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Mitfahrgelegenheiten

Die Zeit am Jahresende ist Reisezeit, so auch für uns dieser Tage. Wir hatten dermaßen viel Zeug mit an Bord, das auf dieser Tour für Mitfahrer beim besten Willen kein Platz mehr gewesen wäre. Früher, zu den Zeiten, als wir noch pendelten, wöchentlich zwischen Berlin und Wuppertal, hatte ich alle 2 Wochen regelmäßig das Auto voll mit Fahrgästen, die mir dabei halfen, die Fahrten zu finanzieren. Grob überschlagen waren das in den eineinhalb Jahren gut 200 Menschen, die mit mir gefahren sind, einige wenige sogar mehrfach. Die allermeisten waren recht angenehme Gäste, von ein paar Ausrutschern und den lästigen Fakern mal abgesehen. Ein paar Geschichten sind mir noch gut in Erinnerung, weil die Umstände eben nicht so ganz alltäglich waren. Hier nun ein Versuch, die „Spitzen“ mal zusammen zu schreiben. (Namen sind Schall und Rauch, natürlich habe ich die richtigen vergessen…)

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Sergej

Sergej steigt schon in Wuppertal zu, was nicht so oft vorkommt, die meisten Gäste sammle ich im Ruhrgebiet ein. Groß, stämmig, schwarzer, dicker Lodenmantel, Wollmütze auf dem Kopf, vom äußeren Eindruck her Mitte bis Ende Fünfzig Jahre alt. Sein Gepäck besteht aus einem kleinen Koffer und einer großen, gut gefüllten Plastiktüte, die laut scheppernd vorne mit ihm Platz nimmt. Der Inhalt, seine Wegzehrung, besteht aus kleinen Weinflaschen, so Drittel-Liter-Dinger. Sergej ist gesprächig und bester Laune, in Erwartung guter Geschäfte während eines Messebesuches in Berlin. Eigentlich ist er Immobilienmakler, sagt er, aber schnell wird klar, das er guten Geschäften aller Art nie abgeneigt ist. Bahn fahren wäre bequemer, sagt er, der Fahrpreis wäre ihm auch egal. Aber die Kontakte, die Gespräche unterwegs in den fremden Autos, die wären immer sehr viel fruchtbarer als auf jeder langweiligen Bahnfahrt, findet er.

Etwas verwundert komme ich auf die Wegzehrung zu sprechen, da doch allgemein bekannt sei, das Wein eben nicht zu den bevorzugten Getränken seiner Landsleute gehört. Da gibt er mir sehr recht, auch für ihn sei das natürlich eine Notlösung, aber die Hauskost aus vergorenen Kartoffeln bereite enorme Schwierigkeiten, sich in einer fremden Stadt zurecht zu finden, was gerade bei der Suche nach der Unterkunft nicht hilfreich sei. Einmalig auch der kleine Dialog über Alkohol so allgemein, der sich daraufhin entspannt. Auf meine Ansage, keinen Alkohol zu trinken, ist ihm sofort klar: Dann bist Du Alkoholiker! Eine andere Möglichkeit wird gar nicht erst in Erwägung gezogen, offensichtlich verzichtet sonst kein vernünftiger Mann auf gute Getränke, und ich nicke breit grinsend.

Die bis dahin Dritte im Wagen ist eine junge Asiatin. Nach einigen Smalltalk kommen die beiden auf das Thema Ernährung und entdecken Gemeinsamkeiten in der Kenntnis altbewährter Hausmittel, die gut den Doktor ersetzen können. So ist man sich einig, das Hundefleisch so ziemlich gegen alle möglichen Beschwerden hilft. Andere Länder, andere Sitten, denke ich, während es mich leise schüttelt.

In Hannover machen wir Pause, nicht die erste und nicht die letzte, irgendwo muss die Wegzehrung denn ja hin. Im Auto riecht es derweil wie in einem Weinkeller in den Mosel-Bergen. Ein junger Schwarzer steigt zu und ich bin schon ein wenig erleichtert, das Sergej, der übrigens gerade Ende Vierzig ist, sich sofort ausgezeichnet mit dem Jungen versteht. Geschäfte zeichnen sich ab, staunend höre ich, was sich da anbahnt. Der Schwarze kommt irgendwie an Zucker, viel Zucker, wie ich höre. Sergej kennt die nötigen Vertriebswege in den Osten, Pläne werden geschmiedet, Telefon-Nummern und Visitenkarten getauscht und so langsam verstehe ich, warum Sergej keine Lust auf Bahn fahren hat.

Angekommen in Berlin ist Sergej dann doch recht angenagt von der Wegzehrung, auch, wenn es nicht die erste Wahl ist. Wein in ausreichender Menge tut es ja auch und anregende Gespräche wirken leicht euphorisierend. Polternd und schwankend steigt er irgendwo in Neukölln aus und verabschiedet sich überschwänglich von mir, verbunden mit einer letzten Frage, ob ich wirklich nichts zu handeln hätte.

Voller Bedauern und lachend wünsche ich ihm guten Aufenthalt in der großen Stadt.

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Lisa

Sie klingt sehr jung, die Stimme am Telefon. Da frage ich mal nach dem Alter, sie ist 18, die Lisa, und möchte nach Exter an der A2. Wir vereinbaren einen für mich sehr guten Preis, darum hole ich sie auch ab, aus Sprockhövel, das ist den kleinen Umweg wert. Sie steht kurz vor ihren Abi und will zu ihrer Freundin für das Wochenende, üben, sagt sie, als sie mit ihren kleinen Rucksack und ihren Laptop zusteigt, am Haus ihrer Eltern. Die Mutter wünscht uns noch winkend eine gute Fahrt und los geht es.

Ausfahrt Exter, ich frage, wo ich sie denn absetzen solle. Die Freundin holt sie ab, sagt sie, nahe der Ausfahrt unter der Autobahnbrücke sei ein kleiner Parkplatz, da möge ich sie absetzen, sie könne da warten. Am Parkplatz angekommen, beschleicht mich ein flaues Gefühl im Magen. Von der Freundin ist weit und breit nichts zu sehen, mittlerweile ist es stockfinster. Es gibt noch nicht einmal Laternen unter dem Backstein-Viadukt. Dafür treibt sich allerhand zwielichtes Volk umher, Autos halten nur kurz nebeneinander an, die Scheiben geöffnet werden Päckchen gegen Scheine getauscht. Hier willst Du jetzt warten? frage ich und biete ihr an, sie in die Stadt zu fahren. Letztens am Tage hätte das hier noch ganz anders ausgesehen, sagt sie unschuldig und telefoniert noch einmal.

Man muss wohl 18 sein, um so zu ticken, denke ich, während ich die anderen Fahrgäste um Verständnis bitte, das ich jetzt hier warten werde. 20 Minuten später hält endlich der richtige Wagen und wir verabschieden uns.

Mein Magen hat sich wieder beruhigt, als wir die Fahrt fortsetzen.

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Karin

Karin, irgendwo so Ende Vierzig, steigt in Bochum zu. Etwas auffällig auf jugendlich getrimmt wirkt sie, mit ihren schwarzen, Totenkopf-besetzten Kopftuch, pinkfarbenen Klamotten und schwarzer Lederjacke. Aufgekratzt und offensichtlich sehr guter Dinge erzählt sie von der Vorfreude auf eine ganze Woche mit ihrem Liebsten in Berlin. So schön, so toll wäre das mit ihm, er tut wirklich alles für mich, schwärmt sie.

Es folgen in losen Abständen mehrere Telefonate mit dem Liebsten, in deren Verlauf die Karin immer einsilbiger wird. Offensichtlich ist der Gute überaus beschäftigt, hat noch nicht einmal Zeit, sie in Berlin irgendwo abzuholen. Das geht mich sicherlich nichts an, macht mich aber dennoch nachdenklich, so ein abrupter Stimmungswandel. Schließlich setze ich den Dritten im Bunde bei Hannover-Langenhagen ab und wir fahren zu zweit weiter. Kurz vor dem Abzweig der A7 nach Hamburg platzt sie plötzlich laut heraus:

Was ist, wenn wir zwei jetzt alle unser Pläne vergessen und uns zusammen ein tolles Wochenende in Hamburg machen?

Nicht doch, denke ich und verneine höflich das freundliche Angebot. So bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit nach Berlin zu fahren. Sie fragt beim Abschied, ob nicht vielleicht ein Platz am Sonntag zurück frei wäre, was ich bedauernd verneine, alles bereits ausgebucht. Sie könne allenfalls am Samstag Abend mal nachfragen, ob vielleicht wer abgesprungen sei, das kommt vor.

Mein Mobilphon ist in dieser Zeit immer an, auch Nachts, der Fahrerei wegen. Samstag früh gegen halb fünf kriege ich den Signalton einer SMS mit, ob sie nicht doch mitfahren könne. Leider nein, wirklich sehr schade, und ich wünsche ihr Glück bei der Suche nach einem anderen Fahrer.

Die Vorstellung, welche Dramen sich dort in der Nacht wohl abgespielt haben mögen, beschäftigt mich nur kurz.

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Paul

Meist habe ich mindestens zwei Fahrgäste im Wagen, öfter mal auch drei. Mal kommt es aber auch vor, das nur einer mit fährt, der Absagen wegen. An einem solchen Tag sitzt Paul neben mir im Auto, ein etwas nervöser Mensch von vielleicht 30 Jahren. Es ist Sonntag, auf der Rückfahrt nach Hause, die Sonntage sind allgemein schweigsame Tage im Wagen, jeder hängt da seinen Erlebnissen vom Wochenende nach. So bin ich auch nicht verwundert über meinen einzigen, schweigsamen Fahrgast. Nach einigen Kilometern Autobahn geschieht es dann zum ersten mal:

WAHHAAA!

Dazu passend noch eine ruckartige Kopfbewegung zur Seite. Mir wird flau. Was für einen Psycho hast du dir denn jetzt an Bord geholt, frage ich mich. Und – noch viel eindringlicher- wie werde ich den jetzt gesund wieder los, denke ich, während ich frage, ob denn alles in Ordnung sei. Mein Nachbar hat den Farbwechsel in meinem Gesicht trotz Zwielicht wohl bemerkt und erklärt mir, ich möge mir keine Sorgen machen, er wäre medikamentös sehr gut eingestellt. OK, sage ich, na dann ist ja alles gut. Allein der Glaube daran fehlt mir.

Langsam entwickelt sich so etwas wie ein Dialog und ich werde aufgeklärt. So ganz ließe sich das ja nicht unterdrücken, meint er, aber es ginge mit den Pillen jedenfalls deutlich besser. Tourette-Syndrom, so hieße das, alles in Ordnung, ich bräuchte keinen Schreck kriegen. Reine Nervensache, meint er, und allmählich fange ich an, ihm zu glauben.

In der Tat entpuppt sich Paul als ein umgänglicher Zeitgenosse und nach einem weitern halben Dutzend WAHHAAA`s lachen wir beide gemeinsam.

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Gina

In Berlin verabredet sich Gina mit mir am Telefon. Sie will in Hannover zusteigen, am Sonntag auf der Heimfahrt. Mit der Uhrzeit ist das beim zusteigen unterwegs immer so eine Sache, der Verkehrslage wegen und wir vereinbaren, das ich sie eine Stunde vor der Ankunft in Hannover-Langenhagen anrufe, so das sie sich dann zeitig auf dem Weg machen kann.

An der Tankstelle ist weit und breit keine Gina zu sehen. Das ist seltsam, sie kam mir nicht wie ein Fake vor, alles klang recht überzeugend am Telefon. Auch nach mehrfachen Versuchen geht niemand dran und so warte ich, 15, 20 Minuten. Gerade will ich genervt abfahren, da ruft sie an. Großes Drama, sie hat ihr Handy im Hotel vergessen und musste noch einmal zurück. Nun kommt sie mit dem Taxi, Augenblick noch, gleich ist sie da. Aha. Nach weiteren 10 Minuten frage ich noch einmal nach. Der Blödian von Taxifahrer hat sie auf der anderen Seite der Schnellstraße an der Tanke abgesetzt, eben die falsche. Sie komme gleich um`s Eck, heißt es und da sehe ich sie auch schon strammen Schrittes sich der richtigen Tankstelle nähern.

Sie redet ohne Punkt und Komma, laut und weit ausholend. Nicht schlecht, denke ich, kann`ste das Radio auslassen. Gina ist eine höchst lebendige Mischung einer asiatischen Mutter und eines schottischen Vaters, vielleicht Ende Dreißig Jahre, und kommt gerade vom Date mit ihrem Liebsten. Der stammt aus Berlin, sie aus Düsseldorf, und der Gerechtigkeit wegen trifft man sich auf halben Wege, höre ich. Ok. Nach einigen Kilometern kommt dann nach einem Blick in die Geldbörse die Offenbarung. Sie hat nur noch fünf Euro in der Tasche, die ungeplante Taxifahrt hat offensichtlich das Budget zerrüttet. Macht nichts, sage ich, fahre ich dich halt in Wuppertal zu einem Geldautomaten deiner Wahl. Das kam schon öfter vor, ist lästig, aber nicht zu ändern. Kann passieren.

Die nächste Hiobs-Botschaft folgt. Ihr EC-Karte ist kaputt, leider. Aber – kein Problem, sie habe Freunde im Tal der Wupper, einige, sie werde telefonieren, irgendwer sei bestimmt bereit, ihr am Bahnhof die restliche Kohle vorzustrecken. Klasse, denke ich, während ich mich allmählich mit dem Gedanken vertraut mache, sie für Nüsse heim zu fahren. Sie an irgendeinem Rastplatz in der Dunkelheit raus zu werfen, bekomme ich nicht über`s Herz. Natürlich sage ich ihr davon nichts, um den Bemühungen um eine Lösung nicht den Schwung zu nehmen. So telefoniert sie bestimmt ein Stunde mit allen möglichen Leuten, bis der Akku leer ist. Keiner hat offensichtlich Lust, am Sonntag Abend spät seine Arsch hinaus in den Nieselregen zu bewegen und ihr mit einem Zehner auszuhelfen.

Am Bahnhof hier im Tal angekommen macht sie mir noch den interessanten Vorschlag, sie nach Hause in Düsseldorf zu fahren, da hätte sie noch Geld und für einen guten Kaffee wäre es ja auch nie zu spät. Mir schon, ich möchte in`s Bett und bin im übrigen eine treue Seele, auch ausgeschlafen. So gebe ich ihr der Form halber meine Kontonummer, sie schwört einen heiligen Eid, mir das fehlende Geld unmittelbar zu überweisen. Tatsächlich habe ich in zwei Tagen sogar 15 Euro auf meinem Konto, woran ich nicht wirklich geglaubt habe.

Auch eine treue Seele, die Gina.

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Andere sind nicht für kleine Geschichten gut, aber mir dennoch in Erinnerung. Der nervöse Japaner, den ich aus seinem Hotel abholen musste, weil er so ziemlich alles verpeilt hatte. Der untersetzte, junge Kerl mit dem unglaublich schweren Armee-Rucksack, der so metallisch schepperte, beim einladen. Sein dünnes Grinsen auf meine Bemerkung, ob das wohl ein zerlegtes MG sei. Ein unglaublich ungeduldiger Zeitgenosse, der sich Minuten-genau in Berlin verabredet hatte und von mir erwartete, ihn auch zeitig abzusetzen. Den jungen Theologie-Studenten, der mich mit seinem Gottvertrauen und seiner Lebendigkeit beeindruckte. Lange politische Gespräche mit einem sympatischen Kerl, der sich für im Gegenzug zu einem fundierten Studium für 12 Jahre beim Militär verpflichtet hatte. Die drei 14- oder 15-jährigen Jungs, die ich im Auftrag ihrer Eltern nach Dortmund gebracht habe, mit 3-stündiger Verspätung aufgrund Vollsperrung der Bahn. Der junge Geschäftsmann mit dem schnellen Auto, bei dem ich selbst mitgefahren bin. Seine Pläne, nach Sankt Petersburg zu ziehen, da seine russische Frau mit dem so geordneten bundesrepublikanischen Leben nicht klar kam.  Mehrere Anfragen zum alleinigen Gepäcktransport, Möbelstücke, ein Surfbrett, einmal sogar lebende Tiere ohne Begleitung. die ich allesamt dankend abgelehnt habe.

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Nicht zuletzt fällt mir ein Fahrer aus dem Kölner Raum ein, mit dem ich selbst zweimal mitgefahren bin. Seit fünf Jahren jede Woche Freitag nach Berlin und Sonntags wieder zurück, der Liebe wegen. Auf meine Nachfrage, wie lange er das denn noch machen wolle, antwortete er: Für weitere sieben Jahre, bis zur Rente. Schmeiß`ich doch keinen gut bezahlten Job hin, um mir von einem 20 Jahre jüngeren was sagen zu lassen, für die Hälfte. Seine Geschichte hat maßgeblich dazu beigetragen, das wir uns zeitig entschieden haben, wie und wo wir leben möchten.

Es ist schon irgendwie ein Ding für sich, mit wildfremden Menschen für 5,6,7 Stunden oder sogar länger in so einem engen Raum wie ein Auto nun einmal ist, unterwegs zu sein. Viele schlafen schlicht auf der Fahrt, mit anderen entwickelt sich so etwas wie Vertraulichkeit.

Unterhaltsam ist es in jedem Fall.

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