Ansichten eines Clowns

So von uns als gelungene Theater-Aufführung gesehen, gestern Abend im Schauspiel Köln, nach dem bekannten Roman von Heinrich Böll. Das Buch habe und kenne ich schon seit über 30 Jahren, zusammen mit allen anderen Büchern von Böll, die ich bekommen konnte. Er hat mir als junger Mann schon geholfen, die Welt meiner Eltern besser zu verstehen, mich in ihre Zeit hinein zu finden.

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Dieses Buch hat mich immer schon endlos traurig gemacht, und so ging es mir auch gestern Abend. Das hat hierbei nicht mit der Bigotterie der Nachkriegszeit zu tun, die im krassen Gegensatz zu dem „tausendjährigem Reich“ stand. Auch nicht mit der wundersamen Demokratisierung quasi über Nacht, die doch nur ein hauchzartes, fadenscheiniges Mäntelchen war und in Teilen immer noch ist.

Es ist das festhängen in irgendwelchen Dogmen, in Lebensbildern, projizierten Mustern, übergestülpten Lebensformen, die verhindern, zum wirklichen eigenem Wesenskern, zum eigenen Glück zu finden. Dazu gehört das ständige zitieren von irgendwelchen Phrasen und Stereotypen, die dem Ganzen seine Rechtfertigung geben sollen, dieses unselige Gebräu als Normalität im Sinne von „das macht man so“ verkaufen soll. 

Möchtegern-Majoritäten, Leit(d)kultur, Führungsanspruch.

Was hat all das mit mir zu tun, warum bewegt mich das so ? Es ist die Erinnerung an die „Vater-Worte“, die mir einst um die Ohren gehauen wurden. Worte, die er seinerseits als Kind hörte und in ihrer Tragweite nicht wirklich erfassen konnte (meine Eltern waren bei Kriegsende gerade 10 bzw. 11 Jahre jung). Worte, die er als Krücke für sich selbst nutzte, um irgendeinen Halt zu finden, nach gestohlener Kindheit und den Entbehrungen der Nachkriegsjahre. Worte, die mich ihn hassen lehrten, als Kind. Worte, die für Beschränkung und Zwang ebenso stehen können wie für Tugend, sofern sie dann nicht für sich allein stehen.

Prrreußische Orrrdnung und Sauberrrkeit.
Anstand und Disziplin.
Gesunderrr Körrrper, gesunderrr Geist.

Er konnte nicht anders.

Zum Total-Verweigerer a la Hans Schnier hat es bei mir nicht gereicht, statt dessen lief ich ihnen weg, diesen Worten. Nebenan in der Parallelwelt der synthetischen Träume war es wärmer, da war ich in scheinbarer Sicherheit, erst einmal. Es hat eine lange Weile gebraucht, in der „Realität“ leben zu können und eigene Träume haben zu dürfen.

*

12 Gedanken zu „Ansichten eines Clowns

    1. Reiner

      Das Ambiente war eine ehemalige Fabrik-Halle, so wie das gesamte Areal ehemals wohl ein Industriegebiet war. Heute sind dort viele Klubs. Läden, und auch das „Depot“ mit dem Schauspiel Köln. Vom Schauspiel Köln wird wohl auch der Garten auf der großen Freifläche betrieben.

      Die Bühne selbst war eine sehr große Holzkiste, stark vereinfacht gesagt 🙂 Aber völlig ausreichend für dieses Stück, bei dem die Erzählzeit ja in etwa die Lesezeit ist. Schwierig – gestern dachte ich daran, wie die vielen jungen Zuschauer das wohl aufnehmen, die außerhalb des Geschichte-Unterrichtes wohl keinen persönlichen Bezug mehr zu dieser Zeit haben … Interesse am Thema war jedenfalls da und Anerkennung für die Schauspieler, die ihre Rollen sehr gut ausfüllten, auch.

      Auch Dir lieben Gruß !

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  1. Regine

    Ich kann mich in allem, was Du schreibst, wiederfinden. Meine Eltern wurden von der Hitlerjugend und dem Krieg geprägt. Das macht man so und alles andere ist schlecht war ihr Leitsatz. Ich konnte sie nicht verstehen, versuchte, es ihnen recht zu machen und überlebte, indem ich doch meinen eigenen Weg suchte. Immer hatte ich ein schlechtes Gewissen und meine Eltern brachen mehrmals den Kontakt zu mir ab, wenn ich es „zu wild trieb“. Böll und andere begleiteten meine Pubertät und gaben mir ein wenig Halt.

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    1. Reiner

      Ja … für sie war es überlebenswichtig, sich anzupassen. So, wie es für unsereins wichtig war und immer noch ist, so sein zu dürfen, wie wir sind. Manchmal denke ich, das all diese Geschichte dazu beigetragen hat, dass die Menschen sich bis in`s Asch-Graue individualisierten und darüber ein paar wichtige (allgemein gültige !) Regeln des gemeinsamen miteinander verlernt haben.

      Teilen zum Beispiel …

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  2. caroline caspar

    Ich habe das Buch mit 15 gelesen und mir ging es ebenso wie dir. Es hat mich unendlich traurig zurückgelassen. Aber auch gleichermaßen darin bestärkt, ungeachtet der Konsequenzen weiter gegen all das zu revoltieren, was mich einschränken oder zwingen wollte. Wobei ich da leicht reden habe, denn das ist meine Natur und ich kann eigentlich gar nicht anders. So gesehen ist das weder Verdienst noch Leistung. Habe es in höherem Alter noch einmal gelesen und dann einige Dinge erst so richtig verstanden.

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    1. Reiner

      Zu revoltieren habe ich mich nicht getraut. Anstelle dessen habe ich meinen Zorn nach innen gerichtet – Sucht ist auch eine Form von Auto-Aggression. Wirklich ändern konnte ich mich erst nach meiner totalen Kapitulation.

      Verständnis – das ging mir ähnlich. Hatte ich als junger Mensch allenfalls eine Ahnung, dass irgendwo beim gelesenen die Wahrheit zu vermuten wäre, habe ich die Texte von Böll erst viel später ganz erfassen können.

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  3. gerlintpetrazamonesh

    Die Sachen, die der Papa so predigte, waren ja per se nicht schlecht. Ordnung, Sauberkeit, vielleicht ohne gleich preußisch sen zu wollen? Wer hätte was dagegen? Disziplin braucht jeder, besonders derjenige, der seinen eigenen Weg gehen will, denn da ist die Spur schwerer zu halten als in ausgefahrenen Gleisen. Anstand? Na, hoffentlich! Und ein bißchen Gesundheitssport könnte so schlecht nicht sein.
    Aber schon der römlische Satiriker meinte ja eigentlich: „Ach, wenn doch in ihren gesunden Körpern auch ein gesunder Geist wohnte!“ Und so kommt es bei all diesen Schlagwörtern auf die Füllung an, die, wie wir wissen, ganz schrecklich ausarten kann, geradezu ein giftiges Gebräu werden kann. –
    Böll, ja, den mag ich auch sehr. Der begleitete mich (mehr als z.B. Grass) durch die Jugendjahre. Und immer noch…

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