Von einem, der sich nicht entscheiden konnte

Unsere höhere Macht hat so ihre ganz eigene Art, sich uns in unserem Leben zu zeigen. Mal sind es andere Menschen, solche wie solche, mal sind es Krankheiten, mal Geschenke, mal Ereignisse, die man eben niemanden wünscht. Selbst durfte ich mit Gottes Wirken reichhaltige Erfahrung sammeln, auf die eine oder andere Art, aber meist nie so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Die folgende, kleine Geschichte stammt im Kern nicht von mir, ich habe sie vor ganz langer Zeit einmal in irgendeinem Buch in irgend einem anderen Kontext gelesen. Wem`s bekannt vorkommt, bitte melden, dann kann eine Quelle dahinter. Ansonsten – Ausschmückung ist die Meine 🙂

Es ist ein Wochentag wie jeder andere. Nach einem langen Tag fährt er die gut 20 Kilometer heim. Landstraße, es nieselt leicht, der Verkehr ist zäh wie immer um diese Zeit. Leise plärrt das Radio und er lässt in Gedanken den Tag Revue passieren. Mit den Jahren macht er seinen Job mit viel Routine und die vielen täglichen Entscheidungen gehen ihm leicht von der Hand. Könnte es doch auch sonst so relativ leicht sein, denkt er. Ständig entdeckt er sich selbst dabei, in den vielen kleinen Alltagsfragen ausgesprochen Entscheidungs-unfreudig zu sein. Das kommt daher, weil ihn bei jeder Situation, bei der sich ihm mehr als eine Möglichkeit bietet, sofort deren Auswirkungen bis in`s kleinste Detail beschäftigen, und das dauert eben seine Zeit, macht es ihm alles andere als leicht. Sei es, welche Freunde man am Wochenende mal wieder sehen könnte, oder sei es, welche Anschaffung die nächst Wichtigste währe.

Mit solcher Art Grübeleien beschäftigt, nähert er sich allmählich dieser Straßenkreuzung, die ihm schon so oft zu schaffen machte. Rechts weg geht es heim, zu seinen Lieben. Zu seiner Frau, die er achtet und schätzt. Zu seinen beiden Kindern, die er ebenso liebt. Zu diesem Familienleben, das seine eigenen Herausforderungen hat, ein kleiner Mikrokosmos, in dem er sich geborgen fühlt.

Links weg dagegen geht es in Richtung dieses kleinen Vorstadt-Bordells, das er öfter schon mal aufgesucht hat. Zu dunklem Licht, leiser, sinnlicher Musik, schweren Vorhängen, Räume, gefüllt mit dezentem Plüsch, Zigarettenrauch, Körperausdünstungen und billigen Parfüm. Zu Frauen mit samtiger Haut, die ihm in fast jeder Art zu Gefallen sind, wenn er dafür zahlt.

Die Kreuzung nähert sich und ihn lässt das eine sowie das andere nicht los. Hin und her geht es in seinem Kopf, in seiner Vorstellung. Ihm fehlt eine Orientierung, irgend eine Instanz, die für ihn moralische Prioritäten setzt, weil er es nicht alleine kann. Solcher Art gefangen in sich selbst achtet er die Straße nicht. Fährt in diese Kreuzung ein … fährt einfach geradeaus, krachend in die gegenüber der Straßeneinmündung verlaufende Mauer.

Als er wieder zu sich kommt, spürt er seine Beine nicht mehr. Ein Arzt, der sich bemüht, den rechten Ton zu treffen, eröffnet ihm, das er nie wieder laufen könne, Zeit seines Lebens sich nur mit Hilfe eines Rollstuhles fortbewegen könne.

Somit hat dieser Mann ab nun nicht mehr die Qual der Wahl, es ist sozusagen für ihn entschieden worden. Ein sicherlich ziemlich drastisches Beispiel, wie Gott in unser Leben treten kann.

*

PS: Diese kleine Geschichte wurde von einem im Sternbild Zwillinge Geborenen geschrieben bzw. aus der Erinnerung rezitiert, der sich lange Zeit in seinem Leben stets zwischen irgendwelchen Polen bewegt hat. Der heute dankbar ist, seine so genannte Mitte gefunden zu haben und im Glauben eine Orientierung findet.

15 Gedanken zu „Von einem, der sich nicht entscheiden konnte

  1. Ananda

    passt grad gut für mich in mindestens zweierlei Weise

    1. hab ich auch was zu entscheiden
    das weiß ich seit Donnerstag – es kam grad in einem Moment, wo eh schon alles mögliche war, ich eher müde, diese Woche angefangen mit Zahn ziehen und so…. das fiel mir als erstes ein: treffe keine Entscheidungen, wenn du müde bist – und da „ich“ eh nicht wusste, hab ich’s dann so gemacht:
    Ich mach nix bis Montag, ich berate mich auch nicht mit anderen (das macht nur noch mehr durchananda) , ich denk nicht drüber nach, sondern höre mal zu, was das Universum mir – oft durch Menschen – zu sagen hat – und am Montag werde ich dann wissen, was zu tun ist.
    Das klappt ganz gut 🙂

    2. das Ding mit der Mitte, hab ich grad noch an anderer Stelle einen Kommentar zu geschrieben,
    siehe hier
    https://brtheophilos.wordpress.com/2017/01/21/chaosgeschuettelt-oder-friedensgepraegt/

    Tja … und ansonsten *grins … du weißt schon, ich darf mich auch in Zukunft noch selber entscheiden 🙂

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  2. Reiner

    Manchmal hilft das, sich Zeit zu nehmen, Zeit fließen lassen, um Antworten zu finden.
    Entscheiden tust Du – dein freier Wille.
    Golden, wenn das dann auch Gottes Wille ist.

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  3. Holda Stern

    Lieber Reiner, erstmal einen guten Sonntag dir und deinen Lieben!
    Meine spontanen Gedanken zu dieser Geschichte:

    1. Grübeln macht blind für die richtige Entscheidung – der Mann wäre sonst sicher nicht geradeaus gefahren.

    2. Das „Lustgefühl“ führt leider oft zu einer dummen, lieblosen Entscheidung – hier sogar ins Bordell.

    3. Nur die Liebe mit Vernunft gekoppelt führt zum richtigen Ort – hier zu des Mannes Familie.

    Danke für diesen anregenden Beitrag, ich habe ihn gerne gelesen!

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    1. Reiner

      Das ist so, @ grübeln und dem, was man gemeinhin Wollust nennt.
      Danke für`s hereinschauen und auch Dir einen guten Sonntag, Sabina.

      Grüße in den Südwesten !

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  4. Uschi

    Ein echt krasses Beispiel und trotzdem ist es irgendwie stimmig für mich.

    Kann es aber nicht erklären, Reiner, es ist einfach in mir drin und passt.

    Einen sonnigen Gruß aus dem Süden,
    Uschi

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  5. Bisou

    Mich nicht entscheiden ist auch eine Entscheidung… Ich darf abgeben und vertrauen

    Wenn es dann der „Rollstuhl“ ist? Dann war genau der die richtige Lösung für mich

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    1. Reiner

      Liebe Bisou, das grenzt schon an Fatalismus, wenngleich Deine Logik schlüssig ist 😉
      Wobei darin die mögliche Erklärung für einiges Leid liegt.
      Zumindest für jenes, was wir gemeinhin als „selbstverschuldet“ bezeichnen.

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      1. Bisou

        Für einmal Leid, stehen da hunderte Male Glück gehabt, gut gegangen, ein anderer hat die Verantwortung getragen, etc… Wir fokusieren uns doch nicht auf einmal Leid wenn es nur eine Möglichkeit von vielen ist 🙂

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        1. Reiner

          Nein, sicher nicht. Aber diese Gewichtung nützt Dir nichts, wenn Du gerade mitten drin stehst, in dem Ring aus Feuer, in diesem einen Mal Leid, das statistisch so bedeutungslos ist und dennoch die Hölle sein kann. Für den Moment. Dann gibt es gerade nicht zu wählen und auch nicht viele Möglichkeiten. Dann tut es schlicht weh.

          Der einzige Trost dann war und ist für mich die Gewissheit von Anfang und Ende eines jeden Zustandes sowie die Gewissheit, dass der da „oben“ sich irgend etwas dabei gedacht haben mag, mich in eine solche Lage laufen zu lassen. Mit meinem „freien“ Willen.

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  6. Herta Beer

    Einen wunderschönen Guten Morgen, gar nicht so einfach, hier her zu kommen und zu folgen 😉 Da keine Like- Funktion, schreibe ich eben – aber vielleicht war es ja auch genauso gedacht gewesen 😉 Und ja, wenn man nicht selbst entscheidet, wird einem die Entscheidung abgenommen. Immer! Bei mir ist es so, dass ich mich nicht für eine bestimmte Sache entscheiden, sondern alles tun möchte 😛 siehe auch Namen meines Blogs gg Bin zwar keine Zwilling Geborene, aber im Aszendenten Zwilling und das spüre ich auch schon mein Leben lang. Wärmende Grüße – Herta

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    1. Reiner

      Guten Morgen und Danke für`s herein schauen hier 🙂
      „Alles“ – ohje, das hat das Potential, dich zu zerreißen.
      Da bist Du ebenso gefordert, Prioritäten zu setzen.

      „Folgen“ wie bei WordPress.com geht hier nicht, weil dieser Blog kein Bestandteil der Community ist. Aber – wenn Du möchtest, kannst Du ein Email-Abo einrichten, siehe Kontaktformular oben. Oder mir auf der wupperpostille.wordpress.com folgen 😉

      Grüße aus dem Tal der Wupper !

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  7. Melanie

    sehr ein inspirierender Beitrag! Daddy macht sich auf sehr einfallsreiche Wege bemerkbar..

    Auch ich gehörte zu den Menschen, die sich nicht entscheiden konnten, jedoch ist keine Entscheidung schlussendlich auch eine Entscheidung 🙂

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    1. Reiner

      Das hörte ich schon oft … für mich ist keine Entscheidung eben keine Entscheidung 😉
      Mit allen dazu gehörenden möglichen Folgen. Zwiespalt, Heimlichtuerei, Streß, schlechtes Gewissen, sofern vorhanden.

      Sich nicht entscheiden zu können, heißt auch, alles so zu lassen, wie es ist und den Dingen ihren Lauf zu lassen, wie man so sagt. Dann muss ich davon ausgehen, dass für mich entschieden wird, früher oder später. An mir ist dann, die Folgen zu tragen.

      Grüße & Danke für`s hereinschauen !

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  8. gerlintpetrazamonesh

    Ich hoffe, dass die Mitte nicht die auf den armen Kerl zurasende Mauer ist. Auf diese Art Mitte würde ich gern verzichten, auch so lange wie möglich auf den Rollstuhl. Aber man hats halt nicht immer in der Hand, stimmt schon. Und man ist oft vor Entscheidungen gestellt. Manchmal vor deutlich schwierigere wie die, der Lust (muß ein ausgesprochen gutes und vergnügliches Bordellchen sein, wenn es da so lauschig-samtig-schön vor sich geht) oder die der ja auch einmal gewählten Verantwortung.
    Jedenfalls wäre er leichter links abgebogen. Ja, sicher, rechts auch. Aber beides hätte ihm vielleicht alltägliches Gekeife oder eine Geschlechtskrankheit eingebracht, aber immerhin nicht den Rollstuhl. Warum konnte er sich nicht entscheiden? Vielleicht, weil er zwei unterschiedliche Dinge, keinesfalls gleichwertig weil keinesfalls gleichartig, gegeneinander abwog. Äpfel und Birnen, ach was, Ananas und Elsbeeren. Oder so. So verschiedenen Dingen muß man eben verschiedene Orte, Zeiten, Maße zuweisen.
    Ähnlicher würden sie, wenn er sich sagen würde: „Hm, ich sollte meine Alte mal ausführen. Späte dinieren, Kerzenschein, nobles Restaurant, so dass sie sich herrichtet, schminkt – und dann mal sehen was noch geht!“ Das müßte natürlich organisiert werden, allein schon die Kinderbetreuung, ist also mit Aufwand verbunden (könnte man noch verstehen, wenn er dann an die Wand gefahren wäre). Aber seine unterschiedlichen Gefühlsbereiche wären hier womöglich ein wenig näher zusammengerückt.

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