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Angekommen

Der Navi sagt, wir sind da und ich schaue mich um, wo denn zu parken wäre, die übliche Orientierung halt. Es regnet in Strömen und Kies knirscht unten den Rädern, ich fahre auf einem kleinen Parkplatz. Ein groß gewachsener Kerl kommt uns entgegen und hält mich schon von weitem fest im Blick.

Kenne ich, denkt es in mir, bist schließlich auf`m Dorf. Dörfler ticken anders als Städter, beim Anblick von Fremden. Im bergischen Land, also mehr weiter draußen hinter den dunklen Wupperbergen auf den einsamen Bergrücken, da kann es einem Fremden durchaus passieren, dass erst einmal eine Ladung Schrot losgeht und dann nach des Besuchers Begehr gefragt wird. Gerade nach Einbruch der Dunkelheit, wobei allerdings auch das Tageslich keine Gewähr für Unversehrtheit ist.

Bevor meine Phantasie endgültig mit mir durchgeht, beende ich die mittelalterlichen Schlachten in meinem Kopf, kurbele die Scheibe herunter und gehe gesittet in den Dialog. Ob er mir helfen könne, fragt er mit dunkler, gestrenger Stimme. Ja, sage ich, ich suche den Eingang zu der Kneipe hier. Immer noch fest im Blickkontakt tönt es mir entgegen: Lassen Sie den Wagen hier stehen und folgen Sie mir, der Eingang ist um die Ecke, aber es gibt wegen dem Regen heute eine Abkürzung. Ich bin im übrigen ihr Pensionswirt. Mit Betonung auf Pension.

„Landcafe“ stand irgendwo auf einem Schild, die Liebste hat die Unterkunft klar gemacht. Der gestrenge Pensionswirt entpuppt sich als recht umgänglich, das Bergische lässt grüßen, denkt es wieder irgendwo weiter hinten im Kopf. Wir lassen uns einweisen in die Lokalität und der nicht mehr ganz so Gestrenge zeigt uns den Aufenthaltsraum. Hier, sagt er und zeigt auf ein Kühlfach hinter dem Tresen, weil Sie gerade von Kneipe sprachen – da sind Getränke, wenn Sie des Abends Durst bekommen, bedienen Sie sich und schreiben alles auf dem Block da. Brauche ich nicht wegen jedem Bier extra hier rüber kommen.

Wenn der wüsste, denke ich. Weiß er aber nicht, er muss auch nicht wissen, dass ich wegen meiner Vergesslichkeit, das Aufhören betreffend, lieber keinen Alkohol trinke. Lieber bedanke ich mich artig und bitte um Verständnis für meine Wortwahl – manche Worte sind halt schneller als andere…

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Am See

Ein Zeltplatz, sehr schön gelegen an einem Bergsee irgendwo in Österreich. Er liebt das zelten mit den Eltern, die hier einiges anders sind als daheim. Weniger nervös und angespannt im Umgang miteinander, sie lassen ihm auch viel mehr Freiheiten als daheim. Kinder sind reichlich dort, auch in seinem Alter, also um die 8 oder 9 Lebensjahre vielleicht. Mal gibt es Tagesausflüge mit den Eltern, aber die meiste Zeit sind sie am See.

Daheim hat er kaum Freunde, dem kleinen Jungen fällt es sehr schwer, auf andere zu zugehen. Beim Camping ist das irgendwie alles anders, schnell findet er Kontakt mit den anderen Kindern am Platz. Dieses Jahr ist es allerdings wieder anders als in den Jahren zuvor. Ein paar Wohnwagen weiter campiert eine Familie mit einem Mädchen in seinem Alter, ebenso augenscheinlich ohne Geschwister. Die beiden finden schnell zueinander und verbringen ihre gesamte „freie“, also elternlose Zeit gemeinsam. Sei es mit gemeinsamen kleinen Ausflügen auf der bergwärts gelegenen Alm, die man so fein herunter rollen kann oder sei es direkt am Wasser, wo man am Ufer zwischen den Bäumen so herrlich spielen kann. Sie sind unzertrennlich, jeden Morgen nach dem Frühstück treffen sie sich, und selbst des Abends sind sie bis zum Anbruch der Dunkelheit noch für sich, derweil die Alten ebenso zusammen hocken, bei Kartenspiel, Grill und vielen Geschichten.

Es kommt, wie es kommen muss. Das Ende der Urlaubszeit naht und die Heimreise steht an. Es fließen Ströme von Tränen auf beiden Seiten und dann kehrt ein jeder dorthin zurück, wo er sich zuhause nennt. Der kleine Junge trauert noch ein Weile und „vergisst“ dann dieses schöne Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Zuneigung und Freundschaft. Er schaut die beiden, die ihm sein späteres Bild von Mann und Frau vorleben, lernt von den beiden, lernt früh, sie zu fürchten, später dann zu verachten, manchmal auch zu hassen und sehr viel später dann, zu vergeben.

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Gefühle können nicht vergessen werden, weiß der damalige kleine Junge heute. Sie sinken herab und schlafen nur, dringen nicht mehr in dem Bereich des Lebens, den wir Bewusstsein nennen. Sie lassen Menschen suchen, mitunter süchtig werden und die abenteuerlichsten Irrwege gehen, die furchtbarsten Verwechselungen durchleben, um vielleicht irgendwann wieder überraschend an`s Licht kommen zu dürfen.

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Besuch

Da kommt ein Mensch zu uns. Wir reden und essen ein wenig, eigentlich kenne ich ihn nicht. Die Liebste kennt ihn schon näher. Ich mag ihn, obgleich sein Vater nur ein paar Jahre älter ist als wir. Dieser Mensch spricht nicht viel, strahlt aber aus. Er hat etwas, was ich kenne. Antennen. Früher nannte man das eher medial veranlagt, heute hat die moderne Psychologie sicher passende Fachbegriffe.

Wie auch immer. Antennen eben. Gespür, Einen sechsten Sinn. Gefühl für Signale, etwas, was leider viel zu oft mit dem Unvermögen verbunden ist, zu differenzieren und / oder sich zu schützen. Was die Nerven strapaziert und Folgen hat. In meinem Fall eine fette Sucht-Struktur, mit der ich mir meinen künstlichen Kokon geschaffen habe.

Gemeinsames Interesse mit diesem besagten Menschen ist die Musik. Wir waren auch schon einmal bei ihm und ich bin in seinem CD- und Plattenschrank versunken. Gestern also ließ er ein Gastgeschenk hier, sozusagen. Eine CD, die ich mir kopieren durfte. Blues-Rock, wie ich ihn schon lange nicht gehört habe.

Vom feinsten, eine knappe Viertelstunde, die sich lohnt.
Wer sich die Zeit nehmen möchte – wünsche Gänsehaut beim hören.

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Piccolo

Nicht, das ich sie wirklich sehen könnte, sie sitzt im Zug schräg vor mir. Es dämmert, und die Zugscheiben geben Spiegelbilder frei, die sich mit dem Blick durch den schmalen Spalt zwischen den Sitzen zu einem etwas größeren Bildausschnitt ergänzen.

Gepflegt wirkt sie, deren Alter schwer zu schätzen ist. Sauber und modisch gekleidet verbringt sie viel Zeit während der Reise mit ihren Fingernägeln, die über einem sorgsam ausgebreiteten Tuch akkurat gefeilt werden. Sie ist sehr schlank, so das ihr leicht gedunsenes Gesicht nicht recht zu ihrer Figur passen will. Zunächst spüre ich nur, das sie schwitzt, obwohl es im Abteil eher kühl ist.

Sie ist routiniert. Die Flasche steckt verschämt hinter einer Zeitung im Gepäcknetz der Sitzlehne. Sie hat zwei Handtaschen, eine ganz unverdächtige typische Damenhandtasche sowie eine zweite, die problemlos als Beautycase durchgeht, modisch anzuschauen. Das ist ihr Depot, sie ist meisterlich in der Kunst, fast geräuschlos eine leere Flasche gegen eine volle zu tauschen. Regelmäßig nimmt sie einen Schluck, nach einem genau festgelegten Zeitplan. Einem Zeitplan, den ihre Besatzer vorgeben, jene stillen Machthaber, die bei körperlicher Gewöhnung an Alkohol den Takt vorgeben. Der Spiegel will gehalten werden, ohne dem das Leben zur Hölle wird.

So, wie alles einem genau festgelegtem Plan zu folgen scheint. Immer wieder der Whatsapp-Check auf dem Smartphon, wieder Maniküre, wieder ein kleiner Schluck. Nur ein Telefonat, offensichtlich mit einem Kind, unterbricht die Routine, ebenso ein kurzes Nickerchen mit den gefalteten, makellosen Händen.

Gern hätte ich mit ihr gesprochen, wohl wissend, wie fruchtlos solche Gespräche in der Regel verlaufen. Hätte ihr gerne von mir erzählt, von dem nassen Säufer, der ich einst war. Der zum Ende hin auch beinahe den unheimlichen Machthabern zum Opfer gefallen wäre, die bei Nichtbeachtung Schweißausbrüche und lose flatternde Nervenenden produzieren.

Was bleibt, ist die Gewissheit, das jeder Mensch seinen eigenen Zeitplan Gottes in sich trägt. Als wir aussteigen, bleibt sie sitzen. Fast schon symbolisch. Viele steigen nie aus, gehen diesen Weg bis zum Ende. Was mir bleibt, ist tiefe Dankbarkeit, anders leben zu dürfen einerseits sowie die Bitte an unseren Schöpfer, ihr beim aussteigen behilflich sein zu können.

Falls es sein Wille ist.

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Alte Bilder

Manche Sachen liegen über ein Vierteljahrhundert in Schränken umher, um dann, warum auch immer, hervorgeholt und gesichtet zu werden. So auch dieses Bildchen weiter unten, welches mir vom Eigentümer netterweise zugeschickt wurde.

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Beim Betrachten spult sich ein ganzer Film vor mir ab. 1990 – irgendwann im Sommer vermutlich. Seit 2 Jahren war meine vierjährige Weiterbildung beendet und ich eierte sehr planlos durch mein Leben.

Geliebt habe ich den Maurerporsche auf dem Bild, ein Ford Capri V6 – 2,0 mit satten 90 PS und altbackenem 3-Stufen-Automatikgetriebe, Stadtverbrauch dank Doppelvergaser-Anlage um die 11 Liter, für damals schon nicht übel. Mein Outfit war dem entsprechend, der Nimbus wollte schließlich gepflegt werden. Passend zum Fahrzeug gab es ein paar Fransen-besetzte Wildleder-Boots, von denen zumindest der linke bei schönem Wetter auch schon mal aus dem Fenster hing, dank Automatik-Schaltung kein Problem. Einen Fuchsschwanz gab es übrigens nicht, das habe ich bewußt (Welch ein Wort in dem Zusammenhang!) der Manta-Fraktion überlassen. Dafür schepperten ZZ-TOP und ähnliches aus dem Low-End Blaupunkt Kassetten-Deck.

Die Zeit damals war rückblickend für mich geprägt von Selbstüberschätzung, Planlosigkeit, Überheblichkeit, ein Zustand sehr weit von mir weg, aus heutiger Sicht. Die Woche war gefüllt mit Arbeit, die Wochenenden mit irgendwelchen Partys, wo ordentlich gesoffen und zumindest meinerseits auch gekifft wurde, sehr zum Leidwesen meiner Mitbewohnerin, die dem machtlos gegenüber stand. Immerhin hatte ich damals noch 10 Jahre Alkohol und Dope vor mir, oder, anders gerechnet, 12 Jahre hinter mir. Sozusagen mittendrin. Mein zweites Wohnzimmer damals war das Deja-Vu in Remscheid, welches sich kurz zuvor erfunden hatte und das es wundersamer Weise heute noch gibt. Zwei Brüder, die mit dem neuen Laden kräftig das sagenhafte Remscheider Nachtleben durcheinander brachten und meinesgleichen mit Flensburger, Tequilla und Rock`N Roll versorgten.

Wenige Monate später sollte mein Leben kräftig durchgeschüttelt werden, wovon ich in dem Sommer noch keine Ahnung hatte. Wie weiter oben schon beschrieben, beschränkte sich mein damaliger Bewußtheitsgrad auf gewisse Äußerlichkeiten. Vorläufig war ich mir meiner selbst noch sehr sicher.

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Billard im Kopf

Mutter hol mich vonne Zeche, ich kann dat Schwarze nich mehr sehn…

So las ich kürzlich in einem Kommentar. Manche Worte nisten sich in irgend einem Winkel meines Hirns ein, um da einen Moment zu pausieren, bevor sie sich wieder auf dem Weg machen, in eine gänzlich andere Richtung. Ähnlich vielleicht einem Über-Bande-Spiel beim Billard.

Schwarz, Kohle, Koks, Mutter, Falco…hmm….

Das muss so um 1985 herum gewesen sein. Damals gab es eine Damen-Bekanntschaft aus dem Milieu, die für eine sehr kurze Zeit eine Bereicherung in meinem ahnungslosen Leben darstellte. Sie wiederum machte mich ihrerseits  bekannt mit einem ihrer damaligen Begleiter, einem weißen Pulver.

Zu dieser Zeit gab es einen Kumpan, mit dem ich sehr gerne auf Reisen ging, in die Parallel-Welt, gleich nebenan. Wir hatten altersgemäß eine tolle Kondition und schon öfter mal Grenzen ausgelotet, was den unsachgemäßen Gebrauch von Alkohol und Dope anging. Nun sollte also dieses Pulver noch hinzu kommen.

Es war ein Abend, die mir gut in Erinnerung geblieben sind. Zunächst war das weiße Pulver am Start. Für meine an groben Stoff gewöhnte Seele war das etwas völlig neues. Ich war hellwach, konnte angstfrei reden und denken (!) zeitgleich, ohne die damals übliche Unsicherheit. Ungläubig ob dieser wundersamen Wandlung, mein Kumpel muss das wohl ähnlich erfahren haben, taten wir unser Bestes, die vertraute Sedierung wiederherzustellen. Es folgten derartige Mengen Brandy, Haschisch, und Rock `N Roll, bis wir uns endlich zur Frühstückszeit auf allen Vieren fortbewegen konnten. Primaten unter sich, gewissermaßen.

Ich brauchte fast eine Woche, um danach wieder halbwegs bei mir selbst anzukommen. Die Dame verschwand ebenso schnell wieder aus meinem Leben, wie sie gekommen war, und mit ihr das weiße Pulver. Ein Glück für mich. Wie ich überhaupt ein Glückskind bin, oder, anders ausgedrückt, gut beschützt worden bin. So bin ich nie im Knast gelandet oder in einer entsprechenden Klinik. Die Wirkung des Pulvers und natürlich auch dessen Preis haben mich so erschrocken, das ich nicht daran kleben blieb.

Frei denken und reden lernen sollte noch eine beträchtliche Zeit dauern, ohne Pulver.

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Nachspüren & sacken lassen

Das deutschsprachige Ländertreffen der anonymen Alkoholiker DLT 2016 in Bremen ist vorbei. Es war für mich das dritte große Treffen dieser Art, nach Augsburg vor zwei Jahren und wiederum Bremen vor 10 Jahren. Den Tag heute habe ich mir frei gehalten, um die vielen Eindrücke noch einmal Revue passieren zu lassen, bevor der Alltag mich wieder in seine Fänge hat.

So viele Menschen. Über 3200 Einschreibungen gab es diese Jahr, davon knapp 1000 Familien-Angehörige der ALANON-Gruppen – der „Rest“ betroffene Suchtkranke wie ich. Alle gemeinsam auf dem Eröffnung- und Abschluss-Meeting und in sehr großen Gruppen in den zahlreichen Themen-gebundenen Meetings. Wenn man wie ich und viele andere nur „kleine“ Gruppen von vielleicht bis zu 15, 20 Freunden kennt, ist es schon sehr bewegend, ein Meeting mir mehreren 100 Freunden gemeinsam zu teilen.

Zwei davon habe ich am Samstag besucht. Das Eine hatte den Themen-Schwerpunkt Angst und Depressionen als „Nebenwirkung“ des Alkoholismus. Anfangs hatte ich mit dem Wort Nebenwirkung meine Schwierigkeiten, war mein Leben doch solange ich denken kann, von Ängsten geprägt. Der Stoff hat mir lange Jahre eine Art Parallelwelt erschaffen, in der ich mich scheinbar angstfrei und meiner selbst etwas sicherer bewegen konnte. Rückblickend kann ich sagen, das meine persönliche Nebenwirkung darin bestand, mich nicht mit meinen Ängsten auseinandersetzen zu können und einen Weg in Richtung Heilung, Frieden finden zu können. Was immer nur platt geschlagen wird, löst sich eben nicht. Erst mit Beginn meiner Trockenheit konnte daran etwas ändern, mit viel Geduld (mit mir selbst – oft sehr schwer) und Beharrlichkeit bin ich seitdem auf einem guten Weg.

Das andere Meeting hatte den Themen-Schwerpunkt Glaube und Spiritualität. Das wichtigste für mich war und ist die Erkenntnis, das ich mit meinem dicken Ego eben nicht der Herr der Dinge bin, das ich seit dem letzten Rausch einen mich liebenden Gott als übergeordnete Instanz anerkennen darf. Das ist ein roter Lebens-Faden, den sehr viele andere Betroffene ebenso finden durften. Mein Wille und SEIN Wille, die Macht des elften Schrittes trägt mich bis heute, für heute:

Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewusste Verbindung zu Gott – wie wir Ihn verstanden – zu vertiefen. Wir baten Ihn nur, uns Seinen Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben, ihn auszuführen.

Es hat mich unglaublich bewegt, bei diesen beiden Meetings die Erfahrungen der anderen Freunde teilen zu dürfen. Wie lange Zeit habe ich alles mögliche ausschließlich mit mir selbst ausmachen müssen, oft genug erfolglos und mit dem latenten dumpfen Gefühl, nicht alle Latten am Zaun zu haben 😉 Heute bin ich dankbar, „anders“ sein zu dürfen, mit alledem, was zu mir gehört.

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PS: Bremen ist auch sonst eine Reise wert. Eine sehr schöne Altstadt mit dem niedlichen Schnoor-Viertel. Leider kam ich nicht ausgiebig zum fotografieren, beim nächsten mal bringe ich mehr Zeit mit.

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Vom Teufel auf meiner Schulter

Vor gut einer Woche waren wir Gäste bei der Hochzeit eines Anverwandten. Dummerweise war ich genau zu dieser Zeit grippig, jedenfalls stark erkältet. Am Donnerstag reisten wir an, des Abends sitzen wir in einer, in der Pizzeria des Dorfes, in dem wir untergebracht waren. Mein Zustand lässt sehr zu wünschen übrig. Jemand schiebt mit zwei Tabletten herüber, französische Paracetamol. Hier sei erwähnt, ich nehme normalerweise keine Schmerzmittel, damit ich mitbekomme, was mit mir los ist. Heute mache ich eine Ausnahme, angesichts des zu erwartenden Stress. So werden die 1000mg mit Wasser herunter gespült.

Ich verabschiede mich vorzeitig und ziehe mich in die Unterkunft zurück. Die Tür muss ich auflassen, derweil wir nur einen Schlüssel haben und die Liebste sonst nicht herein kommt. Schnell komme ich in den Schlaf. Stunden später werde ich wach und wundere mich, das die Liebste neben mir liegt. Nichts habe ich gehört, was total untypisch ist, derweil ich normalerweise einen sehr leichten Schlaf habe, nicht gut durchschlafe und öfter wach werde.

Auf meiner Schulter sitzt ein kleiner Teufel. Sofort fängt der an zu flüstern:
Siehst du, geht doch mit dem schlafen. Da gibt es noch ganz andere Sachen…

Mit dem kleinen Kerl habe ich mich insofern arrangiert, das ich ihn hinnehme und ihn nicht mehr verhauen möchte. Nützt auch nichts, der taucht nur kurz ab, um sich kurz darauf in alter Frische wieder zu melden. Also darf er dort sitzen bleiben, da er ja nun mal offensichtlich zu mir gehört, hartnäckig, wie er ist. Was nicht zwangsläufig heißt, das ich auf ihn höre. Er versucht es immer wieder, und er macht das ziemlich gut:

Komm`schon, gib`s doch zu. Du hast doch damals nur so dreingehauen, weil Du emotional so dermaßen durchgeknallt warst. JETZT ist das doch alles anders, nun kannst Du doch mal gesittet und in Maßen…

Meinen Einwand, eventuell auch so durchgeknallt gewesen zu sein, weil ich so dermaßen konsumiert habe, lässt er nicht gelten. Stattdessen wuchert er mit seinen unschlagbaren Argumenten:

Na ja. Wie auch immer. Aber ICH bin auf jeden Fall SCHNELLER als Du mit deiner ganzen so genannten Spiritualität, mit deinem kippeligen Glauben an deine höhere Macht. Und wirkungsvoller, hihi. So schnell, wie meine Rezepte wirken, hilft dir kein Gebet. Garantiert!

Der kleine Arsch weiß schon ziemlich gut zu argumentieren.

Kannst Du dich noch erinnern? Den feinen Kokon, den Du um dich herum hattest. Die Welt war dort, wo sie hingehört, nämlich draußen, außerhalb von Dir. Hast sie sehr angenehm nur wie durch Watte wahrgenommen. Böse Welt! Und wie dünnhäutig Du heute manchmal sein kannst. Wie gesagt, da gibt es noch ganz andere Sachen…früher hattest Du außerdem auch nicht solche Gewissensbisse, wenn Du dich mal so richtig schön Scheiße benommen hast. Warst gut aufgehoben in deinem Elfenbeinturm!

Spätestens jetzt erinnere ich ihn an den Preis, den ich zu zahlen habe, beim befolgen seiner tollen Ratschläge. Unfreiheit und Abhängigkeit. Verlust meiner Würde und Selbstachtung. Ruin von Körper, Geist und Seele. Ich erkläre ihm, das seine Teilwahrheiten mich nicht mehr blenden können, weil ich schlicht nicht mehr bereit bin, den Preis zu entrichten. Dann schweigt mein Mitreisender erst einmal, bis zum nächsten mal. Es ist eine Entscheidung. Meine Entscheidung, nur für heute. Es nimmt kein Ende, einmal süchtig. immer süchtig. Die Stoffe sind frei austauschbar, das Prinzip dahinter stets dasselbe.

Heilung ist unmöglich, Stillstand lebbar.

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*

 

 

Matrix

Jahrzehnte dauerte es
für das Kind, das gern verglichen wurde.
von jenen, die ein schönes Bild brauchten.

Bis zur Erkenntnis,
Ich bin nicht Du.

Zwischenzeitliche Fluchten vor dem Ich
in mancherlei Unmaß.
Gier trat dem Flüchtling noch hinterher,
der keine Chance hatte gegen das große Fass ohne Boden.

Leistung lässt sich ebenso trinken wie starker Wein,
so entstand ein Bild für sie,
Ein übermaltes Ich.

Darunter
laute Parallelwelten.
Angst.

Der König kam nur am Wochenende
mal kurz zu Besuch,
aufgebläht, mit großen Gefolge,
um Sonntag Abend den Knecht wieder allein zu lassen.

Bis er dann immer seltener kam,
meist allein.
Mit zerrissenem Rock,
ohne jedes Zeichen der Würde.
Krone und Zepter versetzt.

Irgendwann blieb er ganz aus,
ließ den blutenden Knecht allein.
Der schrie und litt,
bis er endlich bitten konnte.

Erst dann
durfte er sich auf die Suche machen,
nach seinem König.

Bekam Führung.
Fand den Zerlumpten.
Durfte sich mit ihm versöhnen.

Sie schworen sich,
einander nie wieder allein zu lassen.

Konnten beste Freunde werden,
Krone und Zepter auslösen gehen.
Ferne Länder bereisen.

Durch tiefe Täler
über schwindelige Höhen.
Regen und Sonne fühlen.
Sterne zählen.
Ehrfurcht  und Staunen lernen.
Gefährten finden.

Das Bild?

Konnte ihnen zurück gegeben werden,
jenen, denen es einst so wichtig war.
Nicht wie zu vermuten
durch`s Fenster geworfen,
sondern achtsam, aber bestimmt überreicht.

Alles nur
mit einer Bitte.

 

 

 

Stachel im Fleisch 1

Es war irgendwann um 1968 herum, kurz vor oder nach meiner Einschulung. Die Stimme mit dem grünen Auge hatte gerade das Wohnzimmer verlassen müssen, das erste Transistor- Radio hatte Einzug gehalten. Meist lief Radio Luxemburg, was oft mit diversen Antennen-technischen Geduldprüfungen einher ging, da die Radio-Wellen nur schlapp bei uns im Tal ankamen. Radio Luxemburg hatte damals noch nicht den asigen Ruf von heute, sondern war eine gefragte Alternative zu den stinklangweiligen öffentlich-rechtlichen Sendern, von wenigen Ausnahmen dort mal abgesehen.

War mein Vater nicht da, lief die Kiste durch. In seiner Anwesenheit allerdings wurde der ganze neumodische Kram erst einmal aus- oder runter gedreht. Die Töne, die mir so sympathisch waren, in ihrem Kontrast zu den von meinem Vater so geliebten Heimat-Schnulzen und dümmlichen Schlagern. Pop-Musik eben oder in der Königs-Klasse Rock`N Roll.

Damals wusste ich natürlich nicht von solchen Band`s wie The Who oder den Stones. Von Woodstock schon gar nicht. Neben den viel versprechenden, fremden Klängen machten mich die Statements meines Vaters bezüglich der Musik und der neuen Zeit so ganz allgemein neugierig. Der war in seinem Innersten zutiefst erschüttert über die Welt da draußen. Revoltierende Studenten, die ersten Bombenleger, Straßenkämpfe, Randale. Rock`N Roll, das hörten für ihn nur die Gammler und Hasch-Raucher, wie er meinte, ohne mir das näher zu erläutern.

Irgendwie machte mir seine Ablehnung dieser ihm fremden Welt erst einmal Neugierde. Zumal es da noch diese Freundin meiner Mutter gab, mit ihren drei Kindern. Eines davon war seinerzeit bestimmt schon 16 oder so, also ein Jahrgang, den man heute als 68er bezeichnet. Lange Haare, Flicken-Jeans, rotzfrech und er hatte eine elektrische Gitarre samt Verstärker, mit der er wunderbaren Lärm produzierte. Einen Vater hatte der auch, allerdings nicht sein “richtiger”, selten zuhause, und wenn, dann mit Neigung zu Krawall. Jedenfalls war ich fasziniert von dem “Großen”, der kam mit seiner Gitarre dem mysteriösen Bild der verfluchten Gammler und Hasch-Raucher meines Vaters schon recht nahe.

Der Grundstein war gelegt, der Stachel im Fleisch saß. So wuchs ich also in die 70er Jahre hinein, dem Jahrzehnt, das an Schrägheit unübertroffen bleiben sollte. Laut, schrill, bunt, rückblickend mit seinen zahllosen Stilblüten an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Für einen mittlerweile 10-jährigen wie mich jedoch Faszination pur sowie absolutes Kontrastprogramm zum elterlichen Mikrokosmos.

* Fortsetzung *

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