Grundbedürfnisse & Mangel

Eigentlich – beschreibt, wie etwas sein sollte, aber nicht ist. Eigentlich ist es für die meisten Menschen selbstverständlich, auf sich zu achten, auf die psychische und physische Befindlichkeit. Für mich als suchtkranker Mensch ist es dies nicht. Wenn ich den Motor meiner Suchterkrankung beschreiben soll, fallen mir spontan zwei Begriffe ein: Flucht und Mangel. Flucht vor mir selbst, mich mir selbst nicht stellen wollen sowie Mangel an (Selbst-) Liebe, Eigenverantwortung, Fürsorge für mich selbst. Was keinen Widerspruch zu meinem maßlosen süchtigen Verhalten darstellt: Ein Fass ohne Boden wird niemals gefüllt.

Den inneren Mangel zu befrieden, meine Seele zu füllen mit Frieden, Vertrauen und Zuversicht, das ist ein Prozess, der lebenslang andauert. Heute glaube ich den Worten der AA-Freunde – die Dauer sei mindestens ebenso lang wie die aktive, süchtige Zeit. Sie wussten um elementare Zusammenhänge zwischen Körper und Seele, gut in Erinnerung geblieben ist mir dieser Halbsatz:

Nicht hungrig, nicht durstig, nicht müde.

Äußerer Mangel – in meiner aktiven Zeit achtete ich in keiner Weise auf mich. Ich aß zu wenig und meist wenig Nahrhaftes, trank – schon klar, was, und schlief zu wenig und zu schlecht. Hygiene und äußeren Erscheinung waren oft dem entsprechend. Trocken und clean fing ich genau hier an, auf mich zu achten. Neben geistiger Nahrung, in meinem Fall alle verfügbare AA-Literatur, aber auch weit darüber hinaus, fing ich an, auf meine Grundbedürfnisse zu achten. Lernte kochen, lernte Neugier zu leben, lernte, wieder Struktur in meine Tage zu bekommen. Für mich zu sorgen eben, was soziale Kontakte mit einschließt. Einsamkeit (nicht allein-sein) ist auch ein Mangel, den ich, wenn ich wirklich möchte, relativ leicht beheben kann.

Warum bewegt mich all das, sollte doch schon längst selbstverständlich sein, meint der innere Kritiker. Ist es aber nicht immer. Mal fällt es mir einfach nicht auf, wie müde ich wirklich bin, mache einfach weiter und wundere mich dann über meine Gereiztheit und meine Aggressionen. Dann kann ich mich wunderbar empören, Anlässe gibt es in dieser Zeit mehr als reichlich. Oder ich werde schlicht krank am Körper, siehe neulich. Mangel hat viele Gesichter. Bei der fälligen Innenschau, der nach Möglichkeit täglichen Inventur sowie im Austausch mit anderen Betroffenen werde ich wieder an die kurzen, knappen vermeintlichen Binsenweisheiten erinnert, siehe oben.

Eigentlich ist es so einfach – eigentlich eben.

Bild von Markus Grolik aus dem Buch „Therapeutische Cartoons“ (Holzbaum Verlag): www.komischekuenste.com/shop/therapeutische-cartoons
(Werbung, unbezahlt)

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12 Gedanken zu „Grundbedürfnisse & Mangel

  1. Pingback: Sonntag, 211212 | wupperpostille

  2. Nati

    Mangel ist kein einfaches Thema.
    Wenn man Mangel von Außen erlebt/durchlebt, damit groß wird, gibt es zwei Wege.
    Entweder man lebt im Mangel weiter, fügt ihn sich selber zu oder man behebt den Mangel, füllt ihn bei sich auf.
    Aber wie ist es wenn man sich den Mangel selbst zufügt und hinterher schlecht oder kaum merkt wenn der Mangel mal wieder zu groß geworden ist?
    Selbstfürsorge Tag für Tag, Achtsam mit sich umgehen, gesunden Egoismus pflegen.
    Ich wünsche es dir Reiner. Aber ich weiß dass du stetig auf dem richtigen Weg bist.
    LG, Nati

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      „Normal“ ist, was uns vertraut ist, Nati. Wenn uns der Mangel von klein auf vertraut ist, besteht die erste Hürde darin, ihn als solchen zu erkennen. Gefühltes Leid war für mich stets der beste Indikator. Oft ist es schwierig, das wahrzunehmen, wenn der Tag mal wieder zu wenig Stunden zu haben scheint. Selbst zugefügter Mangel … wenn ich glaube, mir stünde nicht mehr zu. Es geht an der Stelle mächtig in die eigene Tiefe, zu ergründen, wer das warum in uns hinein gepflanzt hat. Wir dürfen heute anders sein, auch mit holpern und stolpern 😉

      Liebe Grüße auch dir!

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  3. Luxus Lazarz

    Geliebter Reiner, 🌻
    hilfreiche Erkenntnisse und danach ein Bildchen, welches ein Lachen bewirkt sowie mal wieder zeigt, dass auch die Katz ein Lehrer für Gelassenheit und Akzeptanz sein kann.
    Dankeschön fürs Teilen.
    Vorweihnachtliche Grüße 🕯🕯🕯
    Luxus

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Katzen sind sehr gute Lehrmeister in Sachen Autonomie und Empathie.
      Auch in Gelassenheit & Geduld 🙂

      Viele Grüße auch dir, liebe Luxus!

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  4. Aloisia+Eibel

    Starke Worte. Gut für sich sorgen ist wohl das Gegenteil von Egoismus. Ich gönne auch den Anderen das Gleiche. Im Körper bleiben, ihn spüren, bei Allem was ich tue. Mir scheint, das ist auch Heilung für Dich und zugleich für die ganze Welt.
    Gesegnete Weihnachten, danke dass es Dich gibt in der Bloggerwelt.
    Aloisia

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