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Stachel im Fleisch 2

Die 70er Jahre. Während bei Freunden schon Plattenspieler Einzug gehalten hatten (meist so ausrangierte Truhen aus den 50ern, 60ern) , musste ich mich vorerst noch mit einem Kassettenrecorder begnügen. Aufnahmen mit Mikrofon vom Radio und ständig der Ärger mit dem dazwischen-Gequatsche von Mal Sondock. Aber immerhin konnte man die Kratze mit raus nehmen und draußen aufdrehen, das ging.

Um 1972 herum zogen meine Eltern wieder einmal um, ich bekam einen neuen Nachbarn, vielleicht 4 Jahre älter als ich. Der lebte bei seiner allein erziehenden Mutter, hatte einen Plattenspieler sowie einen Bravo-Starschnitt von Suzi Quatro an der Tür, in Lebensgröße. Seine Bude wurde schnell mein zweites Kinderzimmer. Wir konnten ungestört Gary Glitter, Suzi & Co. hören und – rauchen ging auch, da seine Mutter ebenfalls qualmte, so hatte ich eine Ausrede für mein verstunkenes Zeug. Leider hielten diese seligen Zustände nicht all zu lange. Mit 13, glaube ich, nahm mich die Gang des Nachbarn mit zum saufen in den nahe gelegenen Talsperrenwald, was mir nur bedingt gut bekam. Der billige Rotwein aus den Zwei-Liter-Bomben machte mich Bewegungs-unfähig, die Burschen trugen mich aber netterweise noch bis vor die Haustür. Darauf hin fühlten sich meine Eltern verständlicher Weise genötigt, die Notbremse zu ziehen und erteilten mir Kontaktverbot mit dem spannenden Nachbars-Jungen.

Zuhause hielt sich das Verständnis für meinen Musikgeschmack in Grenzen. Poster aufhängen war z.B. nur eingeschränkt möglich. So hielt es Marc Bolan nur einen Nachmittag an der Wand, bis mein Vater ihn Abends entdeckte, entsetzt über mein neues Idol. Ganz konnten sich allerdings selbst meine Eltern nicht dieser Zeit entziehen. Immerhin waren sie damals im so genannten besten Alter von Mitte-Ende Dreißig und es gab ständig irgend etwas zu feiern im Familien-Freundes und Bekanntenkreis, der teils den Segnungen der Pop-Musik aufgeschlossener war. Und auch sonst. Gefeiert und reichlich getrunken wurde friedlich, laut und – lustig. Die tolle Stimmung an diesen Tagen stand im krassen Gegensatz zu der Alltags-Stimmung daheim, die ich damals als eher spannungsgeladen und geschwängert von einer getragenen Ernsthaftigkeit empfand. Ein leichtes Leben hatten die beiden jedenfalls nicht mit einander. Fatal sollten für mich die späteren Folgen dieses steten Wechsels der Stimmungen sein. Musik+saufen=lustig, so einfach schien das.

Anderswo schien die Welt lockerer zu sein. Einer meiner Schulfreunde hatte sein Zimmer ausstaffiert mit tollen ausrangierten Kram seiner Eltern inklusive Musik-Truhe, mit selbst gebastelten Boxen aus unzähligen Breitband-Lautsprechern vom Sperrmüll. Der wohnte damals nicht weit von hier nebenan auf dem Ölberg in einem alten Gründerzeit-Kasten. Wir hatten einigen Spaß mit einander, auch schienen seine Eltern bedeutend lockerer drauf zu sein als meine. Vor einigen Jahren trafen wir uns mal wieder und er versicherte mir, das seine Eltern damals sozusagen einen Schalter umlegten, sobald wer zu Besuch kam und es ansonsten ebenso eher wenig lustig war. Der schöne Schein eben.

Mit 15 war es dann endlich soweit. Ich wurde erhört und bekam die alte, ausrangierte Stereoanlage meines Onkels geschenkt. Tatsächlich habe ich ein Bild von dem Ding im Netz aufgetrieben, ein so genanntes Bolero-Studio von Telefunken, ohne Lautsprecher, was aber nicht weiter tragisch war. Wie man sich auf dem Sperrmüll mit dem Nötigsten versorgte, inklusive der Verdrahterei, das wusste ich ja.

 bolero

Nicht schön, aber laut war das Teil, und ich konnte endlich mein Taschengeld in Schallplatten investieren. Inspiriert vom Musikgeschmack meines Kumpels war meine erste Platte allerdings kein Pop, sondern handfester Psychedelic-Rock  von Pink Floyd. Wir waren begeistert von deren Musik zum Träumen, zum drauf abfahren und auch von dem perfektionistischen Gebaren der Band damals. Erste Eindrücke einer Parallel-Welt taten sich uns auf, eine Flucht, die mich lange begleiten sollte, auch wenn ich damals noch sehr wenig trank und Drogen mir (noch) komplett fremd waren. Die Musik jedenfalls war fantastisch und ist es bis heute geblieben:

 

Fortsetzung

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Stachel im Fleisch 3

1978. Ein Jahr, in dem sich eine ganze Menge änderte, in meinem Leben. Die Schule hatte ich endlich abgeschlossen, mehr schlecht als recht, aber, wenn man so will, schon zielorientiert. Mein einziger Ehrgeiz bestand damals darin, dieses Schüler-Dasein nicht durch sitzen-bleiben zu verlängern, dem entsprechend sah dann auch der Abschluss aus. Einen Beruf galt es zu lernen, meine Traumberufe blieben aufgrund meines herausragenden Abschlusszeugnisses eben Traumberufe. Meinen schlussendlich erlernten Beruf habe ich dann auf anraten meines Vaters gewählt, wofür ich ihm auch heute noch dankbar bin.

Die Lehre. Wir waren damals zu dritt, in unserem Jahrgang. Einen kannte ich aus der Grundschule noch, wir waren mal Nachbarn, wenn auch aus sehr ungleichen Verhältnissen, so mochten wir uns doch. Der andere wohnte sozusagen um die Ecke von mir, wir zwei wurden schnell recht dicke mit einander. In unserem Dorf hatte mein neuer Kumpel eine große Clique, alles ehemalige Messdiener in der erzkatholischen Gemeinde, was ich witzig fand, weil die Jungs eben gar nicht so heilig waren. Im Gegenteil. Wir trafen uns regelmäßig Freitags Abend zum saufen und abrocken, was sich später dann  immer öfter auch mal bis Sonntag Mittag hinzog. Immerhin waren wir ja mittlerweile wer. Unser Lehrlings-Dasein mit bescheidenen Einkünften, die ersten Autos, die ersten Frauengeschichten. Wobei die bei mir zu der Zeit eigentlich so gut wie keine Rolle spielten. Das sollte erst viel später kommen, dann aber umso heftiger.

Mein einziges Ziel bestand damals darin, diesen Beruf zu erlernen, um endlich zuhause abzuhauen. Selbst haushalten, ohne zu wissen, wie und in welche Richtung, Hauptsache raus. Was immerhin mit langsam einsetzenden Ehrgeiz verbunden war. Wenn die Pflicht gerade mal nicht rief, wurde gefeiert, und wir waren in unseren Dorf da alle gleich unterwegs damals. Selbst zuhause wurde mein liederliches Leben toleriert, weil ich ja jetzt arbeiten ging. Und solange Sonntag Mittag Schluss war und ich Montags wieder raus kam, war es meinen Eltern zähneknirschend recht. Das Bild der Gammler und Haschraucher meines Vaters wurde also langsam von mir revidiert. Zum einen der Erkenntnis sei Dank, das man Freiheit, Bier und Fusel auch bezahlen muss, zum anderen zog Haschisch erst zeitversetzt in die Zentren meiner Gier ein.

Zu feiern gab es also einiges. Musikalisch untermalt wurde das, nachdem der Glamrock sein kurzes und grelles Dasein ausgehaucht hatte, von dem erklecklichen Nachlass und für mich neue Töne, Hardrock a la ACDC zunächst und später dann Punk und Metal. Nina Hagen,  Marius Müller-Westernhagen, ab `79 dann auch Jürgen Zeltinger und BAP schepperten aus den Low-End-Anlagen in unseren Buden, wenn uns das Geld für die Kneipe ausgegangen war, was schon zeitig im Monat der Fall war. So langsam fand ich Gefallen an meinem Leben, damals natürlich nicht ahnend, worauf ich mich da einließ. Breit sein war Erlösung und Geschenk zeitgleich und Spaß hatten wir mit einander, so wie später selten wieder.

Altes neu verpackt kam auch sehr gut, und der Dicke ließ uns Köln sehen…

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– Fortsetzung

Stachel im Fleisch 4

1981. Sozusagen über Nacht, nach bestandener Gesellenprüfung, wurden wir zu „Herren“, wie der Betriebsleiter unseres Lehrbetriebes meinte, als er vom trauten Du zum Sie hin wechselte. Meine lang ersehnte Freiheit, oder besser das, was ich mir darunter so vorstellte, damals, rückte immer näher. Im Lehrbetrieb hielt ich es als Geselle noch ein Dreiviertel Jahr aus und fast zeitgleich mit dem Stellenwechsel zog ich im Frühjahr `82 in meine erste, eigene Bude.

Wie also sah sie aus, meine Freiheit? Austoben. Jedes Wochenende war irgend etwas los, ich bewegte mich in von einander sehr verschiedenen Gesellschaften, an manchen Samstagen mehrere hintereinander, wohl überlegt, in welcher Folge. Gras und Dope waren mittlerweile ständige Begleiter geworden, damit meinte ich mich auf den Straßen ganz gut bewegen zu können. Der Ahnungslosigkeit mancher Polizisten damals sei Dank, das mir der Führerschein erhalten blieb. Und meinen Schutzengeln sei Dank, das niemand zumindest körperlich durch meine Art zu leben damals zu Schaden kam. Meist landete ich zum Schluss bei meinen Kumpanen im Dorf, aus dem ich gerade ausgezogen war. Hier konnte ich mir gefahrlos den Rest geben, pennen konnte ich immer irgendwo, friedlich, das hieß, ohne Gefahr zu laufen, sturz-voll auch noch ausgemistet zu werden. Mein Glück damals war, das zwischen den vielen Gleichgesinnten in Sachen Alkohol und Drogen immer wieder auch Menschen waren, die anders lebten. Mit denen sich Freundschaften entwickelten, die zum Teil bis heute halten.

Einerseits kostete ich meine „Freiheit“ also in vollen Zügen aus, exzessiv und gründlich. Die Leine allerdings, an der ich mich geglaubt hatte, war keineswegs zerschnitten, sie wurde nur länger und unsichtbar. Die Worte und Werte von zuhause. Die mir angstbesetzt im Nacken saßen, aber, mal positiv betrachtet, immerhin dazu beitrugen, das mein Leben nicht vollends in Richtung Bohème  driftete.

So ging das in etwa zwei Jahre lang. Bis mich mein Grundschul-Freund und ehemaliger Mit-Lehrling davon überzeugen konnte, mich weiter zu bilden. Uns beide verbanden ansonsten eher gemeinsame, versumpfte Abende und verrückte Aktionen im dichten Schädel, er allerdings schickte sich ernsthaft an, via Studium irgendwann den väterlichen Betrieb zu übernehmen. Ein Studium kam für mich nicht in Frage, so entschied ich mich zu einer berufsbegleitenden Weiterbildung. Vier volle Jahre sollte das dauern, drei Abende die Woche Schule, dazwischen Vorbereitung auf Klausuren, Hausaufgaben. 8-Stunden Job mit gelegentlichen Überstunden, ein Leben aus Tasche und Koffer zwischen Arbeit und Schule. Ehrlicherweise habe ich selbst nicht daran geglaubt, das zu schaffen, aber nachdem das erste Semester herum war, ließ mich das nicht mehr los. Am Anfang waren wir über 30, am Ende noch 14, glaube ich. Wenn ich mir wegen fehlender Zeit mal ein wenig leid tat, erinnerte ich mich an ein paar Schulkollegen, die quasi nebenbei noch Kinder zeugten und Häuser bauten.

Alles war eine Frage der Struktur. Arbeit, Schule, das Recht auf Rausch, auf Betäubung, Belohnung für die Heldentaten. Der Freitag war stets frei gehalten zum intensiven kiffen und saufen, selbst unter der Woche, nach der Schule ging es manchmal noch für ein paar Stunden einen Kumpel besuchen. Kondition hatte ich, wie man sie wohl auch nur in diesen Jahren hat. Dazwischen immer mal wieder ein Stellenwechsel, mal freiwillig, mal gezwungener Weise. Dazu kam noch meine damalige Mitgliedschaft beim technischen Hilfswerk, anstelle Militär. 10 Jahre Verpflichtung, einmal im Monat ging dafür ein Samstag drauf. Wobei nach einer kurzen Schamfrist die Abkürzung THW für mich und meinesgleichen schnell umgedeutet wurde. Trinken-Helfen-Weitertrinken. Ein völlig loser Tag in einem ansonsten Stress-gefüllten und Arbeits-überladenen Monat. Sinn-frei, die wenige Arbeit, die es für uns gab, war meist nach 1, 2 Stunden erledigt und so waren wir morgens um 10 meist schon voll. Ein Tag jenseits von gut und böse also.

Mitten in dieser Zeit lernte ich meine erste, „feste“ Freundin kennen. An dieser Stelle weiter zu schreiben, verursacht mir (immer noch) Unbehagen. Wir zogen aus gegebenen Anlass sehr schnell zusammen, während der ersten zwei Jahre hatte ich ja gute Gründe für die wenige Zeit, die ich für sie hatte. Die Arbeit, die Schule, ja. Nachdem die Schule dann `88 endlich zu Ende gebracht war, fiel ich leider zurück in alte Gewohnheiten in Sachen feste Feiern. Für mein Verhalten damals bekam ich viel später die Rechnung präsentiert, nichts bleibt folgenlos, wenn man solcher Art durch`s Leben geht. Während sie im Grunde nur Geborgenheit und Nähe suchte, forderte ich Verständnis für meine Gier. Absolution wird mir dafür in diesem Leben nicht mehr erteilt.

Damals  jedoch waren mir jede Selbstzweiflel fremd. Anfang der 80er hatten sich nebenan in Düsseldorf die toten Hosen erfunden und nichts beschreibt das Lebensgefühl dieser Zeit besser als das kleine Lied weiter unten. Meinesgleichen gab es einige und obwohl wir rein äußerlich zumindest irgendwo im Leben angekommen waren, ging es an manchen Tagen genau anders herum zu.

Über allem stand in großen Buchstaben: WOFÜR?

Fortsetzung

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Stachel im Fleisch – Intermezzo

Der letzte Eintrag schließt Ende der 80er Jahre. Enttäuscht sind möglicherweise nun wohl eher diejenigen, welche aus den ersten Einträgen auf den Themen-Schwerpunkt Musik / Rock`N Roll geschlossen haben und anstelle dessen nun eine Art Lebensgeschichte mit der Haupt-Thematik Sucht vorfinden. Hier kann ich versichern, das für mich beides schon in gewisser Weise zusammen gehörte, damals zumindest. Heute ist das natürlich anders, sonst könnte ich ohne Durst an keinem Radio vorüber gehen. Musik hat heute für mich den Stellenwert, der ihr zusteht. Den der Unterhaltung, Zerstreuung, Katalysator zum nach- und aufspüren, kanalisieren von Stimmungen hauptsächlich. Schlicht Spaß daran haben, auch, wenn vieles Erinnerung-behaftet bleibt, positiv wie negativ.

Einige Schwierigkeiten gibt es derzeit beim weiter schreiben, den fünften Teil eben, der in die 90er Jahre geht. Ein für mich sehr ereignisreiches Jahrzehnt. Wie fasse ich solche Jahre auf ein paar Seiten zusammen, reduziert auf ein diesem Blog angepasstes Format. Wie den roten Faden behalten und mich eben nicht in zahllosen Details zu verlieren. Selektieren all das, was aus den Tiefen so aufsteigt – was genau davon kann hier preisgegeben werden und was nicht, gerade auch mit Blick auf die Wahrung der Anonymität anderer. Auch, wenn nirgendwo Namen auftauchen – das Bergische Land ist ein etwas größeres, gallisches Dorf und manch geneigter Leser weiß sowieso, wer hier wo gemeint war.

Andere Schwierigkeiten stellen sich hingegen eher nicht. So bin ich weder eine sogenannte Person des öffentlichen Interesses, noch beabsichtigte ich, in diesem Leben weiter führende Karriere zu machen. Weiter wird es also gehen, wie und wann auch immer.

– Fortsetzung- 

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Stachel im Fleisch 5

Die 90er – sie standen zunächst für mich im Zeichen der Sehnsucht und der Sinn-Suche. 1990 lernte ich die Mutter meines Sohnes kennen. Familie, Nähe, Stabilität, einen Sinn machen. Ein „bürgerliches“ Leben, wie man so sagt. Mit regelmäßigen Unterbrechungen durch gekonnt inszenierte Alkohol-Exzesse. Gleichgesinnte Zeitgenossen fanden sich irgendwie immer und es gab ja auch noch die Jungs aus dem Dorf, deren Trinklaune immer noch über jeden Zweifel erhaben war. Regelmäßige Fluchten aus einer Welt, die mir zunehmend eng erschien.

Im Kern sind diese Jahre schnell berichtet. Details spare ich hier aus, mit Rücksicht auf andere Beteiligte. Es konnte nicht wirklich gut gehen – folge deinem Muster, heißt es. Oft habe ich mich gefragt – und bin auch oft gefragt worden, ob meine erste Ehe gehalten hätte, wenn ich nicht getrunken hätte. Eine Frage wie eine Bananenschale, man rutscht schnell darauf aus, weil der Konjunktiv ein glattes Parkett sein kann. Heute weiß ich, zu der Zeit, als die Unterschiede zwischen uns so deutlich wurden, das sie nicht mehr zu übersehen waren, wäre es Zeit gewesen, zu gehen. Aber ich sollte bleiben, lernen, und – meinem Sohn das Leben geben.

Ende `98 kam dann, was kommen sollte: Die Trennung, Auszug in ein Haus unweit unserer alten, gemeinsamen Wohnung. Mit Nachbarn, die mir ähnlich sahen. Viele Allein-Stehende, überwiegend Männer, alle irgendwann mal hart aufgeschlagen im Leben. Und – die meisten von ihnen tranken, beste Gesellschaft also für mich, der ich mich jetzt in meinem Selbstmitleid suhlen konnte und mit Alkohol sowie auch wieder Haschisch haushalten konnte, wie ich wollte. Neben dem exzessiven Trinken und Kiffen trank ich mittlerweile täglich, nach der Uhr, sozusagen. Jeden Abend, meist allein, aber auch in der vorhandenen, passenden Gesellschaft damals.

Fatal war für mich die Erkenntnis, mittels Alkohol und Dope nicht mehr in meine geliebte Parallelwelt gelangen zu können. Es reichte, wenn überhaupt, gerade noch für eine kurze Zeit der scheinbaren Ruhe vor mir selbst, Das einzige, was mir dazu einfiel, war mehr davon, etwas anderes kannte ich ja nicht. Nur war ich mittlerweile fast 38 und keine 20 mehr, mit dementsprechend nachlassender Kondition. Ausgestattet mit einer wund geschossenen Seele, die sich nicht mehr betrügen lassen wollte von Stoff-gebundenen Parallelwelten. Eine Seele, die nach Wahrhaftigkeit schrie und anstelle dessen immer noch zugeschüttet wurde. Am Ende selbst Nachts, trinken gegen die Alpträume.

Grenzbereiche und Nebenkosten der Sucht , wohin ich auch sah. Ein Leben auf der Kippe, mit allen dazu passenden Begleiterscheinungen. Ohne Selbstachtung und ohne Würde, dafür mit der Aussicht auf Verlust der Arbeit, die ich nicht mehr ausfüllen konnte. Eine kranke und selbstzerstörerische Liaison mit einer Medikamenten-abhängigen Frau, deren einziger Sinn wohl darin bestehen sollte, das ich anfing, mich für Therapie-Möglichkeiten zu interessieren. Anfang 2000 dann eine Nacht, in der ich alles in mich hinein fuhr, was vorhanden war. Wein, Wodka, böses niederländisches Gewächshaus-Gras, das mit dem harmlosen Zeug der 80er nichts mehr zu tun hatte. Kreislauf-Kollaps mit eiskaltem Schweiß und einem wie irre schlagenden Herzen. Todes-Angst und kein Gedanke daran, mir Hilfe zu holen.

Hol`mich doch, wenn Du mich haben willst…

Am nächsten Morgen gab es mich immer noch und ich wusste, das war die letzte Warnung. Der da oben hatte mich diese Nacht überleben lassen, verbunden mit der tiefen Gewissheit, das eine Wiederholung die letzte sein könnte. Endlich begann ich ernsthaft, mich für Hilfe zu interessieren. Eine ambulante Therapie konnte beginnen, ich konnte vom trinken lassen, fand den Weg zu den anonymen Alkoholikern, denen ich bis heute in Dankbarkeit verbunden bin. Seit dieser Zeit feiere ich am 28 Februar meinen zweiten Geburtstag, dem Tag, an dem ich zum letzten mal trinken musste.

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Epilog

Stachel im Fleisch – Epilog

Wie hast Du das geschafft? So werde ich manchmal gefragt. Wie bist Du trocken geblieben, nach so langer Zeit? Zu Beginn stand die Entscheidung für das Leben, für mein Leben. Die erste große Kapitulation, die vor meiner Unfähigkeit, mit Alkohol und anderen bewusstseinsverändernden Mitteln umzugehen. Es sollte nicht die letzte Kapitulation sein, aber ziemlich sicher die wichtigste.

Sehr viel Zeit war auf einmal frei geworden. Zeit, die ich bis dahin mit saufen verbracht hatte. Das war die erste große Überraschung, festzustellen, wie viel Zeit ich eigentlich hatte. Eine riesige, nervöse Leere, die irgendwie gefüllt werden wollte. Nächte lang lief der Fernseher durch, bis sich so etwas wie ein geregeltes Leben einstellte, vergingen Monate. Bei den anonymen Alkoholikern hatte ich gelernt, mein Leben in 24-Stunden-Abschnitte einzuteilen. Heute das erste Glas stehen zu lassen. Manchmal habe ich diese an sich überschaubare Zeit von einem Tag sogar noch verkürzt, bis hin zu jetzt nicht. Überhaupt hörte ich dort keine Tiefen-psychologischen Erklärungen für meine Zustände, sondern kurze, schlüssige Weisheiten, die ich sofort verinnerlichen und in mein Leben einbauen konnte. Hab`Geduld mit dir! So hörte ich, und die damit verbundenen Menschen klangen nicht nach Phrasendrescher vom Tresen. Sätze, die gerade in der ersten Zeit unglaublich hilfreich waren, wenn Unruhe, Leere und Nervosität mich umtrieben.

Veränderungen im äußeren Leben standen an. So verließ ich erst einmal die Stadt, eine neue Wohnung, weg von dem mir so vertrauten, klatschnassen Umfeld. Schon nach kurzer Zeit war mir ein Meeting die Woche zu wenig, zeitweise ging ich fast täglich Abends in irgend ein Meeting. Die neuen Freunde taten mir alles in allem sehr gut, mit ihren Erfahrungen und mit ihrer Nähe. Zudem hatte ich das unwahrscheinliche Glück, in meinem damaligen Stamm-Meeting einem ehemaligen Sauf-Kumpan zu begegnen, der den Weg in die Trockenheit schon viele Jahre vor mir geschafft hatte. Dieser Mensch war gerade in meinem ersten Jahr sehr um mich bemüht, wofür ich heute noch dankbar bin.

Viel Zeit habe ich am Anfang damit verbracht, mir mein bisheriges Leben anzuschauen. Erklärungen finden und mich selbst dabei manchmal einfach nur auszuhalten. Meine Scham über einiges, was ich gelebt hatte ebenso wie die Wut auf Menschen, von denen ich glaubte, das sie mir wesentliches vorenthalten hatten. Es sollte lange dauern, bis ich Frieden finden konnte, gerade auch mit meiner Familie. Ohne meine neuen Freunde hätte ich das wahrscheinlich nicht geschafft und wäre ziemlich sicher schnell in alte Muster zurückgefallen. Du schaffst es nicht allein, aber nur Du allein schaffst es. Auch so eine seltsame Weisheit, die mir zunächst ziemlich blöde in den Ohren hing. Es stimmt schon, das Leben leben kann jeder nur für sich, eigenverantwortlich,  aber dennoch in passender Gesellschaft, eben geistige Verwandtschaft, die sich jeder aussuchen kann. Damals wie heute ist das für mich wichtig. Zu Beginn waren es manchmal nur 5 oder 10 Minuten lange Telefon-Gespräche, die mich wieder beruhigten in manchen Zuständen von Unsicherheit, Angst und Unruhe. Mich selbst auszuhalten sollte ich erst mühsam lernen.

Langsam kamen neue Eindrücke, neue, Erfahrungen in mein Leben. Ein unwahrscheinlich starkes Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, verbunden mit einer großen Neugier auf alles mögliche, was es zu entdecken galt. Noch einmal trocken Orte der Vergangenheit aufsuchen, verbunden mit der Freiheit, gehen zu können, wann es mir beliebte. Eben ohne den Rausch mit einplanen zu müssen, nicht mehr Auto fahren zu können, nicht mehr Herr meines Geistes zu sein, mit allen damit verbundenen Zu- und Umständen. Vieles glich gerade in den ersten Jahren einem Ausschlussverfahren, Versuch und Irrtum, das, was mir gut tat, sollte bleiben. So eine Art interaktives Annähern an dem, was zu mir passen sollte, ein Prinzip, was sich in allen möglichen Aktivitäten ausdrückte wie Musik, Vorlesungen, Ausflüge, VHS-Seminare oder die Beschäftigung mit Religion, mit dem, was Spiritualität genannt wird. Selbst mein Verhältnis zum anderen Geschlecht sollte nach diesem Muster verlaufen, aber das ist eine Geschichte für sich.

Langsam lernte ich, Vertrauen zu fassen. Zu glauben an eine Sinn, der mich hatte überleben lassen. mich allmählich geborgen und getragen zu fühlen von einer Macht, größer als ich selbst. Von Gott, wie ich ihn verstehe, und das ist nicht die strafende Urgewalt früherer Zeiten, der jedem das seine zukommen lässt, sondern einer der mich liebt, so wie ich bin. Der mich lernen ließ, das Leben anzunehmen und bei aller zeitweisen Schwere das Lachen und die Freude am Leben wieder zu entdecken.

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Jeder kennt einen oder kennt einen, der einen kennt, der zuviel trinkt. Manchmal handelt es sich dabei sogar um ein und die selbe Person 😉 All denen möchte ich an dieser Stelle Mut machen, Mut auf ein neues Leben ohne Bewusstseins-verändernden Mittel, auf ein Leben abseits der mit der Sucht verbundenen „Nebenkosten“. Mut, sich Hilfe zu holen in irgend einer Gemeinschaft, die Auswahl ist groß geworden hier. Anonyme Alkoholiker, der Kreuzbund, das blaue Kreuz, zahlreiche Freundeskreise Suchthilfe bieten umfangreiche Angebote.

 

So Titel

Ich darf das, ich habe dieses oder jenes oder zugleich von mehreren etwas.

Das sind so Sätze, die ich heute nur noch schwer hören kann. Wenn Menschen sich hinter ihren verordneten Titeln zurückziehen und meinen, sie dürften sich daraufhin einiges erlauben. Nicht, das ich die Vergabe eben solcher Titel grundsätzlich in Frage stelle. Krankheitsbilder im Sinne der Schulmedizin brauchen halt ihren Namen, zwecks Kategorisierung, Therapie und Medikation, die viel zu oft aus Kostengründen anstelle einer wirklich weiter helfenden Therapie steht.

Wo aber liegen die Grenzen in dieser großen Grauzone zwischen handfesten Charaktermängeln und bekannten Krankheitsbildern? Was genau ist ein grundlegender Charakterzug und was ist krank? Wo oft genug der Schulmedizin nach das eine Teil des anderen ist. Es macht mich heute wütend, wenn manche Menschen es sich so einfach machen. Ich darf das, weil… Freifahrtschein, hurra. Rückzug hinter`s Krankheitsbild, und passt bloß auf, wie ihr mit mir umgeht.

Selbst habe ich auch so meine Titel, mit denen ich gelernt habe, zu leben. Die ich bewusst nicht einsetze, um mich zu rechtfertigen oder mir Vorteile zu verschaffen. Das könnte mir gefährlich werden. Vielleicht zieht das ja mal wer in Zweifel und vielleicht macht mir das dann auch noch etwas aus, gerade, wenn ich mir von der Welt einen Bonus erhoffe. Dann könnte ich mich genötigt sehen, der Welt zu beweisen, wie recht ich habe. Den Preis dafür muss ich allerdings selbst zahlen. Das erledigt die Welt leider nicht für mich. Einen eindeutig zu hohen Preis, meine körperlich-, geistig-seelische Gesundheit eben.

Anders ausgedrückt könnten die Geister, die ich selbst herauf beschwöre, bloß, weil sie mir vertraut sind, irgendwann ihr Eigenleben führen. Da leiste ich mir lieber manchmal besagte Wut und bin dankbar, wieder an solche Stolperfallen erinnert zu werden.

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Armin`s Katze

Paulchen hieß sie, die Katze Armin`s. Eine Weile habe ich überlegt, ob ich den unzähligen Katzen-Geschichten im Web noch eine weitere hinzu fügen soll, aber diese hier berührt mich aus gewissen Gründen auch persönlich. Zwar haben wir selbst Katzen, uns ist also wenig fremd von den Eigenheiten dieser Tiere, aber darum geht es bei Paulchen nicht. Darum also, die Geschichte ist selbsterklärend, sozusagen…

Armin war weiß Gott nicht immer der liebenswerte Mensch, der er heute ist. Vor langen Jahren soff er wie ein Loch, leider mit allen dazu gehörenden Begleiterscheinungen. An so einem total versumpften Abend kommt Armin also sturzvoll heim, mit ihm noch einige Taschen voller Lebensmittel. Er schafft es noch irgendwie durch`s Treppenhaus in seine Wohnung, verliert dann aber in der Küche die Orientierung, Kraft und Sinne machen sich rar, kurzum, er fällt stumpf um und schläft umgehend auf dem Küchenboden liegend ein.

Irgendwann in den frühen Morgenstunden wacht er auf, in einem fürchterlichen Zustand. Der mittlerweile gesunkene Alkoholpegel sorgt für blank liegende Nerven, die übliche Begleitmusik, wenn ein Rausch sich verflüchtigt. Paulchen hat derweil die Gunst der Stunde genutzt. Hungrig, wie sie ist, hat sie sich die umherliegenden Einkaufstaschen vorgenommen. Als Armin die Augen aufschlägt, bietet sich ihm also ein Bild, ähnlich dem eines frühzeitigen Opferfestes. Er liegt in der Mitte der geräumigen Küche, um ihn herum verteilt recht gleichmäßig in einem fast sauberen Kreis aufgerissene Wurst- und Käse-Packungen sowie deren angefressener Inhalt. Armin`s Zustand lässt keine Einblicke in die wahren Ursachen die Lage zu, blind vor Wut greift er sich das arme Paulchen und wirft das bedauerenswerte Geschöpf in die nächstbeste Ecke.

Seitdem humpelt Paulchen.

In den folgenden Tagen und Wochen wird Armin von einem mehr als schlechten Gewissen geplagt. Was bist Du doch für ein Drecksack, denkt er reumütig und versinkt in Schuldgefühlen, sich derart an einem wehrlosen Geschöpf vergriffen zu haben. Bemüht, diesen entsetzlichen Ausbruch wieder gut zu machen, bringt er Paulchen darum alle möglichen Leckereien mit, die sie über alles liebt. Sie nimmt das alles mit gut gespielten Gleichmut an, allein das Humpeln will absolut nicht besser werden.

Das geht eine ganze Weile so, bis irgendwann Armin`s Tag sehr lang wird. Er kommt spät heim und ruft sofort nach dem Paulchen, das mittlerweile ziemlichen Kohldampf schiebt. Paulchen, Leckerchen! So schallt es durch die Wohnung und, was soll ich sagen, Paulchen kommt hungrig, wie sie ist, angerannt, vom Humpeln keine Spur. Bis sie Armin sieht, sofort ändert sich ihr Schritt und umgehend verfällt sie in`s bekannte Humpeln, damit auch ja die liebevolle Behandlung der letzten Zeit ihre Fortsetzung findet.

Mir ist nicht überliefert, wie genau die Geschichte ihre Fortsetzung fand. Vermutlich wird Paulchen irgendwann erkannt haben, das es ihr auch ohne das lästige Schauspiel gut gehen kann, wenn nur Armin Herr seiner Sinne ist. Ziemlich sicher wird sie auch gelernt haben, seine Zustände künftig gut zu analysieren und sich von ihm fern zu halten, wenn er wieder mal ähnlich unterwegs gewesen sein sollte wie an diesem verhängnisvollen Abend.

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Erschreckend menschlich erscheint mir das Paulchen in dieser Geschichte, zeigt sich doch mit ihren Verhalten deutlich, das Alkoholismus stets auch eine Familienkrankheit ist. Das ganze, kranke Spiel, bei dem alle mitspielen. Suchtbedingtes Fehlverhalten, Leid, schlechtes Gewissen auf der einen Seite. Die andere Seite spielt gut mit, findet Bestätigung und Erhöhung durch die gewonnene Macht aus dem schlechten Gewissen und der vermeintlichen Ohnmacht des anderen. Solange, bis jemand das Spielfeld verlässt. Sei es durch Einsicht oder Tod.

Was mir bleibt, ist Dankbarkeit, heute anders leben zu dürfen…