Abgesang

Es ist nicht so, wie es sollte. Aber wie soll es denn sein? Abschied, sagte ein alter Freund, der mir wieder etwas näher gerückt ist, vielleicht, weil wir über strittiges nicht mehr sprechen. Abschied also, nicht Abrechnung. Man soll – Toten nichts schlechtes nachsagen. Definiere gut oder schlecht, da wird es schon sehr individuell, außer man bedient sich gesamtgesellschaftlicher Maßstäbe und lässt die eigenen außen vor. Das wiederum kann schnell in Heuchelei ausarten und die wiederum ist schlecht – zumindest in meiner Empfindung.

Ich habe für dich getan, was ich konnte, zum Schluss, die letzten Jahre, Monate. Mit ganzen Herzen wäre gelogen, eher aus der Pflicht heraus, im Sinne des vierten Gebotes. Mit Sicherheit, weil es irgend jemand in die Hand nehmen musste, aber auch, um endlich dein Vertrauen zu bekommen. Und ja, dein Leid rührte mich zutiefst an, ganz gleich, wie du warst, das habe ich dir nicht gewünscht. Manche Erkenntnis, dir verdammt ähnlich zu sehen, im Guten und im weniger Guten, rührte mich zutiefst auf.

Ich habe dir mein Leben zu verdanken. Meinem Glauben nach suchen sich wiederkehrende Seelen ihre irdischen Eltern aus, um bestmögliche Wachstumschancen zu haben. Manchmal halte ich das für eine zynische Scheiße, manchmal spüre ich die Wahrheit darin, immer dann, wenn ich Bewegung und Veränderung wahrnehme. Wie auch immer, die Beweisführung dessen wird auf ewig offen bleiben müssen.

Viele Gespräche im Familienkreis lassen darauf schließen, dass du bis zum Ende der Alte geblieben bist, habgierig und misstrauisch gegenüber allem und jedem, deine Frau und mich eingeschlossen. Ich nehme es dir nicht persönlich, du konntest das nicht anders, ich weiß, wie es ist, wenn man sich selbst nicht vertraut, kann man dies auch seinem Nächsten nicht schenken. Wir sprachen über deine Kindheit, Jugend, junge Erwachsenenjahre, vieles kam aus aktuellem Anlass wieder hoch. Ein Satz blieb mir im Gedächtnis, aus dem Munde eines Menschen, der sich beruflich mit Heilung beschäftigt: Du hättest schlimmer werden können. Auch das, sicher.

Es wird mir nicht möglich sein, dich in guter Erinnerung zu behalten, wie man so sagt. Du bleibst mir so in Erinnerung, wie du warst, mit deinen Schatten, aber auch mit deine liebenswürdigen Seiten, die es durchaus gab. Niemand ist nur so oder so, jeder ist ganz viel und oft genug widersprechen sich die Anteile, ich kenne das nur zu gut von mir selbst. Darum richte ich nicht, vielleicht verbunden mit der Hoffnung, dass auch über mich einst nicht gerichtet wird.

Morgen tragen wir deine irdischen Überreste zu Grabe. Ein ritueller Abschluss, so würdevoll, wie es uns möglich ist. Du wirst dich für dein vergangenes Leben verantworten müssen, dort, wo du jetzt bist, ganz gleich wo das sein mag. Ich wünsche dir Frieden und Licht – von Herzen.

🙏

PS: Das Bild im Header und das Hintergrundbild dieser Website entstanden auf einem unserer Ausflüge zu deinem Sehnsuchtsort in der Nähe. Den Sinn für die Schönheit in der Natur teile ich mit dir.

13 Gedanken zu „Abgesang

  1. Pingback: Sonntag, 221113 | wupperpostille

  2. Peter Rak

    Es dauert bis man sich mit den „Sowohl als auch“anfreundet, aber dann auch das Befreiende zu spüren, nicht mehr „verurteilen“ zu müssen .

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Guten Morgen Peter.
      Es dauert, ja, vermutlich ein Leben lang.
      Die Freiheit spüre ich, nicht richten oder urteilen zu müssen.
      Danke für dein hier-sein & Grüße!

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  3. Nati

    So wie du es gehandhabt hast, in der letzten Lebenszeit deines Vaters, wird es mir nie möglich sein. Jeder sucht und findet da seinen eigenen Weg, wie man damit umgeht, umgehen möchte.
    Sicherlich für dich ein großer und anstrengender Schritt, den du geleistet hast.
    Ganz egal wie ich dazu stehe, zolle ich dir dafür großen Respekt.
    Möge es dir helfen, für deinen weiteren Lebensweg.
    Alles Liebe,
    Nati

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  4. Gerhard

    Der Abschied von meinem Vater war ein Guter. So würde ich das heute sehen .
    Es ist unfair, einfach in die welt geworfen zu werden und mit dem, was dir begegnet, fertig werden zu müssen. Mein Vater war dem Tod im Krieg dreimal von der Schippe gesprungen, was das heisst, kann kaum einer ermessen.

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Wir können nicht wirklich ermessen, was die Generation unserer Eltern mitmachen musste. Nichts kommt von ungefähr, so viel ist sicher.

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  5. C Stern

    Wenn ich es selbst einmal auf Deine klare Weise – alle Anteile annehmend und einfach erkennend, ohne groß zu werten -, halten kann, dann weiß ich, dass mir viel gelungen ist.
    Meine Hochachtung für Deine Gedanken und Dein Tun, lieber Reiner!
    Ich grüße Dich herzlich, C Stern

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  6. Alice

    Auch ich hätte das nicht gekonnt, was du gekonnt hast. Es gab mal einen Moment, da wollte ich einfach vorbei fahren, klingeln, gucken, was ist, was mit mir ist. ich hab es verpasst und damit vielleicht eine Chance. Menschen ändern sich nicht, wenn sie nicht wollen.
    Fühl dich gedrückt, da unten im Bergischen. Du machst das alles schon ziemlich richtig, denke ich. Selbsterkenntnis und Wachstum inklusive

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  7. Robert

    Söhne und Väter. Ein universales Thema. Aus jahrelangen, oft auch lebenslangen häufig unglücklichen Verbindungen am Ende ohne faule Kompromisse einen gangbaren Weg zu finden, ist vielleicht die vornehmste Aufgabe der Söhne. Die Versöhnung, soweit sie möglich ist.

    Vielen Dank für Deinen Bericht und schöne Grüsse
    Robert

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Danke für deinen Kommentar, Robert – ich freue mich, dass du hier bist 🙂
      Wege finden, ja. Das blieb bis zum Ende schwierig.
      Sei auch du herzlich gegrüßt!

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