In eigener Sache

Ursprünglich ein Kommentar anderswo.

Ich heiße Reiner, bin ein trockener Alkoholiker und ein süchtiger Mensch. In meiner aktiven Zeit waren Alkohol und Cannabis die Mittel der Wahl. Gerne in Kombination, erst kiffen, dann trinken. Die Reihenfolge musste stimmen, sonst ging das übel(er) aus. Gelegentliche Erfahrungen mit Speed/Koks gab es auch, das stand dann an erster Stelle, gefolgt von den genannten Downern.

Wenn ich von mir als einen süchtigen Menschen schreibe, beziehe ich dabei alle nichtstofflichen Süchte mit ein. Dazu zähle ich alles, was irgendwann pathologischen und destruktiven Charakter bekommt. Arbeits- Sex- Fresssucht, aber auch Geltungssucht sind Bestandteile dessen. Große Teile davon sind gelöst oder wenigstens reduziert, dafür bin ich dankbar. Hinter alledem konsumieren und süchtigem Verhalten stand bei mir ein innerlich zutiefst verunsicherter Mensch mit nur geringem Selbstvertrauen und einem nicht vorhandenem Geborgenheitsgefühl, Verlorenheit beschreibt es am besten. So, wie ich war, wollte ich micht nicht. Definieren konnte ich mich über beruflichem Erfolg und über meine vermeintliche Wortgewaltigkeit, gerade wenn ich breit war. Sucht ist für mich ein Sammelbegriff für alle möglichen (pathologischen) Verhaltensweisen, die vom Selbst ablenken sollen, vermeintlich Flucht, Fülle, Anerkennung und Selbstbestätigung bieten, was am Ende nur Selbstbetrug ist.

Was mir in meiner ersten trockenen Zeit, nachdem die allererste Euphorie verflogen war, am meisten zu schaffen machte, war ein Zustand von großer innerer Leere. Mit meiner ersten, „trockenen“ Liebesbeziehung, der es aufgrund ihrer psychischen Erkrankung ähnlich ging, war ich unglaublich viel unterwegs, jeder spirituelle Vortrag, jedes Seminar wurde mitgenommen, kaum ein potentieller Heilsbringer wurde ausgelassen. Rückblickend ein sehr spannende und aufregende Zeit, die sich über mehrere Jahre erstreckte, aber letztendlich aufgrund der Vielfalt auch sehr verwirrend und ohne die für mich nötige Erdhaftung.

Geblieben ist mir ein einfacher Glaube an meine namenlose höhere Macht, die, obgleich ich einer religiösen Gemeinschaft angehöre, nicht direkt mit einer solchen verbunden ist. Es brauchte zahllose Erfahrungen, um zu einem heute meist tragenden Geborgenheitsgefühl zu finden. Dankbarkeit auch für die kleinen Dinge am Tag lässt für mich heute keinen Raum für Mangel, gleich welcher Art. So ich mich rechtzeitig daran erinnere 🙂

11 Gedanken zu „In eigener Sache

  1. Pingback: Mittwoch. 221012 | wupperpostille

  2. Aloisia+Eibel

    Einfach wunderbar, wie du dich da beschreibst. Ich merke das Gefühl der Leere auch mitunter. Ich war lange versuch es mit Essen, Lesen zuzustopfen. Jetzt halte ich dieses Gefühl schon aus.
    Einen lieben Gruß an dich!
    Aloisia

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Liebe Aloisia, ich freue mich sehr über deinen Kommentar! Ja, die Gefahr der Kompensation ist immer gegeben. Aushalten kann ich heute ebenso, mit dem Bewusstsein, dass absolut alles ein Ende findet.

      Ganz liebe Grüße dir 🫂

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  3. gerlintpetrazamonesh

    Es ist verdammt schwer, diese oft beschworene innere Mitte, dieses Ruhen – und Genügen! – in sich selbst zu finden. Und es sage keiner, dass es ihm leichtfiel, das glauben wir einfach nicht, oder? Ich selbst meine, egal, welchen Mist ich gerade wieder mal produzierte, immer wieder etwas Stabiles da gespürt zu haben, nicht an der Oberfläche, o nein, aber ganz weit da drinnen… Und eben deshalb, weil es so weit innen ist und gar nicht greifbar scheint es mir immer wieder einmal zu entwischen, davonzurollen (ja, es ist weitgehend oder meistens kugelfömig, „Erdmittelpunkt“)… Es geht also weiter. Immer weiter.

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Das hast du sehr treffend beschrieben, liebe Petra. Nein, es ist nicht leicht, in dieser „Mitte“ zu verweilen, die ich heute am ehesten mit einer Grundruhe und -Zufriedenheit bezeichne. Immer wieder erfolgen Ablenkungen vom Außen und der Verstand nervt mit seinem ständigen, ja-aber und sowohl-als-auch.

      Ganz weit drinnen … ich bin nicht mein Verstand, nicht mein Ego und nicht meine Gefühle. Das, was du beschreibst, ist, glaube ich, meine Seele, und die ist unsterblich, so wie jede andere Seele. Und ja, vielleicht ist sie kugelrund 🙂 Jedenfalls bin ich davon überzeugt, dass sie die Kraft hat, den gesamten oben genannten äußeren Erscheinungsrahmen zu heilen, so wir denn die Wege zu ihr finden.

      Es geht weiter, oh ja.
      Danke für dein hier-sein und Grüße, Reiner

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  4. Martin Pierick

    Hallo Reiner, ich bin von deiner Offenheit beeindruckt, das erfordert Mut. Ich wünsche dir einen wunderschönen Sonntag.
    Herzliche
    Martin

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  5. boelleli

    Hallo Reiner,
    Danke für diese Offenheit – ich finde es beeindruckend, wie Du dich, deine Gefühle beschreibst und auch dazu stehst.
    Ich werde noch etwas weiter in Deinem Blog stöbern 🙂
    Alles Liebe aus der Schweiz !
    boelleli

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  6. Anyone

    Deine Antwort bei Gisela hat mich hierher gebracht, und es tut richtig gut zu lesen, dass es offensichtlich viele Menschen gibt, die von dem, was man Leben nennt, voll ausgepowert sind.
    Vor etwa zwei Wochen hat sich in meinem Kopf die Überlegung breit gemacht, dass mich ja keiner zwingt, das alles hier auf Erden weiterzumachen. Und ich checke seitdem ab, welche Möglichkeiten die wohl sichersten und erträglichsten wären.
    Aus Deinen Worten klingt sehr, sehr viel Kraft, die da jetzt eine fühlbare angenehme Wirkung hat. Danke Dir, Reiner!

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Niemand kann dich davon abhalten, diese Welt aus eigener Hand zu verlassen, so du dich dafür entschieden hast. Eine Lösung ist es indes nicht, die Rechnung geht nicht auf. Wenn wir die Unterrichtsstunde hier auf Erden aus eigenem Willen verlassen, gehen wir nicht ins Licht, sondern müssen Erd-verhaftet lange in einer Art Zwischenwelt verharren, bis wir unsere Lernaufgaben wiederholen dürfen. Mein Glaube, natürlich ohne Beweisführung, die ist nicht möglich.

      So wie du es für dich schon erkannt hast – Kampf gegen die Angst führt nicht weiter, nur die bedingungslose Kapitulation vor diesen emotionalen Zuschnitt. Ich möchte dir Mut machen, dich alledem zu stellen, es geht danach weiter, und meist wird es langsam besser. Meine Erfahrung, und ich glaube fest daran, dass dies auch anderen Menschen möglich ist. Im Kern glaube ich, dass unsere Seelen immer rein und unzerstörbar sind, krank werden können unser Körper, unsere Emotionen, unser Ego. Finden wir den Zugang zu unserer Seele, kann und wird sie uns helfen, gesund zu werden.

      Wenn du möchtest – schaue mal hier (was zu lesen).

      Sei herzlich gegrüßt!

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