Kein ausweichen möglich

Wenn mich etwas traurig stimmt, gebe ich mich dem hin, so lange es sein muss. Das ist, kommt ganz darauf an, worum es geht, mal kürzer und mal länger. Traurigkeit hat die Eigenschaft, zu bremsen. Früher ging ich darum um die Trauer herum und wurde lieber zornig. Mit der Welt, mit meinem Gegenüber, mit mir selbst, mit Gott, mit allem. Mit Wut im Bauch schafft man viel, jedenfalls mehr als mit der Trauer. Allerdings lässt sich die Trauer nicht betrügen. Sie kommt zurück, ungefragt, wann sie gerade will, und dann mit voller Wucht, zum Ausgleich für den versuchten Betrug vielleicht.

Hast`e jetz`davon, nehm`mich gefälligst ernst!

Also lass`ich die Traurigkeit dort, wo sie gerade sein möchte. Um nicht in ihr zu versinken, mache ich irgend etwas profanes. Das Fahrrad reparieren zum Beispiel. Oder Essen zubereiten. Staub saugen, Abwaschen, kleine Blog-Einträge wie diesen hier schreiben. Solche Sachen. Kleine, simple Notwendigkeiten und Beschäftigungen, die nicht das Potential haben, mich von mir selbst abzulenken. Beschäftigungen, die mich allerdings geerdet bleiben lassen.

*

xxx

(Hamburger Hafen, irgendwann.)

~

18 Gedanken zu „Kein ausweichen möglich

  1. Ananda

    klingt nach einem guten Weg

    Ja, sauer sein ist leichter als traurig, aber das isses ja dann nicht wirklich…

    ich tendiere allgemein eher zu durchgehen als ablenken
    denn wo man durch ist, ist man durch, wovon mal ablenkt, das kommt wieder

    damit meine ich allerdings nicht schreiben und Geschirr spülen, denn das lenkt ja nicht „wirklich“ ab….

    Antworten
  2. Holda Stern

    Lieber Reiner, du schreibst das ganz richtig. Die Gefühle wahrnehmen statt sie zu verdrängen. Dann wieder nach vorn schauen und Lösungen suchen. Oder ein Ritual finden, um zum Beispiel die Trauer zu überwinden. Wahrscheinlich ist es zu privat … worüber auch immer du traurig bist/warst, ich wünsche dir, dass du bald wieder aufschauen und zufrieden sein kannst! Holda Stern

    Antworten
    1. Reiner

      Jemand ist an sein Lebensende angekommen.
      Ein Weggefährte in meinem Alter.
      Der Tod ist die (Er-)Lösung…

      Danke dir, Holda Stern.

      Antworten
  3. Sven

    Hallo Reiner,
    ich habe gelernt, daß hinter Zorn und Wut oft Traurigkeit liegt. Ich kann mich an meine Zeit als nasser Alkoholiker gut erinnern. Groll, Wut und Depressionen war mein innerer Standard. Wie unendlich befreiend, daß das vorbei ist.

    Antworten
    1. Reiner

      Ja, Sven, wir sind gute Verpackungskünstler.
      Nicht nur wir als Suchtkranke, alle anderen Menschen ebenso.
      Nur reden die nicht darüber 😉

      Gute 24 Stunden Dir!

      Antworten
    2. Doris

      Vorbei ist das nie, fürchte ich.
      Habe vorige Woche eine liebe Freundin verloren, und war seit Ende September 2015 trocken.
      War sicher, dass ich nichts mehr anschaue….und doch ists passiert!
      Allerdings nur ein Abend und in mässigem Ausmasse…aber eben doch passiert.
      🙁

      Antworten
      1. Reiner

        Dann brauchtest du das genau so und nicht anders. Derzeit merke ich selbst, wie schwer es ist, solche mächtigen Gefühle zu (er-)tragen.

        Für einen neuen, trockenen Beginn ist es nie zu spät, liebe Doris. Suche Dir Gleichgesinnte, besuche Gruppen, teile Erfahrung, Kraft und Hoffnung nicht nur hier, sondern auch vis-a-vis mit anderen Menschen im „realen“ Leben.

        Gute 24 Stunden Dir!

        Antworten
  4. Nadine

    Einfache, schöne, harmonisierende Worte, Reiner.
    Für mich drücken sie Verständnis aus, und Akzeptanz. Sie zeigen ein ganzes Bild, wie es ist, wie es sein soll – komplett, aber–oder vielleicht gerade deswegen–nicht perfekt. Traurigsein gehört zum Leben wie der Sauerstoff. Es ist nichts Dreckiges, nichts Verkehrtes, nichts, was man verstecken müsste.

    Das erinnert mich an meine eigene Jugend und sogar Erwachsenenzeit. Bis lange in die 20iger traute ich mich nicht, normal zu atmen, wenn dies hörbare Geräusche verursachte. Ich traute mich auch nicht, zu husten. Ich glaube, so gehen viele Menschen mit Trauer um. Sie denken, es sei falsch, offenmütig zu trauern. Dabei ziehen sie sich zurück, verlieren den Kontakt zur Welt–und irgendwann auch zu sich selber. Und dann brodelts in ihnen, bis…

    Ich werde mir Deine Worte zu Herzen nehmen. Gefühle sind etwas, was mir selber noch grosse Mühe bereitet. Ich muss viel lernen. Ich dachte, mittlerweile gelernt zu haben, was es bedeutet, zu trauern. Aber Deine Worte zeigen mir, dass da noch mehr ist. Es ist nicht einfach nur ‚die Trauer erkennen, sie gewähren und den Tränen freien Lauf lassen‘. Das Einbinden in den Alltag, so wie es mit dem Atmen automatisch geschieht, das scheint mir noch viel wichtiger. Sich nicht in der Trauer zu verlieren, sondern stattdessen mit ihr zu gehen, ebenauf. Sie mit ins Leben zu nehmen, sie teilhaben zu lassen an all dem, was da auch noch ist.

    Das ist jener Teil, der mir hängenbleiben wird, zu meinem Wohl.
    Danke Reiner 🙂

    Antworten
    1. Reiner

      Ich danke Dir, Nadine, für deine Offenheit. Die meisten Menschen schieben die Gedanken an Trauer, Tod und Vergänglichkeit weit von sich weg, bis diese Gefühle nicht mehr zu leugnen sind, die Betroffenen immer näher rücken, und am Ende sind wir es selbst, die sich von uns verabschieden müssen. Es gibt hierzulande nur wenig „Kultur“ im Umgang mit dem Tod, mit der Trauer. Langsam ändert sich das, vielleicht, weil dieses Land allmählich überaltert, oder weil schlicht viele Menschen davor nicht mehr flüchten wollen.

      Für meinen Teil komme ich nicht umhin, anzunehmen, was ist. Das ist im Alltag nicht leicht, derweil man mir meine Gefühlszustände recht leicht im Gesicht ablesen kann 😉 Dennoch lasse ich das zu, weil ich kein Schauspiel für wen auch immer mehr spielen möchte. Ja, und wie ich oben geschrieben habe, mir ist wichtig, dem Umstand, das ich noch weiter zu leben habe, dadurch Respekt zolle, das ich für mich sorge, wenn auch mit Trauer.

      Noch einmal Danke und lieben Gruß Dir!

      Antworten
  5. Ilanah

    Lieber Reiner
    durchgehen ist immer das Beste, denke ich.
    Wenn wir jung sind wollen wir keine negativen Gefühle haben, weg weg weg sollen sie.
    Erst viel später begreifen wir, dass das Annehmen die Lösung ist.

    Warum bekomme ich die Einträge hier in diesem Blog erst drei Tage später????#
    Und warum muss ich mich erst neu anmelden?

    Antworten
    1. Reiner

      Liebe Ilanah, so ist es … was ich nicht annehmen möchte, sucht sich Wege und Schleichpfade, um zu mir zurück zu kommen.

      Verspätung der Benachrichtigungen, hmm. Wenn Du mir bei der wupperpostille.wordpress.com folgst, sollte es schneller gehen, da ich mich dort immer sofort verlinke. Hier beim wassertiger ist der Google-Feetburner für die Langsamkeit verantwortlich. Moderation, aus Sicherheitsgründen muss ich leider jeden Kommentar moderieren, das ist wegen der Anmelderei etwas lästig, geht aber nicht anders, Sorry…

      Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Reiner Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert