Regen

Eigentlich hat er das nicht verdient, der mittlerweile lang ersehnte Regen. Steht er doch in der Natur für Fruchtbarkeit und Wachstum. Bei mir befeuert er eher meine grüblerischen, nur scheinbar dunklen Stimmungen und Erinnerungen. So geschehen gestern Abend, bei Erzählungen von Freunden über ihren Umgang mit dem Sterben, dem Tod, mit Grenzen, mit unserer Endlichkeit.

Mir ging spontan eine Geschichte durch den Kopf, die mir heute noch Gänsehaut verursacht. Sie liegt mittlerweile schon gut 10 Jahre zurück, damals wohnte ich in einem alten Weber-Haus unten an der Wupper.

Eine Wohnung, die ich mir damals mit Bedacht aussuchte. Drei kleine, bezahlbare Zimmer, es galt angesichts meiner damaligen Unterhalts-Verpflichtungen schon streng zu rechnen. Das Umfeld war dem niedrigen Mietpreis entsprechend, also alles andere als bürgerlich, was ich allerdings nie als Makel empfunden habe. Gepflegte Vorgärten in stillen Vorort-Straßen mit all ihren gut situierten Menschen samt deren Status-Symbolen waren mir immer schon suspekt und verdächtig, ebenso wie all zu aufgeräumte Mietshäuser mit peinlich auf Flur-Keller-Speicher-Ruhezeit-Ordnung bedachte Nachbarn. Nichts gegen eine gewisse Ordnung, aber eben alles in Maßen.

Solch eine gewisse, also erträgliche Ordnung gab es in diesem Haus, damals. Darauf achtete der Hausmeister, ich glaube, er hieß Rolf. Wir mochten uns irgendwie von Anfang an, beginnend damit, das ich von ihm unter einigen Mit-Bewerbern den Zuschlag für die Wohnung bekam. (Der Vermieter wohnte sonst wo und überließ vertrauensvoll alles seinem Mann vor Ort). Gemeinsame Berührungspunkte waren unser beider Hang zum basteln und zur Improvisation. Er half mir beim schreinern, gab mir gute Tipps und ich übernahm gelegentlich waghalsige Aktionen in dem riesigen Treppenhaus, Glühbirnen in luftiger Höhe tauschen, er traute sich nicht mehr so hoch auf die Leiter. Ich glaube, ihm beeindruckte mein aus seiner Sicht spannendes und bis dahin sehr wechselvolles Leben, mit Blick auf das andere Geschlecht. Eine Perspektive, die ich damals selbst allerdings  nicht unbedingt so erbaulich fand. Mich faszinierte die Ausstrahlung dieses kleinen, untersetzten Mannes. Der Respekt, den er sich in dem bunten Viertel, bestehend aus Bordellen, zwielichtigen Kneipen, Migranten-Klubs, Spielhallen, mediterranen Lebensmittel-Läden und preiswerten Auto-Werkstätten erworben hatte. Angst habe ich hier vor niemanden, verriet er mir mal, und das klang sehr glaubhaft.

Seine Angst vor Höhe hatte allerdings einen guten Grund. Sein krankes Herz machte ihm Schwindel. Eines Tages, ich hatte ihn schon länger nicht gesehen, traf ich seine Frau, die mir eröffnete, das ihr Mann neulich des Nachts verstorben sei. Das Herz, einen Termin beim Kardiologen hätte es schon gegeben, aber zu spät. Seine Zeit war abgelaufen.

Irgendwann, einige Monate später, saß ich gemeinsam mit Freunden bei einem Abendessen . Eine Frau in dieser Runde hatte eine ganz besondere Begabung. Ein Medium mit Zugang zu der Welt der Geister. Eine Neigung, der ich damals zumindest eher skeptisch gegenüber stand. Irgend ein uraltes Wissen sagte mir, das ist so, war immer so, wir sind nicht allein, auch, wenn wir glauben, wir wären es. Selbst hatte ich mich ja auch schon in ganz dunklen Augenblicken beschützt und geborgen gefühlt. Der mit Schul-Wissen gefüllte und mit einem technischen Beruf gestärkte Intellekt hingegen neigte dazu, das alles als großen Blödsinn abzutun. Wie auch immer, wir sprachen über unsere vermeintlichen, unsichtbaren Begleiter, jene Wesen, die uns je nach Couleur hilfreich beraten, beistehen wollen oder uns eben in ihrem Sinne manipulieren, herunter auf ihre Ebene ziehen wollen.

Da – neben dir sehe ich einen, ganz deutlich. Er flüstert irgend etwas von Frauen. So sagt die Bekannte und ich frage ratlos, wen sie wohl meinen könnte. Sie lacht und meint, ich würde ihn doch recht gut kennen. Schau`dir doch bloß mal seine Hände an, diese Hände… Rolf`s Hände waren sehr markant, versehen mir großflächigen Pigment-Störungen.

Heute bin ich mir sicher, unsere Welt ist viel größer, als wir das aus unserer Beschränktheit und unserem Alltag heraus erahnen können. Dass wir, ähnlich der Struktur unserer Erde, nur auf eine dünnen Schicht Vertrautem leben und kaum eine Ahnung haben, was darunter alles verborgen ist. Dass die Gesetze der Physik ebenso existent sind wie andere Natur-Gesetze. Dass wir umgeben sind von denen, die vor uns da waren. Dass wir eines Tages erwartet werden, wenn wir dahin zurück gehen, von wo wir gekommen sind.

Dass wir uns nicht fürchten müssen.

 

 

11 Gedanken zu „Regen

  1. Bisou

    Vermutlich habe ich selber zu viel mit solchen Aussagen „gespielt“ um nicht das Gefühl zu haben zu durchschauen. Die Bekannte hat dir „nichts“ gesagt, du hast in ihre Worte hinein gelegt was zu dir passte. Ihre Worte hätten zu jedem anderen auch gepasst und jeder hätte darin jemanden gesehen den er gekannt hat.

    Ich habe eine Weile „sowas“ in unterschiedlichen Formen gemacht weil es manchmal die einzige möglichkeit für das Gegenüber ist sich selber ein zu gestehen womit es sich gerade beschäftigt, die Möglichkeit Dinge im Bewusstsein nach vorne zu nehmen. Gläserrücken, Geisterbefragen, Kartenlegen, Handauflegen, Energiefelder, etc… immer gerade das wofür der andere empfänglich war.

    Irgendwann habe ich mir selber Angst gemacht. Es verleiht eine gewisse Macht die in vielen Fällen missbraucht wird, im besten Fall um die eigenen Taschen zu füllen. Rückblickend hörte ich auf weil ich nicht die Reife hatte und ich würde es nicht wieder tun weil ich die Reife habe…

    Das einzige in der Richtung das ich als „real“ ansehe ist in den Händen lesen so es jemand wirklich gelernt hat.

    Danke fürs Erinnern an eine Zeit in meinem Leben die mir nicht mehr gegenwärtig war und danke fürs Teilen deiner Erfahrungen.

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      1. Reiner

        Das ist immer gut so, kritisch zu schauen. Heute möchte ich nichts mehr dergleichen wissen, meine eigene Wahrnehmung genügt mir völlig.

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    1. Reiner

      Missbrauch und Scharlatanerie gibt es immer. Für mich können sich Geister nicht über die Natur-Gesetze stellen, von daher erübrigen sich Tische-Stühle- Gläser rücken und dergleichen. Auch Kaffeesatz-Lesereien aus allen möglichen Gegenständen gehören für mich in`s Reich der Verdummung.

      Allerdings gibt es auch die anderen, die die wirklich etwas wahrnehmen.
      Sie konnte es damals nicht wissen, die Sache mit den Händen.

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  2. Ralli Beaumonde

    nun, ich halte das nicht für ausgeschlossen..
    vielleicht erschaffst du sein bild in und mit deiner erinnerung?
    oder vielleicht ist er irgebdwie noch da?
    vielleicht verblaßt er mit der zeit?
    viele möglichkeiten..
    liebe grüße und ciao
    ralli

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    1. Reiner

      Er hat mir etwas ganz wichtiges vermacht, bevor er weiter zog (und wer weiß, ob er nicht ab und an lang schaut) Seine Haltung den unterschiedlichsten Menschen gegenüber.

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  3. Uschi

    Du hast für mich sehr viele Gedanken, die mir grad durch den Kopf gehen, in deinem Blog summiert.

    Da wäre der erste mit der Wohnung, ihrer Lage usw. und mir fällt da sofort meine erste eigene Wohnung ein. Minimalismus par excellence und doch war sie sowas von gemütlich und besonders.

    Der zweite Gedanke betrifft die besondere Begabung,
    die ich einer meiner Familienmitglieder zuordne.
    Sie machte mir sogar oft Angst mit Dingen, die voraus sagte, die dann auch wirklich eintrafen.
    Und so könnte ich den Reigen noch weiter fortsetzen,
    aber ich sage mal einfach so,
    manche Menschen haben etwas, was sie „fließen“ lassen können und deshalb eine andere Wahrnehmung.

    Und den bekannten *6.Sinn nehmen wir doch auch des Öfteren für uns in Anspruch, oder ? 😉

    Danke und einen lieben Gruß in den Sonntag

    Uschi

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    1. Reiner

      Dieser „6.Sinn“ ist etwas, was geschult werden möchte, dem Vertrauen geschenkt werden will. Man muss dafür nicht in`s Metaphysische oder in einem der unzähligen esoterischen Themen abgleiten. „Intuition“ reicht als Umschreibung völlig aus…in Verbindung mit Geduld, den Dingen beizeiten auf dem Grund zu kommen.

      Lieben Gruß zurück!

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  4. Pingback: Samstag, 200912 | wupperpostille

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