Der Fahrradmann

Es gibt sie noch, richtige Unikate, solche Typen, die auf ihre Weise unverwechselbar sind. Menschen, die in keine Schublade passen, Menschen, die sich ihre Nische gesucht und gefunden haben. Einer von ihnen ist der Fahrradmann, hier in der Nähe. Er lebt hauptsächlich von Mundpropaganda, keine Website oder dergleichen, nur ein dürftiger Eintrag im Branchenregister, keine Telefonnummer, keine Öffnungszeiten, nur Name und Anschrift. Wer etwas von ihm möchte, muss also dort hin. Vor einigen Wochen war mein Trecking-Rad Reparatur-bedürftig, die Ständer-Halterung war durchgerostet und zudem war ich auf der Suche nach einem günstigen, gebrauchten Rad für den Winter. Ein Kumpel von nebenan hat mir mal von dem Fahrradmann erzählt, das klang recht gut, die beste Werbung sozusagen.

Sein kleiner Werkstatt-Laden liegt ein wenig versteckt unten im Luisenviertel. Von der Straße aus geht es durch ein kleines Tor über den Hinterhof zum Eingang. Ein kleiner, muffiger Raum mit einem Mini-Schaufenster, voll gestellt mit Rädern, neue sowie gebrauchte. Ein funzeliges Licht beleuchtet das Ganze spärlich und man könnte meinen, das der Laden verlassen ist. Aber ihm entgeht nichts, wenn draußen jemand steht, schaut er plötzlich um`s Eck, der Fahrradmann. Schon sehr gut jenseits der 50, groß gewachsen, hager, dunkle Klamotten,  meist eine Weste, die Arme stecken in seltsamen Stulpen, die Hände dünn behandschuht. Manchmal ziert auch ein schwarzer Schmierfleck sein Gesicht, wie das so geht, wenn man sich mit öligen Fingern mal kratzen muss.

Der Laden ist Verkaufsraum und Werkstatt in einem. Alles mögliche liegt auf dem Boden, zwei alte 80er-Jahre Telefone, Hörer daneben liegend, Schrauben, Ventil-Kappen, eine Sprühöl-Dose mitten drin. Hinten an der Wand hängt ein Brett, voll gestellt mit Werkzeug und Ersatzteilen. In einer Ecke sind vielleicht 2, 3 Quadratmeter mit einem Tuch notdürftig zu gehangen, dahinter geht es richtig zur Sache, Haufenweise gebrauchte Fahrrad-Teile. Ein auf dem Boden stehender Ventilator bläst unermüdlich und von irgendwo plärrt leise ein Radio.

Bei ihm gab ich also nicht nur mein Rad zur Reparatur, ich erstand ich auch ein uraltes, aber gut erhaltenes Cross-Rad, für meine Zwecke genau richtig, sogar mit einem Jahr Garantie. Ein paar Dinge waren nicht so, wie sie sollten, und darum bin ich noch ein paar mal zu ihm hin. Wortkarg ist er, der Fahrradmann, aber er versteht sein Handwerk. Vor sich hin brummelnd sucht er scheppernd in den Ecken nach Werkzeug und Teilen, er kennt sich aus in seinem nur scheinbaren Chaos. Montage-Ständer oder ähnliches sucht man bei ihm vergebens, das wichtigste Utensil ist eine große Gummimatte auf dem Boden. Mal eben wechselt er das Tretlager, zerlegt die Hinterrad-Nabe, tauscht verschlissene Teile. Es ist eine Lust, ihm beim werkeln zu zuschauen. Fest sitzende Muttern, kein Problem, in den Tiefen des Ladens findet sich ein mächtiges Rohr, das auf dem Schlüssel passt. Keine Werkbank, alles geschieht auf dem Boden, gebückt steht er da in dem trüben Licht, die Taschenlampe im Mund beleuchtet das Zielobjekt. Fragen werden auch unter solch erschwerten Bedingungen nuschelnd beantwortet, wobei ab und zu ein wenig Speichel herunter tropft. Echtes Handwerk eben. Kein Vergleich zu den großen Läden mit den vielen Angestellten und schicken Verkaufsräumen.

Geschickt ist er, zuvorkommend, verbindlich und fair.  Seine Erscheinung wirkt irgendwie aus der Welt gefallen, ein wenig seltsam oder schrullig, wie man sagt. Solche Charakterköpfe sind selten geworden, in unserer auf Äußerlichkeiten getrimmten Welt.

Ich mag ihn, den Fahrradmann.

Cross-Rad

~

 

 

7 Gedanken zu „Der Fahrradmann

  1. Bisou

    Läge ich nicht noch im Bett, ich stünde auf dich zu loben!

    Mit dem Thema triffst du meinen Geschmack, aber das alleine ist es nicht.

    Es ist ganz selten, dass jemand mich literarisch zu erstaunen versteht. Nicht eine einzige Stolperkante, jede Formulierung, jedes Wort, es passt. Nirgends ein geistiger Stolperstein. Selten.

    So macht lesen richtig Freude.

    Danke

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  2. Uschi H.

    …und ich mag ihn jetzt auch sofort, auf der Stelle !!!

    Welch wundervolle Hommage an einen Menschen,
    der im technisch so hochentwickelten Deutschland noch seinen Platz gefunden hat.

    GLG Uschi
    und *D*A*N*K*E*

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  3. QuerVerbindung

    …wirklich eine Freude von ihm zu lesen…möge er beschützt sein, der Fahrradmann, scheinen mir doch Menschen wie er auszusterben heute, wie schade…

    liebe Grüße
    Heide

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  4. gerlintpetrazamonesh

    Klingt nach einem Handwerker. Und einem, der seinen Laden im Griff hat. Diesen Laden, in dem ein Fremder wahrscheinlich vergeblich etwas suchte, er aber meint: „Das hatte ich doch, hm, wo war das noch gleich? Ah, da ist es ja!“ Wir hatten mal, Überraschung, den Laden gibts nicht mehr, so ein Geschäft in der relativen Nähe, nur ein paar Dörfer talwärts weiter: Zuvor waren wir vergeblich in einem (angeblichen) Fachgeschäft genau für den Bedarf gewesen. Der vielfältige Anbieter hörte sich unser Problem an, kramte in einigen Schubladen- voilá!
    Ja nun. Heut müßte man schon mit viel Glück auf einem Schrottplatz suchen.

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