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50 Cent

Nein, ich bin nicht plötzlich und unerwartet im fortgeschrittenen Alter zum Fan vom gleichnamigen Gangsta-Rapper geworden – 50 Cent ist der beinahe schon symbolische Kaufpreis eines Herzens, welches heute zu mir gefunden hat. Im Nachbar-Quartier gibt es ein Straßenfest, auf`m Arrenberg, in der teils dafür gesperrten Simonstraße.

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Ein Samstag-Nachmittag wie gemalt, blauer Himmel, langsam schlendere ich von Stand zu Stand, schaue mir den Trödel an, während ich darüber sinniere, selbst genug von ungenutztem Zeug zu haben. Hier ein Schwatz mit einem Verkäufer über die großartige Auslage, dort ein loser Plausch, für bergische Verhältnisse gut gelaunte Menschen um mich herum. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass hier aufgrund der günstigen Mieten viele junge Menschen wohnen. Junge Menschen mit unabgegessenen Gesichtern, wie sie bei uns Älteren eher selten zu finden sind.

Hinter einem Stand mit dem üblichen Hausrat und Klamotten stehen mehrere junge Menschen, probieren begeistert selbst das feilgebotene Zeug an, schauen das Ergebnis in einem alten Spiegel, schwatzen und freuen sich am Tag. Auf einem Stück Pappe wird, in Blockschrift mit`m dicken Edding geschrieben, Rücken- und Handmassage sowie Tarot gegen Spende offeriert. Ich bleibe stehen und denke, kundige Hände könnten mir gut tun, von wem auch immer. Absichtslose Berührung, mitten im dicken Trubel. Also frage ich nach, eine junge Dame strahlt mich an, ich möge Platz nehmen und weist auf einem winzigen, dreibeinigen Klappschemel vor dem hinter dem Stand gelegenen Hauseingang. Ich nehme Platz, sie auf den Stufen hinter mir, und ich genieße die Berührung.

Niemand nimmt Notiz von uns, nur die Frau gegenüber, die mir gerade eben mein neues Herz fast geschenkt hat, guckt und grinst. Nach einigen Minuten bedanke ich mich, während ich über die gewünschte Spende nachdenke. Euronen sind bestimmt gewünscht, erscheinen mir aber irgendwie unangebracht. So frage ich die Dame mit den einfühlsamen Händen, ob wir jetzt die Plätze tauschen wollen, sozusagen uns etwas gegenseitig spenden. Zu meiner Überraschung lässt sie sich freudestrahlend darauf ein, womit ich nicht wirklich gerechnet habe. So fließt Energie aus der Berührung in beiden Richtungen und wir bedanken uns nach einigen weiteren Minuten gegenseitig. Eine kurze Umarmung, wir wünschen uns noch gegenseitig einen guten Tag und ich ziehe meines Weges.

Energie und Vertrauen. Einfach so.
Selten, aber möglich …

Aber zurück zum Titel – hier ist es also, mein neues Herz. Keines von diesen glatt geschliffenen Dingern und Gott sei Dank auch keines aus Stein oder gar aus Plastik, nein es ist recht einfach, beinahe grob zurecht geschnitzt worden, vielleicht von einem Schulkind oder in irgend einer Klinik, während der Ergo-Therapie oder dergleichen. Es hat Riefen und Macken wie so viele unserer Herzen, die schon eine Weile länger schlagen, es gefällt mir auf Anhieb und so werden wir Handels-einig. Selbst die Galgen-artige Befestigung hat etwas.

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 Zum Abschluss treffe ich noch einen vertrauten Menschen aus meiner Gruppe, wir gehen im SimonZ Kaffee trinken und schwatzen, ein guter Nachmittag geht zu Ende. Nun liegt mein neues Herz also hier auf dem Schreibtisch und wartet auf seine weitere Bestimmung. Ich werde es irgendwo festschrauben müssen, sonst geht unsere Lilit damit durch, soviel ist sicher. Sie steht schon am Start, spielt mit allem, was ihr passt, sicher auch mit Herzen aus Holz, derweil sie Herzen aus Fleisch und Blut eher wärmt und erfreut.

Lilit2

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Ein Willkommensgruß

Herzlich willkommen, Gast. Bevor Du an der Rezeption beschäftigt bist, bevor Du deine Habseligkeiten sortierst, höre mir kurz zu. Ich wache hier schon sehr lange, es sind bestimmt schon weit über einhundert Jahre. Da gäbe es einiges zu berichten.

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 Aber Du bist ja beschäftigt. Auch, wenn Du vielleicht hier deine freien Tage verbringst, hast Du keine Lust, mir zuzuhören. Das kann ich verstehen, Du hast viel gearbeitet und die Zeiten sind unruhig. Wozu diese zusätzliche Last also, Du hast dir deine Ruhe redlich verdient. Du möchtest dich nicht mit meiner Geschichte auseinandersetzen, ja gut. Aber schaue mir mal kurz in`s Gesicht. Sehe ich aus wie einer, der sich so schnell geschlagen gibt? Du kannst mich mal, denkst Du. Packst dein Zeug und gehst weiter. Nach dem Check-in schaust Du die Nachrichten auf deinem Smartphon, dem Symbol deiner neuen Zeit, in der scheinbar alles so anders ist als damals, als ich erschaffen wurde.

Du irrst, Gast. Aus den Nachrichten spreche ich weiter zu dir, der Du so beschäftigt bist, und wenn Du wirklich einmal freie Zeit hast, dann packt dich diese diffuse Angst. Ja genau, es gibt auch viel zu verlieren. Das durfte ich in meiner langen Geschichte schon öfter beobachten. Gerade hier in dieser Stadt, die noch voll von stummen Zeugen der letzten großen Katastrophe ist. Das geht dich alles nichts mehr an? Von wegen. Schaue hin. Überall werden „Volksvertreter“ gewählt, von denen man später entschuldigend sagen wird, sie hätten die Macht ergriffen. So ein Blödsinn. Als wenn diese Menschen einfach irgendwann da sind, huch, wie konnte das passieren. Dir vergeht allmählich dein abgehobenes Grinsen? Wird auch Zeit!

Womöglich gehst Du nicht mehr wählen. Weil es deiner Meinung nach keine Wahl gibt. Andere sehen das anders. Die Rattenfänger, die Demagogen mit der großen Fresse, die ganz klare und vor allem einfache Antworten auf die Herausforderungen der Zeit haben. Die scharen ihre Anhänger hinter sich, darauf kannst Du dich verlassen. Diese sind zwar zunächst einmal nicht überzeugt von dem Geschrei, fühlen sich aber schlicht allein gelassen seit langem. Dann kommen die mit dem großen Maul und finden Schuldige. Im Lande selbst sind es die politisch Andersdenkenden, aber vor allem die Fremden. Du bist dafür nicht empfänglich, sagst Du? Haha, warte mal ab. Bis dein Arbeitgeber vom nächstbesten Investmentbanker gefressen und zerlegt wird. Du dich auf dem „Amt“ wiederfindest, in bester Gesellschaft derer, für die Du heute noch abschätzige Worte findest. Wenn die Worte „Mindestlohn“ oder „Exinstenzminimum“ auf einmal für dich ganz anders klingen als zuvor. Wenn dich die Arge irgendwohin schiebt, mit dem Versprechen, dir die paar Kohlen auch noch vorzuenthalten, wenn Du nicht gehorchst und gehst.

Auf einmal denkst Du anders, ganz langsam geht das. Irgendwann siehst Du nicht mehr das Leid derer, die hier her kamen, mit nichts als ihr Leben und einer vagen Hoffnung. Du schaust auf diese Menschen jetzt als Konkurrent, weil Du nichts anderes gelernt hast, in deinem System. Das sind sie auch dann, de Fakto, sagst Du? Mag sein, das deine Logik aufgeht, was nicht heißt, das sie stimmt. Sie stehen in scheinbarer Konkurrenz mit Dir, weil niemand ernsthaft etwas dagegen unternommen hat. Weil sich viele Menschen mit den Missständen, die Dein System so mit sich bringt, prächtig arrangiert haben. Sie glauben schlicht den Vertretern des Geldes, das das alles so sein müsse, weil Konkurrenz ja nun einmal das Geschäft belebt und alles irgendwie bezahlbar bleiben soll.

Glaube mir, ich bin lange genug hier, um zu wissen, das sie irren. Sie haben kein Herz, sind aber sehr von sich überzeugt, weil sie nie länger als ein paar Jahre, wenn es hoch kommt, voraus denken. Würden sie doch wenigsten richtig rechnen, diese Krämerseelen. Sie müssten schlicht ihre Zeitspannen, in denen sie denken und planen, vergrößern. Wenn aus 3 Jahren 20 oder dreißig würden, sähe ihre Bilanz anders aus. Dann würde viel mehr Geld in Menschen investiert, damit diese sich zu helfen wüßten und nicht irgendwann aus einem schmutzigen Gebräu von Hoffnungslosigkeit und Wut und Angst heraus Unruhe verbreiten. Unruhe, die dann auch wieder Geld kostet, in letzter Konsequenz. Wie gesagt, von Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit will ich hier gar nicht reden, wenn Du meine Gesichtszüge aufmerksam studierst, verstehst Du mich. Auch mein Erschaffer ist einst gut bezahlt worden.

Noch aber interessiert das niemanden wirklich, was in 20 oder 30 Jahren ist, JETZT die Taschen voll, das zählt. Kinder? Können und müssen für sich selbst sorgen, später. So denken sie, die Kaufleute ohne Herz, die sich leider verrechnen. Prognose gefällig? Schaue einfach mal in ein Geschichtsbuch.

Jetzt schiebe das alles erst einmal weit von Dir, Dir gehst es ja gut, heute. Ich dagegen bleibe hier und schaue weiter zu, wache über das alte Haus. Ja, reiß`ruhig das Fenster auf und lüfte, wenn es Dir gerade hilft. Jedesmal, wenn Du an mir vorbei kommst, wirst Du an meine Worte denken, versprochen!

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