Nur für den Augenblick

Friede – ein flüchtiger Zustand, denke ich, während ich gemeinsam mit Püppi die warmen Sonnenstrahlen genieße. Püppi`s Welt ist für den Moment in Ordnung, Sonne von oben und die Heizung von unten. Das ist nicht die Regel, seit sein Bruder vor fast zwei Monaten verstarb. Püppi klebt seitdem förmlich an uns und klagt uns ebenso herzzerreißend wie lautstark an, Tag für Tag. Es tut weh … wir werden uns demnächst nach einem Artgenossen für ihn umschauen. Ein Baby-Katzenmädchen, das könnte gehen. Da hat Püppi vielleicht eine Aufgabe, keinen Konkurrenten, kann erziehen und hat wen zum spielen und toben.

Alles flüchtig und nur geliehen, denke ich, während ich mir die unsäglich dreckigen Scheiben betrachte, die zwar wahrgenommen werden, aber weder die Liebste noch mich wirklich stören. Püppi überhaupt mal gar nicht. Bürgerlich geht anders…

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 Es fühlt sich gut an, hier einfach nur zu sitzen und zu spüren, wie leer so ein Kopf sein kann, in manchen Momenten. Ein anderes Gefühl als die innere Leere, die mir auch vertraut ist. Gott sei Dank ist auch sie ein eher flüchtiger Zustand, und, wie der Mann vom Fach neulich zu mir meinte, recht normal, wenn man sich 22 Jahre lang regelmäßig selbst vergiftet hat, nach allen Regeln der Kunst. Das hinterließe eben Spuren in Gehirn. Aha, dachte ich in dem Moment, keiner Zuhause sozusagen. Solche Aussagen sind mir nicht neu, nichts dergleichen bleibt ohne Folgen. Auch, wenn mich solche Worte an manche Erlebnisse aus Jugend und Kindheit erinnern, die mindestens so toxisch wirkten wie die spätere, chemische Zerstörung. Bleibt zumindest die Hoffnung, das der verbliebene „Rest“ nicht nur zum Überleben reichen möge, sondern auch für weitere friedvolle Augenblicke wie eben jetzt.

Ziele möge ich definieren, meinte der Fachmann. Das sei Teil der Behandlung, und drückt mir weitere vorformulierte Frage- und Antwortbögen in die Hand, deren Beantwortung wahrscheinlich nicht nur der reinen Erkenntnis dient, sondern auch gut abgerechnet werden kann. Also nicht das beliebte Ausschlussverfahren, frei nach dem Motto „dies möchte ich nicht mehr, und das, jenes auch nicht“. „Voll erwischt“, denke ich, Ziele zu definieren war schon immer eine schwere Übung für mich. Wachstum durch Krisen, das ging in Ordnung, bis dahin. Mit dem so beliebten Ausschlussverfahren bin ich eigentlich auch recht weit gekommen, jedenfalls für meine Verhältnisse. Manchmal frage ich mich, warum Ziele so wichtig sind. Braucht es nicht erst einmal die weiße Wand, ein leeres Gefäß, um etwas Neues entstehen zu lassen? Momentan fühlt es sich so an, als kämen die Antworten oder das, was man Ziele nennt, von allein zu mir, sobald da Platz wäre.

Der Boden schwankt jetzt gerade jedenfalls etwas weniger als in den letzten Wochen und mein Vertrauen in meine höhere Macht fühlt sich ebenso wieder etwas tragfähiger an. Was Hoffnung macht…

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17 Gedanken zu „Nur für den Augenblick

  1. Aloisia Eibel

    Lieber Reiner,
    ich wünsche Dir Gottes Segen, erfüllte Tage in dieser Karwoche. Oft habe ich erlebt , dass Andere und ich das Sterben und die Auferstehung Jesu in uns entsprechender Weise mit erleben, nach erleben, uns in die Leidensgeschichte hinein finden. Nicht als Verherrlichung des Leidens, sondern als ein Hindurchgehen hin zur Wandlung, zur Auferstehung. Obs zu verstehen ist, was ich meine?
    Luise

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    1. Reiner Beitragsautor

      Liebe Luise, das passt zur Zeit, gerade, ja. Hindurchzugehen heißt auch Transformation, Veränderung, Wandel. Darauf kann ich zunehmend wieder vertrauen.

      Schön, dass du hier warst!

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  2. bmh

    Braucht es nicht erst einmal die weiße Wand, ein leeres Gefäß, um etwas Neues entstehen zu lassen? Momentan fühlt es sich so an, als kämen die Antworten oder das, was man Ziele nennt, von allein zu mir, sobald da Platz wäre.

    So sehe ich das auch.
    Grüße von Barbara

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  3. bisou

    es funktionniert in beide Richtungen: wo wir Platz machen entsteht etwas Neues und Neues macht sich Platz
    Ob du Platz machst oder nicht, es findet dich

    Freue mich für dich

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  4. Sabina

    Ja, diese Art von Frieden tut gut. Auch wenn diese friedlichen Momente so flüchtig sind, machen sie das Leben erst lebenswert. Ich wünsche dir noch viele solcher Momente. Gerade in den kommenden Oster- und Frühlingstagen!

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  5. Kat

    Es ist schwierig, zu formulieren, was ich will, leichter ist zu sagen, was ich nicht will. Aber es braucht übung und auch Selbstbewusstsein, wenn ich sagen kann, hei, das will ich! Manchmal ist es die Erziehung, das Gefühl, es steht mir nicht zu, zu sagen was ich will. Kinder mit nem Willen kriegen was auf die Brillen. Aber aus dem Alter sind wir raus und die Erwachsenen die sowas gesagt haben, vor 50jahren, gibt es nicht mehr. Liebe Grüße. Ach ja und. Scheiben putzen, pffft, es regnet eh wieder. Schönen Tag! Kat.

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    1. Reiner Beitragsautor

      So Sprüche kann ich singen, @ Brillen… vielleicht liegen dort wirklich die tieferen Ursachen, warum es (mir) relativ schwer fällt, positive Ziele zu formulieren.

      Schön, dass du hier warst!

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