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Omma Schwarzbach

Die Omma`s wurden früher ja nach Straßennamen benannt, der besseren Unterscheidung wegen. Meine Omma Schwarzbach ist mir besonders gut in Erinnerung geblieben, allein schon ihrer äußeren Erscheinung wegen. Sie war klein, rund, und hatte stets gerötete Pausbacken. Manchmal trug sie zwei Brillen gleichzeitig und sie konnte auf Wunsch „Heil Hitler“ machen.

Die Besuche waren mehr solche Pflichtbesuche, meine Eltern fühlten sich genötigt, in mehr oder weniger geregelten Abständen der Omma Schwarzbach die Ehre zu geben. Sie lebte damals in eben der Schwarzbach, eine der wenigen schnurgeraden Straßen Wuppertals. Ihr Domizil lag gleich gegenüber der Luhns-Seifenfabriken, ich kann den Gestank noch riechen, sehe das nasse Kopfsteinpflaster und höre die Straßenbahn rattern und quietschen. Gut zu hören war im übrigen auch ihre Türklingel. die übertönte sogar die Straßenbahn. Das war so eine Spezialanfertigung, die ihr Sohn, der liebe Willi, der Elektriker, besorgt hatte. Wahrscheinlich irgend eine Werkstatt-Anfertigung, die es auf geheimnisvollen Wegen in die Schwarzbach verschlagen hatte. Ihrem Alter entsprechend war meine Omma nämlich ordentlich doof auf den Ohren. An der Stelle muss auch betont werden, das sie genau genommen meine Uromma war.

Die Besuche liefen stets nach streng festgelegten Ritualen ab, geheimnisvoll, da nirgendwo festgeschrieben und doch ständig wiederholt. Eines davon hieß „Die Haushaltskasse“. Des besseren Verständnis wegen muss der Erzähler jetzt ein wenig ausholen. Meine Omma hatte nämlich zwei Männer verschlissen, kassierte derweil neben ihrer eigenen auch noch deren Rente. Dafür lebte sie recht bescheiden in ihren beiden Zimmerchen. Das nicht Unwesentliche, was so übrig blieb, bekam der liebe Willi zu seiner freien Verfügung. Geld war ihr also immens wichtig, ein Maßstab für Wohlbefinden sozusagen. Auf die Frage, wie es ihr so ginge, pflegte sie zu antworten, das es ihr Hundert Mark besser gehen könne.

Aber zurück zur Haushaltskasse. Nachdem diverse Krankheitsgeschichten besprochen und einige Verwandschafts-Betrachtungen (wer hat wieder was und warum gemacht und so weiter) durchgeführt waren, stand meine Omma irgendwann langsam vom Küchentisch auf und schlappte ebenso gemach zur Anrichte. Dabei machte sie geheimnisvolle Geräusche, das klang irgendwie so „Hmmmm-Hmmm“ mit einem recht hohen Grundton. Es war ein Ritual ohnegleichen, das sorgsam zelebriert wurde. Die Anrichte wurde geöffnet und eine uralte, nur noch von Klebeband zusammengehaltene Pappschachtel erschien in ihren Händen, ihre Haushaltskasse aus erster Ehe. Langsam ging es wieder zurück an den Tisch und feierlich wurde das Schächtelchen geöffnet. Zum Vorschein kam ein 1000-Mark-Schein, der nun herumgereicht wurde, auch ich durfte ihn mal anfassen und bestaunen.

Hier muss betont werden, wir sprechen von der Zeit Ende der 60er, vielleicht Anfang der 70er, ich war so um die 10 Jahre jung und bekam, glaube ich, eine Mark Taschengeld die Woche. Das, was da also feierlich zur Ansicht freigegeben wurde, bevor es wieder in die Papp-Schatulle verschwand, war nicht nur das tausendfache meines wöchentlichen Taschengeldes, sondern nebenbei auch das geschätzte Eineinhalbfache dessen, was mein Vatter damals im Monat mühsam verdiente. Der saß bei dieser heiligen Handlung mehr oder weniger stumm dabei, sei es des lieben Friedens willen oder weil ihm seine Contenance schlicht wichtig war und machte gute Mine zum fragwürdigem Spiel.

Es gab auch einen sozusagen nicht-öffentlichen Teil des Besuchs-Rituales. Nicht öffentlich hieß in diesen Fall, den Blicken meiner Erziehungs-Berechtigten entzogen. Nach eine Weile Familien-Tratsch nahm meine Omma mich an die Hand und schlurfte langsam unter Erzeugung weiter oben beschriebener Geräusche mit mir in die „gute Stube“, ein nach hinten gelegenes Zimmerchen, in dem sie auch schlief. Ein altes Schränkchen wurde geöffnet, zum Vorschein kam eine Pulle Wacholder und ich bekam erst einmal einen eingeschenkt. Nur einen. Ein Mann hatte das abzukönnen, und ihrer Meinung nach war ich in meinem zarten Alter auf dem besten Wege, solch einer zu werden. Wenn ihrem Urenkel schon keine glanzvolle Unteroffizier-Laufbahn wie dem lieben Willi seinerzeit beschieden sein sollte, dann sollte er, blond, wie er damals noch war, wenigstens mal ordentlich einen abbeißen können.

Müßig, zu erwähnen, das ich regelmäßig auf der Heimfahrt selig schlief. Meine Omma Schwarzbach. Wenn Du das jetzt mitliest, von dort oben, oder, wie Vattern heute noch fest überzeugt ist, von dort unten, dann sei versichert, deine Kekse waren echt Kacke, aber der Kurze jedesmal ein Gedicht.

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Stachel im Fleisch 1

Es war irgendwann um 1968 herum, kurz vor oder nach meiner Einschulung. Die Stimme mit dem grünen Auge hatte gerade das Wohnzimmer verlassen müssen, das erste Transistor- Radio hatte Einzug gehalten. Meist lief Radio Luxemburg, was oft mit diversen Antennen-technischen Geduldprüfungen einher ging, da die Radio-Wellen nur schlapp bei uns im Tal ankamen. Radio Luxemburg hatte damals noch nicht den asigen Ruf von heute, sondern war eine gefragte Alternative zu den stinklangweiligen öffentlich-rechtlichen Sendern, von wenigen Ausnahmen dort mal abgesehen.

War mein Vater nicht da, lief die Kiste durch. In seiner Anwesenheit allerdings wurde der ganze neumodische Kram erst einmal aus- oder runter gedreht. Die Töne, die mir so sympathisch waren, in ihrem Kontrast zu den von meinem Vater so geliebten Heimat-Schnulzen und dümmlichen Schlagern. Pop-Musik eben oder in der Königs-Klasse Rock`N Roll.

Damals wusste ich natürlich nicht von solchen Band`s wie The Who oder den Stones. Von Woodstock schon gar nicht. Neben den viel versprechenden, fremden Klängen machten mich die Statements meines Vaters bezüglich der Musik und der neuen Zeit so ganz allgemein neugierig. Der war in seinem Innersten zutiefst erschüttert über die Welt da draußen. Revoltierende Studenten, die ersten Bombenleger, Straßenkämpfe, Randale. Rock`N Roll, das hörten für ihn nur die Gammler und Hasch-Raucher, wie er meinte, ohne mir das näher zu erläutern.

Irgendwie machte mir seine Ablehnung dieser ihm fremden Welt erst einmal Neugierde. Zumal es da noch diese Freundin meiner Mutter gab, mit ihren drei Kindern. Eines davon war seinerzeit bestimmt schon 16 oder so, also ein Jahrgang, den man heute als 68er bezeichnet. Lange Haare, Flicken-Jeans, rotzfrech und er hatte eine elektrische Gitarre samt Verstärker, mit der er wunderbaren Lärm produzierte. Einen Vater hatte der auch, allerdings nicht sein “richtiger”, selten zuhause, und wenn, dann mit Neigung zu Krawall. Jedenfalls war ich fasziniert von dem “Großen”, der kam mit seiner Gitarre dem mysteriösen Bild der verfluchten Gammler und Hasch-Raucher meines Vaters schon recht nahe.

Der Grundstein war gelegt, der Stachel im Fleisch saß. So wuchs ich also in die 70er Jahre hinein, dem Jahrzehnt, das an Schrägheit unübertroffen bleiben sollte. Laut, schrill, bunt, rückblickend mit seinen zahllosen Stilblüten an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Für einen mittlerweile 10-jährigen wie mich jedoch Faszination pur sowie absolutes Kontrastprogramm zum elterlichen Mikrokosmos.

* Fortsetzung *

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