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Stachel im Fleisch 4

1981. Sozusagen über Nacht, nach bestandener Gesellenprüfung, wurden wir zu „Herren“, wie der Betriebsleiter unseres Lehrbetriebes meinte, als er vom trauten Du zum Sie hin wechselte. Meine lang ersehnte Freiheit, oder besser das, was ich mir darunter so vorstellte, damals, rückte immer näher. Im Lehrbetrieb hielt ich es als Geselle noch ein Dreiviertel Jahr aus und fast zeitgleich mit dem Stellenwechsel zog ich im Frühjahr `82 in meine erste, eigene Bude.

Wie also sah sie aus, meine Freiheit? Austoben. Jedes Wochenende war irgend etwas los, ich bewegte mich in von einander sehr verschiedenen Gesellschaften, an manchen Samstagen mehrere hintereinander, wohl überlegt, in welcher Folge. Gras und Dope waren mittlerweile ständige Begleiter geworden, damit meinte ich mich auf den Straßen ganz gut bewegen zu können. Der Ahnungslosigkeit mancher Polizisten damals sei Dank, das mir der Führerschein erhalten blieb. Und meinen Schutzengeln sei Dank, das niemand zumindest körperlich durch meine Art zu leben damals zu Schaden kam. Meist landete ich zum Schluss bei meinen Kumpanen im Dorf, aus dem ich gerade ausgezogen war. Hier konnte ich mir gefahrlos den Rest geben, pennen konnte ich immer irgendwo, friedlich, das hieß, ohne Gefahr zu laufen, sturz-voll auch noch ausgemistet zu werden. Mein Glück damals war, das zwischen den vielen Gleichgesinnten in Sachen Alkohol und Drogen immer wieder auch Menschen waren, die anders lebten. Mit denen sich Freundschaften entwickelten, die zum Teil bis heute halten.

Einerseits kostete ich meine „Freiheit“ also in vollen Zügen aus, exzessiv und gründlich. Die Leine allerdings, an der ich mich geglaubt hatte, war keineswegs zerschnitten, sie wurde nur länger und unsichtbar. Die Worte und Werte von zuhause. Die mir angstbesetzt im Nacken saßen, aber, mal positiv betrachtet, immerhin dazu beitrugen, das mein Leben nicht vollends in Richtung Bohème  driftete.

So ging das in etwa zwei Jahre lang. Bis mich mein Grundschul-Freund und ehemaliger Mit-Lehrling davon überzeugen konnte, mich weiter zu bilden. Uns beide verbanden ansonsten eher gemeinsame, versumpfte Abende und verrückte Aktionen im dichten Schädel, er allerdings schickte sich ernsthaft an, via Studium irgendwann den väterlichen Betrieb zu übernehmen. Ein Studium kam für mich nicht in Frage, so entschied ich mich zu einer berufsbegleitenden Weiterbildung. Vier volle Jahre sollte das dauern, drei Abende die Woche Schule, dazwischen Vorbereitung auf Klausuren, Hausaufgaben. 8-Stunden Job mit gelegentlichen Überstunden, ein Leben aus Tasche und Koffer zwischen Arbeit und Schule. Ehrlicherweise habe ich selbst nicht daran geglaubt, das zu schaffen, aber nachdem das erste Semester herum war, ließ mich das nicht mehr los. Am Anfang waren wir über 30, am Ende noch 14, glaube ich. Wenn ich mir wegen fehlender Zeit mal ein wenig leid tat, erinnerte ich mich an ein paar Schulkollegen, die quasi nebenbei noch Kinder zeugten und Häuser bauten.

Alles war eine Frage der Struktur. Arbeit, Schule, das Recht auf Rausch, auf Betäubung, Belohnung für die Heldentaten. Der Freitag war stets frei gehalten zum intensiven kiffen und saufen, selbst unter der Woche, nach der Schule ging es manchmal noch für ein paar Stunden einen Kumpel besuchen. Kondition hatte ich, wie man sie wohl auch nur in diesen Jahren hat. Dazwischen immer mal wieder ein Stellenwechsel, mal freiwillig, mal gezwungener Weise. Dazu kam noch meine damalige Mitgliedschaft beim technischen Hilfswerk, anstelle Militär. 10 Jahre Verpflichtung, einmal im Monat ging dafür ein Samstag drauf. Wobei nach einer kurzen Schamfrist die Abkürzung THW für mich und meinesgleichen schnell umgedeutet wurde. Trinken-Helfen-Weitertrinken. Ein völlig loser Tag in einem ansonsten Stress-gefüllten und Arbeits-überladenen Monat. Sinn-frei, die wenige Arbeit, die es für uns gab, war meist nach 1, 2 Stunden erledigt und so waren wir morgens um 10 meist schon voll. Ein Tag jenseits von gut und böse also.

Mitten in dieser Zeit lernte ich meine erste, „feste“ Freundin kennen. An dieser Stelle weiter zu schreiben, verursacht mir (immer noch) Unbehagen. Wir zogen aus gegebenen Anlass sehr schnell zusammen, während der ersten zwei Jahre hatte ich ja gute Gründe für die wenige Zeit, die ich für sie hatte. Die Arbeit, die Schule, ja. Nachdem die Schule dann `88 endlich zu Ende gebracht war, fiel ich leider zurück in alte Gewohnheiten in Sachen feste Feiern. Für mein Verhalten damals bekam ich viel später die Rechnung präsentiert, nichts bleibt folgenlos, wenn man solcher Art durch`s Leben geht. Während sie im Grunde nur Geborgenheit und Nähe suchte, forderte ich Verständnis für meine Gier. Absolution wird mir dafür in diesem Leben nicht mehr erteilt.

Damals  jedoch waren mir jede Selbstzweiflel fremd. Anfang der 80er hatten sich nebenan in Düsseldorf die toten Hosen erfunden und nichts beschreibt das Lebensgefühl dieser Zeit besser als das kleine Lied weiter unten. Meinesgleichen gab es einige und obwohl wir rein äußerlich zumindest irgendwo im Leben angekommen waren, ging es an manchen Tagen genau anders herum zu.

Über allem stand in großen Buchstaben: WOFÜR?

Fortsetzung

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