarzt). Oder der Orthopäde, der mich geräuschvoll und mit gezielter Gewalt „deblockierte“, auf meine Frage, das Radfahren betreffend: Sie machen alles richtig, weiter so! Dazu noch regelmäßig, also tägliche Übungen zur Stärkung der Halswirbelmuskulatur,

Ich will Sie in, sagen wir, vier Monaten wieder hier sehen und von Ihnen wissen, wie es Ihnen geht.

Mit diesen Worten sowie mit eine kleinen Liste skizzierter Übungen entließ er mich. Seitdem lasse ich einen Teil davon in meine morgendliche Routine einfließen. Meine Yoga-Übungen sowie die HWS-Gymnastik (eigentlich sind das sehr einfache, auch zwischendurch über Tag zu praktizierende Übungen) beanspruchen nunmehr allmorgendlich 20 Minuten. Und – es hilft. Ich fühle mich jetzt schon, nach ein wenigen Wochen, um Längen besser.

Fakt ist, meinen alltäglichen Lebenswandel mit dem Rad werde ich beibehalten.

Was waren also die Gründe für ein Auto, wenn nicht die tägliche Pendelei ? Unsere größeren und kleineren Reisen sind das eine. Etwas anderes ist es, dass ich mich nicht in einer Situation wiederfinden möchte, in der ich ein Auto haben muss und dann zu nehmen habe, was ich bekommen kann (Jetzt hatte ich eine ruhige, überlegte Wahl). So ist es durchaus denkbar, wenn auch nicht wünschenswert, dass sich meine berufliche Situation (sind noch etliche Jahre) nochmal ändern mag. Dazu kommt das mittlerweile hohe Alter meiner Eltern, die hartnäckig am grünen Stadtrand verweilen möchten. Stadtrand heißt in unseren Fall hier im Tal der Wupper gut 200 Höhenmeter Differenz plus so einige Kilometer. Nicht geeignet für regelmäßige Besuche mit dem Rad, nach getaner Arbeit. Geschwister, auf die ich meine Verantwortung diesbezüglich delegieren könnte, gibt es keine, was, weiß Gott, für mein persönliches Wachstum gute Gründe haben mag.

Wie auch immer.

So mache ich in großen Teilen weiter wie bisher mit dem Rad und nehme hin, dass der Kleine da draußen derzeit mehr ein Stehzeug als ein Fahrzeug ist.

*

 

 

 

12 Gedanken zu „Experiment Auto-freies Leben

  1. Holda Stern

    Ja, Reiner, es ist tatsächlich so wie du es beschreibst. Dass jemand, der täglich Bahn oder Bus fährt, nur sehr wenig zahlt, finde ich völlig in Ordnung, dass dafür jedoch der selten Reisende umso mehr abgezockt wird, das finde ich nicht in Ordnung. Um in die drei bis vier Kilometer weiter liegende Stadt zu gelangen muss ich 3.50 Euro zahlen, das gleiche für den Rückweg, ich muss außerdem früh am Morgen fahren, dazwischen ein bis zwei Stunden Wartezeit in Kauf nehmen, ehe ich zurück kann. Mit dem Rad ist es an mehreren Knotenpunkten lebensgefährlich, da der Fahrradweg nur durch eine verblasste Rotfärbung von der Fahrbahn „abgetrennt“ ist. Schade, denn, da es hier ziemlich flach ist, könnte man hier gut im Alltag nur mit Rad leben. Ich bin sehr froh, dass wir einen Rewe gleich um die Ecke haben. Der hat einiges an Bio und Regionalem. Den Rest bestellen wir inzwischen bei einem Biolieferanten aus der Gegend, und ab und an fahre ich mit dem Auto in die Stadt. Ja, auch wir kommen nicht ohne Auto aus, vor allem wenn es um Ausflüge oder Besuch bei der Familie geht und auch, wenn ich an einem Abendkurs teilnehmen möchte, ist ein Auto nach wie vor vonnöten. Irgendwie ist die gesamte Infrastruktur darauf eingestellt, dass jeder ein Auto hat. Und dadurch, dass jeder ein Auto hat, hat der Verkehr immer mehr zugenommen, was wiederum das Radfahren fast unmöglich macht. Ein Teufelskreis, der nur durch rigorose Änderungen auf den Straßen durchbrochen werden könnte, zum Beispiel richtig abgetrennte Fahrradpisten, oder eben durch eine andere Preispolitik bei Bus und Bahn.
    Ich wünsche dir, dass du weiterhin fit bleibst! Grüße nach Wuppertal, Holda Stern

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    1. Reiner

      Das stimmt leider, liebe Holda, die Verkehrsdichte und die Rad-Infrastruktur sind schon Hemmnisse. Auch hier in Wuppertal mit seinen engen, vollen Straßen, größtenteils ohne Radwege. Man gewöhnt sich allerdings auch daran, mit der Zeit. Achtsamkeit ist Lebens-notwendig, ja.

      Gute Ansätze gibt es hier, wie das umfunktionieren einer alten, innerstädtischen Bahnlinie, unserer Nordbahntrasse, wo ich ab und an morgens die schönen Bilder mache und die, Gott sei Dank, einen Großteil meines Arbeitsweges ist. Beim einkaufen nützt sie mir allerdings nichts, da gilt, Augen auf und durch 😉

      Danke für deine lieben Wünsche und herzliche Grüße !

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    1. Reiner

      Möglich ist vieles, solange ich gesund bin/bleibe, ja.
      Rein beruflich betrachtet muss ich mich sogar über all die freuen, die die vielen Autos kaufen, leider.

      Mir ist ein guter Kompromiss heute wichtig – dazu gehört auch, die Wege, die mit dem Rad oder zu Fuß zu machen sind, auch so zu erledigen. Was angesichts der Parkplatzsituation hier und anderswo nicht wirklich schwer fallt.

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  2. grasoli

    Seitdem lasse ich einen Teil davon in meine morgendliche Routine einfließen

    Dir ist in allem zuzustimmen. Mehr Bewegung ist der Weg. Es gibt da die physische Bewegung als eine Möglichkeit.
    Alles andere wird ein wenig warten müssen, die Lobby ist zu groß, als das die großen Verkehrsunternehmen den regionalen Ideen und Konzepten Raum geben. Also zählt nur die eigene Bewegung. R. Bahro sagte schon vor vielen Jahren sinngemäß: Wenn wir aufhören die gewohnten Wege zu gehen, er meinte den Konsum, kippt das System, das darauf aufbaut.
    Ich ziehe dankbar den Hut, das ist ein Ansporn für mich.
    Gruß aus Grinsstadt

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    1. Reiner

      Die Öffies … vor gut einem Vierteljahrhundert hat es mal eine guten Schub getan, bei uns. Seit dem herrscht Stillstand und bei der Bahn auch Rückschritt, in Sachen Berechenbarkeit. Ich passe mich dem an. Automobile – mein Herz ist da immer noch zwiegespalten. Wenn schon, dann für mich eine der sparsamsten Ausgaben.

      Das System, das darauf baut – ich bin beruflich ein Teil davon, neben vielen Millionen anderer Menschen hierzulande. Alle Alternativen hierzu können derzeit nur Nischen sein, um das kippen nicht zu forcieren. Schneller Wandel würde unweigerlich zu Massenverelendung führen, das ist Teil der traurigen Realität.

      Aber jede Veränderug beginnt im Kleinen, also bei jeden einzelnen. Eben auch bei mir. Und Bewegung ist der Schlüssel, ja 😉

      Danke für`s hereichschauen und auch Dir liebe Grüße !

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