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Zurückgeblieben

Folgender Beitrag war ursprünglich ein Post von mir im Rahmen einer Selbsthilfegruppe, aber warum sollte er nicht für alle Interessierten lesbar sein.

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Es bleibt etwas zurück, heißt es, nach jahrelangem Schindluder und Raubbau an Körper, Emotio, Ratio, Ego, an der Seele. Hat man mir auch einst attestiert, F10.2 & F12.2, man (oder die Suchmaschinen) kennt, kennen das. Bleibt halt nix ohne Folgen, weg ist weg und irgendwann wächst auch nichts mehr nach, sagen sie. Finden Sie sich damit ab, sagte mir vor längerer Zeit ein Therapeut auf einer dieser Probestunden, deren einziger Sinn für mich in der Erkenntnis bestand, austherapiert zu sein. Sie haben sich viele Jahre lang vergiftet, Nervenzellen zerstört, da bleibt etwas zurück.

Jo, recht hatte der. Wobei seine Sicht der Dinge wieder mal nur eine Teilwahrheit war, und in Art wie Kontext therapeutisch fragwürdig vorgetragen wurde, vorsichtig formuliert. Zu gerne hätte ich ihn gefragt – na klar, isso, aber was bitte stelle ich mit dem Rest noch an? Noch zu irgendetwas nütze oder reicht es einst nur noch für sanftes, rhythmisches Schwingen im Schaukelstuhl auf der Loggia, im Abgasnebel der Rushhour auf Monte Petrol? Die Frage sollte ich mir offensichtlich selbst beantworten.

Zunächst glaube ich daran, dass nicht nur etwas zurückgeblieben ist, sondern dass meine damalige Art zu leben auch eine Vor-Geschichte hatte, die erst nach meiner bedingungslosen Kapitulation eine Chance auf Sichtung und Bearbeitung hatte. Eine durchaus strittige Sicht, manch einer meint, erst durch den Konsum so oder so geworden zu sein. Henne und Ei, einerlei, Fakt ist, vom Konsum wird nichts besser, sei es schon vorher in mir angelegt gewesen oder mit der Zeit erst entstanden sein.

Was also fange ich mit dem „Rest“ an, und wie gehe ich mit solch charmanten Diagnosen und Prognosen um? Heute weiß man, dass sich Nervenbahnen neu bilden können, auch dass sich Hirnareale neu untereinander vernetzen können und so Regionen Aufgaben übernehmen können, die ursprünglich nicht ihre waren. Die neurologische Beweisführung spare ich mir jetzt mal, sie ist mir nicht wichtig. Hoffnung gibt es also immer, auch wenn Mensch wie ich zu depressiven Episoden oder gar zu handfesten Depressionen neigt, die in einer anderen Liga spielen.

Selbst der schwarze Vogel, wie ich meine dunklen Stimmungen gerne nenne, hat seinen Sinn, verschafft er mir wenn auch unfreiwillig manche Atempause, lässt mich langsamer werden. Er reduziert Bewegung, Worte und Taten, was durchaus zeitweise Sinn macht. Wobei ich mich in den letzten Jahren darin übe, dies eher über Meditation zu erreichen und mich ansonsten von wacher Routine und Gottvertrauen durch meine Tage tragen lasse. Mich und vieles um mich herum nicht ernster zu nehmen, als unbedingt nötig, das Leben ist zu kurz für zu viel Ernsthaftigkeit, soviel ist sicher, und Humor ist oft genug, wenn man trotzdem lacht.