Vom Teufel auf meiner Schulter

Vor gut einer Woche waren wir Gäste bei der Hochzeit eines Anverwandten. Dummerweise war ich genau zu dieser Zeit grippig, jedenfalls stark erkältet. Am Donnerstag reisten wir an, des Abends sitzen wir in einer, in der Pizzeria des Dorfes, in dem wir untergebracht waren. Mein Zustand lässt sehr zu wünschen übrig. Jemand schiebt mit zwei Tabletten herüber, französische Paracetamol. Hier sei erwähnt, ich nehme normalerweise keine Schmerzmittel, damit ich mitbekomme, was mit mir los ist. Heute mache ich eine Ausnahme, angesichts des zu erwartenden Stress. So werden die 1000mg mit Wasser herunter gespült.

Ich verabschiede mich vorzeitig und ziehe mich in die Unterkunft zurück. Die Tür muss ich auflassen, derweil wir nur einen Schlüssel haben und die Liebste sonst nicht herein kommt. Schnell komme ich in den Schlaf. Stunden später werde ich wach und wundere mich, das die Liebste neben mir liegt. Nichts habe ich gehört, was total untypisch ist, derweil ich normalerweise einen sehr leichten Schlaf habe, nicht gut durchschlafe und öfter wach werde.

Auf meiner Schulter sitzt ein kleiner Teufel. Sofort fängt der an zu flüstern:
Siehst du, geht doch mit dem schlafen. Da gibt es noch ganz andere Sachen…

Mit dem kleinen Kerl habe ich mich insofern arrangiert, das ich ihn hinnehme und ihn nicht mehr verhauen möchte. Nützt auch nichts, der taucht nur kurz ab, um sich kurz darauf in alter Frische wieder zu melden. Also darf er dort sitzen bleiben, da er ja nun mal offensichtlich zu mir gehört, hartnäckig, wie er ist. Was nicht zwangsläufig heißt, das ich auf ihn höre. Er versucht es immer wieder, und er macht das ziemlich gut:

Komm`schon, gib`s doch zu. Du hast doch damals nur so dreingehauen, weil Du emotional so dermaßen durchgeknallt warst. JETZT ist das doch alles anders, nun kannst Du doch mal gesittet und in Maßen…

Meinen Einwand, eventuell auch so durchgeknallt gewesen zu sein, weil ich so dermaßen konsumiert habe, lässt er nicht gelten. Stattdessen wuchert er mit seinen unschlagbaren Argumenten:

Na ja. Wie auch immer. Aber ICH bin auf jeden Fall SCHNELLER als Du mit deiner ganzen so genannten Spiritualität, mit deinem kippeligen Glauben an deine höhere Macht. Und wirkungsvoller, hihi. So schnell, wie meine Rezepte wirken, hilft dir kein Gebet. Garantiert!

Der kleine Arsch weiß schon ziemlich gut zu argumentieren.

Kannst Du dich noch erinnern? Den feinen Kokon, den Du um dich herum hattest. Die Welt war dort, wo sie hingehört, nämlich draußen, außerhalb von Dir. Hast sie sehr angenehm nur wie durch Watte wahrgenommen. Böse Welt! Und wie dünnhäutig Du heute manchmal sein kannst. Wie gesagt, da gibt es noch ganz andere Sachen…früher hattest Du außerdem auch nicht solche Gewissensbisse, wenn Du dich mal so richtig schön Scheiße benommen hast. Warst gut aufgehoben in deinem Elfenbeinturm!

Spätestens jetzt erinnere ich ihn an den Preis, den ich zu zahlen habe, beim befolgen seiner tollen Ratschläge. Unfreiheit und Abhängigkeit. Verlust meiner Würde und Selbstachtung. Ruin von Körper, Geist und Seele. Ich erkläre ihm, das seine Teilwahrheiten mich nicht mehr blenden können, weil ich schlicht nicht mehr bereit bin, den Preis zu entrichten. Dann schweigt mein Mitreisender erst einmal, bis zum nächsten mal. Es ist eine Entscheidung. Meine Entscheidung, nur für heute. Es nimmt kein Ende, einmal süchtig. immer süchtig. Die Stoffe sind frei austauschbar, das Prinzip dahinter stets dasselbe.

Heilung ist unmöglich, Stillstand lebbar.

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*

 

 

14 Gedanken zu „Vom Teufel auf meiner Schulter

      1. howtosurvive1988

        Lieber Reiner

        Mein Name ist Michi und ich bin Alkoholiker!
        Weiss nicht ob Du Dich an mich erinnerst vor etwa 3 Jahren bei Blog.de.
        Hatte Dir kein Wort geglaubt, als Du mir immer und immer wieder sagtest, dass eine Einschränkung des Alkoholkonsums auf Dauer nicht möglich ist.
        Dass nur eine Nulldosis Chancen hat, und wenn möglich der Kontakt zu Menschen, die bereits trocken sind, also die AA.
        Der schwerste Kreislaufzusammenbruch im September letzten Jahres, wo ich erst nach 12 Stunden Bewusstlosigkeit wieder zu mir kam, war der Anlass, dass ich jetzt 6 Monate und 17 Tage trocken bin.
        Funktioniert aber nur mit 0 Alkohol.
        ganz liebe Grüsse aus Wien
        Michi

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        1. Reiner

          Liebe Michi,

          ich kann mich noch gut an dich erinnern 😉 Hast mich damals empört von deiner Kontaktliste geworfen, das hätte ich an deiner Stelle vermutlich auch getan. Wenn ich trinken will, möchte ich so etwas nicht hören 🙂

          Um so mehr freue ich mich, von dir zu lesen, das es dir gut geht! Ja, es ist wirklich bei den allermeisten Betroffenen so wie bei dir und auch bei mir: Das erste Glas stehen lassen und Kontakt zu meines/unseresgleichen suchen. Es ist nur scheinbar ein Widerspruch:

          Du schaffst es nur allein, aber Du allein schaffst es nicht

          Lieben Gruß Dir & gute 24 Stunden!

          PS:
          Hier bin ich auch…
          Deutschsprachiges Länder-Treffen 2016

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  1. holdastern

    Nicht ganz einfach für mich das nachzuvollziehen. Ich denke aber: Du schaffst es! Der Teufel auf deiner Schulter ist in Wirklichkeit nichts als ein elender, nackter Wurm! Bleib stark, das wünsche ich dir. Liebe Grüße, Holda Stern

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  2. sven

    Den kleinen Arsch kenne ich auch nur zu gut. Und er hat nichts mehr zu melden. Leider ist er irgendwie auch eine höhere Macht. Aber ich glaube, ich habe eine noch höhere als den Arsch gefunden. Er bleibt jetzt wo er hin gehört.

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    1. Reiner

      Er ist wohl ein dauerhafter Teil von uns und kann lange schweigen, auf seine nächste Gelegenheit warten. Heute kann ich ihn annehmen, ohne ihm folgen zu müssen, ja.

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  3. Viktor

    Hallo Reiner,
    ich hatte vor kurzer Zeit eine OP mit einer Vollnarkose und erinnere mich noch an die Wirkung des Stoffes. Und obwohl der Trip echt heftig war, werde ich dennoch keine Drogen nehmen. Diese Lügen brauche ich nicht. OK, war zwar noch nie Abhängig und kann daher nicht nachvollziehen wie das ist, es ist aber immer das gleiche Prinzip. Sobald jemand Drogen konsumiert, dazu zählt auch Alkohol, lässt er sich auf die Lügen des von dir erwähnten Etwas ein.

    Also denn, bleib sauber und trocken, 😉 und Finger weg von Alkohol, Drogen, Glücksspiel und …. Frauen. 😆 Der letzte Punkt ist eine Anspielung auf einen früheren Kommentar. 😉

    MfG
    Viktor

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    1. Reiner

      Hallo Viktor,

      kein Nicht-Betroffener kann wirklich nachvollziehen, wie sich das anfühlt,
      dennoch Danke für deine guten Wünsche.

      Gruß Reiner

      PS: Eine Vollnarkose schaltet das Bewusstsein schlicht aus, sie manipuliert nicht.

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  4. gerlintpetrazamonesh

    Oh ja, da gibt es noch ganz andere Sachen… Und man kann alles bekommen. Ich erinnere mich mit einem Schaudern, in das sich durchaus auch etwas Wohliges mischt, an einen Krankenhausunfall nach einem recht herben Unfall – also ohne Fahrradhelm und so wäre ich eher nicht im Krankenhaus gelandet.
    Tilidin hieß das Zeug und ja, dieses Gefühl, das gern mit wolkig – rosaroten Begriffen beschrieben wird… Nichts gegen Medikation in aktuten Phasen. Später, auch aufgrund von Schmerzen, bekam ich es nochmals verschrieben. Es lag bis nach seinem Verfallsdatum brav im Schrank neben anderen, etwas weniger heftigen Sachen, die ich ab und zu auch nahm. Jeder, der mit Sucht zu tun hat, weiß, welche Rolle sie spielten: ich hätte ja nur dazu zu greifen brauchen…Habs aber nicht, hab lieber mal die Schmerzen in Kauf genommen und bin durchaus auf diese meine Standhaftigkeit in diesem einen Punkt stolz.
    Manchmal, ganz recht muß man dem kleinen Teufel einfach sagen, wo’s langgeht. Er schwätzt ja sonst schon genug drein.

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Tilidin bekam mein Vater in den Monaten vor seinem Tod. Niemand muss starke Schmerzen leiden, da bin ich kein Dogmatiker, Suchtpotential hin oder her. Es gibt Zustände, deren Linderung mehr wiegt als das Abhängigkeitspotential. Aber – du hast recht, das gilt nicht für jeden quer sitzenden Furz und schon gar nicht für fluchttechnischen Missbrauch.

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