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Stachel im Fleisch 5

Die 90er – sie standen zunächst für mich im Zeichen der Sehnsucht und der Sinn-Suche. 1990 lernte ich die Mutter meines Sohnes kennen. Familie, Nähe, Stabilität, einen Sinn machen. Ein „bürgerliches“ Leben, wie man so sagt. Mit regelmäßigen Unterbrechungen durch gekonnt inszenierte Alkohol-Exzesse. Gleichgesinnte Zeitgenossen fanden sich irgendwie immer und es gab ja auch noch die Jungs aus dem Dorf, deren Trinklaune immer noch über jeden Zweifel erhaben war. Regelmäßige Fluchten aus einer Welt, die mir zunehmend eng erschien.

Im Kern sind diese Jahre schnell berichtet. Details spare ich hier aus, mit Rücksicht auf andere Beteiligte. Es konnte nicht wirklich gut gehen – folge deinem Muster, heißt es. Oft habe ich mich gefragt – und bin auch oft gefragt worden, ob meine erste Ehe gehalten hätte, wenn ich nicht getrunken hätte. Eine Frage wie eine Bananenschale, man rutscht schnell darauf aus, weil der Konjunktiv ein glattes Parkett sein kann. Heute weiß ich, zu der Zeit, als die Unterschiede zwischen uns so deutlich wurden, das sie nicht mehr zu übersehen waren, wäre es Zeit gewesen, zu gehen. Aber ich sollte bleiben, lernen, und – meinem Sohn das Leben geben.

Ende `98 kam dann, was kommen sollte: Die Trennung, Auszug in ein Haus unweit unserer alten, gemeinsamen Wohnung. Mit Nachbarn, die mir ähnlich sahen. Viele Allein-Stehende, überwiegend Männer, alle irgendwann mal hart aufgeschlagen im Leben. Und – die meisten von ihnen tranken, beste Gesellschaft also für mich, der ich mich jetzt in meinem Selbstmitleid suhlen konnte und mit Alkohol sowie auch wieder Haschisch haushalten konnte, wie ich wollte. Neben dem exzessiven Trinken und Kiffen trank ich mittlerweile täglich, nach der Uhr, sozusagen. Jeden Abend, meist allein, aber auch in der vorhandenen, passenden Gesellschaft damals.

Fatal war für mich die Erkenntnis, mittels Alkohol und Dope nicht mehr in meine geliebte Parallelwelt gelangen zu können. Es reichte, wenn überhaupt, gerade noch für eine kurze Zeit der scheinbaren Ruhe vor mir selbst, Das einzige, was mir dazu einfiel, war mehr davon, etwas anderes kannte ich ja nicht. Nur war ich mittlerweile fast 38 und keine 20 mehr, mit dementsprechend nachlassender Kondition. Ausgestattet mit einer wund geschossenen Seele, die sich nicht mehr betrügen lassen wollte von Stoff-gebundenen Parallelwelten. Eine Seele, die nach Wahrhaftigkeit schrie und anstelle dessen immer noch zugeschüttet wurde. Am Ende selbst Nachts, trinken gegen die Alpträume.

Grenzbereiche und Nebenkosten der Sucht , wohin ich auch sah. Ein Leben auf der Kippe, mit allen dazu passenden Begleiterscheinungen. Ohne Selbstachtung und ohne Würde, dafür mit der Aussicht auf Verlust der Arbeit, die ich nicht mehr ausfüllen konnte. Eine kranke und selbstzerstörerische Liaison mit einer Medikamenten-abhängigen Frau, deren einziger Sinn wohl darin bestehen sollte, das ich anfing, mich für Therapie-Möglichkeiten zu interessieren. Anfang 2000 dann eine Nacht, in der ich alles in mich hinein fuhr, was vorhanden war. Wein, Wodka, böses niederländisches Gewächshaus-Gras, das mit dem harmlosen Zeug der 80er nichts mehr zu tun hatte. Kreislauf-Kollaps mit eiskaltem Schweiß und einem wie irre schlagenden Herzen. Todes-Angst und kein Gedanke daran, mir Hilfe zu holen.

Hol`mich doch, wenn Du mich haben willst…

Am nächsten Morgen gab es mich immer noch und ich wusste, das war die letzte Warnung. Der da oben hatte mich diese Nacht überleben lassen, verbunden mit der tiefen Gewissheit, das eine Wiederholung die letzte sein könnte. Endlich begann ich ernsthaft, mich für Hilfe zu interessieren. Eine ambulante Therapie konnte beginnen, ich konnte vom trinken lassen, fand den Weg zu den anonymen Alkoholikern, denen ich bis heute in Dankbarkeit verbunden bin. Seit dieser Zeit feiere ich am 28 Februar meinen zweiten Geburtstag, dem Tag, an dem ich zum letzten mal trinken musste.

*

Epilog