Netzwerk – die OP

Nach der Ferienzeit ist es dann soweit. Ich suche meinen Dok auf, der mir freudestrahlend zu meinen Entschluss gratuliert. Eine weitere Untersuchung der rechten Seite bringt keine neuen Erkenntnisse, hier scheint anders als links alles in Ordnung.

Bürokratie. Ich lerne den Unterscheid zwischen einer Überweisung und einer Einweisung kennen. Telefonisch hatte ich schon herausgefunden, das eine Einweisung in eine Klinik nur 5 Tage Gültigkeit hat. Der Dok meint, zum vorstellig werden reicht erst einmal die Überweisung, schriebe er mir jetzt bereits die Einweisung, könne die in Abhängigkeit vom Termin ihre Gültigkeit verlieren. Na gut. Mit dem Papier begebe ich mich in das Krankenhaus meiner Wahl und werde mit meinem Anliegen an die so genannte Terminambulanz verwiesen, wo mir ein Termin für die Voruntersuchung gegeben werden soll.

Verwinkelte Räumlichkeiten, ein enger, voller Wartebereich und Nümmerchen ziehen, wie beim Job-Center. Nach einer Weile bin ich dran, eine der ersten Fragen lautet, ob ich Schmerzen hätte, also als Notfall-Patient aufgenommen werden solle. Das Szenario kenne ich aus der Erzählung eines Kollegen, der damit die Bürokratie ein wenig verkürzt hat, ordentlich gejammert hat und sofort zur Voruntersuchung in die Notfall-Aufnahme verwiesen wurde. Guter Trick, kann ich leider nicht so gut. Klar habe und hatte ich Beschwerden, das sage ich dann auch, mehr aber nicht. Ich bin ein paar mal als Notfall-Patient aufgenommen worden und kenne die Unterschiede, was Schmerzen angeht. Im Hinterkopf dreht sich dann noch die Vorstellung, im „Ernstfall“ nicht als solcher behandelt zu werden.

Also geht alles nach der Regel und ich bekomme einen Termin in zwei Tagen zur Voruntersuchung, dann soll mir auch der OP-Termin mitgeteilt werden. Mitzubringen hätte ich die Einweisung, aha. Also wieder zurück zum Dok, das Papier schnell geholt, zwei mal für Nüsse durch das Großbaustellen-verseuchte Wuppertal gefahren, aber alles erledigt, immerhin.

Zwei Tage später, zur genannten Zeit in der Terminambulanz. Das klingt gut, jedoch bezieht sich dieses schöne Wort eher auf das genannte Datum denn auf die angegebene Uhrzeit. Vorher geht es noch zur Anmeldung, auch dort heißt es Nummer ziehen. Ordnung muss sein. Dann warten, es herrscht reges Treiben und wenn ein Notfall-Patient kommt, lassen sie dafür verständlicherweise alles liegen. Darauf bin ich vorbereitet, habe genügend Zeit sowie Zerstreuung mitgebracht.

Eine Ärztin führt die Untersuchung und das Vorgespräch. Ich werde detailliert über die Vorgehensweise aufgeklärt, nachdem ich draußen schon endlose Fragebögen ausgefüllt habe, in Sachen Vorerkrankungen. Ernte unverständliche Blicke, als ich frage, ob ein kleiner, Familien-planerischer Eingriff von vor fast 20 Jahren von Belang wäre. „Hätten`se schreiben müssen, war schließlich `ne OP! “  Mein Einwand „Stand nich` auf`m Zettel...“ wird kopfschüttelnd registriert. Meine Frage nach dem/der Operateur/in wird mit einer Gegenfrage beantwortet: „Ha`m`se`ne Zusatzversicherung?“ Thema erledigt, keine freie Arztwahl, da muss ich nehmen, was kommt und darauf vertrauen, das jeder von der Truppe sein Handwerk versteht. Anschließend folgt noch ein Gespräch mit einem Narkose-Arzt, der mir noch einmal alles Wissenswerte dazu sagt.

Sie bekommen kurz vor der OP noch `ne Tablette, um den Stress ein wenig herauszunehmen. Wenn`se noch eine Frage haben, fragen`se vorher, es könnte sein, das Sie anschließend die Frage vergessen haben.“

Einweisung nächsten Donnerstag.

Zwei Tag davor ändere ich meine Ernährung. weil bedingt durch die Narkose anschließend Probleme mit der Verdauung zu erwarten sind. Brot und andere Kohlenhydrate bleiben fortan weg, ich esse überwiegend Obst und Gemüse und ignoriere das Knurren weiter unten. So komme ich am Donnerstag weitestgehend entleert und nüchtern um 7 Uhr morgens in die Klinik. Nüchtern heißt, 6 Stunden zuvor nichts mehr essen und trinken. Letzeres fällt mir besonders schwer. Nach dem schon vertrauten Procedere der Anmeldung begebe ich mich auf die genannte Station, ganz oben. Ich nehme lieber die Treppen, vorläufig das letzte mal gewohnt zügig. Oben heißt es erst einmal weiter warten, es ist noch kein Bett frei. Mir fällt die Story des Kollegen ein, der einmal von 7 Uhr morgens bis 16 Uhr nachmittags gewartet hat, nüchtern. Na dann.

Ich habe Glück, gegen halb 9 kommt ein Arzt, der Operateur zu einer letztmaligen Voruntersuchung, schließlich will er das auch noch ganz genau wissen, als ausführendes Organ. Er wirkt sympathisch, ruhig und kompetent, was mich ein wenig beruhigt. Witziger Weise findet seine Voruntersuchung mangels Stations-Zimmer für mich in einer nahe gelegenen Rumpelkammer zwischen Putzeimern und anderen Zeug statt. „Netter Untersuchungsraum“ sage ich und wir grinsen beide. Besser hier als draußen auf dem Gang, denke ich und bekomme mit einem dicken Edding einen großen Pfeil aufgemalt.

Nach einer weiteren halben Stunde bekomme ich ein Bett und habe so gerade noch Zeit, meine paar Habseligkeiten zu verstauen. Dann erscheint ein aufgeräumter, fröhlicher junger Mann und erklärt mir, das es gleich los ginge. „Hier Ihr OP-Hemd, dat Offene nach hinten. Sind`se rasiert, Nee? Hier sind Rasierer, alles muss weg, schön großzügig. Un`dann nehm`se noch die Tablette da, dat beruhigt.“ Kann ich gut gebrauchen, denke ich und tue, wie mir geheißen.

Während ich so da liege, spüre ich, wie die Tablette langsam wirkt. Könnte etwas mehr sein, denke ich angesichts meiner flatternden Nerven und in Erinnerung diverser Zustände in meiner aktiven Zeit als Konsument allerlei Bewusstseins-verändernder Mittel.

Ich werde mit dem Bett durch die Gänge in den Aufzug gefahren, es geht herunter. Schlachträume sind wohl immer unten, denke ich und stelle mir bildhaft vor, was gleich mit mir geschieht. Es geht in einem Umlagerungsraum, zwei liebeswerte, schräge Vögel wollen mich umbetten, auf die OP-Liege. Ich will selbst Hand anlegen und ernte Protest.
Och Neee, dat lassen`se mal, wir wollen ja auch unser Geld wert sein“
Maschinell wird mir eine beheizte dünne Stahlplatte unter dem Hintern geschoben und ich wechsele wie von Geisterhand die Position. Mir ist kalt, ich klappere und die beiden haben ihren Spaß:
Ham`se Angst? Das müssen`se aber gar nicht, wir sind doch bei Ihnen, die sind alle total nett hier!“ 
Schön langsam gesprochen, mit gedehnten Vokalen und ich fühle mich eher im Kellergeschoß einer Psychiatrie als im Vorraum eines OP-Zimmers. Unter anderen Umständen hätte ich das witzig gefunden…

Wieder geht eine Türe auf, es geht endlich in den OP-Raum. Alles wirkt sehr eng auf mich, ein fensterloses Loch. Eine etwas ungeschickte Ärztin müht sich ab, mir den Zugang für die Mittelchen zu setzen, trifft nicht, murkst herum und setzt nach einer Weile anderswo neu an. Wenn die hier alle so arbeiten, dann Mahlzeit, denke ich. Kurz darauf läuft die Mischung, ich schaffe noch ein kurzes, stilles Gebet für mich und mir geht gnädig das Licht aus.

Nach einer guten Stunde komme ich im Aufwach-Raum nebenan wieder zu mir. Das erste, was ich spüre, sind die Flammen da unten, wo jetzt ein dünnes Kunststoff-Netz zwischen Bauchdecke und Leistenwand liegt und darauf wartet, fest zu wachsen. Der Zugang liegt noch und ich bekomme Schmerzmittel. Es sollen die letzten sein, die ich nehme.

Wieder oben auf Station. Mein Bett ist in der Mitte von dreien, der Kollege rechts von mir wurde gerade entlassen, auch ein Leistenbruch. Links liegt einer, der länger bleiben muss. Ich bekomme Infusion, nur Flüssigkeit, wie ich höre. Wenn ich mich vorsichtig bewege, kommen mir Zweifel, wie ich wieder hoch kommen soll. Das soll schon nach vier Stunden gehen. Die Zeit bis dahin verdöse ich.  Abends muss ich pinkeln, bin schon vorgewarnt worden, das nicht allein zu versuchen. Ich starte den ersten Versuch, es tut weh und ich breche ab. Man eröffnet mir, wenn ich heute nicht hoch käme, würde ich morgen nicht entlassen, was auf mich sehr motivierend wirkt, das sofort noch einmal zu versuchen. Dieses mal klappt es und ich schleiche begleitet von einer Schwester wie ein Geist in die Toilette. Pinkeln geht, wenn auch total langsam, aber immerhin. Das finde ich sehr beruhigend, jedenfalls in dem Zusammenhang scheint nichts falsches zerschnitten worden zu sein.

Mir wird schmerzhaft bewusst, wie viel wir tagtäglich mit der Bauchpresse, also der ramponierten Region da unten, erledigen. Hinsetzen, wieder aufstehen, alles geht wie in Zeitlupe und nur unter Zuhilfenahme der Arme. Die Nacht ist gewitterig und schlaflos, mein Nachbar schnarcht und es ist sehr warm. Schmerzmittel nehme ich keine weiteren, nicht, weil ich ein Held sein will, sondern weil ich mitbekommen möchte, wo die Grenzen zum Schmerz liegen, um keinen Aufriss zu riskieren. Viel zu sehen ist jetzt noch nicht. Drei kleine Löcher, verpflastert, machen nicht glauben, das sich dazwischen eine relativ große Wunde verbirgt.

Am nächsten Morgen darf ich nach Visite, Blutabnahme, Frühstück und Warterei auf die Papiere (die Bürokratie!) endlich raus, mein Sohn kommt mich holen. Sandalen und weite Hosen tragen sich recht angenehm, immerhin. Was führ ein Werk, in`s Auto zu kommen und wieder heraus…Treppen steigen dito. Mein sehr betagter Vater hätte mich gut überholen können.

Jedenfalls dankbar zuhause, erst einmal.

~

 

 

12 Gedanken zu „Netzwerk – die OP

  1. udo

    hab ich Ambulant machen dürfen. 3 Tage krankgeschrieben. Dann wieder arbeiten gehn. War nicht so schlimm. Mann sollte sich bewegen um die Narbe und das Netz elastisch zu halten,sonst verwägst es zu eng und ziept im Schritt. Nur nicht 2 Wochen schwer heben. sonst alles ok. Nach 3 Jahren hat sich das Netz gelöst und ich habe einen erneuten offenen Leistenbruch in Miniformat deren OP noch nicht nötig ist. 1x im Jahr überprüfen lassen.

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  2. QuerVerbindung

    …obwohl es sich nicht wirklich schlimm anhört, bin ich froh, dass ich bisher von OPs verschont worden bin…ich hätte eine Heidenangst vorher…also alles tun, um nicht krank zu werden, sag ich mir wiedermal…

    Ich hoffe, inzwischen kannst Du Dich wieder normal bewegen und nichts tut mehr weh!

    lg
    Heide

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  3. Uschi

    Hach wie ich OP’s hasse und deine Beschreibung hat bei mir grad *Kopfkino in Gang gesetzt 😉

    Stark sein und nicht zu viele Schmerzmittel, da habe ich auch gute Erinnerungen dran,
    aber einmal ging es nicht mehr und ich war dann sowas von dankbar, dass eine Zimmergenossin den Arzt rief…Morphium war unumgänglich !
    (war bei der Schulter-OP)
    Dann hoffe ich mal, dir geht es inzwischen besser und du hast den Bewegungsrhythmus wieder etwas im Griff.

    Alles GUTE und liebe Grüsse,

    Uschi

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  4. deborrah

    Gute Besseerung und vor allem eine gute Portion Geduld, was für Ungeduldige die größte Herausforderung ist. Vielleicht mit Dankbarkeit versuchen. Glück gehabt, so lange nichts verpfuscht ist… Im letzten Stern habe ich einen Artikel über eine 17jährige Krebspatientin gelesen, die schließlich gestorben ist. Dankbarkeit …

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  5. Ananda

    Aus dem ersten Teil sieht man doch, wie gut’s uns ein Leben lang gegangen ist.
    Keine Krkhaus-Erfahrung 🙂
    Ich sag’s ja immer: Körperlich bin ich mit guter Gesundheit gesegnet, bei mir sind alle Probleme im Kopf 🙂

    Wünsche dir ganz baldige gute Genesung!!!!!!
    Drücke dich aus der gar nich so weiten Ferne – vorsichtig! – an’s Herz <3
    und hier noch mal in Großbuchstaben:
    LASS DIR HELFEN!
    Es ist keine Schande, krank zu sein, aber es ist eine Schande, so zu tun, als wenn nichts wäre 😉

    Mit Liebe
    Ananda

    Antworten
      1. Ananda

        Kann man da nich irgendwas machen, dass ich Benachrichtigungen krieg, wenn du was schreibst/ antwortest?
        Oder dass ich dich wenigstens in meinem Reader hab?
        Das wäre schon schön 🙂
        Weiterhin Alles Gute!

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