Das neunte Jahrsiebt

Esoterik ist nicht so mein Ding. Numerologie auch nicht, dennoch ergibt die Beobachtung der Lebensabschnitte, gerade auf die Zahl Sieben bezogen, erstaunliches. Für mich, kurz vor Vollendung meines 57sten Lebensjahres,, also am Beginn des neunten Jahrsiebtes,  geht es schwerpunktmäßig um den Tod, um Abschiede, aber auch um radikale innere Umwälzungen, mit denen ich nie gerechnet habe.

Wenn das Wasser kommt, nimmt es alles mit, was schon länger lose war. Alles, was nicht oder nicht mehr zu mir gehört, möglicherweise nie wirklich zu mir gehört hat, wird gnadenlos weggeschwemmt oder versinkt in den salzigen Fluten mancher Tränenströme. Zeit der Abschiede, Zeit der Trennungen, Zeit der Reinigung, Zeit der Wahrheit, Zeit, Farbe zu bekennen, kein Lavieren, kein Ausweichen mehr möglich. Zeit der Prüfung, der Umbrüche, quer durch alle Lebensbereiche. Zeit, zu vertrauen auf die neue Bleibe im Schloss aus Korallen, dem Ort, der unter Wasser atmen lässt, wenn das alte Haus unbewohnbar geworden ist. Wenn das Wasser kommt, spült es alles mit hoch, was es auf seinem Weg vorfindet, auch dem Müll vergangener Jahrzehnte.

Ein Teil des Meeres werden …

Der Wassertiger lernt spät, aber hoffentlich nicht zu spät, unter Wasser zu atmen…Ein wundervolles Gedicht, welches ich auch schon mal auf der Wupperpostille veröffentlicht habe, passt dazu sehr gut.

Quelle: Carol Bieleck (Sacré Coeur-Schwester)
gefunden in „Zwölf Schritte der Heilung“ von Richard Rohr

Unter Wasser atmen

Ich habe mein Haus am Meer gebaut.
Nicht auf Sand, wohlgemerkt,
nicht auf Treibsand.
Ich habe es aus Stein gebaut.
Ein starkes Haus
an einem starken Meer.
Und wir haben uns aneinander gewöhnt,
das Meer und ich.
Gute Nachbarn.
Nicht, dass wir viel gesprochen hätten.
Wir trafen uns schweigend.
Respektvoll, auf Abstand bedacht,
aber mit Blick auf unsere Gedanken
durch den Zaun aus Sand
Stets mit dem Zaun aus Sand als Grenze,
stets den Sand zwischen uns.

Aber eines Tages,
und ich weiß immer noch nicht, wie es geschah,
da kam das Meer.
Ohne Warnung.
Auch ohne Einladung.
Nicht plötzlich und schnell,
sondern eher wie Wein
sich durch den Sand einen Weg bahnt,
weniger wie Wasser fließt
eher wie ein Strömen von Blut.
Langsam, aber stetig.
Langsam, aber strömend wie eine offene Wunde.
Und ich dachte an Flucht und an Ertrinken
und an Tod.
Und während ich noch dachte, stieg das Meer höher,
bis es meine Tür erreichte.
Und da wusste ich, es gab keine Flucht, keinen Tod,
kein Ertrinken.
Wenn das Meer kommt und nach Dir ruft,
gibt es keine gute Nachbarschaft mehr,
als ob ihr euch gut kennt und freundlich distanziert bleibt.

Du tauscht dein Haus
gegen ein Schloss aus Korallen,
und lernst, unter Wasser zu atmen.


~

 

 

 

18 Gedanken zu „Das neunte Jahrsiebt

  1. hexenfire

    Das berühmte 7. Jahr in einer Beziehung ist keine Legende. Wer aufmerksam seinen eigenen Wandel beobachtet, wird sehr wohl feststellen, dass irgendwas dran ist an der magischen 7.

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  2. Aloisia Eibel

    Mich haben sie mit 56 in Pension geschickt. Unfreiwillig ging ich und wurde in ein neues Glück hineingestoßen.
    Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Und immer schön nüchtern bleiben.
    Luise

    Antworten
    1. Reiner Beitragsautor

      Liebe Luise, es dauert noch ein Weilchen, mein Geburtstag ist erst Anfang Juni.
      Aber dennoch vielen Dank vorab 🙂

      Pension? Rente …Meinesgleichen sind sehr zahlreich, Stichwort Babyboomer. Uns lassen sie nicht einfach laufen, wir sollen arbeiten bis zum umfallen und dann nach Möglichkeit zeitnah sozialverträglich ableben. Zu viele sind zu teuer für das System der Rente. Ich mag nicht drüber nachdenken … aber gut für dich, dass du zeitig heraus bist/warst, gehen durftest.

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  3. Aloisia Eibel

    Lieber Reiner!
    Bevor ich missverstanden werde, bring ich noch einen Nachtrag: Das „immer schön nüchtern bleiben“ bezog ich auf Deine Aussage, dass Esoterik nicht so Deine Sache sei. Erst nachher ist mir die Doppeldeutigkeit des Wortes aufgefallen. Sorry, wollt Dich nicht kränken. Herzlich Luise

    Antworten
    1. Reiner Beitragsautor

      Ist auch im doppelten Sinne gut, liebe Luise. Wie ich einst gelernt habe, nicht mehr vor mir selbst zu flüchten, soll ich nun lernen, mich zu stellen, den Dingen, wie sie sind.

      Alles gut, ich danke dir 🙂

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  4. Bisou

    Habe jetzt einige 7 und 9 Jahresrhythmen gelesen – im Grunde sagen sie alle das gleiche für unser (auch wenn gerade in unterschiedlichen Jahrsiebten) Alter: „lerne bei dir sein“ – und wenn ich eines sicher weiss: dabei wachsen einem Kiemen 🙂

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  5. Luxus Lazarz

    Was für ein schönes Gedicht, geliebter Reiner, so sanft und ermutigend zugleich. Danke fürs darauf aufmerksam Machen. Auch der link von Brig mundet dem Geist wohl, wobei ich fühle, dass diese Entwicklungs-, beziehungsweise Auflösungprozesse von Bewusstseinsschleiern, heutzutage bereits früher einsetzen können. Es ist wohl möglich, viele Leben in einem zu leben, was die Lernzeiträume in gewisser Weise manchmal arg verkürzt. Heute sehen die Menschen mit 60 nicht mehr so aus, wie in den Jahren unserer Kindheit. Und man selbst fragt sich hin und wieder, wie das sein kann, dass der Geist scheinbar gar nicht altert, Freude und Frohsinn behält, während der Körper am Liebsten überwiegend in Gottes Frieden abhängen will. Ich glaube, dass da noch viele Überraschungen auf uns warten. Natürlich nur Schöne, was sonst? Ist ja alles nur eine Frage der Blickauswahl. 🙂
    Freudvolle Grüße
    Luxus

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Es ist wohl mehr der Schein, liebe Luxus. Mein Geist altert sehr wohl, aber es fühlt sich nicht bedrohlich an, im Gegenteil. Auch der Körper verfällt langsam und unaufhaltsam, was dank Pflege und Fürsorge nicht so sichtbar ist, von außen. Dieses Privileg hatten die Generationen vor uns nicht, und viele gingen früh.

      Ein Leben reicht nimmer zum lernen.So vieles tritt in der Welt auf der Stelle, wie die Zeit gerade zeigt. Einzig wir hier sind auf eine seligen Insel, noch. Schöne Überraschungen sind immer möglich, darauf hoffe auch ich. Fein, dass du hier warst, sei herzlich gegrüßt, Reiner

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  6. Daniel S.

    Hallo, liebe Leserin, lieber Leser!
    Hallo, freundlicher Mann, der sich „Wassertiger“ nennt.

    Das Gedicht von Carol Bieleck „Breathing Underwater“ habe ich in Richard Rohrs Buch, wo es ebenso übersetzt wurde,
    zum ersten Mal, vielleicht im Jahr 2015 gelesen. nun meine
    Gedanken zu diesem Text am Ende von 2020.
    Es beschäftigt mich sehr am Ende dieses Jahres, den irgendetwas, was schon tief in mir lebte, Angst, Furcht, Stolz, Traurigkeit, Verzagen, ich weiß es noch nicht so genau, hat mir und auch vielen Mitmenschen nun so sehr zugesetzt, dass es vom Innenleben, in die Außenwelt gedrungen ist.
    Das sichtbare, fühlbare kalte und scheinbar nur todbringende Meer ist jetzt um uns herum, in Form der Angst, unseren Abschottungszwängen und unseren Kontrollfantasien hat es sich bei uns breit gemacht. Aber das, was vorher schon in uns existiert hat, diese Charaktereigenschaften des Egos wollen verstanden, gesehen und geteilt werden, damit etwas Neues…eine Wasserlunge wachsen kann.

    Liebe Grüße, und bitte schreibt… 🙂

    Daniel

    Antworten
    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Hallo Daniel,

      vielen Dank für deine Zeilen! Ja – genau so ist das Gedicht zu verstehen, denke ich. Unter Wasser atmen – mit diesen Schwall am Emotionen umgehen zu lernen, die unsere Zeit nun mit sich bringt.

      Viele Grüße & einen guten Übergang in 2021!

      Antworten
  7. Pingback: Sieben

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