Wienerwald

Es gibt Bilder und Eindrücke aus der frühen Kindheit, die vergisst man nicht. Ein Besuch bei meinen Eltern neulich hat solch eine kleine Episode kurz wieder aufleben lassen. So genau weiß ich es nicht mehr, aber es muss so um 1966 herum gewesen sein, jedenfalls weit vor meiner Schulzeit. Damals fuhren noch doppelstöckige Busse von den Südhöhen nach Elberfeld hinunter und ich liebte es, mit meiner Mutter oben zu sitzen, wo es auf den alten Kopfsteinpflaster-Serpentinen talwärts besonders schön schaukelte. Wir waren auf dem Weg zu der besten Freundin meiner Mutter, die damals mit Mann und Kindern in der Nordstadt wohnte. 

Meine Mutter und ihre beste Freundin verband die gemeinsame Jugend ebenso wie die Neigung, das Leben so zu nehmen, wie es sich gerade darbot, bestrebt, das Beste daraus zu machen. Ein starkes Bindeglied war auch der gemeinsame hintergründige Humor, der vieles leichter ertragen lässt. Humor tat auch not, damals, gerade die Freundin brauchte ihn dringend. Ihr Mann war ein sehr spezieller. Fernfahrer, trinkfest, guten (nicht zwingend legalen) Geschäften nie abgeneigt und mit einem Hang zu extremen Gefühlsausbrüchen. 

Besagter Mann lag also damals auf dem Sofa, wie wir die Wohnung betraten. Geschwächt von einer langen Tour oder einem herben Kater, ich weiß es nicht, jedenfalls hungrig, denn er forderte lautstark ein Grillhähnchen, eben vom Wienerwald, ein paar Straßen weiter. So ging es also umgehend wieder zurück auf die Straße, gemeinsam mit der Freundin. Dann, ich weiß es nicht sicher – wollte die Freundin vielleicht 50 Pfennig sparen oder war den beiden schlicht der Weg zu lang, wie auch immer, jedenfalls kehrte man in dem näher gelegenen Imbiss ein, orderte dort ein Hähnchen, verbunden mit der Hoffnung, das der Alte den Unterschied schon nicht merken würde.

Eine fatale Fehleinschätzung, wie sich kurze Zeit später herausstellte. Kaum war der Flieger ausgepackt, leckerer Grill-Geruch zog schon durch die Wohnung, da ging das Geschrei auch schon los. Wortwörtlich kann ich das natürlich nicht mehr rezitieren, wäre wohl auch nicht unbedingt jugendfrei, aber laut war der Auftritt, das weiß ich noch. Ein Wort gab jedenfalls das andere, kurz wurde weit ausgeholt und mit einem satten KLATSCH landete das Tier an der gegenüberliegenden Wand der Werfers, direkt neben meinem Kopf. 

Mein gesamtes Weltbild muss in dem Augenblick durcheinander geraten sein. Gebratene Hähnchen, die fliegen können. Das war ja wie in dem Märchen, wie hieß es noch gleich. Unfassbar sozusagen, für einen vielleicht Vierjährigen wie mich damals. Was meinerseits jedenfalls einen totalen Lachanfall auslöste, der auch noch lange draußen auf der Straße anhielt, die wir dann fluchtartig aufsuchten. Meiner Mutter nebst Freundin war wohl eher nicht zum Lachen zumute, damals…

Nun, die Geschichte ging wohl noch vergleichsweise gut aus. Die Ehe der beiden hat verständlicherweise nicht all zu lange gehalten, der Protagonist der Tragikomödie von damals ist heute ein friedlicher, alter Mann und meine Mutter ist immer noch dicke mit ihrer Jugendfreundin. Und ich: Muss heute noch manchmal beim Anblick eines Grillhähnchen an den unbeschreiblichen Auftritt damals denken, was mir mindestens ein kleines Lächeln in`s Gesicht zaubert. Auch, wenn sich die Hoffnung auf das Land mit Milch und Honig in Strömen und so nicht erfüllt hat…

 

 

9 Gedanken zu „Wienerwald

  1. Bisou

    Ich tue mich ganz schwer mit solchen Cholerikern aber das nächste Grillhänchen wird auch mir bestimmt einen Gedanken an dein Lächeln schenken 🙂

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  2. Peter

    Mit Wienerwald verbinden sich bei mir andere Erinnerungen. Ein größenwahnsinniger Kellner aus -Südpreußen- wollte die Welt mir seiner Esskultur beglücken. Hoffnungslos überteuert und der Beginn einer extra der Esskultur entwickelten Einrichtung die dann jeden Laden gleich aussehen ließ.

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  3. Querverbindung

    …dass Du da als kleiner Bub gelacht hast ist das Beste an der Geschichte, mir in diesem Alter hätte so ein Mann Angst eingejagt…

    LG

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  4. Ananda

    Beides –
    Einerseits kicher, und das überwiegt auch im Moment 🙂
    aber auch Albtraum, von solchen Menschen, auch wenn es nur ansatzweise ist, werd ich mich nur noch fernhalten…

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    1. Reiner

      Kicher- ja genau…das geht mir beim lesen immer wieder so. Einerseits. Andererseits hatte ich selbst auch so meine Auftritte – viel später. Nicht SO, aber auch nicht wesentlich besser. Was bleibt, ist tiefe Dankbarkeit, das ich heute nicht mehr so leben muss.

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  5. Holda Stern

    Du nimmst uns mit quer durch verschiedene Emotionen! Zunächst der Doppeldeckerbus – prompt an meinen letzten Londonbesuch gedacht und gelächelt. Dann der Typ auf dem Sofa – Erinnerungen an den Mann meiner besten Freundin (auch geschieden) und traurig geworden. Dann wieder das fliegende Hähnchen – cholerisches Verhalten, mir aus eigenem früheren Umfeld bekannt, fliegende Hähnchen, neu für mich, und zurück bleibt bei mir eine Mischung aus Staunen (was es nicht alles gibt und was Frauen doch alles aushalten können zumindest eine Zeitlang) und Kopfschütteln. Belustigung will mir aber nicht hochkommen, ich kann mir aber vorstellen, dass es für ein etwa vierjähriges Kind so verrückt und seltsam gewesen sein muss, dass es einfach nicht nachvollziehen konnte, was da wirklich abging, und dass nur das Fliegen des Hähnchens in die Gefühlswelt ankommen konnte. Auf jeden Fall eine skurrile Situation … nicht so dolle für ein heranwachsendes Kind …

    Liebe Grüße,
    Holdastern

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  6. Uschi

    Wenn auch nicht an den Wienerwald, aber an einen Menschen ähnlichen Geblüts erinnert mich eben dein Eintrag……

    und ich gestehe, ich habe geschmunzelt weil du drüber lachen konntest.

    Liebe Grüsse
    Uschi

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  7. Pingback: Stachel im Fleisch 1 | Wassertiger

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