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Die Fischverkäuferin

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Der Samstag ist sein Haushaltstag, an dem alles mögliche erledigt wird, was so unter der Woche liegen bleibt. Wenn es trocken ist, fährt er dann gern mit dem Rad in die Stadt, seit wieder ein kleines Auto vor der Türe steht, ist er da ein wenig bequem geworden. Dennoch liebt er das Radfahren, man ist halt anders unterwegs, wacher, offener irgendwie.

Sein Weg führt ihn regelmäßig in einem großen Supermarkt, so ein moderner Kaufladen in XXL. Dort hat es auch eine kleine Fischtheke, gleich daneben ist eine kleine Cafeteria mit Stehtischen und ein paar Hockern. Fisch liebt er, seit er kein Fleisch mehr isst. Fast noch mehr allerdings liebt er die Magie mancher Augenblicke, die zu spüren er erst spät in seinem Leben gelernt hat. Es sind dies meist unspektakuläre Momente des Alltags, die sich irgendwie entwickeln. Oder auch nicht.

Zauber der Gegenwart.

So wie seine fast schon regelmäßigen Begegnungen mit der jungen Dame von der Fischtheke. Sie ist vielleicht irgendwo Mitte oder Ende Zwanzig, dunkle, freundliche Augen, ihre Figur eher untersetzt und ausgesprochen weiblich, seine Ahnen nannten diesen Typ Frau gerne „gut dabei“. Das mittellange, dunkle Haar ist ein wenig streng nach hinten gebunden, was ihrer Arbeit geschuldet sein mag. Obgleich ihm dieser Typ Frau schon gefällt, sind es weniger die Äußerlichkeiten, sondern eher das Strahlen, was von dieser jungen Dame ausgeht. Etwas, was vielen Menschen seiner Generation abhanden gekommen ist. Etwas Frisches strömt von ihr aus, eine absichtslose Freundlichkeit und eine Offenheit, für die man entweder sehr jung sein oder sich zumindest so fühlen muss.

Immer, wenn er also Samstags durch den Laden schlendert, schaut er, ob sie vielleicht Dienst hat. Dann kauft er Fisch, obwohl gerade möglicherweise keiner gefragt ist. Oder er lässt es, wenn sie nicht da ist, so wichtig ist der Fisch auch wieder nicht. Manchmal sitzt sie auf einem Hocker nebenan in der Cafeteria und macht Pause. So wie neulich, er kommt um`s Eck und sieht sie herzhaft gähnen. Nicht so ein verstohlenes Gähnen mit vorgehaltener Hand, sondern das ganze Programm, mit ungeahnten Einblicken. Zeichen großer Müdigkeit und er schließt auf einen recht ausgedehnten Freitag Abend ihrerseits. Da tritt er verhalten von der Seite an sie heran und spricht mit dunkler, ernster Stimme leise in ihr Ohr:

„Oh Herr, sie will mich fressen!“

Großes Hallo und Gelächter ist die Folge, das Maß an Peinlichkeit ist nicht wirklich der Rede wert. Ein flüchtiger Wortwechsel, gegenseitige beste Wünsche für das Wochenende, und er geht weiter seines Weges. Aufdringlich will er nicht sein, liebevoll vergeben ist er außerdem auch. Es geht ihm nur um die Magie des Momentes. Schon lange sitzt er nicht mehr in seinem selbst gebauten Kokon, diesen Wall aus Bewusstseins-verändernden Mitteln, der ihm die Welt einst zum vermeintlich eigenem Schutz außen vor ließ.

Er ist berührbar geworden, in jeder Hinsicht, spürt Regen und Sonne gleichermaßen. Schönheit aller Art kann ihn wieder beeindrucken und staunen lassen, wie irgendwann damals, als Kind. An guten Tagen strahlt er darum Offenheit und Ruhe aus, an weniger guten Tagen übt er sich wenigstens in Achtsamkeit sich selbst, seinen Mitmenschen und den Dingen gegenüber, wenn auch nicht immer mit dem gewünschten Erfolg.

Neulich fragt ihn die junge Dame an so einem Samstag, was er denn mache, dass er immer so gut drauf daher komme, voller Elan und Freude irgendwie. Beruflich? fragt er ein wenig unsicher, und nachdem sie nickt, verrät er ihr sein Tagewerk als Industrieschauspieler in einer großen Fabrik. Ach, und das macht Ihnen so viel Freude, meint sie amüsiert. Nein, antwortet er, er sei nun in dem Augenblick genau so, weil sie so sei.

Spieglein, Spieglein, denkt er, während er kurz darauf sein Fahrrad packt und heiterer Stimmung heim fährt.

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